Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 11.10.2006, Az.: 2 A 315/05

Abfall; Abwasser; Abwasseranlage; Abwasserbeseitigung; Andienungspflicht; Behandlungsanlage; Bereichsausnahme; Deponie; Deponiesickerwasser; Sickerwasser; Sonderabfall; Transport

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
11.10.2006
Aktenzeichen
2 A 315/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53398
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Transport von Deponiesickerwasser zu einer Behandlungsanlage unterliegt dem abfallrechtlichen Regime.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Andienungspflicht für Deponiesickerwasser durch die Beklagte.

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Das in Rede stehende Sickerwasser fällt auf der von der D. betriebenen Deponie „E.“ im F. an. Hier wird es durch ein Sickerwassersystem erfasst und über Rohrleitungen in ein Sammelbecken gepumpt. Von dort wird es in Tankwagen der Klägerin gefüllt und nach Goslar in eine Sickerwasserbehandlungsanlage der Klägerin transportiert. Hier wird das Sickerwasser chemisch-physikalisch so behandelt, dass es anschließend der kommunalen Kläranlage der Stadt Goslar zugeführt werden kann. Danach wird es in einen Vorfluter eingeleitet. Das in der Behandlungsanlage entstehende Konzentrat muss seinerseits als Sonderabfall entsorgt werden.

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Mit Bescheid vom 24.03.2005 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin als Abfallentsorger gem. § 16 Abs. 1 Satz 2 NAbfG die Andienungspflicht des Deponiesickerwassers als Sonderabfall fest. Das auf der Deponie am Turm entstehende Sickerwasser sei Abfall nach Anhang I zum KrW-/AbfG Gruppen Q 1, 5, 8 und 16. Es unterfalle der Abfallbezeichnung AVV 190702* (Deponiesickerwasser, das gefährliche Stoffe enthält). Eine Entsorgung sei ohne einen von ihr erteilten Zuweisungsbescheid nicht zulässig.

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Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2005 zurück.

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Zur Begründung ihrer fristgerecht am 18.11.2005 erhobenen Klage vertieft die Klägerin ihre im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassungen. Das Sickerwasser unterliege vollständig dem abwasserrechtlichen Regime. Bereits die Vorrichtungen zur Sammlung des Sickerwasser auf der Deponie „E.“ - das Auslaufbauwerk mit Rohrleitungen und Pumpen sowie das Sammelbecken - seien wasserrechtlich genehmigt und unterlägen in ihrer Nutzung dem Wasserrecht. Das Sammelbecken diene beispielsweise nicht nur der Zwischenspeicherung sondern auch der Kontrolle der Inhaltsstoffe des Wassers. § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG spreche von einer Abwasseranlage und nicht von einer Abwasserbehandlungsanlage. Bereits hier und nicht erst bei Einleitung in ihre Behandlungsanlage werde deshalb das abfallrechtliche Regime ausgeschlossen. Der anschließende Transport sei ein Teil des Gesamtvorgangs der Abwasserentsorgung und damit ebenfalls dem Wasserrecht zuzurechnen. Das Deponiesickerwasser solle hier nach dem Willen des Abwassererzeugers wasserrechtlich beseitigt werden, so dass das Abfallrecht nicht subsidiär eingreife. Die Gesetzesmaterialien zu § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG enthielten keinen Hinweis zu der These, der Gesetzgeber habe mit dem Begriff „sobald“ den Transport von Abwasser in Tankwagen zu einer Abwasseranlage dem KrW-/AbfG unterwerfen wollen. Im übrigen sei nicht festgestellt, dass das Sickerwasser tatsächlich gefährliche Stoffe enthalte.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 24.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG greife erst mit Einleiten des Sickerwassers in die Behandlungsanlage der Klägerin. Zuvor sei Abfallrecht anzuwenden. Die Einrichtung zur Entsorgung des Deponiesickerwassers auf der Deponie „E.“ sei keine Abwasseranlage im Sinne dieser Vorschrift. Sie sei vielmehr nach § 2 Nr. 13 DepV Voraussetzung für die Inbetriebnahme der Deponie. Die Deponie „E.“ sei im Wege einer abfallrechtlichen Planfeststellung genehmigt worden. Die Konzentrationswirkung der Planfeststellung schließe eine gesonderte wasserrechtliche Genehmigung aus. Selbst wenn es sich bei den Sickerwassereinrichtungen der Deponie um eine Abwasseranlage handelte, unterfalle jedenfalls der Transport dem abfallrechtlichen Regime. Nur das Abfallrecht enthalte sachgerechte Regelungen, um Gefahren bei dem gewerbsmäßigen Transport von Sickerwasser in Tankwagen zu begegnen, was § 49 KrW-/AbfG belege. Der Gesetzgeber habe mit der Aufnahme des Wortes „sobald“ Lücken in der Abgrenzung von Abfall- und Abwasserrecht schließen wollen. Anders sei es bei der Einleitung von Sickerwasser über eine öffentliche Kanalisation in eine von der Kommune betriebene Behandlungsanlage. Hier werde allein der wasserrechtliche Entsorgungspfad beschritten.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Die Beklagte hat die Andienungspflicht für das Sickerwasser der Deponie „E.“ (F.) zu Recht gem. § 16 Abs. 1 Satz 2 NAbfG gegenüber der Klägerin festgestellt. Der Bescheid der Beklagten vom 24.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 20.10.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 NAbfG sind Sonderabfälle zur Beseitigung, die in Niedersachsen anfallen, von ihren Besitzern der Zentralen Stelle für Sonderabfälle anzudienen. Dazu ist nach § 16 Abs. 1 Satz 2 NAbfG auch verpflichtet, wer außerhalb Niedersachsens angefallene Sonderabfälle zur Beseitigung in Niedersachsen entsorgen lassen will.

