Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 18.03.2002, Az.: 6 B 39/02

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
18.03.2002
Aktenzeichen
6 B 39/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41640
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches der Antragstellerin gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 5. März 2002 in der Gestalt des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 13. März 2002 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen, hat aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.

I.

2

Die Antragstellerin ist u. a. Halterin einer Schafherde von ca. 60 Tieren. Mit Verfügung vom 5. März 2002 ordnete der Antragsgegner unter Nr. 1 zum einen die Fortnahme des gesamten Schafbestandes und deren anderweitige Unterbringung auf Kosten der Antragstellerin an; zum anderen untersagte er unter Nr. 2 der Antragstellerin die Haltung von Schafen. Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung dieser auf §§ 2, 16 a Satz 2 Nr. 2 und 3 TierSchG gestützten Maßnahmen an. Anlass hierzu war, dass bei einer Überprüfung am 26. Februar 2002 bei 16 auf einer Weide am M.-ring in B. untergebrachten Herde von 16 Schafen ein schlechter bis stark unterernährter Ernährungszustand dieser Tiere festgestellt worden sei, ein Schaf aufgrund seines erheblich vernachlässigten Ernährungszustandes zu schwach gewesen sei, um aus eigener Kraft zu stehen, und sich zudem auf dieser Weide ein Tierskelett sowie ein weiteres totes Schaf befunden hätten. Auf der Weide hätten sich außerdem lose Zaunreste aus Stacheldraht und Maschendraht befunden, der Unterstand auf der Weide sei für die Schafe nicht zu erreichen gewesen, weil der Weg dorthin unter Wasser gestanden habe. Bereits am 1. März 2002 hatte das Veterinäramt des Antragsgegners der Antragstellerin wegen des schlechten Ernährungszustandes und der speziellen Situation für das Mutterschaf drei einzelne Schafe fortgenommen und anderweitig untergebracht. Nachdem die Antragstellerin hiergegen Widerspruch erhoben und unter Beifügung von zwei tierärztlichen Stellungnahmen, die nach Darstellung der Antragstellerin zu einem anderen Ergebnis gekommen seien, den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hatte, führte das Veterinäramt des Antragsgegners am 12. März 2002 eine Besichtigung des gesamten Schafbestandes der Antragstellerin von 62 Schafen und zwei Lämmern durch. Nach dem Vermerk des Veterinäramtes des Antragsgegners vom selben Tag hat die Antragstellerin die ab dem 26. Februar 2002 überprüften Tiere von der Weide am M.-ring Anfang März in den offenen Stall am Hof C. verbracht. Nach dem Vermerk ist die Antragstellerin mit diesem Verbringen den Anforderungen des Tierschutzgesetzes nachgekommen und hat die Zeit genutzt, die Tiere durch angemessene Ernährung unter Zugabe von Kraftfutter auf einen jetzt mäßigen Ernährungszustand zu bringen. Der Zustand der Tiere an den weiteren Standorten hat zum Überprüfungszeitpunkt keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben, der Ernährungszustand der Tiere wird in dem Vermerk insgesamt als zumindest mäßig eingestuft. Daraufhin änderte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 13. März 2002 die Anordnung zu Nr. 1 der Verfügung vom 5. März 2002 ab auf die Fortnahme der drei Einzeltiere; an dem Tierhaltungsverbot unter Nr. 2 hält er aber ausdrücklich fest.

II.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes gegen einen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt wiederherstellen. Bei dieser vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sind die einander widerstreitenden beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. Dabei sind insbesondere der Zweck des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ebenfalls Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten des Widerspruches, desto geringer sind die an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellenden Anforderungen. Das öffentliche Vollzugsinteresse wiegt demgemäß um so schwerer, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2000, § 80 Rdnr. 158 m. w. N.).

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Nach der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung des Antragsgegners vom 5. März 2002 in der Gestalt, die sie durch den Schriftsatz des Antragsgegners vom 13. März 2002 bekommen hat, insoweit, als der Antragsgegner unter Sofortvollzug ein Tierhaltungsverbot angeordnet hat und daran festhält. Der Widerspruch wird aller Voraussicht nach insoweit Erfolg haben. Soweit der Antragsgegner die Fortnahme der drei Einzeltiere angeordnet hat, wird der Widerspruch hingegen voraussichtlich keinen Erfolg haben, so dass insoweit der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen ist.

