Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.06.2012, Az.: 15 UF 73/12

Voraussetzungen der Anfechtung der Vaterschaft durch das anfechtungsberechtigte Kind; Stellung des Antrags durch einen Elternteil bei gemeinsamer elterlicher Sorge

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.06.2012
Aktenzeichen
15 UF 73/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 20984
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0625.15UF73.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Nieburg - 14.03.2012

Fundstellen

  • FamRZ 2013, 230
  • NJW 2012, 6
  • NJW 2012, 3450-3451

Amtlicher Leitsatz

1. Der Antrag des anfechtungsberechtigten Kindes auf Anfechtung der Vaterschaft setzt die Entscheidung der insoweit sorgeberechtigten Person über die Ausübung des materiellen Gestaltungsrechts voraus (BGH FamRZ 2009, 861 ff.).

2. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge kann ein Elternteil allein eine solche Entscheidung für das Kind nicht treffen. In diesem Fall ist der Antrag des Kind als unzulässig abzuweisen.

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nienburg vom 14. März 2012 geändert und wie folgt gefasst:

Der Antrag festzustellen, dass der Beteiligte zu 3 nicht der Vater der Beteiligten zu 1 ist, wird als unzulässig abgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 2 trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

III. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 € festgesetzt.

IV. Dem Beteiligten zu 3 wird ratenlose Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ..., ..., für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

V. Der Beteiligten zu 2 wird ratenlose Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., ..., für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

Gründe

1

1. Die Beteiligten streiten um die Abstammung der Beteiligten zu 1 von dem Beteiligten zu 3.

2

Die Beteiligten zu 2 und 3 lebten seit 2007/2008 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Sie hatten sich nach den Angaben in der Antragsschrift sowie in der Niederschrift vom 7. November 2011 des Jugendamts des Landkreises N. im Jahr 2006 kennen gelernt, während die Beteiligte zu 2 in ihrer richterlichen Vernehmung vom .... ... 2009 im Ermittlungsverfahren gegen den Beteiligten zu 3 - ... Amtsgericht ...) ausgesagt hatte, den Beteiligten zu 3 im Jahr 2004 im Aufnahmelager B. kennen gelernt zu haben. Am .... ... 2005 wurde die Beteiligte zu 1 geboren. Mit Urkunde des Standesamts ... vom .... ... 2006 (...) erkannte der Beteiligte zu 3 mit Zustimmung der Beteiligten zu 2 die Vaterschaft für die Beteiligte zu 1 an. Zur Urkunde des Jugendamts des Landkreises ... vom .... ... 2007 - Urkunden-Reg-Nr. ... - gaben die Beteiligten zu 2 und 3 Sorgeerklärungen für die Beteiligte zu 1 ab und üben seither die elterliche Sorge gemeinsam aus.

3

Die Trennung der Kindeseltern erfolgte am .... ... 2009 durch die Verhaftung des Beteiligten zu 3, nachdem die Beteiligte zu 2 gegen diesen eine Anzeige wegen Vergewaltigung gestellt hatte und ins Frauenhaus N. geflüchtet war. Gegen ihn wurde von der Staatsanwaltschaft ... am 18. April 2009 Anklage u.a. wegen Vergewaltigung und Körperverletzung erhoben. Das Verfahren wurde in der Verhandlung vom .... ... 2010 gemäߧ 154 Abs. 2 StPO eingestellt (... LG ... = ... StA ...).

4

Mit Schriftsatz vom 28. September 2011 beantragte der Beteiligte zu 3 im Verfahren ... AG N. das Umgangsrecht mit der Beteiligten zu 1 zu regeln und behauptete hierzu, dass er sich bis zur Trennung der Kindeseltern hauptsächlich um das Kind gekümmert habe. Nach seinem weiteren Vorbringen im dortigen Schriftsatz vom 16. November 2011 ist zwischen den Beteiligten zu 2 und 3 unstreitig, dass der Beteiligte zu 3 nicht der biologische Vater der Beteiligten zu 1 ist. Mit Beschluss vom 4. Januar 2012 wurde das Umgangsverfahren wegen des seit dem 18. November 2011 anhängigen vorliegenden Verfahrens gemäß § 21 FamFG ausgesetzt.

5

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 7. November 2011 wurde mit Beschluss vom 11. November 2011 (... Amtsgericht N.) eine Ergänzungspflegschaft für die Beteiligte zu 1 angeordnet und der Landkreis N. zum Ergänzungspfleger für den Wirkungskreis Anfechtung der Vaterschaft bestellt. Der Beteiligte zu 3 wurde an diesem Verfahren nicht beteiligt.