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Die Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 1 ZustVO-Abfall i.V.m. § 1 VO über die Andienung von Sonderabfällen.

16

Die Klägerin ist als Abfallbesitzerin die richtige Adressatin des feststellenden Verwaltungsaktes. Sie will das ihr auf der Deponie „E.“ in Wernigerode überlassene Sickerwasser in Niedersachsen entsorgen.

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Das auf der Deponie „E.“ gesammelte Sickerwasser ist Sonderabfall zur Beseitigung i.S.d. § 16 Abs. 1 NAbfG. Sonderabfälle i.S.d. NAbfG sind nach § 13 NAbfG besonders überwachungsbedürftige Abfälle i.S.d. § 3 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 41 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 KrW-/AbfG. Besonders überwachungsbedürftige Sonderabfälle sind danach die in der Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) als solche gekennzeichneten Abfälle (s. § 3 AVV). Das Deponiesickerwasser aus Wernigerode enthält gefährliche Stoffe i.S.d. Abfallbezeichnung AVV 190702* (s. Abfallverzeichnis der AVV). Diese Abfallart ist - da mit einem * versehen - besonders überwachungsbedürftig (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AVV). Die Klägerin behauptet ohne nähere Begründung, in dem Sickerwasser befänden sich keine gefährlichen Stoffe. Dafür gibt es indessen keine Anhaltspunkte.

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Das Deponiesickerwasser ist auch Abfall i.S. der Legaldefinition des § 3 KrW-/AbfG. Abfälle im Sinne des KrW-/AbfG sind danach alle beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muß (§ 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG). Das Sickerwasser ist in die Abfallgruppe Q 16 des Anhangs I zum KrW-/AbfG einzuordnen (Stoffe, die nicht einer der Gruppen Q 1 bis 15 angehören). Ob es auch den Gruppen Q 1, 5 und 8 unterfällt, ist zweifelhaft, aber nicht entscheidungserheblich.

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Die D. als ursprüngliche und die Klägerin als nachfolgende Abfallbesitzerin wollen sich des Sickerwassers gem. § 3 Abs. 2 KrW-/AbfG entledigen, da sie diesen Stoff einer Beseitigung i.S.d. Anhangs II A zum KrW-/AbfG zuführen wollen (Verfahren D 9 und D6).

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Das Merkmal der „beweglichen Sache“ steht einer Anwendung des KrW-/AbfG auf Deponiesickerwasser nicht entgegen. Bewegliche Sachen i.S.d. hier heranzuziehenden § 90 BGB sind körperliche, d.h. im Raum abgrenzbare Gegenstände, ohne dass es auf ihren Aggregatzustand (fest, flüssig, gasförmig) ankommt (Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, Komm., 2. Aufl., § 3 Rn. 12). Flüssige Stoffe müssen danach „gefasst“ sein, was bei gesammeltem Deponiesickerwasser der Fall ist. Diese Abfallart gehört folgerichtig - wie aufgezeigt - zu den nach §§ 3 Abs. 8 Satz 1, 41 Abs. 1 und 3 Nr. 1 KrW-/AbfG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 AVV und dem Abfallverzeichnis der AVV (besonders) überwachungsbedürftigen Abfällen (vgl. auch v. Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Stand: Aug. 2006, § 2 KrW-/AbfG, Rn.19 „flüssige Stoffe“ als Abfall). Deponiesickerwasser erfüllt im übrigen gleichzeitig den Abwasserbegriff, der dem Wasserrecht zugrunde liegt (VGH Ba-Wü, Beschl. v. 21.09.1989 - 5 S 1443/89 - juris, vgl. auch Czychowski/Reinhardt, WHG, Komm., 8. Aufl., § 7a, Rn. 2 - 6).

21

Die sog. Bereichsausnahme des § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG unterwirft das Sickerwasser auf der Deponie „E.“ nicht dem abwasserrechtlichen Regime. Die Vorschriften des KrW-/AbfG gelten nach dieser Bestimmung nicht für Stoffe, sobald diese in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet oder eingebracht werden.

