Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 19.10.2006, Az.: 5 B 284/06

Bargeld; Betrug; Betrugsdelikt; Betrüger; Beweismittel; deliktische Herkunft; Enkel-Trick; Enkeltrick-Betrug; Freigabe; Gefahr; Geld; Polizei; Polizeirecht; präventive Gewinnabschöpfung; Sicherstellung; Trick; Trickdiebstahl; Verfall

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
19.10.2006
Aktenzeichen
5 B 284/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 53348
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die präventativ-polizeiliche Sicherstellung eines Bargeldbetrages ist trotz Freigabe durch die Staatsanwaltschaft möglich. Voraussetzung ist, dass der Betrag das zum Lebensunterhalt Erforderliche übersteigt und ein Zusammenhang zwischen dem sicherzustellenden Geld und den dem Betroffenen vorgeworfenen und in Zukunft zu befürchtenden Delikten besteht; hier bejaht, da dringender Verdacht, dass aufgefundenes Bargeld von 10.850 EUR nicht legal erworben, bei nächster Gelegenheit weitere "Enkeltrick"- Betrugsstraftaten drohen und dazu das sichergestellte Geld eingesetzt wird, z.B. für die Bezahlung von Hotelunterkünften und Kraftstoff.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.700,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der am D. geborene Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine unter Sofortvollzug angeordnete Sicherstellung von Bargeld in Höhe von 10.850 EUR, das ihm anlässlich einer polizeilichen Kontrolle am 18.05.2006 abgenommen worden ist.

2

Am 17.05.2006 begingen mindestens zwei Personen gemeinschaftlich in E. einen sogenannten „Enkeltrick-Betrug“, bei dem sie von der 83-jährigen A. 6.000,- EUR erbeuteten. Die Geschädigte war laut ihrer späteren Aussage immer wieder von einer männlichen Person, die sich als ihr - erkälteter - Enkel ausgab, angerufen und aufgefordert worden, dringend Geld für ihn bei ihrer Bank abzuheben, was sie schließlich tat. Dieses Geld war von einer weiblichen Person - einer angeblich guten und vertrauenswürdigen Bekannten des „Enkels“ - bei ihr vor dem Haus abgeholt worden. Am 18.05.2006 erfolgten zahlreiche Anrufe dieser Art bei älteren Personen in Braunschweig durch angebliche Enkel oder Neffen. Insgesamt zeigten 15 Personen (Geburtsjahrgänge 1914 bis 1937) bei der Polizeiinspektion Braunschweig zwischen 12 und 15 Uhr Betrugsversuche nach dem vorgenannten Muster mit Forderungen von jeweils bis zu 25.000 EUR an.

3

Aufgrund bereits vorhandener Erkenntnisse über eine bundesweit bandenmäßig operierende Tätergruppe leitete die Polizeiinspektion Braunschweig sogleich Fahndungsmaßnahmen ein und überwachte im Bereich G.straße, F., zwei aus staatsanwaltlichen Ermittlungen bekannte Kraftfahrzeuge und eine dazugehörige Personengruppe, der neben dem Antragsteller noch fünf weitere Personen seiner Familie angehörten. Gegen 15 Uhr verließ die Gruppe mit ihren Fahrzeugen Braunschweig und fuhr über die Autobahn A 2 nach Hannover, wo vier Mitglieder der Gruppe versuchten, in „G.“, H., zwei Zimmer anzumieten. Zu einem Bezug der Zimmer kam es nicht mehr, weil zwischenzeitlich uniformierte Beamte der Polizei Hannover eintrafen und den Antragsteller, I. sowie J. zwecks Überprüfung ihrer Personalien zur Wache verbrachten. Beim Antragsteller wurden neben verschiedenen persönlichen Gegenständen ein Handy der Marke Nokia, eine separate SIM-Karte des Netzbetreibers E-Plus mit der Karten-Nummer … und Bargeld von insgesamt 10.850 EUR in Scheinen (9 x 500,-, 21 x 200,-, 11 x 100,-, 20 x 50,-, 2 x 20,-, 1 x 10,-) aufgefunden und beschlagnahmt. In seiner Vernehmung als Beschuldigter gab er an, an seinem Wohnort in K. lebe eine Lebensgefährtin und fünf Kinder im Alter von drei bis 11 Jahren. Sein gegenwärtiges Nettoeinkommen betrage 600,- EUR monatlich, von Beruf sei er Teppich- und Autohändler. Er wisse nicht, weshalb ihn die Polizei kontrolliert habe; mit einem angeblichen Trickdiebstahl in Braunschweig habe er nichts zu tun. Er habe am Bahnhof in Hannover ein Auto - einen Mercedes E-Klasse - kaufen wollen; er sei mit einer Person über „autoscout24“ im Internet verabredet gewesen. In der Nacht vom 17. auf den 18.05. habe er in seiner Wohnung in L. geschlafen. Gegen Mittag sei er mit dem Zug von L. nach Hannover gefahren, wo er sich mit seinem Onkel M. und zwei weiteren Familienangehörigen getroffen habe. Sie seien dann mit dem Auto seines Onkels direkt in das Hotel gefahren, in das dann die Polizei gekommen sei. In Braunschweig sei er zuvor 100-prozentig nicht gewesen. Sein letzter Aufenthalt in Braunschweig läge schon mehrere Jahre zurück. Auf die Frage, woher er so viel Bargeld habe, antwortete er:“ Das ist mein Geld. Das habe ich verdient. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich habe nichts gemacht.“

