Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.03.2002, Az.: 1 B 15/02

Abschiebungsschutz; Abwägung; Administrative Haftstrafen; Prognose; Vietnam; Vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
04.03.2002
Aktenzeichen
1 B 15/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41637
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der 1965 geborene Antragsteller vietnamesischer Staatsangehörigkeit und buddhistischen Glaubens kam - nach mehrjährigem Aufenthalt in der CSFR (1983-1991) - im Februar 1991 auf dem Landweg in das Bundesgebiet und stellte am 7.3.1991 erstmals einen Asylantrag. Dieser wurde nach seiner Anhörung durch Bescheid vom 24. April 1991 abgelehnt. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Urt. des Verwaltungsgerichts Stade - Kammern Lüneburg - v. 17.6.1993 - 1 A 600/91 -). Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 10.12.1993 abgelehnt ( 9 L 3260/93).

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Am 28. Dez. 2001 stellte der Antragsteller mit der Begründung einen Asylfolgeantrag, er sei seit September 1996 Mitglied des Vereins "Bewegung für eine demokratische Zukunft in Vietnam e.V.", der eine exilpolitische Zeitung herausgebe, für die er auch Artikel schreibe und die in vielen Ländern der Welt vertrieben werde (Zeugnis: La Qui Tuan, Trier); dessen Mitglieder würden in Vietnam bedroht und verfolgt. Außerdem sei er in Deutschland in vielfacher Weise und sehr engagiert exilpolitisch aktiv, was er mit Fotos und Unterlagen belegen könne. Der Antragsteller wurde den vietnamesischen Behörden im Februar 2002 "zur Rückübernahme angeboten" (Bl. 60 VerwV. Rs), ohne dass eine entsprechende Zusage erfolgte. Nach der Anhörung vom 4. Februar 2002 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. Februar 2002 (2 732 623-432) - zugestellt per Übergabe-Einschreiben (abgesandt am 11.2.02) - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen; daneben wurde der Antragsteller aufgefordert, das Bundesgebiet binnen 1 Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, wobei ihm die Abschiebung nach Vietnam für den Fall angedroht wurde, dass er die Ausreisefrist nicht einhalte.

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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 18. Februar 2002 bei der erkennenden Kammer Klage - 1 A 70/02 - erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

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Der fristgerecht (§§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 1, 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG) bei der Kammer gestellte und auch sonst zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 1 A 70/02 hat Erfolg.

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1. Fristgerecht ist der Antrag hier jedenfalls deshalb gestellt, weil der angefochtene Bescheid per Übergabe-Einschreiben und damit nicht förmlich nach dem Verwaltungszustellungsgesetz zugestellt worden ist (vgl. BVerwGE 112, 78). Im Übrigen aber ist er nach den Verwaltungsvorgängen am 11. Februar 2002 zur Post gegeben worden, so dass der am 18. Februar 2002 bei der Kammer gestellte Antrag in jedem Falle fristgerecht ist.

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2. Im Verfahren des § 8o Abs. 5 VwGO sind, ohne dass dies gesetzlich vorgegeben ist, in der Regel die beiderseitigen Interessen im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG gegeneinander abzuwägen. In dem Falle jedoch, daß dem Rechtsschutzantrag - wie hier - keine behördliche Vollzugsanordnung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vorausgeht, weil nach der Einschätzung des Gesetzgebers auf dem Sachgebiet generell schon ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht (vgl. § 75 AsylVfG), ist auf der Grundlage einer Interessenabwägung analog dem Maßstab des § 8o Abs. 4 Satz 3 VwGO zu entscheiden (Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 4. Auflage 1998, Rdn. 849 ff./851; Schoch/ Schmidt-Aßmann-Pietzner, VwVG-Kommentar, Bd I / Std: Jan. 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.) - es sei denn, es besteht hinsichtlich des Maßstabes eine gesetzliche Spezialregelung. Eine solche liegt mit § 36 Abs. 4 AsylVfG vor, ohne dass durch sie allerdings jener Maßstab des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO verändert worden wäre. Denn auch hiernach kommt es auf ernstliche Zweifel an, die stets dann anzunehmen sind, wenn "Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage" bestehen (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194). Solche Zweifel liegen hier vor.

