Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.09.2006, Az.: 5 A 53/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 27.09.2006
- Aktenzeichen
- 5 A 53/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44240
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2006:0927.5A53.06.0A
Verfahrensgang
Fundstelle
- StV 2008, 631-633 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die für die Notwendigkeit i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO zu fordernde Wiederholungsgefahr ist nicht bereits bei der allgemeinen Gefahr der Begehung künftiger Straftaten anzunehmen, sondern ist auf die Verfolgung/Verhütung "vergleichbarer" künftiger Straftaten der tatverdächtigen Person einzuschränken.
Tenor:
Der Bescheid der Polizeiinspektion Braunschweig vom 16.01.2006 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die am G. geborene Klägerin wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
Am 29.09.2005 ging bei der Polizeistation Baddeckenstedt eine Strafanzeige gegen die Klägerin wegen eines Einmietbetruges ein. Der Anzeigeerstatter gab an, mit der Klägerin am 16.02.2005 einen Mietvertrag für sein Haus in H., I., zum 01.05.2005 geschlossen zu haben. Die Monatsmiete von 350 EUR sei stets unregelmäßig gekommen; von der in Höhe von 1.050 EUR vereinbarten Mietkaution seien nur 550 EUR eingegangen und Nebenkosten (Strom, Gas, Wasser, Grundsteuer, Abfallgebühren) habe sie - bis auf 1 x 58 EUR an den Wasserverband - überhaupt nicht geleistet. Nach einem halben Jahr sei sie ausgezogen; ihre Restschuld für Nebenkosten und nicht gezahlte Miete im September und Oktober 2005 belaufe sich abzüglich der einbehaltenen Kaution von 550 EUR noch auf 706 EUR. Er habe den Verdacht, dass die Klägerin von Anfang an gewusst habe, dass sie die Miete nicht würde zahlen können. Dafür spreche auch, dass sie bei Vertragsschluss angegeben habe, bei der Firma J. in K. beschäftigt zu sein. Nachdem er ihr gekündigt habe, habe eine telefonische Nachfrage bei der Firma ergeben, dass sie dort nicht bekannt sei. Auch habe sich die Klägerin bei der Samtgemeinde Baddeckenstedt nicht angemeldet. Außerdem habe er in Erfahrung gebracht, dass sie für ihre frühere Wohnung in K. noch Mietrückstände von über 2.000,- EUR zu begleichen habe.
Der Vermieter der, von der Klägerin vorher vom 01.11.2003 bis zum 01.06.2005 gemieteten Wohnung in K., L., 2. OG links, erstattete am 29.11.2005 ebenfalls beim Polizeikommissariat Braunschweig-Mitte Strafanzeige. Er gab an, die Klägerin habe ab Oktober 2004 die Mietzahlungen nur noch schleppend geleistet und ab dem Monat März 2005 ihre Zahlungen ganz eingestellt. Obwohl sie die Wohnung selber zum 01.06.2005 gekündigt habe, habe sie sie trotz Aufforderung nicht geräumt. Die Gesamtforderung für Miete, Renovierung und Herstellung von Ersatzschlüsseln belaufe sich auf 2.822,55 EUR.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig nahm wegen beider Betrugsvorwürfe Ermittlungen auf und hat zwischenzeitlich vor dem Amtsgericht Salzgitter Anklage erhoben; Hauptverhandlungstermin dort ist am 04.12.2006 (Az.: NZS 10 Ds 126 Js 49748/05).
Bereits zuvor, mit Bescheid vom 16.01.2006 - der Klägerin laut Postzustellungsurkunde am 19.01.2006 zugestellt (Bl. 94 GA) - verfügte die Polizeiinspektion Braunschweig unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die hier streitgegenständliche Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b 2. Alt. StPO bestehend aus der Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, der Aufnahme von Lichtbildern, der Feststellung von äußeren körperlichen Merkmalen und Messungen. Als Begründung wurde angeführt, dass gegen die Klägerin in der Vergangenheit des Öfteren polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Strafgesetzbuch sowie strafrechtlicher Nebengesetze anhängig gewesen seien und die Gefahr bestehe, dass sie auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorsorge für die Verfolgung oder Verhütung von Straftaten erforderlich.
Am 20.02.2006 - einem Montag - hat die Klägerin Klage erhoben und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht (Az.: 5 B 54/06).