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Rechtsgrundlage für die Fortnahmeanordnung der drei Einzeltiere (Nr. 1 der Verfügung) ist § 16 a Satz 2 Nr. 2 TierSchG (dazu 1.), Rechtsgrundlage für die Untersagung der Haltung von Schafen ist § 16 a Satz 2 Nr. 3 TierSchG (dazu 2.), jeweils in Verbindung mit § 2 Nr. 1 und 3 TierSchG. Gemäß § 16 a Satz 1 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann nach Satz 2 dieser Vorschrift insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen (Nr. 1), die Fortnahme einzelner Tiere u. a. bei erheblicher Vernachlässigung anordnen (Nr. 2) und unter bestimmten Voraussetzungen u. a. ein Haltungsverbot aussprechen (Nr. 3). § 2 TierSchG statuiert bestimmte Rechtspflichten des Obhutspflichtigen, insbesondere eine art- und bedürfnisgerechte Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung (Nr. 1), sowie eine für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderliche Sachkunde (Nr. 3).

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1. Die zuständige Behörde  kann insbesondere nach § 16 a Satz 2 Nr. 2 TierSchG ein Tier, das nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen. Voraussetzung ist, dass die Vernachlässigung, die in einem Unterlassen und einem Handeln jenseits ordnungsgemäßer Obsorge liegen kann, etwa nach Art oder Dauer erheblich ist. Diese erhebliche Vernachlässigung muss zudem von einem beamteten Tierarzt bestätigt werden. Diese Voraussetzungen sind hier nach summarischer Prüfung hinsichtlich der drei am 1. März 2002 durch die Tierärztin Frau Dr. D. abgeholten Einzeltiere gegeben. Diese Tiere waren nach dem Vermerk des Veterinäramtes des Antragsgegners vom 1. März 2002 stark vernachlässigt, so dass sofortiges Eingreifen erforderlich war. Einwände hiergegen, die im vorliegenden Verfahren nach summarischer Prüfung eine andere Einschätzung rechtfertigen würde, hat die Antragstellerin nicht erhoben.

7

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind diese drei Einzeltiere auch durch Nr. 1 der angefochtenen Verfügung des Antragsgegners vom 5. März 2002 als Teil des Gesamtbestandes der Schafherde mit umfasst. Hiergegen kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg einwenden, dass diese Tiere aufgrund einer gesonderten, von der Tierärztin am 1. März 2002 vor Ort mündlich ausgesprochenen Anordnung fortgenommen worden seien.

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2. Die Voraussetzungen für eine Untersagung des Haltens von Schafen insgesamt nach

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§ 16 a Satz 2 Nr. 3 TierSchG liegen hingegen jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung voraussichtlich nicht vor.

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§ 16 a Satz 2 Nr. 3 Halbsatz 1 TierSchG setzt zum einen voraus, dass der Halter u. a. den Vorschriften des § 2 TierSchG oder einer Anordnung nach Nr. 1 des § 16 a Satz 2 TierSchG wiederholt oder grob zuwiderhandelt und dadurch den von ihm gehaltenen Tieren erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt hat. Zum zweiten müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er weiterhin derartige Zuwiderhandlungen begehen wird. Diese Voraussetzungen sind vorliegend voraussichtlich nicht erfüllt.

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Die Anordnung eines Haltungsverbotes setzt bestimmte, im Gesetz näher benannte schwere Verstöße gegen die Haltungsgrundsätze, qualifizierte Schmerzen oder Leiden der Tiere sowie eine auf Tatsachen basierende Zukunftsprognose voraus. Zwar müssen die genannten Belastungen nicht bei jedem Tier eines insgesamt betroffenen Bestandes festgestellt werden (Lorz/Metzger, TierSchG, Kommentar, 5. Aufl. 1999, § 16 a TierSchG Rdnr. 21 m. w. N.). Hierbei kommt aber dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine besondere Bedeutung zu. Die Behörde muss von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Sie muss also das Übermaßverbot einhalten (Lorz/Metzger, a. a. O., § 16 a TierSchG Rdnr. 6). Die Behörde muss insbesondere bedenken, ob gegenüber der Untersagung einer Tierhaltung mildere Mittel genügen, etwa das Tier dem Halter fortzunehmen und solange auf dessen Kosten anderweitig unterzubringen, bis eine den rechtlichen Anforderungen entsprechende Haltung sichergestellt ist. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die begründete Hoffnung besteht, dass eine Rückgabe in näherer Zukunft möglich sein wird, weil sich der Halter einsichtig zeigt und künftig eine tierschutzgerechte Haltung gewährleistet ist (Lorz/Metzger, a. a. O., § 16 a TierSchG Rdnr. 22 m. w. N.). Nach dem Tierschutzgesetz stehen die Fortnahmeanordnung der Nr. 2 und das Haltungsverbot der Nr. 3 in einem Stufungsverhältnis, das Haltungsverbot ist gegenüber der Fortnahmeanordnung der schwerer wiegende Eingriff. Diese Abwägung ergibt, dass das Haltungsverbot voraussichtlich rechtswidrig ist.