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3  Die Erfolgsaussichten des gestellten Antrages - und zugleich die genannten Zweifel - sind hier deshalb anzunehmen, weil bei einer summarischen Prüfung, wie sie für das Eilverfahren des § 80 Abs. 5 VwGO charakteristisch ist, das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG und 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht von der Hand zu weisen ist.

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Für ein Wiederaufgreifen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VwVfG genügt es schon, dass im 3-stufigen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. dazu BayVGH, Inf-AuslR 1997, 47o m.w.N.; VG Lüneburg, InfAuslR 2000, S. 47) eine nachträgliche Änderung der Sachlage (oder Rechtslage) fristgerecht vorgetragen und die vorgetragenen Gründe an sich geeignet sind und es - analog § 42 Abs. 2 VwGO - nur möglich erscheinen lassen, dass ein günstigeres Ergebnis erzielt werden kann (BayVGH, aaO, m.w.N.; BVerfG, InfAuslR 1993, 3o4; BVerwGE 39, 234 [BVerwG 06.01.1972 - BVerwG III C 83.70]; 44, 338 [BVerwG 30.01.1974 - BVerwG VIII C 20.72]; 77, 325 [BVerwG 23.06.1987 - BVerwG 9 C 251.86]; BGH NJW 1982, 2128 [BGH 29.04.1982 - IX ZR 37/81]; OVG Münster DÖV 1984, 901). Nur dann, wenn das substantiierte Vorbringen nach jeder denkbaren Betrachtung materiellrechtlich völlig ungeeignet ist, ist ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens abweisbar, wobei verfassungsrechtlich die erforderliche "Richtigkeitsgewißheit" vorliegen muß (BVerfG, InfAuslR 1995, 342 [BVerfG 08.03.1995 - 2 BvR 2148/94] und InfAuslR 1995, 19 [BVerfG 05.10.1994 - 2 BvR 2333/93]). Ist das nicht der Fall, so ist erst im wiedereröffneten Asylverfahren zu prüfen, ob die vorgetragenen Gründe tatsächlich tragen und eine asylrelevante Verfolgung oder aber die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote oder -hindernisse vorliegen  (BayVGH, aaO m.w.N.; 1. Kamm. des 2. Senats des BVerfG, AuAS 1993, 189/190). Eine Vorwegnahme dieser Prüfung im Eilverfahren scheidet aus. Hierbei wirkt sich allerdings auch schon im Eilverfahren aus, dass §  77 Abs. 1 S. 1, 1. Halbs. AsylVfG die Regelungen zum Wiederaufnahme(Folge-)antrag modifiziert und sich die gerichtliche Prüfung nicht etwa auf Tatsachen und Beweismittel beschränken kann, die innerhalb der 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 AsylVfG vorgetragen wurden. Vielmehr ist stets der gesamte Vortrag, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt worden ist, zu berücksichtigen, um eine umfassende Beurteilung des Asyl- und Bleiberechts sicher zu stellen. Eine punktuelle Betrachtung nach Zeitabschnitten ist nicht statthaft (so BayVGH, Urt. v. 24.4.1997, aaO.). Das ist bei der summarischen Prüfung auch schon im vorliegenden Eilverfahren zu berücksichtigen.