6

Mit Schriftsatz vom 17. November 2011 beantragte die Beteiligte zu 2 - vertreten durch den Ergänzungspfleger - im vorliegenden Verfahren festzustellen, dass "sie nicht das Kind des Beteiligten zu 1 (gemeint zu 3) ist." Das Amtsgericht hat - im Einvernehmen der Beteiligten ohne Erörterungstermin - im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass "die Antragstellerin nicht das Kind des Antragsgegners" ist und hierzu ausgeführt, dass das anfechtungsberechtigte Kind die zweijährige Anfechtungsfrist nach der Bestellung des Kreisjugendamts zum Ergänzungspfleger am 11. November 2011 gewahrt habe und die Anfechtung ihrem Wohl entspreche (§ 1600a Abs. 4 BGB), weil die Feststellung der biologischen Abstammung in ihrem Interesse liege und dies im Hinblick auf die Trennung und Anschuldigungen über wechselseitige gewalttätige Übergriffe dem Familienfrieden diene. Aufgrund der übereinstimmenden Angaben der Beteiligten zu 2 und 3 sei davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 3 nicht der Vater der Beteiligten zu 1 sei.

7

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 3, mit der dieser geltend macht, dass die Anfechtungsfrist bereits verstrichen sei und die Anfechtung durch das Kind nicht dessen Wohl diene.

8

2. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

9

Der Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft durch die Beteiligte zu 1 ist unzulässig.

10

a) Für das minderjährige und (hier noch) geschäftsunfähige Kind kann gemäß § 1600a Abs. 3 BGB nur der gesetzliche Vertreter die Vaterschaft anfechten. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2011, 859, 860 f. m. Anm. Stößer) ist der rechtliche Vater des Kindes, dem auch das Sorgerecht zusteht, von der Vertretung des Kindes kraft Gesetzes gemäß § 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB ausgeschlossen. Durch die Neuregelung des Abstammungsverfahrens im FamFG sollte die Vertretung des Kindes im Verfahren nicht geändert werden. Vielmehr ergeben sich aus der Neuregelung des Verfahrensrechts nur in solchen Fällen Änderungen, in denen die gesetzliche Vertretung durch die sorgeberechtigten Eltern und deren Ausschluss nach der Rechtslage vor dem 1. September 2009 maßgeblich von den Besonderheiten des früheren Verfahrensrechts abhingen (aaO. Rn. 11).

11

Vor diesem Hintergrund ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Vaterschaftsanfechtungsverfahren erforderlich gewesen, auch wenn der Bundesgerichtshof in der vorgenannten Entscheidung zum Vertretungshindernis der gemeinsam sorgeberechtigten, jedoch nicht verheirateten Eltern nicht ausdrücklich Stellung genommen, sondern ausdrücklich auf die verheirateten Eltern abgestellt hat. Nach dem vorgenannten Grundsatz des Bundesgerichtshofs ist insoweit jedoch davon auszugehen, dass eine Änderung der bis Ende August 2009 geltenden Rechtslage nicht beabsichtigt war. Da die rechtlichen Eltern zur gemeinsamen Vertretung des Kindes gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen sind, besteht unverändert ein Vertretungsausschluss der Mutter des Kindes fort (vgl. BGH FamRZ 1972, 498 [BGH 14.06.1972 - IV ZR 53/71]). Ob die Bestellung des Landkreises N. zum Ergänzungspfleger für den Wirkungskreis Anfechtung der Vaterschaft zu Recht erfolgte, obwohl der mitsorgeberechtigte Beteiligte zu 3 an diesem Verfahren nicht beteiligt worden war, bedarf keiner Entscheidung durch den Senat, weil der Beschluss vom 11. November 2011 von den Beteiligten nicht angefochten oder nicht von Amts wegen aufgehoben worden ist.

12

b) Der Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft ist unzulässig, weil es an einer wirksamen Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern über die Ausübung des materiell-rechtlichen Gestaltungrechts auf Anfechtung der Vaterschaft bisher fehlt.

