Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.03.2002, Az.: 6 B 43/02
Angemessenheit; Ausstattung; Baualtersklassen; Umzug; Unterkunftskosten; Wohngeld
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.03.2002
- Aktenzeichen
- 6 B 43/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41641
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 12 BSHG
- § 3 Abs 1 RegSatzV
- § 8 WoGG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten ist allein auf die äußerste rechte Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG zurückzugreifen. Eine Differenzierung nach Ausstattung und Baujahr der Wohnung widerspricht nicht nur dem Gleichheitsgebot, sondern auch dem Bedarfsdeckungsprinzip. Weitere Zuschläge hält die Kammer in ihrem eher ländlichen Zuständigkeitsbereich nicht für geboten.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen notwendig erscheint. Voraussetzung dafür ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragsteller auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn ihr steht gegen den Antragsgegner kein Anspruch auf Übernahme der laufenden Unterkunftskosten in voller Höhe für die von ihr gewünschte Wohnung in B. zu.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Nach § 12 Abs. 1 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens.
Laufende Leistungen für die Unterkunft werden nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen der Unterkunft gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs.1 BSHG zu berücksichtigen ist, solange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft hat der Hilfeempfänger den dort zuständigen Sozialhilfeträger über die nach Satz 2 maßgeblichen Umstände in Kenntnis zu setzen; sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch, ist der Träger der Sozialhilfe nur zur Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er hat den darüber hinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt.
Die Kammer hat bislang in ständiger Rechtsprechung im Landkreis Lüneburg als Aufwendungen für die Unterkunft die in der rechten Spalte der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen Tabelle zu § 8 WoGG genannten Beträge für angemessen gehalten.
Das OVG Lüneburg hat demgegenüber in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2001 (- 4 MB 1798/01 - in Nds.MBl. 2001, 876) vertreten, es sei nach wie vor geboten, auf die Werte der Tabelle zu § 8 WoGG als Anhaltspunkt für die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft zurückzugreifen, wenn - wie hier - andere konkrete Anhaltspunkte über die Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt fehlen. Nach der Änderung der Tabelle in § 8 WoGG hält es der Senat jedoch nunmehr für sachgerecht, an die konkreten Werte der Tabelle zu § 8 WoGG anzuknüpfen, also (wie auch nach der bisherigen Rechtsprechung) an die jeweilige Mietenstufe und Haushaltsgröße sowie (in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung) an Baualtersklasse und Ausstattung der Wohnung. Auf den so ermittelten Wert sei ein einheitlicher Zuschlag von 10 % zu gewähren, da der Gesetzgeber die seit 1990 eingetretene Mietentwicklung durch die Änderung der Tabellenwerte nur etwa zur Hälfte berücksichtigt habe. Ferner sei zu erwägen, ob im Falle eines Wohnungswechsels ein weiterer "Neuvermietungszuschlag" von weiteren 10 % des Ausgangswertes gewährt werden müsse.
Dieser Rechtsprechung folgt die Kammer nur insoweit, als sie nunmehr ebenfalls die Anwendung der zum 1. Januar 2001 geänderten Tabellenwerte zu § 8 WoGG ebenso wie die geänderten Mietstufen als Anhaltspunkt für die Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten heranzieht, da es im Landkreis Lüneburg keine anderen aussagekräftigen Erkenntnisquellen wie etwa Mietenspiegel gibt. In Übereinstimmung mit der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg (vgl. Beschluss v. 13.2.2002 - 4 B 9/02 -) hält es die Kammer jedoch nach wie vor geboten, allein auf die äußerste rechte Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG zurückzugreifen, da eine Differenzierung nach Baualtersklassen und Ausstattung der Wohnung sowohl für die Sozialämter als auch für die Verwaltungsgerichte in Eilverfahren ohne Besichtigung der jeweiligen Wohnung kaum zu leisten ist. Zudem führte eine solche Differenzierung dazu, dass an Hilfeempfänger Leistungen in unterschiedlicher Höhe ausgekehrt würden und derjenige durch höhere Leistungen belohnt würde, der sich zum Nachteil des Sozialhilfeträgers eine besonders gut ausgestattete Wohnung sucht. Eine derart differenzierte Leistungsgewährung widerspricht nicht nur der Zielrichtung des Bundessozialhilfegesetzes, die Hilfeempfänger zu wirtschaftlichem Verhalten anzuhalten, sondern ist auch dem einzelnen Hilfeempfänger nicht mehr vermittelbar. So würde den Sozialämtern die bislang bestehende Möglichkeit verwehrt, den Hilfeempfängern Höchstbeträge für die Wohnungssuche mitzuteilen.
Im Übrigen können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil v. 27.11.1986 - 5 C 2/85 - in FEVS 36, 184) die angemessenen Unterkunftskosten nicht nach den in § 8 WoGG festgesetzten Höchstbeträgen bestimmt werden. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:
"Mit Sozialhilfe ist der n o t w e n d i g e Lebensunterhalt des Hilfebedürftigen sicherzustellen.