9

Hier liegt es so, dass die unstreitige Mitgliedschaft des Antragstellers im gen. Verein und seine engagierte exilpolitische Betätigung in Deutschland im rechtshängigen Klageverfahren durchaus eine Gefährdung für den Fall seiner Rückkehr nach Vietnam belegen könnten - abgesehen davon, dass der Antragsteller gläubiger Buddhist ist (S. 4 des Protokolls v. 4.2.02) und bereits früher in seiner Heimatstadt Thai Binh demonstriert hat. Deshalb könnten - soweit z.Z. überschaubar, ohne künftige Veränderungen in Vietnam vorweg nehmen zu wollen - im maßgeblichen Klageverfahren unter der Geltung des § 86 Abs. 1 VwGO durchaus die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG anzunehmen sein. Denn dem Antragsteller könnte bei einer Rückkehr nach Vietnam die von ihm befürchtete Verfolgung drohen. Das ist im hier vorliegenden Eilverfahren auch unter Berücksichtigung der im Bescheid angenommenen (hohen) Schwelle exilpolitischer Tätigkeit (S. 3 des Bescheides: "nur bei außergewöhnlicher und weit überdurchschnittlicher exponierter regimekritischer Betätigung") derzeit zu Gunsten des Antragstellers beachtlich (§ 80 Abs. 5 iVm Abs. 4 S. 3 VwGO, s.o.), zumal unklar ist, wann diese angenommene (hohe) Schwelle, die hier möglicherweise erreicht ist, durch welche Tätigkeiten im einzelnen konkret erreicht werden soll: "Ohne detaillierte Kenntnis der jeweiligen Aktionen und Publikationen der Betroffenen ist der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht zu beurteilen" (so AA v. 26.2.1999, S. 7). Zudem ist die zusätzliche Gefährdung des Antragstellers durch seinen buddhistischen Glauben trotz Befragung dazu (S. 4 des Anhörungsprotokolls) im angefochtenen Bescheid ausgeblendet und völlig außer Betracht gelassen worden. Im übrigen aber schaffte eine einmal vollzogene Abschiebung vollendete Tatsachen, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr revidierbar wären.

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Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für solche Verfolgung ist schon dann zu bejahen, wenn bei zusammenfassender Wertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts - ohne dessen Reduzierung auf Einzelaspekte wie nur die exilpolitische Betätigung - die für die Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Umständen überwiegen ( BVerwG, DÖV 1993, 389 [BVerwG 03.11.1992 - BVerwG 9 C 21/92]; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.8.1993  - 11 L 5666/92 ). Ein solches Überwiegen der maßgeblichen Verfolgungsumstände erscheint - unter Berücksichtigung einer noch denkbaren Aufklärung gem. § 86 Abs. 1 VwGO - z.Z. bei abwägender (prognostischer) Betrachtung im rechtshängigen Klageverfahren keineswegs ausgeschlossen. Der erhobenen Klage kommen somit hinreichende Erfolgsaussichten zu, die zugleich auch im Rahmen des § 8o Abs. 5 VwGO ausreichende Zweifel (s.o.) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides aufwerfen. Irreparable Maßnahmen - wie die angedrohte Abschiebung des Antragstellers mit ihren einschneidenden Folgen - dürfen damit unter dem verfassungsrechtlichen Gebot tatsächlich effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zunächst nicht ergriffen werden.

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Denn das Verfolgungsrisiko in Vietnam gem. dem geänderten und neu gefassten VietStGB ist z.Z. im einzelnen sehr schwer einzuschätzen, weil die Reaktionsweise vietnamesischer Behörden "ständigen, zum Teil sehr irrationalen Veränderungen unterworfen" ist (so die sachverständige Stellungn. von Dr. G. Will, Hamburg, vom 14.9.2000, S. 3). Ein Verbot der Doppelbestrafung ist im VietStGB nicht enthalten (so AA an VG Leipzig v. 8.8.2001). Eine dahingehende Prognose, Verhaftungen, Bestrafungen, Umerziehungsmaßnahmen und Zwangsarbeit würden in Vietnam nur und ausschließlich bei "exponierter" Betätigung im Ausland vorgenommen, ist nach Lage der Dinge nicht mehr möglich und geht an der Irrationalität und der dem Zufall verhafteten Willkürlichkeit des vietnamesischen "Rechtssystems" vorbei. Vielmehr

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"müssen all diejenigen vietnamesischen Staatsbürger, die im Ausland öffentliche Kritik an dem Regierungssystem ihres Landes bzw. an der Politik ihrer Regierung geübt haben, bei ihrer Rückkehr nach Vietnam mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen" (so Dr. G. Will in seiner gutachterl. Stellungn. v. 14.9.2000, S. 1).

