Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.03.2002, Az.: 1 B 14/02
Abschiebung; Mangel; Offensichtlichkeit; politische Verfolgung; Vietnam
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 12.03.2002
- Aktenzeichen
- 1 B 14/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41635
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 36 Abs 4 AsylVfG
- Art 16 Abs 4 GG
- Art 16a Abs 4 GG
- Art 19 Abs 4 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die verfassungsrechtlich gebotene Evidenzkontrolle im Eilverfahren beschränkt sich bei § 36 Abs 4 AsylVfG auf das bundesamtliche Offensichtlichkeitsurteil und dessen Richtigkeit.
2. Bei einer mangelhaft durchgeführten Anhörung und deren einseitiger Auswertung im angefochtenen Bescheid bestehen Zweifel an der Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils, die zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes führen.
Gründe
Die 1978 geborene Antragstellerin vietnamesischer Staatsangehörigkeit und buddhistischen Glaubens reiste im September 2001 über die ehemalige Tschechische Republik, wo sie sich einige Zeit aufgehalten habe, im November 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte hier (in Lüneburg) am 17. Januar 2002 mit der Begründung einen Asylantrag, sie habe als Studentin an der Universität Hanoi Nachrichten und Neuigkeiten aus dem Ausland in Form von Flugblättern verbreitet, worauf sie im August 2001 von der Polizei vorgeladen worden sei, was sie zum Anlass genommen habe, unterzutauchen und Vietnam zu verlassen. Dieser Antrag wurde nach einer Anhörung der Antragstellerin durch Bescheid vom 5. Februar 2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Bescheid per Übergabe-Einschreiben zugestellt. Dagegen hat die Antragstellerin am 14. Februar 2002 bei der Kammer Klage erhoben (1 A 60/02) und zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.
Der fristgerecht binnen 1 Woche (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG) gestellte und auch sonst zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 1 A 60/02 hat Erfolg.
1. Fristgerecht ist der Antrag hier jedenfalls deshalb gestellt, weil der angefochtene Bescheid lediglich per Übergabe-Einschreiben und damit nicht förmlich nach dem Verwaltungszustellungsgesetz zugestellt worden ist (vgl. BVerwGE 112, 78). Im Übrigen aber ist er nach den Verwaltungsvorgängen am 6. Februar 2002 zur Post gegeben worden, so dass der am 14. Februar 2002 gestellte Antrag fristgerecht ist.
2. Im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO sind regelmäßig die beiderseitigen Interessen im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG gegeneinander abzuwägen. Geht jedoch - wie hier - dem Rechtsschutzantrag keine behördliche Vollzugsanordnung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO voraus, weil nach der Einschätzung des Gesetzgebers auf dem Sachgebiet generell ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht (vgl. § 75 AsylVfG), ist analog dem Maßstab des § 8o Abs. 4 Satz 3 VwGO zu entscheiden (Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 4. Auflage 1998, Rdn. 849 ff./851; Schoch/Schmidt-Aßmann-Pietzner, VwVG-Kommentar, Bd I / Std: Jan. 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.) - es sei denn, es besteht hinsichtlich des Maßstabes eine gesetzliche Spezialregelung. Eine solche liegt mit § 36 Abs. 4 AsylVfG vor, ohne dass damit allerdings der o.a. Maßstab des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO verändert worden wäre. Denn auch hiernach kommt es auf ernstliche Zweifel an, die dann anzunehmen sind, wenn „Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage“ bestehen (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194), so dass Erfolg wie Misserfolg des Hauptsacheverfahrens gleichermaßen wahrscheinlich sind.
Mit Blick auf § 36 Abs. 4 AsylVfG, Art. 16 a Abs. 4 GG und Art. 19 Abs. 4 GG konzentriert sich in Verfahren der hier vorliegenden Art - bei Abweisung des Asylantrags im angefochtenen Bescheid als offensichtlich unbegründet - die gerichtliche Prüfung vor allem aber auf die Frage, ob der Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Denn nur im Falle der uneingeschränkten Richtigkeit speziell dieses Offensichtlichkeitsurteils überwiegt das von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene Abschiebungsinteresse ein individuelles Bleibeinteresse (Marx, AsylVfG, 4. Auflage 1999, § 36 Rdn. 58 m.w.N.). An der Richtigkeit dieses Urteils fehlt es schon dann, wenn der Tatsachenvortrag die „nicht entfernt liegende Möglichkeit ergibt, daß politische Verfolgung droht“ (Marx, aaO, Rdn. 63) - mag der Asylantrag sich später im Verfahren der Hauptsache im Ergebnis auch als unbegründet herausstellen (Marx, aaO, Rdn. 71).