13

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2009, 861 ff.), auf die die Beteiligten mit Verfügung vom 19. April 2012 hingewiesen wurden, ist zwischen der Ausübung des materiellen Gestaltungsrechts auf Anfechtung einerseits und der verfahrensrechtlichen Handlung auf Einleitung eines entsprechenden Verfahrens andererseits zu unterscheiden (vgl. Helms/Kieninger/Rittner, Abstammungsrecht in der Praxis, Rn. 73; Grün, Vaterschaftsfeststellung und -anfechtung, 2. Aufl. Rn. 208, 250 ff.; Erman/Hammermann, BGB, 13. Aufl., § 1600a Rn. 11 f.; MünchKommBGB/Wellenhofer, 6. Aufl., § 1600a BGB Rn. 29; Staudinger/Rauscher, 2011, § 1600a Rn. 24). Die Entscheidung über das "ob" eines Vaterschaftsanfechtungsverfahrens ist Teil der elterlichen Sorge und steht vorliegend den Beteiligten zu 2 und 3 gemeinsam zu (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das verfahrensrechtliche Vertretungshindernis wirkt sich auf die sorgerechtliche Entscheidung nicht aus, weil insoweit weder ein Rechtsgeschäft i.S.v. § 181 BGB vorliegt noch diese Frage Bestandteil des Anfechtungsverfahrens ist (vgl. BGH FamRZ 2009, 861; OLG Brandenburg FamRZ 2010, 472; Helms/Kieninger/Rittner, aaO. Rn. 71).

14

Eine gemeinsame Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern hat der Beteiligte zu 3 im Schriftsatz vom 24. April 2012 bestritten. Diese liegt erkennbar nicht vor, weil sich der Beteiligte zu 3 gegen die Auflösung des Eltern-Kind-Verhältnisses wendet und weiterhin Umgang mit der Beteiligten zu 1 begehrt.

15

In der Niederschrift vom 7. November 2011 hat die Beteiligte zu 2 gegenüber dem Jugendamt ihren Wunsch erklärt, die rechtliche Vaterschaft des Beteiligten zu 3 anzufechten. In ihrem Schreiben vom gleichen Tag an das Amtsgericht N.. hat sie die Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Anfechtung der Vaterschaft beantragt. Selbst wenn man über diese verfahrensrechtliche Erklärung hinaus bei einer Gesamtbetrachtung davon ausgeht, die Beteiligte zu 2 habe auch das materiell-rechtliche Gestaltungsrecht ausüben wollen, führen die vorgenannten Erklärungen keine weitergehenden Folgen herbei, weil bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Entscheidung über die Anfechtung der Vaterschaft nicht von einem Elternteil allein getroffen werden kann (Grün, aaO., Rn. 251). Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2 in der Beschwerdeerwiderung sind weder ihre Erklärungen noch ihr Wunsch auf Durchführung eines Anfechtungsverfahrens ausreichend. Selbst wenn die - vom Beteiligten zu 3 bestrittenen - Angaben der Beteiligten zu 2 zu Misshandlungen und Gewalttätigkeiten in der früheren Beziehung einer gemeinsamen Entscheidung zur Ausübung des Gestaltungsrechts entgegen stehen, kann die Beteiligte zu 2 eine dahingehende Erklärung erst wirksam abgeben, wenn ihr insoweit die elterliche Sorge übertragen wurde. Hieran fehlt es bisher.

16

Eine gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 1628 BGB, wodurch der Beteiligten zu 2 die Entscheidung über die Ausübung des Gestaltungsrechts zur Vaterschaftsanfechtung nach§§ 1599 Abs. 1, 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB übertragen wurde (vgl. hierzu OLG Dresden FamRZ 2009, 1330, 1331), ist nicht ergangen. Schließlich sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Nienburg vom 11. November 2011 - ... - über die Bestellung des Ergänzungspflegers eine stillschweigende Entziehung des Sorgerechts für die Entscheidung über das "ob" einer Anfechtung enthält, zumal dies weder im Antrag noch in der Entscheidungsbegründung zum Ausdruck kommt und mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang steht.

17

Da es für den Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft an einer Sachurteilsvoraussetzung fehlt, ist der Antrag als unzulässig abzuweisen. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob die Anfechtung der Vaterschaft durch die Beteiligte zu 1 deren Wohl dient (§ 1600a Abs. 4 BGB).

18

3. Die Kosten sind der Beteiligten zu 2 gemäß § 81 Abs. 1 und 2 FamFG aufzuerlegen. Die Regelung des § 183 FamFG findet nur auf ein erfolgreiches Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft Anwendung (Schulte-Bunert/Weinreich/Keske, FamFG, 3. Aufl. § 183 FamFG Rn. 1). Die Antragstellerin kann als minderjähriges Kind gemäß § 81 Abs. 3 FamFG nicht mit Kosten belastet werden. Zwischen den Beteiligten zu 2 und 3 entspricht es nicht der Billigkeit, den Beteiligten zu 3 mit den Kosten des erfolglosen Vaterschaftsanfechtungsverfahrens zu belasten, sodass diese die Beteiligte zu 2 allein zu tragen hat.

19

Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 FamGKG.