Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 07.03.2002, Az.: 1 A 116/00

Aufenthaltsbefugnis; Einvernehmen; Ermessen; familiäre Beziehungen; Freizügigkeit; Niedersachsen; Reduzierung; räumliche Beschränkung; Sozialhilfe; Wohnsitzauflage

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
07.03.2002
Aktenzeichen
1 A 116/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41764
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einzelfall einer ermessensgerechten (räumlichen) Beschränkung der Aufenthaltsbefugnis durch eine Wohnsitzauflage, da ein ermessenssteuernder Erlass v. 15.7.1998 vorhanden ist und Individualgründe von Gewicht fehlen.

Gründe

1

3. Die Klägerin hat in der Sache keinen Anspruch auf Beseitigung der Wohnsitzauflage bzw. auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis, die frei von beschränkenden Nebenbestimmungen ist. Da die Klägerin nicht als Asylbewerberin zu betrachten ist - ihr Antrag ist bereits bestandskräftig abgelehnt worden -, kommt hier nicht mehr § 51 AsylVfG zum Zuge, sondern es sind als Rechtsgrundlagen nur noch die §§ 12, 14 AuslG heranzuziehen.

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Nach den §§ 12 Abs. 1 S. 2, 14 Abs. 2 S. 1 AuslG steht es im Ermessen des Beklagten, der Aufenthaltsbefugnis eine Auflage der hier streitigen Art hinzuzufügen. Das Ermessen wird gebunden durch den Erlass des Nds. MI v. 15.7.1998 (NdsMBl. S. 1062), der vorsieht, dass jede Aufenthaltsbefugnis für solche Ausländer, die Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beanspruchen können, mit der Auflage zu versehen ist, den Wohnsitz im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde zu nehmen. Erst dann, wenn gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde der Nachweis erbracht wird, dass die Ausländerin bzw. der Ausländer im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde (innerhalb des Landes Niedersachsen) u.a. eine Wohnung beziehen kann, wird die Auflage aufgehoben (Erlass, aaO, Abs. Satz 1). Jedoch:

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"Liegt der Zielort in einem anderen Land, so ist der Antrag bei Verweigerung des Einvernehmens grundsätzlich abzulehnen." (Erlass, aaO, letzter Satz).

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Die auf dieser Grundlage verfügte Wohnsitzauflage hält sich in den Grenzen des gesetzlich eingeräumten Ermessens und der dabei zu beachtenden Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 11 GG (Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage 1999, § 12 Rdn. 5; Nds. OVG v. 6.6. 2001 - 9 LB 1404/01 -; a.A. Strate, InfAuslR 1980, 129). Auch ist vom Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden (§ 114 VwGO).

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3.1 Die Wohnsitzauflage trägt dazu bei, dass der ausländische Sozialhilfeempfänger im Bereich der Ausländerbehörde bleibt, die ihm die Aufenthaltsbefugnis erteilt hat und Sozialhilfe gewährt. Eine unerwünschte Binnenwanderung zwischen Bundesländern und Zuständigkeitsbereichen verschiedener Ausländerbehörden wird so vermieden. Die Regelung der im gen. Erlass getroffenen Art verletzt daher weder den allgemeinen Gleichheitssatz noch das - auch Ausländern zustehende - Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) oder aber jenes der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin durch die streitige Wohnsitzauflage in gar keiner Weise gehindert ist, erlaubnisfrei den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde zu verlassen, sich beliebig im Bundesgebiet zu bewegen und dabei familiäre Beziehungen - beispielsweise zu ihren Kindern in Hamburg - zu pflegen bzw. auf Arbeitssuche zu gehen. Diese Freizügigkeit bleibt ihr erhalten und ist von der (bloßen) Wohnsitzauflage völlig unangetastet. Sie ist lediglich verpflichtet, ihren Wohnsitz im Bezirk des Beklagten beizubehalten. Diese nach § 12 Abs. 1 S. 2 AuslG mögliche Beschränkung ist auch mit internationalem Recht vereinbar (Beschl. des Nds. OVG v. 6.6.2001 - 9 LB 1404/01 - S. 8 d. Beschl.-Abdr. m.w.N.).