3. Eine solche uneingeschränkte Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils (s.o.) ist hier nicht gegeben. Vielmehr besteht mit Blick auf das Klageverfahren 1 A 60/02 die nicht völlig fern liegende Möglichkeit, dass die Antragstellerin bei ihrer Rückkehr nach Vietnam in Grund-, Menschen- und Freiheitsrechten beeinträchtigt und auf diese Weise politisch verfolgt wird. Der innerhalb der (besonderen) Frist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylVfG erhobenen Klage kommen demgemäß hinreichende Erfolgsaussichten zu, die zugleich auch im Verfahren nach § 8o Abs. 5 VwGO ausreichende Zweifel am Offensichtlichkeitsurteil des angefochtenen Bescheides aufwerfen. Irreparable Maßnahmen - wie die angedrohte Abschiebung der Antragstellerin mit ihren fast unabänderlichen Folgen - dürfen damit zunächst nicht ergriffen werden.
3.1. Die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage rühren hier zunächst einmal daher, dass die im angefochtenen Bescheid dargelegten Glaubwürdigkeitszweifel vom erkennenden Gericht nicht geteilt werden, vor allem für das vorliegende Verfahren nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Antragstellerin eine im Kern „unglaubhafte Verfolgungsgeschichte vorgetragen“ (so S. 4 des Bescheides) habe. Die Antragstellerin ist - worauf ihr Prozessbevollmächtigter hinweist - nach dem Gesamteindruck der Anhörung möglicherweise „verschärft verhört“ worden, worauf verschiedene Indizien hindeuten (Fragetechnik). Vor allem aber sind ganz offensichtlich verschiedentlich Ausführungen der Antragstellerin protokollarisch mit der Begründung nicht festgehalten worden, die Antragstellerin beginne „eine Geschichte zu erzählen“. Das Angebot der Antragstellerin, die polizeiliche Ladung vom August 2002 aus Vietnam „binnen weniger Tage nach Deutschland schicken“ zu lassen, ist nicht aufgegriffen worden. Schließlich sind Angaben der Antragstellerin im angefochtenen Bescheid sachlich unzutreffend verarbeitet worden: Der Bekannte, der den Zugang zum Internet verschafft und dessen Namen die Antragstellerin genannt hatte, hatte das entgegen dem Bescheid S. 5 oben und der gezielten Nachfrage, ob der „Bekannte in Lüneburg“ gemeint sei (Anhörung, S. 14), eben nicht in Deutschland getan, sondern - worauf die Antragstellerin ganz ausdrücklich hingewiesen hatte - in Vietnam. Dabei hatte sie auch darauf hingewiesen, dass dieser ein „guter Computerkenner“ sei, der „die Seiten“ aufrufe, der wisse, „wie alles geht“. Deshalb ist es nicht erforderlich, dass die Antragstellerin selbst weiß, wie eine Homepage „wirksam“ aufzurufen ist (S. 4 unten d. angef. Bescheides), wobei unerheblich ist, „in welchem Land“ die Seiten ins Internet gestellt werden (S. 14 der Anhörung). Auch eine „Firewall“ vietnamesischer Behörden braucht sie nicht zu kennen, solange es im Kern um die Verteilung regimekritischer Flugblätter an der Universität geht (S. 12 der Anhörung), deretwegen sie eine polizeiliche Verhaftung befürchtet hat und im Falle der Rückkehr befürchtet. Unter diesen Umständen vermag der angefochtene Bescheid ein Offensichtlichkeitsurteil und vor allem dessen uneingeschränkte Richtigkeit nicht zu tragen. Insoweit hätte aber jedenfalls bei der Anhörung durch entsprechende Nachfragen deutlich gemacht werden müssen, dass die bisherigen Antworten als unzureichend und „unsubstanziiert“ gewertet werden (vgl. BVerfG, NVwZ-Beilage 2/1997, S. 11/13). Denn nach dem Ablauf der Befragung und der Gesprächsführung durch den Unterzeichner bestand mangels entspr. Hinweise für die Antragstellerin gar kein Anlass, näher vorzutragen und weitere Erläuterungen abzugeben. Ohne Nachfragen und Vorhalt schon bei der Anhörung ist der erst im Bescheid enthaltene Vorwurf, die Antragstellerin habe insgesamt eine „unglaubhafte Geschichte“ vorgetragen, jedoch verfahrensrechtlich nicht zu erheben (BVerfG, InfAuslR 1991, 85/88 und 94/96).