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Ob das Sickerwasser auf der Deponie „E.“ in eine Abwasseranlage i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG eingeleitet wird, kann dahin stehen. Eine Abwasseranlage ist per definitionem zwar eine öffentliche oder private Anlage, die der Abwasserbeseitigung i.S.d. § 18 a Abs. 1 Satz 2 WHG dient, also dem Sammeln, Fortleiten, Behandeln, Versickern, Verregnen oder Verrieseln von Abwasser sowie dem Entwässern von Klärschlamm in Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung dient (Sieder/Zeitler/Dahme, WHG, AAG, Komm., Stand: 1.7.2005, § 18 b, Rn. 6; Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 18 b, Rn. 2). Dem Sammeln von Abwasser dienen auch die Bestandteile der Sickerwassererfassung, die für das Auffangen des Sickerwassers im Sammelbecken Sorge tragen (Rohre, Pumpen, Sammelbecken).

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Die Beklagte weist aber zutreffend darauf hin, dass die Deponie „E.“ Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts in einem abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren genehmigt worden ist. Zu einem ordnungsgemäßen Betrieb gehört die Erfüllung der Anforderungen des § 3 DepV für die Deponieerrichtung. Dazu gehören nach § 2 Nr. 13 DepV auch Deponieabdichtungssysteme und die Sickerwasserentsorgung. Die Sickerwassererfassung auf der Deponie „E.“ unterfällt damit ebenfalls der abfallrechtlichen Zulassung und Kontrolle. Eine eigenständige wasserrechtliche Genehmigung konnte schon wegen der Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht erteilt werden.

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Darauf kommt es letztlich nicht an, weil jedenfalls der Transport des Sickerwassers von Wernigerode nach Goslar der abfallrechtlichen Überwachung unterliegt. Das Verfüllen in Tankwagen stellt kein Einleiten oder Einbringen in eine Abwasseranlage i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG dar. Die Beförderung des Sickerwassers als überwachungsbedürftiger Sonderabfall bedarf einer Transportgenehmigung nach § 49 KrW-/AbfG. Das Abwasserrecht sieht hierfür keine geeigneten Kontrollmechanismen vor. Spätestens hier greift mithin das abfallrechtliche Regime. Abfallrechtlich muss gleichzeitig entschieden werden, wie und wo die Beseitigung zu erfolgen hat, weshalb der Sonderabfall der Beklagten nach § 16 Abs. 1 Satz 2 NAbfG anzudienen ist.

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Die Behandlungsanlage der Klägerin ist eine Abwasseranlage i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG. In einer Abwasseranlage können besonders überwachungsbedürftige Abfälle wie Deponiesickerwasser mitbeseitigt werden. § 43 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KrW-/AbfG legt dem Betreiber einer solchen Anlage Nachweispflichten auf. Die Beklagte kann das ihr anzudienende Sickerwasser einer Entsorgung in der Behandlungsanlage der Klägerin zuweisen (§ 16 a Abs. 1 NAbfG). Dabei hat sie die Vorschriften über die länderübergreifende Entsorgung in § 16 a Abs. 3 NAbfG zu beachten.

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Findet ein Regimewechsel zum Abwasserrecht damit erst nach dem Transport in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten statt, so entspricht dieses Ergebnis dem Sinn und Zweck der Bereichsausnahme des § 2 Abs. 2 Nr. 6 KrW-/AbfG. Mit dem gegenüber § 1 Abs. 3 Nr. 5 AbfG 1986 geänderten Wortlaut („sobald“ statt Relativsatz) wird eine zeitliche Abgrenzung der Geltungsbereiche von Abwasser- und Abfallrecht vorgenommen. Es ist klargestellt worden, dass eine Anwendung des Abwasserrechts vor Beginn der Einleitung in die Abwasseranlage ausgeschlossen ist. Das ergibt sich bereits aus dem Vergleich der Gesetzesfassungen, ohne dass die Vorstellungen des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich Niederschlag gefunden haben müssen. Im Schrifttum wird diese Abgrenzung überwiegend geteilt (Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, Komm., 2. Aufl., § 2 Rn. 43; v. Lersner/Wendenburg, a.a.O. § 2 KrW-/AbfG, Rn.19; Beckmann/Kersting, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 01.04.2006, § 2 KrW-/AbfG, Rn. 50; zweifelnd Breuer, in: Jarass/Ruchay/Weidemann, KrW-/AbfG, Komm., Stand: 01.05.2006; § 2 Rn. 55 - 79). Insofern wird betont, dass gerade der gewerbliche Transport von Abwasser in Tankwagen zu einer Kläranlage einer Genehmigung nach § 49 KrW-/AbfG bedürfe (v.Lersner/Wendenburg, a.a.O. § 2 KrW-/AbfG, Rn.19 m.w.N.). Entsprechend unterliegt hier das Verbringen des Deponiesickerwassers aus Sachsen-Anhalt nach Niedersachsen der abfallrechtlichen Überwachung und damit auch der Andienungspflicht für Sonderabfälle. Der ausschließlich wasserrechtliche Entsorgungspfad über einer Einleitungserlaubnis nach § 7a WHG wird mit dem Transport in die Behandlungsanlage der Klägerin nicht beschritten (vgl. Breuer, a.a.O. Rn. 79; Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 7 a, Rn. 6).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.