Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.06.2012, Az.: 9 W 86/12

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.06.2012
Aktenzeichen
9 W 86/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 44310
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 16.05.2012 - AZ: 1 O 164/11
nachfolgend
BGH - 07.02.2013 - AZ: IX ZB 73/12

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 14. Juni 2012 gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 16. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts, mit dem dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Klage verweigert worden ist, erweist sich als unbegründet.

I.

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der … GmbH. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine gegen die Alleingesellschafterin der Schuldnerin beabsichtigte Klage, durch die er ihr gegenüber einen Anspruch auf Einzahlung der zweiten Hälfte der Stammeinlage in Höhe von € 12.782,30 durchsetzen möchte, nachdem er diese Forderung erfolglos durch seine Zahlungsaufforderung an die Antragsgegnerin vom 27. Oktober 2011 (Anlage K 4) fällig gestellt habe. Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da die Voraussetzungen, unter denen dem Insolvenzverwalter gemäß § 116 ZPO Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne, nicht vorlägen. Infolge der Massearmut gehöre die Durchsetzung des streitgegenständlichen Zahlungsanspruchs nicht mehr zu den gesetzlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters, weshalb die Gewährung von Prozesskostenhilfe ausscheide. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht versagt hat.

1. Der Senat konnte entscheiden, obwohl das Landgericht keine Abhilfeentscheidung hat treffen können, weil die sofortige Beschwerde direkt beim Oberlandesgericht eingelegt worden ist und das Abhilfeverfahren keine Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung durch das Beschwerdegericht ist.

2. a) Dem Antragsteller steht Prozesskostenhilfe deshalb nicht zu, weil das Insolvenzverfahren als massearm anzusehen und einzustellen ist, weshalb die Führung des beabsichtigten Rechtsstreits nicht (mehr) zu den Aufgaben des Antragstellers gehört. In der Insolvenzmasse befindet sich nach Darstellung des Antragstellers kein Guthaben. Die Insolvenzverfahrenskosten hat der Antragsteller hingegen mit € 10.275,76 beziffert, weshalb feststeht, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um diese zu decken.

Die Forderung, die der Antragsteller durch den Rechtsstreit durchsetzen möchte, ist bei der Feststellung der Massearmut nicht zu berücksichtigen, weil Ansprüche, die mit zweifelhaftem Ergebnis nur im Prozesswege durchzusetzen sind, bei der Ermittlung der Insolvenzmasse außer Betracht bleiben müssen (Uhlenbruck/Ries, InsO, 13. Aufl., § 207 Rn. 2 m. w. N.), da ein realer Gegenwert noch nicht vorhanden ist. Da das Gesetz hier die alsbaldige Einstellung des Insolvenzverfahrens fordert (§ 207 Abs. 1 InsO), ist der Insolvenzverwalter zur Führung des vorliegenden Rechtsstreits weder verpflichtet noch berechtigt. Bei dieser Sachlage kann der Antragsteller Prozesskostenhilfe nicht erhalten, weil dann, wenn sich die Massearmut herausgestellt hat, nur noch die vorhandene liquide Masse - zu der bestrittene Forderungen nicht gehören - verteilt wird und naheliegende und risikolose Verwertungsmaßnahmen ergriffen werden. Die Durchsetzung des streitgegenständlichen Zahlungsanspruchs gehört nicht mehr zu seinen gesetzlichen Aufgaben (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009, IX ZB 221/08). Wenn sich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens herausstellt, dass die Insolvenzmasse nicht einmal ausreicht, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken, hat das Insolvenzgericht, sofern nicht ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird oder die Kosten nach § 4 a InsO gestundet werden, das Verfahren einzustellen (§ 207 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter hat in diesem Fall nur noch die vorhandene liquide Masse zu verteilen. Bis zur Einstellung des Verfahrens bleibt er zwar zur Verwaltung der Insolvenzmasse berechtigt und verpflichtet, er mag auch noch befugt sein, naheliegende Verwertungsmöglichkeiten zu nutzen. Ein Rechtsstreit stellt aber keine naheliegende und risikolose Verwertungsmaßnahme dar, weil er typischerweise beträchtliche Zeit in Anspruch nimmt und das Risiko birgt, die Masse mit zusätzlichen Kosten zu belasten (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 7 nach juris). Es kann daher kein Anspruch auf Finanzierung eines Rechtsstreits auf Kosten der steuerfinanzierten Staatskasse bestehen, der entweder die vom Gesetz verlangte Einstellung des Insolvenzverfahrens hinausschieben würde oder - sofern das Insolvenzverfahren dennoch eingestellt würde - anschließend von der Schuldnerin nicht mehr fortgesetzt werden könnte.