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Der Sachverständige Dr. G. Will hat sich diesbezüglich wie folgt zur Lage in Vietnam gutachterlich geäußert (Stellungn. v. 14.9.2000 an 29. Kammer des Bay. VG München, S. 3):

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"Berücksichtigt man all diese Faktoren, so wird zumindest erklärbar, warum manche auch gegenüber ausländischen Medien geäußerten Auffassungen prominenter Oppositioneller ohne nennenswerte Sanktionen und Repressionen hingenommen werden, während kritische Anmerkungen eines unbekannten Bürgers sehr schwerwiegende Bestrafungen nach sich ziehen können."

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Aktivitäten unbekannter Bürger, die mit im Ausland operierenden Oppositionsgruppen in Zusammenhang gebracht werden können, werden "meist mit Landesverrat gleichgesetzt" (so Dr. G. Will, aaO.). Oppositionelles Verhalten wird "schlicht als Unbotmäßigkeit bzw. Frechheit angesehen, der mit körperlicher Gewalt und massiver Einschüchterung zu begegnen" ist (Dr. G. Will, aaO.). Diese gutachterlichen Äußerungen haben mit einer "Konstruktion" der Situation in Vietnam (vgl. Bescheid S. 5 oben) nichts zu tun, sondern sind Folge einer sach- und fachkundigen Beobachtung der tatsächlichen vietnamesischen Verhältnisse, die zudem indizieren, dass der Rechtssektor ohnehin "noch weitgehend unterentwickelt" ist (so AA v. 26.2.1999). Nach der Einschätzung der IGFM (Pressemitteilung v. 18.10.2001) "entpuppt sich Vietnam als ein "rechtsbeugender Staat"". Dabei mag noch außer Betracht bleiben, dass Vietnam ohnehin ein Staat mit "besonders unzuverlässigem Urkundenwesen" ist und z.B. eine Legalisation von vietnamesischen Urkunden "nach wie vor nicht möglich" ist (Nds. MJ v. 17.1.2002 - 44.12-120 241/30).

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Eine deutliche Bedrohung des buddhistischen Antragstellers ist auch aus den Strafvorschriften herzuleiten, die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften und deren Mitgliedern stark beschränken (Art. 81 c vietnStGB - Verbreitung von Zwietracht - und Art. 199 vietn-StGB - Betreiben abergläubischer Praktiken -). Denn die sozialen Probleme haben zugenommen, so dass die Reformpolitik an Glaubwürdigkeit verloren hat und sich viele Menschen den Religionsgemeinschaften zuwenden. In der Stellungnahme von Dr. Will vom 16. Juni 1999 an das VG Freiburg heißt es diesbezüglich:

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"Die vietnamesische Regierung sah sich daher auch veranlaßt, am 19.4.1999 ein Dekret über die Zulässigkeit religiöser Aktivitäten zu erlassen, in dem gefordert wird, die entsprechenden Vorschriften rigoros anzuwenden, um jeden Mißbrauch der Religion im Kampf gegen die Volksmacht zu unterbinden."

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Nach einer Pressemitteilung der IGFM v. 13.12.2001 sind im Laufe des Jahres 2001 alle bedeutenden Persönlichkeiten der buddhistischen, evangelischen und der katholischen Religionsgemeinschaften sowie der Hoa-Hao-Religion in Vietnam - ohne Gerichtsverfahren - inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt worden. Versammlungen von Religionsgemeinschaften seien von der Volkspolizei und der Armee "brutal aufgelöst" worden. Aus Protest gegen die religiöse Unterdrückung haben sich im Jahre 2001 zwei Buddhisten selbst verbrannt, weitere Selbstverbrennungen sind angekündigt. Der Antragsteller dürfte deshalb im Falle seiner Rückkehr nach Vietnam allein wegen seines buddhistischen Glaubens inzwischen einer deutlich höheren Gefährdung ausgesetzt als noch vor einigen Jahren. Nach einer IGFM-Pressemitteilung vom 18.7.2001 häufen sich inzwischen auch die Berichte aus Vietnam über Misshandlungen, Schikanen und Folter der Behörden gegenüber Gläubigen. Schüler eines Pfarrers seien wegen ihres Engagements "bereits mehrmals verhaftet, zusammengeschlagen und gefoltert" worden, "um falsche Geständnisse zu erpressen". Außerdem heißt es in der zuletzt gen. Pressemitteilung:

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"Die vietnamesische Regierung versucht, sie durch alltägliche Schikanen, Hinderung an der Berufsausübung, Geldstrafen wegen angeblicher Verstöße gegen Verkehrsregeln, Mißhandlungen, Verhöre usw. einzuschüchtern. Die katholischen Laien sollen aufhören, Pfarrer Ly zu unterstützen, sich für die Anliegen der Pfarrgemeinden einzusetzen oder unter Hausarrest gestellte Geistliche zu besuchen".

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Der Asienreferent der IGFM meint demzufolge (Pressemitteilung v. 18.7.2001):

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"Die Unterdrückung der Religionsgemeinschaften in Vietnam erreicht eine neue Qualität. Die breit angelegte Gewaltaktion nicht nur gegen Priester und aktive Laien der katholischen Kirche zeigen, daß die Regierung Vietnams unwillig ist, die zahlreichen Konflikte mit den Gläubigen auf friedlichem Wege zu lösen.

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Die IGFM ist daher sehr besorgt, dass die vietnamesische Regierung massiv gegen die Religionsgemeinschaften vorgeht. Es handele sich um eine "Kursänderung" der vietnamesischen Regierung. Beleg hierfür ist u.a. das unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführte Verfahren gegen Pfarrer Ly, der ohne jede Verteidigung am 19. Oktober 2001 in Hue zu 15 Jahren Gefängnis abgeurteilt wurde, wobei die "Brutalitäten gegen seine Familie und Gemeindemitglieder" (so die Pressemitteilung der IGFM v. 22.10.2001) noch hinzu kommen. Diese tatsächlichen Veränderungen in Vietnam sind bedeutsam und haben Einfluss auf das anhängige Klageverfahren.

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Anknüpfungspunkt für Maßnahmen gegen den Antragsteller könnte auch die Tatsache sein, dass es in Vietnam sog. "administrative Haftstrafen" auf der Grundlage der Regierungsverordnung Nr. 31-CP v. 14. April 1997 (Lagebericht d. Ausw. Amtes v. 26.2. 1999) gibt, für deren Verbüßung mittlerweile in nahezu jeder vietnamesischen Provinz ein zentrales Lager eingerichtet worden ist. (vgl. Der Einzelentscheider-Brief v. Febr. 1999). Das Instrument administrativer Haft entstammt der französischen Kolonialzeit und dient ganz eindeutig der "Ausschaltung unliebsamer `Konterrevolutionärer Gegner"" (so Lagebericht des AA v. 26.2. 1999). Es greift in Bürgergrundrechte wie z.B. Art. 72 ein und widerspricht den Bestimmungen des Int. Pakts über bürgerliche u. politische Rechte (AA v. 26.2.1999, S. 3). Die Strafen werden administrativ verhängt, ohne dass sie justiziell von einer unabhängigen 3. Gewalt auf ihre Berechtigung hin kontrolliert werden. Entsprechende Strafmaßnahmen tragen Anzeichen von Willkür (Dr. G. Will, S. 3 der Stellgn. v. 14.9.2000). Der Sachverständige Dr. G. Will hat sich dazu wie folgt geäußert:

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"Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine Maßnahme handelt, derer sich die vietnamesischen Behörden vor allem in den etwas abgelegeneren Provinzen gerne bedienen, um mißliebige Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen und einzuschüchtern." (Dr. G. Will, Stellung. v. 14.9.2000, aaO. S. 5).

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Allerdings sind Erkenntnisse über die vietnamesische Praxis in diesem Bereich "nur schwer zu erhalten" (so Lagebericht des AA v. 26.2. 1999), so dass unklar ist, welche Personen aufgrund welcher Erkenntnisse in die Lager verbracht und dort "abgestraft" werden. In der FAZ v. 21.1.1999 heißt es insoweit:

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Ein im Westen ausgebildeter Jurist war mehr als zehn Jahre in Haft, auf Grund administrativer Entscheidungen und ohne je ein Gericht gesehen zu haben. "Sie schlagen nicht, sie stecken dich in Einzelhaft oder in ein Arbeitslager - bis du die Gesetze des Klassenkampfs endlich eingesehen hast", sagt er... (FAZ v. 21.1. 1999).