3.2. Soweit im angefochtenen Bescheid dann in der Sache selbst die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Gefahren und Gefährdungen der Antragstellerin im Falle der Rückkehr nach Vietnam letztlich verneint wird, ist diese Bewertung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht eindeutig sicher und plausibel - jedenfalls nicht in dem Maße, dass sie ein Offensichtlichkeitsurteil (s.o.) ganz eindeutig stützen könnte.
Denn das Verfolgungs- und Bestrafungsrisiko in Vietnam gem. dem geänderten und neu gefassten VietStGB ist sehr schwer einzuschätzen, weil die Reaktionsweise vietnamesischer Behörden „ständigen, zum Teil sehr irrationalen Veränderungen unterworfen“ ist (so die Stellungn. von Dr. G. Will, Hamburg, vom 14.9.2000, S. 3). Eine dahingehende Prognose, Verhaftungen, Bestrafungen, Umerziehungsmaßnahmen und Zwangsarbeit würden in Vietnam ausschließlich bei „exponierter“ Betätigung im Ausland vorgenommen, ist nach Lage der Dinge nicht mehr möglich und geht an der Irrationalität und der dem Zufall verhafteten Willkürlichkeit des vietnamesischen „Rechtssystems“ vorbei. Der Sachverständige Dr. G. Will hat sich diesbezüglich wie folgt zur Lage in Vietnam gutachterlich geäußert (Stellungn. v. 14.9.2000 an 29. Kammer des Bay. VG München, S. 3):
„Berücksichtigt man all diese Faktoren, so wird zumindest erklärbar, warum manche auch gegenüber ausländischen Medien geäußerten Auffassungen prominenter Oppositioneller ohne nennenswerte Sanktionen und Repressionen hingenommen werden, während kritische Anmerkungen eines unbekannten Bürgers sehr schwerwiegende Bestrafungen nach sich ziehen können.“
Aktivitäten unbekannter Bürger, die mit im Ausland operierenden Oppositionsgruppen in Zusammenhang gebracht werden können, werden „meist mit Landesverrat gleichgesetzt„ (so Dr. G. Will, aaO.). Oppositionelles Verhalten wird „schlicht als Unbotmäßigkeit bzw. Frechheit angesehen, der mit körperlicher Gewalt und massiver Einschüchterung zu begegnen“ ist (Dr. G. Will, aaO.). Nach der Einschätzung der IGFM (Pressemitteilung v. 18.10.2001) „entpuppt sich Vietnam als ein ´rechtsbeugender Staat´“. Dabei mag außer Betracht bleiben, dass Vietnam ohnehin ein Staat mit „besonders unzuverlässigem Urkundenwesen“ ist und z.B. eine Legalisation von vietnamesischen Urkunden „nach wie vor nicht möglich“ ist (Nds. MJ v. 17.1.2002 - 44.12-120 241/30).
Anknüpfungspunkt für Maßnahmen gegen die Antragstellerin könnte die Tatsache sein, dass es in Vietnam sog. „administrative Haftstrafen“ auf der Grundlage der Regierungsverordnung Nr. 31-CP v. 14. April 1997 (Lagebericht d. Ausw. Amtes v. 26.2. 1999) gibt, für deren Verbüßung in nahezu jeder vietnamesischen Provinz ein zentrales Lager eingerichtet worden ist. (vgl. Der Einzelentscheider-Brief v. Febr. 1999). Diese Strafen werden administrativ verhängt, ohne dass sie von einer unabhängigen 3. Gewalt auf ihre Berechtigung hin kontrolliert werden. Der Sachverständige Dr. G. Will hat sich dazu wie folgt geäußert:
„Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine Maßnahme handelt, derer sich die vietnamesischen Behörden vor allem in den etwas abgelegeneren Provinzen gerne bedienen, um mißliebige Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen und einzuschüchtern.“ (Dr. G. Will, Stellung. v. 14.9.2000, aaO. S. 5).