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3.2 An der räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsbefugnis, die der Klägerin erteilt worden ist, besteht auch ein öffentliches Interesse, welches den individuellen Interessen der Klägerin jedenfalls insoweit entgegensteht, als es im Rahmen der §§ 12 und 14 AuslG um eine Ermessensreduzierung und Verdichtung zu einem Anspruch auf Aufhebung der Wohnsitzauflage bzw. auf Erteilung einer auflagenfreien Befugnis geht. Die räumliche Beschränkung steht im Ermessen des Beklagten und ist weder zwingend vorzunehmen noch aber - worauf es der Klägerin hier ankommt - aus den von ihr angeführten Gründen zwingend zu beseitigen. Die Ermessensausübung des Beklagten entspricht dem Gesetzeszweck und leidet nicht an derartigen Rechtsfehlern bzw. ist nicht derart unvertretbar, dass hier nur noch die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis frei von Nebenbestimmungen - frei von der angegriffenen Wohnsitzauflage - in Betracht käme.

7

Es gehört nämlich (auch) zum Zweck der Wohnsitzauflage, die Sozialhilfelasten, die mit der Aufnahme und Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen verbunden sind, möglichst gleichmäßig und gerecht auf die Länder und Kommunen zu verteilen (so Beschl. des Nds. OVG v. 6.6.2001 - 9 LB 1404/01 - , in dem die Revision zugelassen wurde). Dieses Ziel lässt sich durch Nebenbestimmungen der hier streitigen Art erreichen. Wäre dagegen eine freie Binnenwanderung von Sozialhilfe beziehenden Ausländern möglich, so würden Teile des Bundesgebietes, vor allem Ballungszentren, wesentlich stärker als ländliche Gebiete und vielfach unverhältnismäßig mit Sozialhilfekosten für Ausländer belastet (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Art. 7 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts, BT-Drs. 11/6321, S. 37, 90; vgl. VG Aachen, InfAuslR 2000, 85). Ferner kann die Wohnsitzauflage dabei helfen, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu steuern (BVerwGE 100,. 335, 342). 

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3.3 Dieses öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung von Sozialhilfelasten und am Vermeiden des Entstehens von Ballungszentren ist mit den individuellen Interessen der Klägerin abzuwägen. Dabei ist den Intentionen des Erlasses, der auf eine Vereinbarung der Ausländerreferenten auf der Ebene des Bundes und der Länder zurückgeht (Vermerk v. 1.12.2000, Referat 45), ebenso Rechnung zu tragen wie berechtigten Belangen der Klägerin u.a. aus Art. 6 GG. Da hier die Freie und Hansestadt Hamburg ihr Einvernehmen versagt hat, hatte der Beklagte gemäß dem (ihn bindenden) Erlass den Antrag auf Aufhebung der Wohnsitzauflage und Erteilung einer auflagenfreien Aufenthaltsbefugnis "grundsätzlich abzulehnen". Nur noch in besonderen Ausnahmefällen, die außerhalb der grundsätzlich gebotenen Ablehnung liegen, konnte er eine auflagenfreie Aufenthaltsbefugnis erteilen. Auch angesichts dessen, dass die Kammer durch den Erlass nicht in gleicher Weise gebunden ist wie der Beklagte, sondern jener Erlass allenfalls über Art. 3 GG als Ermessensrichtlinie Bindungswirkung entfaltet, liegt es hier auf dem Hintergrund der der Klägerin zur Seite stehenden Rechte nicht so, dass allein und ausschließlich eine Beseitigung der Wohnsitzauflage und Erteilung einer auflagenfreien Aufenthaltsbefugnis in Betracht käme.