4

Mit Anwaltsschriftsatz vom 06.06.2006 an die Staatsanwaltschaft Braunschweig legte der Antragsteller gegen die Beschlagnahme des Geldes Widerspruch ein und beantragte dessen Freigabe. Nach seiner Erinnerung sei er am 17.05.2006 mit dem Zug von Essen nach Braunschweig gefahren, wo er einen Mercedes C-Klasse, der im Internet für 8.900,- EUR angeboten worden sei, habe kaufen wollen. Zu diesem Zweck habe er einen größeren Geldbetrag von etwa 11.000,- EUR mitgenommen; es habe sich um sein eigenes Geld gehandelt. Da das Fahrzeug in einem sehr schlechten Zustand gewesen sei, sei der Kauf nicht zustande gekommen. In Braunschweig habe er dann weitere „Zigeuner“ getroffen, die ihm aus Mannheim bekannt gewesen seien und mit ihnen in einem Hotel in der Stadtmitte übernachtet. Am nächsten Tag sei er mit seiner Schwester und deren Freund nach Hannover gefahren, wo er wiederum in einem Hotel habe übernachten wollen. Dort sei er festgenommen worden. Mit dem vollendeten „Enkel-Trick“ in Hannover habe er nichts zu tun. An einer strafbaren Handlung sei er auch in Braunschweig nicht beteiligt gewesen. Er sei durch das Landgericht Berlin wegen „Enkeltricks“ pp. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Die Bewährung wolle er nicht gefährden.

5

Mit Verfügung vom 14.06.2006 gab die Staatsanwaltschaft Braunschweig das sichergestellte Bargeld des Antragstellers frei, weil die Voraussetzungen einer Beschlagnahme nicht gegeben seien. Als Beweismittel i. S. v. § 94 StPO würden die Geldscheine nicht benötigt, und die Voraussetzungen des Verfalls nach §§ 111c, 111b StPO, 73 StGB lägen nicht vor, weil eine konkrete Tat, aus der der Antragsteller das sichergestellte Geld hätte erlangt haben können, zum jetzigen Stand der Ermittlungen nicht benannt werden könne. Die in Braunschweig angezeigten Taten seien nicht vollendet worden; ob der Antragsteller an der Tat in Hannover, bei der 6.000,- EUR erbeutet wurden, beteiligt sei, sei fraglich. Auch die Voraussetzungen des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB lägen nicht vor, denn die deliktische Herkunft des Bargelds könne nicht uneingeschränkt festgestellt werden, auch wenn ein rechtmäßiger Erwerb bei dem monatlichen Einkommen des Antragstellers von nur 600,- EUR fragwürdig erscheine.

6

Die Polizeiinspektion Braunschweig leitete daraufhin ein Verfahren zur „präventiven Gewinnabschöpfung“ ein und stellte das Bargeld nach § 26 Nds. SOG sicher. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers erhielt hierüber Nachricht mit Schreiben vom 16.06.2006. Mit Schriftsatz vom 20.06.2006 machte er geltend, dass es sich nicht um das Geld des Antragstellers gehandelt habe, sondern er durch einen N. beauftragt worden sei, ein Auto zu kaufen und dieser ihm hierfür 7.500,- EUR zur Verfügung gestellt habe. Einen weiteren Betrag von 2.600,- EUR habe ihm ein O. geliehen. Dies würde durch je ein Schreiben des N. vom 06.06.2006 und des O. vom 08.06.2006 bestätigt.