Allerdings sind Erkenntnisse über die vietnamesische Praxis in diesem Bereich „nur schwer zu erhalten“ (so Bericht des Ausw. Amtes v. 26.2. 1999 - Stand: Febr. 1999), so daß unklar ist, welche Personen aufgrund welcher Erkenntnisse in die Lager verbracht und dort „abgestraft“ werden. In der FAZ v. 21.1.1999 heißt es insoweit:
Ein im Westen ausgebildeter Jurist war mehr als zehn Jahre in Haft, auf Grund administrativer Entscheidungen und ohne je ein Gericht gesehen zu haben. „Sie schlagen nicht, sie stecken dich in Einzelhaft oder in ein Arbeitslager - bis du die Gesetze des Klassenkampfs endlich eingesehen hast“, sagt er... (FAZ v. 21.1.1999).
Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen ist im vorliegenden Fall bei zusammenfassender Abwägung prognostisch eine - für das vorliegende Verfahren ausreichende - Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen gegenüber der Antragstellerin gegeben, so dass ein Offensichtlichkeitsurteil nicht möglich ist.
Eine deutliche Bedrohung der buddhistischen Antragstellerin ist auch aus den Strafvorschriften herzuleiten, die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften und deren Mitgliedern stark beschränken (Art. 81 c vietnStGB - Verbreitung von Zwietracht - und Art. 199 vietn-StGB - Betreiben abergläubischer Praktiken -). Denn die sozialen Probleme haben zugenommen, so dass die Reformpolitik an Glaubwürdigkeit verloren hat und sich viele Menschen den Religionsgemeinschaften zuwenden. In der Stellungnahme von Dr. Will vom 16. Juni 1999 an das VG Freiburg heißt es diesbezüglich:
„Die vietnamesische Regierung sah sich daher auch veranlaßt, am 19.4.1999 ein Dekret über die Zulässigkeit religiöser Aktivitäten zu erlassen, in dem gefordert wird, die entsprechenden Vorschriften rigoros anzuwenden, um jeden Mißbrauch der Religion im Kampf gegen die Volksmacht zu unterbinden.“
Nach einer Pressemitteilung der IGFM v. 13.12.2001 sind im Laufe des Jahres 2001 alle bedeutenden Persönlichkeiten der buddhistischen, evangelischen und der katholischen Religionsgemeinschaften sowie der Hoa-Hao-Religion in Vietnam - ohne Gerichtsverfahren - inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt worden. Versammlungen von Religionsgemeinschaften seien von der Volkspolizei und der Armee „brutal aufgelöst“ worden. Aus Protest gegen die religiöse Unterdrückung haben sich im Jahre 2001 zwei Buddhisten selbst verbrannt, weitere Selbstverbrennungen sind angekündigt. Die Antragstellerin dürfte deshalb im Falle seiner Rückkehr nach Vietnam auch wegen ihres buddhistischen Glaubens inzwischen einer deutlich höheren Gefährdung ausgesetzt sein. Nach einer IGFM-Pressemitteilung vom 18.7.2001 häufen sich inzwischen die Berichte aus Vietnam über Misshandlungen, Schikanen und Folter der Behörden gegenüber Gläubigen. Schüler eines Pfarrers seien wegen ihres Engagements „bereits mehrmals verhaftet, zusammengeschlagen und gefoltert“ worden, „um falsche Geständnisse zu erpressen“. Außerdem heißt es in der zuletzt gen. Pressemitteilung:
„Die vietnamesische Regierung versucht, sie durch alltägliche Schikanen, Hinderung an der Berufsausübung, Geldstrafen wegen angeblicher Verstöße gegen Verkehrsregeln, Mißhandlungen, Verhöre usw. einzuschüchtern. Die katholischen Laien sollen aufhören, Pfarrer Ly zu unterstützen, sich für die Anliegen der Pfarrgemeinden einzusetzen oder unter Hausarrest gestellte Geistliche zu besuchen“.
