Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.03.2002, Az.: 6 A 214/00
Erstattungspflicht; sozialhilferechtlicher Bedarf; Umzug
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.03.2002
- Aktenzeichen
- 6 A 214/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41836
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs 1 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Erstattung nach § 107 Abs. 1 BSHG setzt voraus, dass objektiv innerhalb der Monatsfrist ein sozialhilferechtlicher Bedarf vorgelegen hat (wie Nds. OVG, Beschl. v. 10.2.1999 - 4 L 4909/98 -, FEVS 49, 502).
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin des Landkreises Hannover von dem Beklagten die Erstattung von in der Zeit vom 1. Februar 1998 bis 1. Dezember 1999 für Frau A. und ihre Tochter B. gewährte Sozialhilfeleistungen in Höhe von 4.461,11 EUR (8.725,18 DM).
Die Hilfeempfängerin A. und ihre Tochter B. sind Ende des Jahres 1997 von C. im Gebiet des Beklagten nach D. im Gebiet der Klägerin umgezogen; über das genaue Umzugsdatum besteht zwischen den Beteiligten Uneinigkeit: Die Klägerin geht vom 1. Dezember 1997, der Beklagte von der letzten Novemberwoche aus. Einwohnermelderechtlich meldeten sie sich am 2. Dezember 1997 bei der Stadt D. an. Ebenfalls am 2. Dezember 1997 sprachen sie im Sozialamt der Stadt D. vor und ließen sich einen Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe aushändigen, den sie am 16. Dezember 1997 wieder abgaben, sie beantragten Hilfe zum Lebensunterhalt und die Übernahme einer Mietsicherheit. Nach dem am 7. Dezember 1997 geschlossenen Mietvertrag mieteten sie für die Zeit ab dem 1. Februar 1998 eine Wohnung in D. an. Nach dem Mietvertrag war eine Mietsicherheit in Höhe von 1.800 DM zu leisten. In der Zeit bis zum 31. Januar 1998 wohnte Frau A. mit ihrer Tochter mietfrei bei ihrem Bruder in D. Unter dem 22. Januar 1998 gewährte der Landkreis Hannover, vertreten durch die Stadt D., den Hilfeempfängern auf der Grundlage von § 15 a BSHG darlehnsweise einen Betrag in Höhe von 1.800 DM für diese Mietsicherheit. Mit Sozialhilfebescheid vom 19. Januar 1998 gewährte er auch erstmals laufende ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit ab dem 1. Februar 1998.
Mit Schreiben vom 2. Februar 1998 meldete die Stadt D. beim Beklagten für beide Hilfeempfänger Kostenerstattung nach § 107 BSHG an und verwies auf den am
1. Dezember 1997 erfolgten Umzug. Der Beklagte lehnte die Kostenerstattung mit Schreiben vom 6. Februar 1998 ab und verwies auf die zeitliche Differenz zwischen dem Umzug und dem Beginn der Hilfegewährung. Die Gewährung einer Mietsicherheit im Rahmen von § 15 a BSHG löse eine Kostenerstattung nach § 107 BSHG nicht aus.
Nachdem die Beteiligten über die Kostenerstattung kein Einvernehmen erzielen konnten, hat der Landkreis Hannover - nunmehr die Region Hannover als Rechtsnachfolgerin - am 14. Dezember 2000 Klage erhoben. Sie meint, dass die Voraussetzungen des § 107 BSHG gegeben seien. § 107 BSHG spreche von "Hilfebedarf" und nicht expliziert von "Hilfegewährung". Frau A. und ihre Tochter seien innerhalb eines Monates nach dem Aufenthaltswechsel von C. nach D. hilfebedürftig gewesen. Bei einem Hilfebedarf komme es nicht darauf an, dass die Hilfe auch tatsächlich gewährt werde. Es sei lediglich erforderlich, dass der Hilfebedarf dem Sozialhilfeträger innerhalb der Monatsfrist bekannt geworden sei. Dies sei hier durch die Vorsprache beim Sozialamt der Stadt D. am 2. Dezember 1997 der Fall gewesen. Aber selbst wenn man auf den Abgabetag des Sozialhilfeantrages, den 16. Dezember 1997, abstelle, sei die Einmonatsfrist noch gewahrt. Daher sei es unschädlich, dass den Hilfeempfängern erst mit Bescheid vom 19. Januar 1998 Sozialhilfe für die Zeit ab dem 1. Februar 1998 gewährt worden sei. Mit der Klage mache sie die Erstattung der geleisteten laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit von Februar bis Dezember 1998 und Januar 1999 bis 1. Dezember 1999 sowie die Weihnachtsbeihilfen Dezember 1998 und 1999 und die Bekleidungsbeihilfen Februar und August 1999 geltend; die darlehnsweise gewährte Hilfe für die Mietsicherheit werde hingegen nicht zur Kostenerstattung angemeldet, da die Rückerstattung durch die Hilfeempfänger vorrangig sei. Die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 BSHG sei erreicht.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr die Frau A. und ihrer Tochter B. für die Zeit vom 1. Februar 1998 bis 1. Dezember 1999 gewährte Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) in Höhe von insgesamt 8.725,18 DM zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor: Die Hilfeempfängerin A. sei mit ihrer Tochter B. nach Angaben ihres früheren Lebensgefährten bereits in der letzten Novemberwoche des Jahres 1997 in die Wohnung ihres Bruders in die E.