b) In dieser Hinsicht kann sich der Antragsteller auch nicht auf die „Ordnungsfunktion“ des Insolvenzverfahrens berufen. Da - von den hier nicht gegebenen Ausnahmefällen der Stundung der Verfahrenskosten und des Gläubigervorschusses abgesehen - Voraussetzung eines Insolvenzverfahrens immer die Deckung der Verfahrenskosten ist, rechtfertigt diese Ordnungsfunktion nicht die Durchführung dieses Rechtsstreites und die Bewilligung der Prozesskostenhilfe dafür, da eine Ordnungsfunktion nur einem Verfahren zukommen kann, das den Vorschriften der Insolvenzordnung entsprechend durchführbar ist (vgl. ausdrücklich BGH, a. a. O., Rn. 9 nach juris).

c) Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn (was aus den dargestellten Gründen ohnehin nicht sachgerecht wäre) die streitgegenständliche Forderung bei der Feststellung der Insolvenzmasse berücksichtigt würde, eine Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens nur erreicht würde, wenn der Zahlungsanspruch nahezu vollständig (mehr als 80 %) beigetrieben werden könnte. Keinesfalls kann es hier geboten sein, den vollen Wert der Forderung bei der Feststellung der Insolvenzmasse im Rahmen von § 207 Abs. 1 InsO anzusetzen. Bei der Feststellung der Insolvenzmasse im Rahmen von § 207 Abs. 1 InsO sind Forderungen mit dem mutmaßlichen Realisationswert anzusetzen, weil dies der tatsächlich nur zu erwartende Massezuwachs ist, wobei dazu eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten ist und dementsprechend die Prozessaussichten, die Werthaltigkeit und das Kostenrisiko abzuwägen sind (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss v. 29.08.2011, 9 W 13/11, zit. nach juris). Warum im Streitfall eine über 80 %-ige Realisierungsquote anzunehmen sei, hat der Antragsteller nicht nachvollziehbar mit Tatsachenvortrag dargelegt. Sein Verweis darauf, die Antragsgegnerin sei Eigentümerin zweier Grundstücke, reicht nicht aus, da nichts zu deren Wert und etwaigen Belastungen mit vorrangigen Grundpfandrechten erklärt ist. Auch zu etwaigem sonstigen Vermögen der Antragsgegnerin, ihren laufenden Einkünften und der Prognose für zukünftige Einnahmen, hat er nichts dargestellt.

d) Selbst im Fall des vollständigen Erfolgs des Rechtsstreits, von dem der Senat - wie dargestellt - nicht ausgeht, bliebe zudem für die normalen Insolvenzgläubiger keine nennenswerte Verteilungsmasse übrig. Der Sache nach würde der Rechtsstreit also auf steuerfinanzierte Staatskosten im Kern nur um einen Deckungsbeitrag zu den Verfahrenskosten der Insolvenz geführt.

3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da außergerichtliche Auslagen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu erstatten sind und sich die Verpflichtung zur Zahlung der für die Beschwerdeentscheidung anfallenden Festgebühr unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (Nr. 1812 KV zum GKG).

4. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen in welchem Umfang (voller oder wirtschaftlicher Wert) bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 207 Abs. 1 InsO die Forderung zu berücksichtigen ist, für deren Durchsetzung Prozesskostenhilfe begehrt wird, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich behandelt wird (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.07.2011, 5 W 926/11; OLG Hamm, Beschluss vom 22.09.2011, 27 W 122/11).