Sie trägt vor: Sie habe bislang lediglich eine Eintragung im Bundeszentralregister wegen einer im Juni 2004 begangenen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung. Diese Tat stelle eine einmalige Tat ohne Wiederholungsgefahr dar und sei auf die Abhängigkeit zu ihrem damaligen Lebensgefährten zurückzuführen. Der von der Beklagten vorgelegte Registerauszug vom 07.08.2006 zeige, dass sie lediglich zu einer Strafe von 80 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt worden sei und damit nicht einmal als vorbestraft gelte. Auch das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren wegen Betruges sei nicht gravierend. Ihr werde unzutreffenderweise ein Mieteingehungsbetrug vorgeworfen. Sie habe aber im Großen und Ganzen die Miete gezahlt und nach ihrem Auszug die Wohnung ordnungsgemäß übergeben. Gestritten werde vorrangig um Nebenkosten, die sie nur anteilig beglichen habe. Sie rechne damit, dass das Ermittlungsverfahren gegen sie eingestellt werde.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Polizeiinspektion Braunschweig vom 16.01.2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Sie bezweifle die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung. In der Sache sei die Klage unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 81b 2. Alt. StPO gegeben seien. Neben den beiden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen Betruges als "Mietnomadin" gebe es das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 20.02.2006 (Az.: 6 Cs 126 Js 41542/04) wegen der Falschaussage aus dem Jahr 2004. Ein weiteres Verfahren wegen Zuhälterei sei im Jahr 2003 gegen die Klägerin, die dem Prostituiertenmilieu angehöre, geführt worden. Bei Täterinnen, die wie die Klägerin aktiv geworden seien, sei eine Wiederholungsgefahr zu befürchten. Die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht unverhältnismäßig, denn Maßnahmen nach § 81b 2. Alt. StPO seien nicht auf Schwerkriminalität beschränkt. Auch komme es nicht darauf an, wie oft und ob die Klägerin bislang rechtskräftig verurteilt worden sei und ob Ermittlungsverfahren eingestellt würden, denn für § 81b 2. Alt. StPO sei lediglich erforderlich, dass die Klägerin derzeit Beschuldigte nach der StPO sei.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 14.03.2006 (5 B 54/06) dem Eilantrag der Klägerin stattgegeben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den angegriffenen Bescheid wiederhergestellt.
Die Beklagte hält diese Entscheidung für unrichtig und meint, die Kammer verkenne, dass der Begriff "vergleichbare" künftige Straftaten in § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG nicht das gleiche wie "einschlägige" Straftaten sei. Es komme nicht darauf an, dass der gleiche Straftatbestand im StGB mehrfach verwirklicht worden sei. Entscheidend sei die Gesamtbetrachtung, und hier falle auf, dass die Klägerin bei finanziellen Engpässen zu Straftaten neige. Nach der Entscheidung der Kammer dürfe eine erkennungsdienstliche Maßnahme immer erst dann angeordnet werden, wenn einem Straftäter nachgewiesen werden könne, unter falschem Namen gehandelt zu haben. Dann sei es aber schon zu spät, weil die aktuellen Lichtbilder und Fingerabdrücke gerade benötigt würden, um den Straftäter identifizieren zu können. In diesem Zusammenhang hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich unter ihrer Anschrift Z 9 in Braunschweig zwar ordnungsgemäß gemeldet habe, gegenüber der Telekom aber einen falschen Namen angegeben habe, weil sie nicht mit ihrem richtigen Namen, sondern nur unter dem Namen "M., N." im örtlichen Telefonbuch Braunschweig 2006/2007 eingetragen sei. Dies widerspreche der Auffassung des Gerichts im Eilbeschluss, wonach die Klägerin Aliasnamen bislang nicht verwandt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die übersandten Verwaltungsvorgänge der Beklagten (3 Bände: BA "A" zu beiden Eingehungsbetrugsvorwürfen, BA "C" bzgl. des Vorwurfs der Zuhälterei und BA "E" als "K-Akte" über die Klägerin ) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid der Polizeiinspektion Braunschweig ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für eine erkennungsdienstliche Behandlung zu präventiv-polizeilichen Zwecken ist § 81b 2. Alternative StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin ist nicht notwendig für erkennungsdienstliche Zwecke.