7

Die Polizeiinspektion Braunschweig, die das Verfahren am 01.08.2006 an die Antragsgegnerin - Fachbereich Öffentliche Sicherheit - abgab, verwies in einem Vermerk vom 05.07.2005 u. a. darauf, dass mit der SIM-Karte des Antragstellers, dem die Mobilfunkrufnummer 0163-… zugeordnet ist, u. a. der Anschluss des geschädigten P., der zu den Anzeigeerstattern vom 18.05.2006 gehört, angerufen wurde. Der Antragsteller sei außerdem durch die Zeugin Q. im Hotel „R.“ in Braunschweig, S. am 17./18.05.2006 gesehen worden; sie habe ihn anhand eines Lichtbildes identifiziert.

8

Mit Bescheid vom 08.08.2006 verfügte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, dass das von der Polizei beschlagnahmte Bargeld in Höhe von 10.850 EUR sichergestellt und in öffentliche Verwahrung genommen wird. Zur Begründung für das Vorliegen einer Gefahrenlage i. S. des § 26 Nr. 1 Nds. SOG führte sie aus, es müsse dringend befürchtet werden, dass das beim Antragsteller sichergestellte Bargeld u. a. zur Begehung weiterer Straftaten benutzt werden sollte, z. B. für Hotelunterkünfte in anderen Städten sowie Auto- und Benzinkosten, und es bestehe die gegenwärtige Gefahr, dass durch die Aushändigung des sichergestellten Bargeldes an den Antragsteller das Eigentums- und das Besitzrecht zu Lasten des rechtmäßigen Eigentümers widerrechtlich vom Antragsteller ausgeübt werde. Sie verwies hierzu auf die Widersprüche zwischen der ersten Einlassung des Antragstellers bei der Polizei, dass er alleiniger Eigentümer des Geldes sei und dem Anwaltsschreiben vom 20.06.2006, mit dem zwei Bescheinigungen vorgelegt worden seien, nach denen es sich um das Geld von zwei namentlich benannten Personen zum Kauf eines Autos handeln soll. Auch dass der Antragsteller, der zunächst bestritten hatte, am 18.05.2006 in Braunschweig gewesen zu sein, anhand von Fotos von einer Zeugin wieder erkannt worden sei und mit der bei ihm aufgefundenen SIM-Karte der Geschädigte T. angerufen worden sei, mache ihn unglaubwürdig und lasse vermuten, dass das sichergestellte Bargeld aus Straftaten herrühre. Im übrigen habe laut den Nachforschungen der Polizei auch die Angabe des Antragstellers, er sei Teppich- bzw. Autohändler nicht nachvollzogen werden können, denn beim Gewerbeamt Oberhausen sei er weder mit einem Reisegewerbe noch mit einem stehenden Gewerbe angemeldet. Bei der Agentur für Arbeit und dem Sozialamt Oberhausen sei er ebenfalls nicht gemeldet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Antragsgegnerin damit, dass die bei Klageerhebung regelmäßig eintretende aufschiebende Wirkung den Zweck der Sicherstellung vereiteln würde, und ein Zugriff auf das sichergestellte Bargeld nach einer Herausgabe an den Antragsteller nicht mehr gewährleistet sei.

9

Gegen den am 16.08.2006 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller am 15.09.2006 Klage (5 A 283/06) erhoben und zugleich um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Er ist der Ansicht, der Bescheid werde auf einen unzutreffenden Sachverhalt gestützt und bestreitet jegliche Teilnahme an einem „Enkel-Trick“. Mit den Bestätigungsschreiben von N. und O. habe er nachgewiesen, dass das Geld nicht aus einer strafbaren Handlung stamme und nicht zur Durchführung von Straftaten habe benutzt werden sollen, sondern für den Ankauf eines Pkw.

10

Der Antragsteller beantragt,

11

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.08.2006 wieder herzustellen.

12

Die Antragsgegnerin beantragt,

13

den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.

