Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.02.2002, Az.: 6 A 166/00

atypischer Sonderfall; Bauverbotszone; Deich; Eigentum; Hobby; offenbar nicht beabsichtigte Härte; Verbot der Anlagenerrichtung; Viehunterstand

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
28.02.2002
Aktenzeichen
6 A 166/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41765
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten als untere Deichbehörde, ihm für einen bereits errichteten Vieh-Unterstand eine deichrechtliche Genehmigung nach § 16 Abs. 2 NDG zu erteilen.

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Der Kläger übernahm im Jahre ... von seinem Vater einen Siedlungshof in B. und führte ihn fort. Bis ... war er auch als landwirtschaftlicher Lohnunternehmer tätig. Ob er auch gegenwärtig noch einen landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Ziff. 1 BauGB führt, ist fraglich. Der Kläger ist u. a. Eigentümer der im Außenbereich liegenden Flurstücke X und Y der Flur ... der Gemarkung ..., die zwischen dem Deichverteidigungsweg und der sich anschließenden Bebauung des Bebauungsplans Nr. ... liegen. Im Jahre 1995 errichtete er ohne Baugenehmigung um das Grundstück eine Einfriedung, die aus einer Stützmauer und darauf befestigten Zaunelementen aus Stahl bestand. Die gegen die Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 12. Dezember 1995 gerichteten Rechtsmittel blieben erfolglos (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 17.6.1998 - 2 A 84/96 - und Nds. OVG, Besch. v. 31.7.1998 - 1 L 3444/98 -). Auf der Fläche dieses Grundstückes hält der Kläger nach seinen Angaben fünf Rinder, drei Pferde und zwei Schafe. Für die Unterbringung dieser Tiere errichtete der Kläger ohne Baugenehmigung und ungefähr 27,5 m von der landseitigen Grenze des Deiches entfernt einen Viehunterstand auf dem Flurstück 10/6 sowie einen Lagerplatz für verschiedene Gerätschaften. Das Flurstück Y befindet sich insgesamt innerhalb der 50-m-Anbauverbotszone des § 16 Abs. 1 NDG.

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Nachdem der Beklagte anlässlich eines Ortstermins am 22. Februar 1999 festgestellt hatte, dass der Kläger diesen Viehunterstand errichtet hatte, forderte er ihn mit Verfügung vom 13. Oktober 1999 u. a. auf, diesen Viehunterstand rückstandslos zu beseitigen. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb ebenso ohne Erfolg wie die Klage und der Antrag auf Zulassung der Berufung (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 26.11.01 - 2 A 202/00 - und Nds. OVG, Beschl. v. 29.1.2002 - 9 LA 84/02 -).

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Am 12. August 1999 beantragte er nachträglich eine deichrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 NDG zur Errichtung dieses Viehstandes. Unter dem 8. September 1999 führte der Artlenburger Deichverband aus, dass das Flurstück Y. dem Außenbereich zuzuordnen sei. Besondere Umstände, die einen besonderen Härtefall begründeten, seien nicht gegeben. Vielmehr würde durch die Genehmigung ein Präzedenzfall geschaffen, der weitere bauliche Einrichtungen innerhalb der Schutzzone nach sich ziehe.

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Mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 lehnte der Beklagte die beantragte deichbehördliche Ausnahmegenehmigung für die Errichtung des Unterstandes auf dem vom Kläger gewählten Standort ab. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen an, dass eine offenbar nicht beabsichtigte Härte nicht gegeben sei. Das Grundstück weise keinen Besonderheiten gegenüber den anderen am Elbdeich gelegenen Grundstücken auf. Es liege unmittelbar am Deich, seine Ausnutzung sei nicht stärker eingeschränkt als die anderen am Deich liegenden Grundstücke. Dass Grundstücke hinter dem Deich nur eingeschränkt nutzbar seien, sei vom Deichgesetz in Kauf genommen worden und Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentümers. Der Viehunterstand sei zudem mit der Deichsicherheit nicht vereinbar. Es bestehe eine generelle Gefahr, dass Hochwässer Deiche beschädigen oder dass sie durch Hochwässer brechen könnten. Aus Deichsicherheitsgründen sei es daher von besonderer Bedeutung, dass ein möglichst großer Bereich von jeglicher Bebauung freigehalten werde, um Freiflächen für den Deichverteidigungsfall zu haben. Zudem führe der Viehunterstand zu einer Verdichtung der Bebauung am Deich, die mit der Deichsicherheit nicht vereinbar seien.