Zwar hat die Polizeiinspektion Braunschweig die Klägerin zu Recht als Beschuldigte i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO angesehen, denn gegen sie wurde wegen zweifachen Betruges ermittelt. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt allerdings auch nur, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Ermittlungs- oder Strafverfahren hervorgehen muss (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 -, S. 10 Rn. 22 des Entscheidungsabdrucks a. a. O.). Dies ist hier der Fall; Zweifel an der Beschuldigteneigenschaft bestehen nicht. Soweit die Beklagte meint, die Kammer habe im Eilbeschluss unzutreffenderweise überprüft, ob der Beschuldigtenstatus bei der Klägerin zu Recht oder zu Unrecht angenommen worden sei, trifft dies nicht zu. Diese Würdigung wurde erst im Rahmen der Prüfung einer Wiederholungsgefahr vorgenommen und ist auch in der vorliegenden Entscheidung über das Hauptsacheverfahren dort zu finden.
Die gegen die Klägerin angeordneten Maßnahmen halten sich ihrem Inhalt nach grundsätzlich im Rahmen des § 81b 2. Alt. StPO, weil diese Vorschrift ausdrücklich zur Anfertigung von Lichtbildern, zur Abnahme von Fingerabdrücken sowie zur Vornahme von Messungen und ähnlichen Maßnahmen ermächtigt.
Die Maßnahme nach § 81b 2. Alt. StPO ist jedoch nur zulässig , soweit sie für Zwecke des Erkennungsdienstes "notwendig" ist. Da es sich um Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m Art. 1 Abs. 1 GG) handelt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser verlangt, dass die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des Tatverdachts steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.12.2004 - 11 ME 264/04 - veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG - m. w. N.). Die Notwendigkeit bemisst sich deshalb danach, "ob der anlässlich eines gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit unter Berücksichtigung des Zeitraumes, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten" (BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 a. a. O.; Urt. v. 19.10.1982 - 1 C 114.79 -, BVerwGE, 66, 202, 205;).
Nach diesen Grundsätzen kann der Einschätzung der Beklagten, bei der Klägerin bestehe aufgrund der Vielzahl der polizeilichen Auffälligkeiten seit dem Jahre 2003 eine hinreichende Wiederholungsgefahr, nicht gefolgt werden. Dabei lässt die Kammer die auf dem Personendatenblatt aus POLAS aufgezählten in den Jahren 1996 bis 1998 geführten Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen des Verdachts auf verschiedene Straftaten (z. B. gefährliche Körperverletzung, Unterschlagung, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Beihilfe zum schweren Menschenhandel), die dazu führten, dass sie bereits am 28.07.1998 erkennungsdienstlich behandelt wurde, außer Betracht. Zum Einen liegen diese Verfahren 8 bis 10 Jahre zurück; zum Anderen hat die Polizeiinspektion diese Verfahren im Bescheid nicht ausdrücklich genannt. Auch die Beklagte hat erst in ihrer ergänzenden Klageerwiderung vom 09.05.2006 erwähnt, diese alten Verfahren würden die Wiederholungsgefahr belegen, weil die Klägerin nach Phasen zwischenzeitlicher Unauffälligkeit "periodisch verstärkt kriminell aktiv zu werden scheine". Allerdings kann hier nicht von verschiedenen "Phasen" die Rede sein. Nach den Verfahren, die zur erkennungsdienstlichen Behandlung geführt hatten, lag ein Zeitraum von etwa 5 Jahren, in dem sich die Klägerin unauffällig verhalten hat. Zwischen den Auffälligkeiten liegt damit nur eine Phase, die noch keine allgemeinen Schlüsse zulässt.
Danach sind hier vier gegen die Klägerin durchgeführte Ermittlungsverfahren zu berücksichtigen, die in einem Fall zu einer Verurteilung der Klägerin wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung, in einem weiteren Fall zu vagen Ermittlungen im Jahr 2003 wegen des Verdachts der Zuhälterei und in den beiden letzten Fällen zu den Ermittlungen wegen zweier Eingehungsbetrügereien mit anschließender Anklageerhebung beim Amtsgericht Salzgitter geführt haben. Allein die dichte Aufeinanderfolge der beiden laufenden (durch Anzeigeerstattungen ehemaliger Vermieter ausgelöste) Verfahren lässt auch im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage pp. und den Ermittlungen wegen Zuhälterei noch nicht ohne weiteres die Prognose der Wiederholungsgefahr zu.
