Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.06.2012, Az.: 6 W 77/12

Notwendigkeit einer stufenweisen Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe bei einer Stufenklage

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.06.2012
Aktenzeichen
6 W 77/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 18147
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0614.6W77.12.0A

Fundstellen

  • FamRZ 2013, 391-392
  • JurBüro 2012, 535-536
  • NJW 2012, 8
  • NJW-RR 2012, 1290-1291
  • ZEV 2012, 8

Amtlicher Leitsatz

Über den Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine Stufenklage ist nicht sofort insgesamt, sondern stufenweise zu entscheiden. Die Folge davon, dass eine bedürftige Partei keine Stufenklage erheben kann, wenn die Ansprüche auf den einzelnen Stufen zur sachlichen Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören, ist hinzunehmen.

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit das Landgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe für die zweite und dritte Stufe der beabsichtigten Stufenklage abgelehnt hat. Die weiter gehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Das Rechtsmittel ist in dem aus der Formel des Beschlusses ersichtlichen Umfang begründet.

I.

2

Die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe insgesamt ist nicht gerechtfertigt. Aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes lässt sich nicht feststellen, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung in jeder Hinsicht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO). Die Annahme, die Antragsgegnerin sei aufgrund der von ihr erhobenen Einrede der Verjährung berechtigt, die Leistung auf den Pflichtteil der Antragstellerin nach deren am 24. Juli 2007 verstorbenen Vater K.-A. M. zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB), ist derzeit nicht möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass die Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags auf Prozesskostenhilfe an die Antragsgegnerin durch das Landgericht am 6. Januar 2012 (Bl. 3 d.A.) die dreijährige Verjährung (§ 2332 Abs. 1 Halbs. 1 BGB a.F.) gehemmt hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 Halbs. 1 BGB). Diese könnte erst am 1. September 2010 begonnen haben. Es wird durch Anhörung der Antragstellerin im Prozesskostenhilfeverfahren zu klären sein, welchen Brief sie am 1. September 2010 geöffnet hat.

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1. Sollte dieser das am 13. September 2007 herausgegangene Schreiben des Nachlassgerichts vom Vortage mit dem gemeinschaftlichen Testament des Erblassers und der Antragsgegnerin vom 20. November 1995 gewesen sein, ist der Antragstellerin womöglich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die fehlende Kenntnis von der sie beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung bis zum 1. September 2010 zu berufen, weil sie sich dieser Kenntnis bewusst verschlossen hat. Dafür kommt es darauf an, wann und unter welchen Umständen die Antragstellerin das Schreiben des Nachlassgerichts erhalten hat.

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2. Sollte es sich um ein anderes Schreiben gehandelt haben, mag die maßgebliche Kenntnis erst am 1. September 2010 eingetreten sein, wobei zu klären ist, wer Absender des Schreibens war und welchen Inhalt es hatte. Die Tatsache, dass die Geschwister der Antragstellerin die Benachrichtigung durch das Nachlassgericht bekommen haben, ist kein sicheres Anzeichen dafür, dass es bei der Antragstellerin genauso war. Es gibt keine tatsächliche Vermutung, dass Post, die der Absender aufgegeben hat, den Empfänger erreicht. Die Antragsgegnerin hat den Zugang der Mitteilung durch das Nachlassgericht bei der Antragstel-lerin zu beweisen, was ihr nicht gelingen wird.

II.

5

Auf der ersten Stufe ist die beabsichtigte Klage unzulässig, über den Antrag auf Prozesskostenhilfe für die zweite und dritte Stufe erst zu entscheiden, wenn die Antragstellerin zu diesen Stufen übergehen möchte.