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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, dass in seinem Falle sehr wohl eine nicht beabsichtigte Härte im Sinne des § 16 Abs. 2 NDG gegeben sei. Er sei im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebes darauf angewiesen, den Unterstand nutzen zu können. Er betreibe auf diesen Flächen einen landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne von § 35 BauBG. Der Viehunterstand solle dem Schutz für fünf Rinder, drei Pferde und zwei Schafen dienen. Der atypische Falle liege aber auch aufgrund des Zuschnittes und der Lage des Grundstückes vor. Die anderen benachbarten Grundstücke wiesen eine wesentlich größere Tiefe auf, so dass sie auch außerhalb der 50-m-Grenze bebaut werden könnten. Sein Grundstück werde zudem durch einen Uferweg in seiner gesamten Länge durchschnitten und liege direkt an dem asphaltierten Deichweg. Der Viehunterstand könne auch nicht an einer anderen Stelle des Grundstückes errichtet werden. An der südlichen Seite grenze das Grundstück an einen Spielplatz, an anderer Stelle grenze es an Wohnbebauung an. Zudem befänden sich auch andere Bebauungen, sogar Wohnhäuser, innerhalb der 50-m-Zone. Daher habe er bereits aufgrund Art. 3 GG einen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung. Die Deichsicherheit sei durch den Viehunterstand ebenfalls nicht gefährdet. Allein in der vom Beklagten beschriebenen abstrakten Gefährdung der Erreichbarkeit des Deiches durch den Viehunterstand sei eine Gefährdung der Deichsicherheit nicht gegeben. Es sei hier zu berücksichtigen, dass der Unterstand relativ klein sei und im Vorfeld des Grundstückes die befestigte Deichstraße verlaufe, die die Erreichbarkeit des Deiches in seiner gesamten Länge gewährleiste. Der Deich werde auch nicht in seiner Substanz durch den Viehunterstand gefährdet. Denn nur die Pfeiler, die ein geringes Ausmaß hätten, seien ins Erdreich eingebracht worden. Die Seitenwände des Unterstandes seien nicht bis zum Boden heruntergezogen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2000 wies die Bezirksregierung Lüneburg den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass das Vorhaben des Klägers zwar einen Einzelfall darstelle, eine offenbar beabsichtigte Härte jedoch nicht gegeben sei. Die Situation hinter dem Deich im Bereich der Weide des Klägers weiche nicht von der typischen Gefahrenlage ab, die den Gesetzgeber veranlasst habe, in § 16 Abs. 1 NDG auf der landseitigen Seite des Deiches eine Schutzzone von 50 m vorzuschreiben. Vielmehr handele es sich um den typischen Fall eines bisher unbebauten Grundstücks. Es sei auch nicht ersichtlich, dass das Anbauverbot eine vernünftige Bebauung, die sich aus der Situation des Grundstücks geradezu aufdränge, verhindere. Das Grundstück könne auch ohne den Unterstand weiterhin als Viehweide genutzt werden. Dass auf der Fläche eine Landwirtschaft betrieben werde, sei bereits zweifelhaft. Entgegen der Darstellung des Klägers liege eine Ungleichbehandlung mit anderen benachbarten Grundstücken nicht vor. In der Nähe der Flur ... befänden sich nach der Liegenschaftskarte auf vergleichbaren Grundstücken hinter dem Deich keine Bebauung. Auch aus dem Zuschnitt des Grundstücks ergebe sich keine ungewöhnliche atypische Situation. Es sei nicht ungewöhnlich, dass ein Grundstück in seiner gesamten Ausdehnung im 50-m-Bereich hinter dem Deich liege und damit in Gänze dem Verbot des § 16 Abs. 1 NDG unterliege.

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Daraufhin hat der Kläger am 22. September 2000 Klage erhoben, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen vertieft und ergänzend vorträgt, dass der Deich durch inzwischen durchgeführte Deichbauarbeiten um rund weitere 10 m weiter von seinem Grundstück entfernt sei.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 15. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 22. August 2000 zu verpflichten, ihm eine Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 NDG für die Errichtung eines Viehunterstandes auf seinem Grundstück Flurstück X und Y der Flur ... der Gemarkung ... zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie der Gerichtsverfahren 2 A 202/00 (Beseitigung eines Viehunterstandes und eines Stellplatzes), 2 A 195/00 (Baugenehmigung für einen Viehstall), 2 A 160/01 (Stilllegung und Beseitigung ungenehmigter baulicher Anlagen) sowie 2 A 84/96 und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 NDG vom Verbot der Anlagenerrichtung des § 16 Abs. 1 NDG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die angefochtenen Bescheide des Beklagten und der Bezirksregierung Lüneburg sind mithin rechtmäßig.

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Nach § 16 Abs. 1 NDG dürfen Anlagen jeder Art, die nicht dem Verkehr dienen, in einer Entfernung bis zu 50 m von der landseitigen Grenze des Deiches nicht errichtet oder wesentlich geändert werden. Hierbei handelt es sich im Grundsatz um eine zwingende Vorschrift, die in § 16 Abs. 2 Satz 1 NDG nur für den Fall einer unbilligen, aber vermeidbaren Härte im Einzelfall eine Ausnahme vorsieht. Im vorliegenden Fall unterliegt der vom Kläger bereits errichtete Viehunterstand als Anlage, die innerhalb der 50-m-Bauverbotszone liegt, unstreitig diesem grundsätzlichen Verbot des § 16 Abs. 1 NDG. Dies gilt selbst für den Fall, dass die vom Kläger in seiner schriftlichen Klagebegründung aufgestellte, aber nicht näher substantiierte und belegte Behauptung, der Deich sei durch inzwischen durch- geführte Bauarbeiten inzwischen um weitere 10 m von seinem Grundstück entfernt, zutreffen sollte. Selbst wenn man zugunsten des Klägers hiervon ausgeht, befindet sich der Viehunterstand immer noch rund 37,5 m von der landseitigen Grenze des Deiches entfernt und damit noch in der 50-m-Bauverbotszone.