Dabei versteht die Kammer unter der für die "Notwendigkeit" i. S. v. § 81b 2. Alt StPO zu fordernden "Wiederholungsgefahr" nicht die allgemeine Gefahr, dass die Klägerin in der Zukunft Straftaten - welcher Art auch immer - begehen wird, sondern die Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte in Form von Betrugsstraftaten. Die Einschränkung der Wiederholungsgefahr auf (das) bestimmte, die erkennungsdienstliche Behandlung veranlassende(n) Delikt(e) ergibt sich aus dem Gedanken des § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG. Nach dieser Norm kann die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen der Strafverfolgung rechtmäßig erhoben oder rechtmäßig erlangt hat, speichern, verändern und nutzen, wenn dies wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person erforderlich ist, um für die Verfolgung von "vergleichbaren künftigen" Straftaten dieser Person vorzusorgen oder "solche" Straftaten zu verhüten. Hauptanwendungsfall des § 39 Abs. 3 Nds. SOG ist das Anlegen und Führen von Kriminalakten und das Einstellen von Daten in die polizeiliche Verbunddatei POLAS. § 39 Abs. 3 Nds. SOG stellt somit eine spezielle polizeirechtliche Regelung i. S. v. §§ 481, 484 Abs. 4 StPO dar für die Verwendung der nach § 81b StPO erhobenen Daten (vgl. Böhrenz/ Unger/ Siefken, Nds. SOG, 8. Aufl., § 39 Rn. 11; im Einzelnen zu den Voraussetzungen der Speicherung von Daten seit der Einführung der §§ 474 ff. StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 02.08.2000 (BGBl I. S. 1253): Hess. VGH, Urt. v. 16.12.2004 - 12 UE 2982/02 -, NJW 2005, 523 ff.). Da § 81b 2. Alt. i. V. m. §§ 481, 484 Abs. 4 StPO die grundsätzliche Befugnis der Polizei eröffnet, das erhobene erkennungsdienstliche Material zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks des Erkennungsdienstes auch aufzubewahren und zu nutzen, muss schon wegen der ausdrücklichen Verweisung auf die Polizeigesetze der Länder die Einschränkung in § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG auf "vergleichbare" Straftaten auch für die Beurteilung gelten, ob eine Erhebung von personenbezogenen Daten notwendig i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO ist. Dies schließt eine stets anzustellende Gesamtbetrachtung - wie von der Beklagten gefordert - nicht aus.
Bei der Klägerin kann nach Auffassung der Kammer trotz zweier Ermittlungsverfahren wegen Betruges derzeit noch nicht von der Gefahr der Begehung vergleichbarer Straftaten ausgegangen werden. Hinsichtlich des ersten angezeigten Mieteingehungsbetruges ist fraglich, ob die Klägerin die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für dieses Delikt überhaupt erfüllt. Denn es ist nicht offenkundig, dass sie schon im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages über ihre Vermögensverhältnisse getäuscht und mit Betrugsabsicht gehandelt hatte. Dies bestätigt die Zeugenaussage des damaligen Vermieters vom 04.01.2005 (Bl. 41 der Akte der Staatsanwaltschaft, Beiakte "B"), nach der es erst nach dem Auszug des Freundes der Klägerin ab Oktober 2004 zu Mietrückständen gekommen sei. Auch die ermittelnde Staatsanwältin hat daher die Sach- und Beweislage zusammenfassend dahin eingeschätzt, es lasse sich nicht sicher nachweisen, dass die Klägerin bei Abschluss des Mietvertrages im Oktober 2003 bereits gewusst habe, dass sie den Mietzins nicht würde zahlen können (Vermerk vom 20.02.2006, Bl. 110, Beiakte "B"). Damit verbleibt der weitere angezeigte Einmietbetrug (Haus in Baddeckenstedt). Insoweit steht auch nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft fest, dass die Klägerin bei Vertragsabschluss am 16.02.2005 wusste, den Mietzins nicht zahlen zu können, weil sie noch Schulden aus ihrem bisherigen Mietverhältnis hatte und bewusst falsche Angaben über ihre Vermögensverhältnisse gemacht hat, indem sie wahrheitswidrig angegeben hat, bei der Firma J. in K. zu arbeiten (vgl. Vermerk der Staatsanwältin vom 20.02.2006, Bl. 110, Beiakte "B").