Unter diesem Aspekt ist die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nach dem Bedarf des (der) Hilfesuchenden zu bestimmen. Hierfür kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalles an, wie sie beispielhaft in § 3 Abs. 1 BSHG beschrieben sind. Geht es um den Bedarf von mehreren Personen (Bedarfsgemeinschaft), so kommt es auch auf deren Zahl und Alter an (s. BVerwG, Urteil vom 22. August 1985 (BVerwGE 72, 88 = FEVS 35, 93 = NDV 1985, 427 = ZfS 1986, 52).
Bereits in dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass der Unterkunftsbedarf im Sinne des Sozialhilferechts allein nach dessen Vorschriften, nicht nach denen des Wohngeldrechts zu beurteilen ist, da der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck weiter geht als derjenige der Sozialhilfegewährung. Das Wohngeld ist keine Leistung der Sozialhilfe im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes (§ 1 Satz 2 des Wohngeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. August 1977, BGBl. I S. 1685, - WoGG -). Grundsätze, die die im Bundessozialhilfegesetz getroffenen Regelungen prägen, besonders derjenige, dass sich u. a. das Maß der Hilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles richtet, und derjenige der Bedarfsdeckung - all dies unter dem Aspekt, dass mit öffentlichen Mitteln nur der n o t w e n d i g e Lebensunterhalt sichergestellt werden soll -, gelten für das Wohngeldrecht nicht. Es hat pauschalierenden Charakter. Was die Bestimmung der in diesem Gesetz vorgesehenen Höchstbeträge angeht, so kommt es zunächst - über die Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Sozialhilferechts hinausgehend - auf die Zahl der Familienangehörigen an, die im Sinne des § 4 Abs. 3 WoGG zum Haushalt rechnen, sodann auf den Standort der Wohnung (Gemeindegröße), ferner auf das Jahr ihrer Bezugsfertigkeit und schließlich auf die Art ihrer Ausstattung. Bei alledem wird von der Wohnung ausgegangen, die der Wohngeldberechtigte gemietet hat, ohne danach zu fragen, ob diese Unterkunft nach der Anzahl der Räume und ihrer Wohnfläche sowie nach ihrer Ausstattung im Sinne des sozialhilferechtlich Notwendigen angemessen ist. Bei der Anwendung des Wohngeldgesetzes wird also z. B. nicht danach gefragt, ob es für die Befriedigung des notwendigen Unterkunftsbedarfs gerade eine erst nach dem 31. Dezember 1971 bezugsfertig gewordene Wohnung sein muss, die mit Sammelheizung und mit Bad oder Dusche ausgestattet ist. Im Wohngeldgesetz ist keine § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO vergleichbare Regelung enthalten, die die Behörde berechtigen würde, den Wohngeldberechtigten zu veranlassen, eine Wohnung zu mieten, die durchaus zumutbar ist, aber in eine untere Kategorie - im Hinblick auf das Jahr der Bezugsfertigkeit und/oder die Ausstattung - mit der Folge einzuordnen wäre, dass das zu gewährende Wohngeld am Ende geringer ausfiele."
Genau dieser Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts liefe es aber zuwider, wenn bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten nun mit dem OVG Lüneburg auf das Baujahr und die Ausstattung der Wohnung abgestellt würde, denn eine Prüfung, ob es nun gerade eine Wohnung dieses Baujahres und dieser Ausstattung sein musste, findet nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg nicht mehr statt.
Im Falle der Antragstellerin sind daher als angemessene Unterkunftskosten für einen Haushalt mit einer Alleinstehenden in einer Gemeinde der Mietstufe III 300 EUR zuzüglich angemessener Heizkosten anzusehen. Der Landkreis Lüneburg ist mit Ausnahme der Stadt Lüneburg ab dem 1. Januar 2001 in Mietstufe III eingestuft (BGBl. 2001, 197, 211) und nicht, wie der Antragsgegner versehentlich angenommen hat, in Stufe IV. Tatsächlich müsste die Antragstellerin für die neue Wohnung aber eine Gesamtmiete von 780 DM abzüglich Heizkosten von 123 DM zahlen, also eine Kaltmiete von monatlich 657 DM bzw. 335,92 EUR. Damit ist die neue Unterkunft erheblich zu teuer, so dass der Antragsgegner weder verpflichtet ist, dem Umzug zuzustimmen, noch die Kosten der neuen Unterkunft in voller Höhe zu übernehmen.
Das Gericht geht davon aus, dass die Antragstellerin kein Interesse an der Übernahme nur eines Teilbetrages der Unterkunftskosten hat und von der Anmietung der Wohnung Abstand nehmen wird. Für den Fall, dass sie die Wohnung gleichwohl anmieten sollte, wäre der Antragsgegner nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Regelsatzverordnung zur Übernahme nur des angemessenen Teils verpflichtet, müsste also 300 EUR zuzüglich Heizkosten zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.