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Die Voraussetzungen für eine Befreiungslage im Sinne des § 16 Abs. 2 NDG bestehen nicht, so dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung hat. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 NDG kann die untere Deichbehörde zur Befreiung vom Verbot des Absatzes 1 Ausnahmen genehmigen, wenn das Verbot im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Ausnahme mit den Belangen der Deichsicherheit vereinbar ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob die Errichtung des Viehunterstandes mit den Belangen der Deichsicherheit vereinbar ist. Denn jedenfalls ist ein offenbar nicht beabsichtigter Härtefall im deichrechtlichen Sinn nicht gegeben.

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Nach der Entstehungsgeschichte des Niedersächsischen Deichgesetzes sind bei dem Begriff der Härte i. S. d. § 16 Abs. 2 Satz 1 NDG die Vorschrift des § 31 BBauG und die von der Rechtsprechung dazu entwickelte Begrifflichkeit zugrunde gelegt worden. Es ist mithin darauf abzustellen, ob die Anwendung der Verbotsvorschrift des § 16 Abs. 1 NDG in ungewöhnlichen, atypischen Sonderfällen zu Ungerechtigkeiten führen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu § 31 Abs. 2 BBauG liegt eine Befreiungslage nur vor, wenn es sich um einen dem Schutzgut der Norm entzogenen Sonderfall handelt, in dem die Anwendung der Norm zu einem Ergebnis führen würde, das nach der gesetzlichen Regelung nicht beabsichtigt ist und eine vernünftige Bebauung erschwert. Um diesen atypischen Fall feststellen zu können, ist die Bestimmung des Schutzgutes der Norm notwendig. Das ist hier die Deichsicherung. Die Freihaltung eines breiten Geländestreifens ist zur Verteidigung und Sicherung des Deiches in Gefahrenfällen bei Sturmflut, Grundbrüchen oder Bauarbeiten größeren Umfanges erforderlich oder auch für etwaige weitere Deichverstärkungen oder mögliche Deichverlegungen, weil nach den Erfahrungen der mit der Deichsicherheit befassten Stellen Anlagen in dieser Zone für die Deichsicherheit hinderlich sind oder werden können (Nds. OVG, Urt. v. 4.5.2000 - 1 L 1845/96 -, zitiert nach juris, m. W. N. aus den Gesetzesmaterialien, der Literatur und der Rechtsprechung).

19

In Anwendung dieser Grundsätze ist hier ein Härtefall zu verneinen. Wegen der Begründung im Einzelnen verweist der Einzelrichter zunächst auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide, denen er folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Die Einwände des Klägers hiergegen greifen nicht durch. Zwar mag es zutreffen, dass die Bebauung in der näheren Umgebung bis unter 50 m an den Deich heranreicht. Hieraus folgt aber kein Anspruch des Klägers auf eine Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 NDG. Der hier umstrittene Bereich ist - anders als der vom Kläger zum Vergleich angesprochene Bereich - nicht mehr der im Zusammenhang bebauten Ortslage sondern unstreitig dem Außenbereich zuzurechnen. Der Kläger kann für sich auch nicht die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB in Anspruch nehmen. Nach den - vom Kläger in dem vorliegenden Verfahren nicht im Einzelnen widerlegten - Feststellungen in den rechtskräftigen Urteilen des Einzelrichters vom 26. November 2001 - 2 A 195/00 und 2 A 202/00 - erfüllt der Kläger nicht die Kriterien, die an einen landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gestellt werden. Hiernach ist weder das vom Kläger in den dortigen Verfahren vorgelegte Konzept für eine Tierhaltung wirtschaftlich tragfähig noch ist ein Gewinn zu erwarten. Außerdem ist die Hofnachfolge nicht geklärt. Mithin steht fest, dass der Kläger den hier im Streit befindlichen Viehunterstand nicht zu einer privilegierten landwirtschaftlichen Nutzung, sondern nur zu Hobbyzwecken benötigt. Daher kann ein atypischer Sonderfall nicht angenommen werden, so dass es bei dem grundsätzlichen Errichtungsverbot des § 16 Abs. 1 NDG bleibt.

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Diese Einschränkung der aus dem Eigentum fließenden Befugnisse und Rechte stellt auch keine Enteignung, sondern eine verfassungsgemäße Inhaltsbestimmung des Grundeigentums dar (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 25.3.1998 - 1 BvR 1084/92 -, NVwZ 1998, 725, 726).

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Gründe, die Berufung nach § 124 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO

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i. d. F. des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) zuzulassen, sind nicht gegeben.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.