Aus der einmaligen Begehung eines Betruges lässt sich aber nicht ohne weiteres auf die Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte vergleichbarer Art schließen. Zwar handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um ein bloßes Bagatelldelikt, denn der Strafrahmen für Betrug reicht bis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 04.03.2003 - 3 M 30/03 -, NordÖR 2003, 252 f.). Es handelt sich aber nicht um ein Delikt, das regelmäßig von einer besonderen Veranlagung oder Neigung des Täters - wie etwa bei Körperverletzungs-, Betäubungsmittel- und Sexualdelikten - geprägt ist und deshalb die Gefahr der Wiederholung auch bei erstmaliger Begehung mit sich bringen kann. Soweit die Beklagte meint, in § 112a StPO sei eine Wertung dahin, dass ein Betrug stets eine Wiederholungsstraftat sei, enthalten, vermag die Kammer dieser Auffassung nicht zu folgen. § 112a Abs. 1 StPO unterscheidet zwischen Anlasstaten nach Nr. 1 und Nr. 2. Dabei sind Anlasstaten nach Nr. 1 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei denen schon die einmalige Verfehlung auf schwere Persönlichkeitsmängel hindeutet, die weitere Taten ähnlicher Art befürchten lassen (Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage 2005, § 112a Rn. 6 m. w. N.). Bei den Anlasstaten nach Nr. 2 hingegen muss die jeweilige Tat wiederholt oder fortgesetzt begangen worden sein, d. h. mindestens zweimal durch rechtlich selbständige Handlungen, um eine Wiederholungsgefahr zu begründen. Zwar gehören zu den Anlasstaten nach Nr. 2 auch Betrugstaten, aber nur dann, wenn sie in ihrem Schweregrad (Art der Tatausführung oder Umfang des Schadens) etwa dem besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGB entsprechen (Meyer- Goßner, a. a.O. § 112a Rn. 7 f., m. w. N.). Die Kammer lässt dahinstehen, ob es sich bei dem Mieteingehungsbetrug in Baddeckenstedt um einen schweren Fall handelt - dies wird das Strafgericht in Kürze zu entscheiden haben - , denn für eine Anlasstat nach Nr. 2 fehlt es bereits an der wiederholten oder fortgesetzten Begehung.
Bei den vorangegangenen Delikten handelte es sich auch nicht um im Verhältnis zum Betrug vergleichbare Delikte. Der rechtskräftigen Verurteilung der Klägerin vom 20.02.2006 lag zu Grunde, dass sie ihren Freund, der wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angeklagt war, vor Bestrafung schützen wollte und deshalb am 28.06.2004 vor dem Amtsgericht Braunschweig falsch ausgesagt hatte. Die Ermittlungen wegen Zuhälterei im Jahr 2003 haben letztlich nach den der Kammer vorgelegten Unterlagen nur ergeben, dass die Klägerin als Prostituierte tätig (gewesen) ist. Auch dieser Umstand und die sich daraus ergebenden Beziehungen zum Prostituiertenmilieu sind kein sachlicher Grund für die Annahme einer Wiederholungsgefahr.
Dass die Klägerin am 04.05.2005 vor dem Amtsgericht in Braunschweig eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat (Bl. 107 f. BA "B"), lässt ebenfalls die hinreichend sichere Prognose weiterer Vermögensdelikte noch nicht zu. Die eidesstattliche Versicherung fällt auf denselben Zeitraum, auf den sich auch die Ermittlungen wegen des Mieteingehungsbetruges hinsichtlich des Hauses in Baddeckenstedt beziehen und bestätigt deshalb, dass die Klägerin zu der Zeit nicht in der Lage gewesen ist, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Hieraus auf künftige finanzielle Probleme und die Gefahr zu schließen, dass sie weiterhin im Rechtsverkehr über ihre Vermögensverhältnisse täuschen wird, geht zu weit.
Selbst wenn aber der Auffassung der Beklagten gefolgt und eine Wiederholungsgefahr hier bejaht würde, wäre die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung unter einem weiteren Aspekt nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig. Die angeordneten Maßnahmen in Form der Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken, der Aufnahme von Lichtbildern sowie der Feststellung äußerer Merkmale und der Durchführung von Messungen erscheinen nicht geeignet, künftige polizeiliche Ermittlungen gegen die Klägerin wegen gleichartiger Delikte, insbesondere Mieteingehungsbetrügen, zu erleichtern (zur Erforderlichkeit konkreter ED-Maßnahmen: vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.12.2004 a. a. O.; a. A. wohl OVG Mecklenburg-Vorpommern, wonach "von der Natur der Sache her nicht vorausgesagt werden kann, für welche konkreten polizeilichen Maßnahmen bei der Aufklärung künftiger Straftaten die Lichtbilder und Fingerabdrücke erforderlich sind", Beschluss vom 04.03.2003, a. a. O.).