Der Asienreferent der IGFM meint demzufolge (Pressemitteilung v. 18.7.2001):
„Die Unterdrückung der Religionsgemeinschaften in Vietnam erreicht eine neue Qualität. Die breit angelegte Gewaltaktion nicht nur gegen Priester und aktive Laien der katholischen Kirche zeigen, daß die Regierung Vietnams unwillig ist, die zahlreichen Konflikte mit den Gläubigen auf friedlichem Wege zu lösen.
Die IGFM ist daher sehr besorgt, dass die vietnamesische Regierung massiv gegen die Religionsgemeinschaften vorgeht. Es handele sich um eine „Kursänderung“ der vietnamesischen Regierung. Beleg hierfür ist u.a. das unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführte Verfahren gegen Pfarrer Ly, der ohne jede Verteidigung am 19. Oktober 2001 in Hue zu 15 Jahren Gefängnis abgeurteilt wurde, wobei die „Brutalitäten gegen seine Familie und Gemeindemitglieder“ (so die Pressemitteilung der IGFM v. 22.10.2001) noch hinzu kommen.
Aufgrund dieser vielschichtigen Situation Vietnams ist eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden heute nicht mehr abzugeben. Es ist völlig dem Zufall und der Behördenwillkür überlassen, ob jemand repressiv „behandelt“ wird oder nicht. Willkürliche Verhaftungen finden statt, wobei das Recht, einen Beistand hinzuzuziehen, nicht einmal eingehalten wird (so im Verfahren gegen Pfarrer Ly, vgl. IGFM-Presse-mitt. v. 22. 10. 2001; Einzelentscheider-Brief Febr. 1999). Eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden ist im Einzelfall unmöglich:
„Da das Vorgehen der vietnamesischen Behörden und auch der Justiz, wie oben bereits ausgeführt, ganz wesentlich politisch beeinflußt und im übrigen in hohem Maße korrupt ist, ist eine objektive Beurteilung, ob sich die zuständigen Stellen von den...geschilderten Erwägungen bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Bestrafung des Betroffenen leiten lassen, praktisch unmöglich.“ - ai-Stellungnahme v. 2.2.1999 (ASA 41-97.145).
Damit ist offen, ob die Antragstellerin im Klageverfahren als Flüchtling iSv § 3 AsylVfG anzuerkennen wäre. Deshalb ist ihr - mit Blick auf die angedrohte Abschiebung - zunächst einmal unter Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.
4. Im übrigen stehen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht etwa ausnahmsweise besonders gewichtige Gründe entgegen, die es erlaubten, schon vor Abschluß des Verfahrens der Hauptsache die weitgehend irreparable, vollendete Tatsachen schaffende Abschiebung, die angedroht worden ist (Pkt. 4 des Bescheides v. 5.2.2000), durchzuführen. Denn es ist so, daß der Rechtschutzanspruch eines Antragstellers aus Art. 19 Abs. 4 GG um so stärker ist, je gewichtiger die auferlegte Belastung ist und je mehr die Verwaltungsmaßnahme - hier die Abschiebungsandrohung - Unabänderliches zu bewirken geeignet ist (BVerfGE 35, 382 / 4o2; BVerfGE, NVwZ 1985, 4o9; BVerfG (3. K. des 2. Senats) NVwZ-Beilage 1996, 19 [BVerfG 27.10.1995 - 2 BvR 384/95] m.w.N.). Deshalb ist sein Antrag nur im Falle unumstößlicher Richtigkeit (BVerfG, InfAuslR 1995, 19 [BVerfG 05.10.1994 - 2 BvR 2333/93]), die regelmäßig erst im Hauptsacheverfahren zu erlangen ist, abweisbar:
Droht ... dem Ast. bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - ... - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (so 3. Ka. des 2. Senats des BVerfG, Beschl. v. 27.1o.1995, NVwZ-Beilage 3/1996, S. 19 [BVerfG 27.10.1995 - 2 BvR 384/95] m.w.N.)
An solcher unumstößlichen Richtigkeit im Sinne von Offensichtlichkeit fehlt es hier jedoch.