14

Sie bezieht sich auf die angegriffene Sicherstellungsverfügung und verweist ergänzend darauf, dass dem Antragsteller der Nachweis der rechtmäßigen Erlangung des Geldes nicht gelungen sei. Die vorgelegten Bescheinigungen seien in ihrem Beweiswert erheblich eingeschränkt und auch erst nach der Sicherstellungsverfügung ausgestellt worden. Soweit der Antragsteller jegliche Teilnahme an einem „Enkel-Trick“ bestreite, sei auf seine Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Betruges in drei Fällen aus dem Jahr 2005 hinzuweisen.

15

Nach einer Auskunft der Polizeiinspektion Braunschweig (FK 2) vom 12.10.2006 befindet sich der Antragsteller derzeit wegen fortgesetzten „Enkelbetruges“ in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Köln führe die Ermittlungen (107 Js 141/06).

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin.

II.

17

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, aber unbegründet.

18

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Sicherstellungsverfügung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesses an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Der Hinweis darauf, dass die mit der Klageerhebung verbundene aufschiebende Wirkung den Zweck der Sicherstellung vereiteln und eine Herausgabe des Geldes an den Antragsteller bis zum Eintritt der Bestandskraft einen behördlichen Zugriff auf das sichergestellte Geld nicht gewährleisten würde, genügt dem gesetzlich vorgeschriebenen Begründungserfordernis.

19

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid vom 08.08.2006 erhobenen Klage wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebenden Wirkung einer Klage, der - wie hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO - keine aufschiebende Wirkung zukommt, anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers, von der belastenden Maßnahme zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt somit nicht in Betracht, wenn dem öffentlichen Interesse der Vorrang einzuräumen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Klage, mit der die vollziehbare Entscheidung angefochten wird, voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. So liegt es hier. Die Klage wird nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand in der Sache keinen Erfolg haben, weil der angegriffene Bescheid vom 08.08.2006 nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durchzuführenden summarischen Überprüfung voraussichtlich rechtmäßig ist. Daneben fällt auch eine unabhängig von den Erfolgsaussichten der Hauptsache vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.

20

Rechtsgrundlage für eine Sicherstellungsverfügung ist § 26 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG -. Danach kann die zuständige Verwaltungsbehörde sowie auch die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren (Nr. 1) oder um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen (Nr. 2).

21

Der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsverfügung steht nicht von vornherein entgegen, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig in dem aktuellen u. a. gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahren wegen versuchtem gewerbsmäßigen Bandenbetruges - 552 Js 24121/06 - die Freigabe der zunächst für die Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens nach §§ 94 ff., 111b StPO beschlagnahmten Geldscheine verfügt hat. Die Erkenntnis, dass das beschlagnahmte Geld für die Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, erstreckt sich nicht auf außerhalb eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens erfolgende Präventivmaßnahmen der Polizei aus Gründen der Gefahrenabwehr. Bei präventiv-polizeilicher Betrachtung kann sogar trotz Einstellung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens allein aufgrund verbliebener Verdachtsmomente ein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung von polizeilichem Gewahrsam an beschlagnahmtem Geld bestehen (vgl. dazu: VG Aachen, Beschluss vom 10.02.2005 - 6 L 825/04 - m. w. N., zitiert nach Juris). Ein solches Bedürfnis nach präventiven Maßnahmen besteht hier erst recht, weil sowohl die Staatsanwaltschaft Braunschweig als auch die Staatsanwaltschaft Köln (dort. Az.: 107 Js 141/06) weiterhin wegen „Enkelbetrugsverfahren“ gegen den Antragsteller ermitteln, der sich nach Auskunft der Polizeiinspektion Braunschweig vom 12.10.2006 mittlerweile sogar wegen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Köln in Untersuchungshaft befindet. Die Freigabe des Geldes durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig erfolgte hier keinesfalls mangels hinreichenden Tatverdachts gegen den Antragsteller, sondern nur deshalb, weil die Geldscheine als Beweismittel im Strafverfahren nicht mehr benötigt wurden, nachdem der Bargeldbetrag aktenkundig vermerkt worden war und eine konkrete, vollendete Tat, aus der der Antragsteller das sichergestellte Geld hätte erlangt haben können, zum damaligen Stand der Ermittlungen nicht benannt werden konnte (vgl. Vfg. der Staatsanwaltschaft vom 14.06.2006, Bl. 68 BA). Dies spricht nicht gegen einen weiterhin bestehenden Verdacht, dass das Geld deliktischer Herkunft sei, der sich im weiteren Verlauf des Verfahrens auch wieder verdichten kann.