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Der Antragsgegner handelt zum einen bereits widersprüchlich, wenn er aufgrund einer erneuten Überprüfung der Schafherde die Voraussetzungen für das weniger einschneidende Mittel der Fortnahmeanordnung nach § 16 a Satz 2 Nr. 2 TierSchG nicht mehr für gegeben erachtet und daher diese Anordnung - bis auf drei einzelne Tiere - aufhebt, aber gleichzeitig das schwerer wiegende Mittel des grundsätzlichen und auf die gesamte Schafherde der Antragstellerin bezogenen Haltungsverbotes nach § 16 a Satz 2 Nr. 3 TierSchG ausdrücklich aufrecht erhält. Das Haltungsverbot beinhaltet aber notwendigerweise in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zugleich auch die Fortnahme des gesamten Schafbestandes. Hiermit verkennt er das beschriebene Stufenverhältnis zwischen den beiden Maßnahmen und zugleich überschreitet er aufgrund dieser Fehleinschätzung die Grenzen des ihm nach § 16 a Satz 2 TierSchG eingeräumten Ermessens. Als milderes und gleich geeignetes Mittel kommen andere Maßnahmen als ein Haltungsverbot in Betracht. Der Antragsgegner kann etwa nach der allgemeinen Anordnungsbefugnis des § 16 a Satz 1 TierSchG der Antragstellerin aufgeben, ihre gesamte Schafherde in regelmäßigen Abständen durch einen auf ihre Kosten zu beauftragenden Tierarzt auf den Ernährungs- und Pflegezustand untersuchen zu lassen. Auch das Veterinäramt des Antragsgegners kann diese Untersuchungen vornehmen. Des Weiteren kann an eine Anordnung der Hofhaltung der Schafe anstatt der bisher überwiegend praktizierten offenen Weidehaltung und die Anordnung der Zufütterung von Kraftfutter gedacht werden. Ein Großteil der bisherigen Probleme rührt offenbar aus dieser Weidenhaltung und der in der Vergangenheit nicht ausreichenden Ernährungsgrundlage her. Nach dem Vermerk des Veterinäramtes des Antragsgegners vom 13. März 2002 hat sich der Ernährungszustand der Schafe durch die Zugabe von Kraftfutter innerhalb kurzer Zeit gebessert. Hierzu hat nach der Einschätzung des Veterinäramtes auch die "Aufstallung" beigetragen, da die Schafe im Gegensatz zur Weidehaltung einen wesentlich geringeren Kalorienverbraucht hätten.

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Zum anderen kann im Rahmen der anzustellenden Prognose nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Antragstellerin weiterhin Zuwiderhandlungen der in § 16 a Satz 2 Nr. 3 TierSchG beschriebenen Art begehen wird. Die Antragstellerin hat sich selbst nach Einschätzung des Antragsgegners einsichtig gezeigt und die Schafe ausreichend versorgt, nachdem sie auf die Missstände hingewiesen worden war. Inzwischen ist die Antragstellerin selbst nach Einschätzung des Veterinäramtes des Antragsgegners den Anforderungen des Tierschutzgesetzes nachgekommen, alle Schafe befinden sich hiernach in einem "jetzt mäßigen Ernährungszustand". Diese Einschätzung gilt um so mehr, als die Antragstellerin im Laufe dieses Verfahrens zwei Stellungnahmen von zwei von ihr beauftragten Tierärzten vorgelegt hat, wonach sich jedenfalls die am 2. und 12. März 2002 untersuchten Schafe der Antragstellerin in einem zufriedenstellenden bis ausgezeichneten Ernährungs- und Haltungszustand befunden haben. An dieser Einschätzung ändert sich nichts deshalb, weil es bereits in der Vergangenheit im Januar 1998 und Februar 2001 Anlass zu Beanstandungen gegeben hat. Die bisher in den Verwaltungsvorgängen beschriebenen Missstände vor allem hinsichtlich des Ernährungszustandes der Schafe treten offenbar in den Wintermonaten verstärkt auf. Diesen jahreszeitlich bedingten Missständen kann aber durch die beschriebenen Alternativanordnungen wirksam begegnet werden.

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Die Kammer weist abschließend aber ausdrücklich darauf hin, dass die Vorgehensweise des Antragsgegners keinesfalls den Eindruck erweckt, der Antragstellerin solle als Vertreterin einer ökologisch orientierten Landwirtschaft offenbar als politische Gegnerin durch ein schnelles Schaffen von Fakten die Grundlage für die Fortführung ihres Betriebes genommen werden. Es geht hier nicht um die "Verteufelung" der ökologisch orientierten Landwirtschaft, sondern ersichtlich um Tierschutz. Auch die ökologisch orientierte Landwirtschaft muss selbstverständlich die Vorgaben des Tierschutzgesetzes einhalten.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.