-straße in D. verzogen. Aber auch wenn als Tag des Umzugs wie von der Klägerin vorgetragen der 1. Dezember 1997 zugrunde gelegt werde, bestehe kein Erstattungsanspruch. Die Stadt D. habe erst ab dem 1. Februar 1998 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, erst ab diesem Zeitpunkt und damit außerhalb der Monatsfrist des § 107 Abs. 1 BSHG sei der Hilfebedarf entstanden. Entgegen der Darstellung der Klägerin habe in der Zeit vom 1. Dezember 1997 bis zum 31. Januar 1998 kein Hilfebedarf bestanden. Die Hilfesuchende habe in dieser Zeit im Haushalt ihres Bruders gelebt, die ihr zur Verfügung stehenden eigenen Einkünfte (Arbeitslosenhilfe, Kindergeld, Unterhaltsvorschuss) hätten zur Deckung des Lebensunterhaltes - ohne Mietverpflichtungen - ausgereicht. Der Vortrag der Klägerin, dass in dieser Zeit Überbrückungshilfen nach dem BSHG begehrt und gezahlt worden seien, ließe sich durch den Aktenvorgang nicht belegen. Die Mietkaution für die am 1. Februar 1998 angemietete Wohnung sei erst zum Einzug fällig geworden. Eine abweichende vertragliche Regelung sei aus dem Mietvertrag vom 7. Dezember 1997 nicht zu entnehmen. Die Stadt D. habe dementsprechend auch erst am 22. Januar 1998 einen Darlehensvertrag geschlossen und den Kautionsbetrag erst am 30. Januar 1998 an den Vermieter überwiesen. Mit ihrem Antrag vom 15. Dezember 1997 habe die Hilfesuchende nur zum Ausdruck gebracht, dass sie ab 1. Februar 1998 voraussichtlich hilfsbedürftig sei. Daraus könne entgegen der Ansicht der Klägerin nicht geschlossen werden, dass jede Vorsprache oder die vorzeitige Beibringung von Unterlagen zur Fristwahrung gemäß § 107 Abs. 1 BSHG geeignet sei. Deshalb sei ein Kostenerstattungsanspruch schon dem Grunde nach nicht gegeben. Sollte ein solcher dem Grunde nach gegeben sein, liefe die Frist bei einem anerkannten Umzugsdatum vom 1. Dezember 1997 mit dem 30. November 1999 ab, so dass Sozialhilfekosten für Dezember 1999 nicht mehr zu erstatten wären.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden kann, ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG.
Die Kostenerstattungsvorschrift des § 107 Abs. 1 BSHG bestimmt, dass, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes verzieht, der Sozialhilfeträger des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet ist, dem nunmehr zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Voraussetzung ist mithin, dass jemand innerhalb eines Monats nach dem Wechsel des Aufenthaltes der Hilfe bedurfte, wobei es unerheblich ist, ob bereits am Wegzugsort Sozialhilfe geleistet worden ist. Weiter setzt § 107 Abs. 1 BSHG nicht voraus, dass tatsächlich innerhalb eines Zeitraumes von einem Monat Sozialhilfe gewährt worden ist. Entscheidend ist allein, ob objektiv innerhalb dieser Monatsfrist ein sozialhilferechtlicher Bedarf vorgelegen hat (Nds. OVG, Beschl. v. 10.2.1999 - 4 L 4909/98 -, FEVS 49, 502). Diese Voraussetzung liegt hier entgegen der Ansicht der Klägerin aber gerade nicht vor. Auch wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass A. und ihre Tochter erst am 1. Dezember 1997 von C. nach D. umgezogen sind, bestand der Hilfebedarf objektiv erstmals am 1. Februar 1998 und damit außerhalb der Monatsfrist des § 107 Abs. 1 BSHG. Für die Monate Dezember 1997 und Januar 1998 bedurften sie aufgrund ausreichender finanzieller Mittel in Form von Arbeitslosenhilfe, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss keiner Sozialhilfe, da sie für diese Zeit übergangsweise beim Bruder von Frau A. mietfrei wohnten. Sozialhilfe ist ihnen daher folgerichtig auch erst ab dem 1. Februar 1998 gewährt worden. Unerheblich in diesem Zusammenhang ist, dass Frau A. bereits im Dezember 1997 vorsorglich einen Sozialhilfeantrag gestellt und diesem Sozialhilfeantrag noch im Januar 1998 stattgegeben worden ist. Dies rührt nur daher, dass bereits im Dezember 1997 absehbar war, dass - erst - ab dem Zeitpunkt der Anmietung der eigenen Wohnung ab dem 1. Februar 1998 durch Frau A. objektiv ein Hilfebedarf in Form von Gewährung von ergänzender laufender Hilfe zum Lebensunterhalt bestehen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 188 Satz 2 VwGO (a. F.) in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung; die zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Fassung des § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO (n. F.) des RmBereinVpG vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) gilt nach § 194 Abs. 5 VwGO n. F. erst für die ab dem 1. Januar 2002 bei Gericht anhängig werdenden Verfahren. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.