22

Die Antragsgegnerin hat die Sicherstellung des beim Antragsteller aufgefundenen Bargelds allein auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG gestützt. Die Annahme der Antragsgegnerin, dass im Zeitpunkt der Anordnung der Sicherstellung die Herausgabe des in amtlicher Verwahrung befindlichen Geldes eine gegenwärtige Gefahr begründet hätte, ist bei summarischer Betrachtung nicht zu beanstanden. Ihr steht nicht entgegen, dass der Antragsteller behauptet, das Geld, mit dem er ein Auto habe kaufen wollen, auf legalem Wege erworben zu haben und ihm dies durch Nennung des rechtmäßigen Eigentümers des Geldes nicht konkret widerlegt werden kann.

23

Unter Gefahr ist nach der Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 1 a Nds. SOG eine Sachlage zu verstehen, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Die Gefahr ist nach § 2 Nr. 1b Nds. SOG gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Auch bei Anwendung des qualifizierten Gefahrbegriffs (Merkmal der Gegenwärtigkeit als zusätzliche Eingriffsvoraussetzung) ist hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Gefahrenverwirklichung eine differenzierte Betrachtung geboten. Je schwerer der Schaden ist, der einzutreten droht, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 10.02.2005 a. a. O, Rn. 19; Böhrenz/ Unger/ Siefkens, Nds. SOG, 8. Aufl. § 2 Anm. 2.). Danach bestehen hier hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

24

Nach Aktenlage besteht der dringende Verdacht, dass der Antragsteller das bei ihm aufgefundene Bargeld nicht legal erworben hat, er bei nächster Gelegenheit weitere Betrugsstraftaten begehen und dazu das sichergestellte Geld einsetzen wird, z. B. für die Bezahlung von Hotelunterkünften in anderen Städten sowie für Auto- und Kraftstoffkosten.

25

Die Annahme des dringenden Verdachts stützt sich auf die Widersprüche des Antragstellers hinsichtlich der Herkunft des Geldes und seines Aufenthaltsorts am 17. und 18.05.2006, auf die Erkenntnisse, die sich aus der Liste der mit seiner SIM-Karte am 18.05.2006 zwischen 12 und 15 Uhr in Braunschweig geführten Telefongespräche ergeben und auf seine Identifizierung durch die Angestellte eines Braunschweiger Hotels.

26

Soweit der Antragsteller erstmals durch seinen Anwalt mit Schriftsatz vom 20.06.2006 vortragen lässt, das sichergestellte Geld gehöre nicht ihm, sondern sei ihm von zwei Bekannten für einen Autokauf zur Verfügung gestellt worden, ist dies schon deshalb unglaubhaft, weil der Antragsteller sich bei seiner Vernehmung als Beschuldigter am 18.05.2006 und im Anwaltsschriftsatz vom 06.06.2006 ausdrücklich dahin geäußert hat, dass es sich um sein eigenes Geld gehandelt habe. Die im Rahmen seines geänderten Vortrags nunmehr vorgelegten Bestätigungen des N. vom 06.06.2006 und des O. vom 08.08.2006, deren Identität bereits nicht durch eidesstattliche Versicherungen nachgewiesen ist, überzeugen inhaltlich nicht und sind als Gefälligkeitsbescheinigungen einzustufen. Als Nachweis für einen rechtmäßigen Besitzerwerb, den der Antragsteller aus den von der Antragsgegnerin genannten Gründen wegen der Umkehr der grundsätzlich nach § 1006 BGB dem Eigentümer einer beweglichen Sache zukommenden Eigentumsvermutung erbringen muss, sind die Bestätigungen nicht ansatzweise geeignet.

27

Auch der Umstand, dass der Antragstellers zunächst wahrheitswidrig bestritten hat, sich am 18.05.2006 in Braunschweig aufgehalten zu haben, macht ihn unglaubwürdig und drängt den Verdacht auf, er wolle ein strafbares Verhalten verdecken. Insbesondere die Auswertung seiner SIM-Karte, zu der nach Auskunft der Polizeiinspektion Braunschweig vom 12.10.2006 und nochmaliger ausdrücklicher Bestätigung vom 18.06.2006 die Rufnummer 0163-… gehört, dokumentiert, dass er fortgesetzt versucht hat, in Braunschweig Betrugsstraftaten zu begehen. Die Übersicht aus der „Funkzelle“, die für den Bereich des Hotels „R.“, S. in Braunschweig funktechnisch zuständig ist, enthält für den Zeitraum 11.33 Uhr bis 15.01 Uhr am 18.05.2006 insgesamt 44 verschiedene Braunschweiger Rufnummern, die mit der vorgenannten Rufnummer des Antragstellers angewählt wurden. Hierunter befinden sich die Rufnummern der Anzeigeerstatter P., von dem gegen 12 Uhr 22.000,- EUR verlangt wurden, U., V., W., von der um 14 Uhr laut ihrer Angabe gegenüber der Polizei ein Betrag von 14.000,- EUR gefordert wurde, X., von der 15.000,- EUR gefordert wurden und Y., bei dem es zu einer Forderung nicht kam.