6

1. Das Landgericht ist für die Klage auf der ersten Stufe sachlich nicht zuständig. Der Gegenstand der auf dieser Stufe verfolgten Ansprüche übersteigt an Geldeswert nicht 5.000 Euro (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG). Der Anspruch auf Auskunft und derjenige auf Wertermittlung, welcher neben diesem als auf dasselbe Ziel der Bezifferung des Pflichtteils gerichtet keinen eigenen Wert hat, sind mit zusammen 2.536,16 EUR zu bewerten. Dieser Betrag entspricht einem Viertel dessen, was die Antragstellerin an Zahlung zu erwarten hat, womit der Senat Auskunft und Wertermittlung regelmäßig veranschlagt. Die Antragsgegnerin hat dem Nachlassgericht den Wert des Nachlasses beim Erbfall mit 162.314,32 EUR mitgeteilt (Bl. 29 f. d.A. 56 IV 285/07 AG Hannover), wovon der Antragstellerin 1/16 (= 10.144,65 EUR) zustände.

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2. Über den Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Stufenklage ist stufenweise zu entscheiden (wie hier: OLG Naumburg Beschl. v. 31. Mrz. 1999, 3 WF 35/99, zit. nach [...]: Rn. 3). Erhielte die bedürftige Partei Prozesskostenhilfe sogleich für die gesamte Klage, könnte sie wegen ihrer Kosten zu.U.nrecht öffentliche Mittel nach dem Streitwert ihrer in der Klagschrift geäußerten Erwartung, die sie im Ergebnis in ihre Stufenklage setzt, in Anspruch nehmen, auch wenn diese Erwartung sich nach erteilter Auskunft als zu hoch erweist. Dieser Gefahr zu begegnen, indem die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Antrag beschränkt wird, der sich aus der zu erteilenden Auskunft ergibt, und nach Konkretisierung des unbestimmten Antrags auf der dritten Stufe angepasst wird (vgl. die Nachweise bei: Baumbach, ZPO, 70. Aufl., § 119 Rn. 43 Stichwort "Stufenklage"), überzeugt den Senat nicht. Zum einen ist auch auf diese Weise nicht über den gesamten Antrag auf Prozesskostenhilfe entschieden, wenn die in der Antragsschrift geäußerte Erwartung höher liegt, als was sich aus der Auskunft ergibt, zum anderen nicht auszuschließen, dass das bewilligende Gericht sachlich nicht zuständig ist, weil der sich aus der Auskunft ergebende Antrag im Wert zu hoch oder zu niedrig liegt, und schließlich der Umfang der Bewilligung unbestimmt. Er ergibt sich frühestens mit vollständiger Erteilung der Auskunft, deren Folgen zudem tatsächlich und rechtlich zwischen den Parteien streitig sein können.

8

3. Die Folge der hier vertretenen Sichtweise, dass die bedürftige Partei keine Stufenklage erheben kann, wenn die auf den verschiedenen Stufen verfolgten Ansprüche zur sachlichen Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören, ist hinzunehmen. Der bedürftigen Partei erwächst hieraus kein Nachteil. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, das bei dem zuerst angerufenen Gericht anhängig bleibt, wenn der Antragsteller auf einer vorausgehenden Stufe das Gericht wechseln muss, hemmt weiterhin die Verjährung wegen der später zu verfolgenden Ansprüche. Mehrkosten, die durch die Anrufung verschiedener Gerichte unter Umständen entstehen, sind von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gedeckt und schätzungsweise niedriger als diejenigen, die bei sofortiger Bewilligung insgesamt nach einer überzogenen Erwartung in der Klagschrift anfielen.

9

Trotz nur teilweiser Zurückweisung des Rechtsmittels war die Gebühr der Nr. 1812 in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nach billigem Ermessen nicht zu ermäßigen. Auch wenn aus prozessrechtlichen Gründen dem Vorbringen der Antragstellerin nachzugehen sein wird, ist es derart unerklärlich, dass nicht mit einem Erfolg der beabsichtigten Klage zu rechnen ist. Daher wird die Antragstellerin, wie ausgeführt, falls sie das Amtsgericht anruft, persönlich zu hören und erst danach zu entscheiden sein, ob die Rechtsverfolgung, welche sie beabsichtigt, auf der ersten Stufe hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.