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Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen ist im vorliegenden Fall bei zusammenfassender Abwägung prognostisch eine deutliche Wahrscheinlichkeit für Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller gegeben.

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Aufgrund dieser vielschichtigen Situation Vietnams ist eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden heute nicht mehr abzugeben. Es ist dem Zufall überlassen, ob jemand repressiv "behandelt" wird oder nicht. Willkürliche Verhaftungen finden statt, wobei das ohnehin nur formale Recht, einen Beistand hinzuzuziehen, nicht einmal eingehalten wird (so im Verfahren gegen Pfarrer Ly, vgl. IGFM-Presse-mitt. v. 22. 10.2001; Einzelentscheider-Brief Febr. 1999; a.A. der angef. Bescheid S. 5). Eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden ist im Einzelfall unmöglich:

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"Da das Vorgehen der vietnamesischen Behörden und auch der Justiz, wie oben bereits ausgeführt, ganz wesentlich politisch beeinflußt und im übrigen in hohem Maße korrupt ist, ist eine objektive Beurteilung, ob sich die zuständigen Stellen von den...geschilderten Erwägungen bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Bestrafung des Betroffenen leiten lassen, praktisch unmöglich." - ai-Stellungnahme v. 2.2.1999 (ASA 41-97.145).

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Damit ist hinreichend mit Zweifeln behaftet, ob der Antragsteller - von künftigen Veränderungen in Vietnam während des Klageverfahrens abgesehen - im Hauptsacheverfahren als Flüchtling iSv § 3 AsylVfG noch so ohne weiteres abgelehnt werden könnte. Deshalb ist ihm - mit Blick auf die angedrohte Abschiebung - zunächst einmal unter Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.

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4. Im übrigen stehen der gem. Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht etwa ausnahmsweise besonders gewichtige Gründe entgegen, die es erlaubten, schon vor Abschluß des Verfahrens der Hauptsache die weitgehend irreparable, vollendete Tatsachen schaffende Abschiebung durchzuführen, die von der Antragsgegnerin angedroht worden ist (Pkt. 3 des Bescheides v. 8.2.2002). Denn es ist so, daß der Rechtschutzanspruch eines Antragstellers aus Art. 19 Abs. 4 GG um so stärker ist, je gewichtiger die ihm auferlegte und abverlangte Belastung ist (BVerfGE 35, 382 / 4o2; BVerfGE, NVwZ 1985, 4o9; BVerfG (3. K. des 2. Senats) NVwZ-Beilage 1996, 19 [BVerfG 27.10.1995 - 2 BvR 384/95] m.w.N.). Deshalb ist sein Rechtsschutzantrag nur im Falle eindeutiger und unumstößlicher Richtigkeit (BVerfG, InfAuslR 1995, 19 [BVerfG 05.10.1994 - 2 BvR 2333/93]), die regelmäßig erst im Hauptsacheverfahren zu erlangen ist, abweisbar:

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Droht ... dem Ast. bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - ... - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (so die 3. Ka. des 2. Senats des BVerfG, Beschl. v. 27.1o.1995, NVwZ-Beilage 3/1996, S. 19 [BVerfG 27.10.1995 - 2 BvR 384/95] m.w.N.)

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An solcher unumstößlichen Richtigkeit fehlt es hier jedoch. Vielmehr ist angesichts der Unberechenbarkeit und Willkürlichkeit behördlicher Maßnahmen in Vietnam, wofür es zahlreiche Belege gibt, sogar eine Verfolgung des Antragstellers wegen seines buddhistischen Glaubens und seiner engagierten exilpolitischen Betätigung denkbar und jedenfalls z.Z. nicht ausschließbar.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO iVm § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

35

Dieser Beschluß ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.