28

Dass er sich entgegen seiner ursprünglichen Einlassung in am 17./18.05.2006 in Braunschweig aufgehalten hat, wird zusätzlich bestätigt durch die Aussage der Zeugin Frau Q., die ihn anhand einer sequentiellen Wahllichtbildvorlage sogar als Wortführer der Gruppe im Hotel „R.“ in der S. wieder erkannt hat.

29

Angesichts dieser im späteren Verlauf des Verfahrens durch die Antragsgegnerin gewonnenen neuen Erkenntnisse und der zunehmenden Widersprüche, in die sich der Antragsteller verstrickt hat, bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller, der bereits wegen gemeinschaftliches Betruges in drei Fällen durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 31.10.2005 rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, fortlaufend bandenmäßig Betrugsstraftaten betreibt. Dies erlaubt die Annahme, dass er das sichergestellte Geld im Falle einer Herausgabe umgehend wieder in die Begehung strafbarer Handlungen investieren würde (zumindest durch Weitergabe an seine Familienmitglieder, die nach Aktenlage insoweit umfangreich zusammenwirken). Angesichts des hohen Wertes der durch diese Straftaten gefährdeten Rechtsgüter ist hier bereits von einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit in der Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung auszugehen (so auch in einem vergleichbaren Fall: VG Aachen, Beschluss vom 10.02.2005, a. a. O.).

30

Eine gegenwärtige Gefahr i. S. des § 26 Nr. 1 Nds. SOG besteht auch deshalb, weil bei einer Herausgabe des Geldes an den Antragsteller die Verwirklichung von potentiellen Rückforderungsansprüchen der Geschädigten vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (vgl. zum Ausnahmefall des Schutzes privater Rechte, § 1 Abs. 3 Nds. SOG).

31

Die Sicherstellung ist das geeignete Mittel zur Vermeidung der genannten Gefahren; Ermessensfehler der Antragsgegnerin sind nicht zu erkennen.

32

Selbst wenn hinsichtlich des Vorliegens einer gegenwärtigen Gefahr und damit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsverfügung derzeit von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens auszugehen wäre, würde auch eine davon unabhängige Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfallen. Zwar ist er vorübergehend daran gehindert über das Bargeld zu verfügen, was schon infolge des hohen Betrages von über 10.000 EUR eine nicht nur geringfügige Beeinträchtigung ist. Er hat jedoch nicht vorgetragen, auf dieses Geld zur Sicherung seiner Existenz dringend angewiesen zu sein, so dass davon auszugehen ist, dass ihm lediglich Zinsverluste drohen. Demgegenüber ergäben sich im Falle der Stattgabe des Antrags und einer Finanzierung strafbarer Handlungen durch das herausgegebene Geld sowie der Vereitelung von berechtigten Zahlungsansprüchen der durch den Antragsteller Geschädigten erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit. Diese Folgen wiegen gegenüber den sich für den Antragsteller aus einer Ablehnung seines Antrags ergebenden Konsequenzen weitaus schwerer. Das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage muss daher gegenüber dem höher zu bewertenden öffentlichem Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Sicherstellungsverfügung zurücktreten.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

34

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG, wobei wegen der Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes hier nur der Zinsvorteil berücksichtigt wird, den der Antragsteller bei einer stattgebenden Entscheidung bereits im Eilverfahren erlangen können. Da Zinshöhe und Laufzeit sich hier schwer exakt bemessen lassen, ist in Anlehnung an Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2004, 1327) pauschal ein Viertel des maßgeblichen Betrages (10.850 EUR : 4 = rund 2.700,- EUR) in Ansatz gebracht worden (anders VG Aachen, Beschluss vom 10.02.2005 a. a.O.: Zinsvorteil von 10%).