Die Klägerin ist bei den gegen sie geführten Ermittlungen jeweils sofort identifiziert worden ist, weil sie stets unter ihrem eigenen Namen aufgetreten ist. Eine Erleichterung der Identifizierung mit Hilfe von Wahllichtbildvorlagen ist daher in ihrem Fall nicht nötig. Soweit der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass sie im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verfügung bereits unter einem Aliasnamen aufgetreten sei, weil sie im aktuellen örtlichen Telefonbuch der Stadt Braunschweig unter dem falschen Namen "M." eingetragen sei, ergibt sich daraus nicht die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung. Entscheidend ist, dass die Klägerin ihrer allgemeinen Meldepflicht nachgekommen ist und sich bei der zuständigen Meldebehörde ordnungsgemäß unter ihrem "richtigen" Namen angemeldet hat. Dass sie im Telefonbuch unter diesem Namen nicht zu finden ist, sondern dort unter einem abgewandelten Namen eingetragen ist, begründet weder einen Rechtsverstoß noch den Verdacht betrügerischer Absichten. Auch steht nicht fest, ob sie ihren Telefonanschluss unter einem falschen Namen angemeldet hat. Jedem, der einen Telefonanschluss beantragt, steht es frei, darüber zu entscheiden, ob überhaupt und wie er im örtlichen Telefonbuch eingetragen werden möchte. Da verschiedene Möglichkeiten der Eintragung bestehen, etwa nur des Nachnamens, einer Abkürzung, mit oder ohne Anschrift usw., ist nicht ersichtlich, weshalb nicht auch die Eintragung eines "Künstlernamens" - etwa aus beruflichen Gründen - im Telefonbuch zulässig sein soll. Unabhängig davon, aus welchen Gründen die Klägerin diese Art der Eintragung gewählt hat, lässt sich allein daraus nicht schließen, dass sie künftig einen Mietvertrag unter einem "Aliasnamen" abschließen könnte. Diese Gefahr ist im übrigen auch deshalb gering, weil sich heutzutage die meisten Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages einen Personalausweis ihres neuen Mieters vorlegen lassen.
Das Vorhalten von den mit der angegriffenen Verfügung geforderten Finger- und Handflächenabdrücken, mit denen eine Täterschaft regelmäßig nachgewiesen oder ausgeschlossen werden kann, mag zwar bei Diebstahlsdelikten notwendig sein, nicht aber bei Mieteingehungsbetrügen, mit denen die Antragsstellerin nach Auffassung der Beklagten auch künftig in Erscheinung treten könnte (zur Notwendigkeit einzelner ED-Maßnahmen nur für die Aufklärung künftiger Straftaten mit konkreter Wiederholungsgefahr vgl. auch: VG Freiburg, Urteil vom 12.06.2006 - 1 K 150/04 - zit. nach Juris).
Außerdem ist die Abnahme der Fingerabdrücke schon deshalb nicht erforderlich, weil es sich um eine Doppelerhebung ohne plausiblen Grund handelt. Nach dem Personaldatenblatt aus POLAS sind bei der Klägerin bereits am 28.07.1998 die erkennungsdienstlichen Maßnahmen "Zehnfingerabdruck" und "Lichtbild" durchgeführt worden. Auf diese Daten darf die Polizei nach Maßgabe der §§ 481 Abs. 1, 484 Abs. 4 StPO i. V. m. § 39 Abs. 3 Nds. SOG auch zugreifen. Von einer Veränderung ihrer Fingerabdrücke kann nicht ausgegangen werden. Da die Klägerin bei der Abnahme der Fingerabdrücke bereits ausgewachsen war, sind ihre Fingerabdrücke von damals mit den heutigen identisch. Dafür, dass ihre Fingerkuppen durch zahlreiche kleine Vernarbungen verändert sind - was bei der Ausübung bestimmter Berufe, wie etwa dem von der Beklagten erwähnten Maurer der Fall sein kann - bestehen keine Anhaltspunkte.
Trotz Doppelerhebung wäre zwar die erneute Aufnahme von Lichtbildern unter dem Gesichtspunkt der Aktualität zu rechtfertigen, weil die Klägerin bei der letzten erkennungsdienstlichen Behandlung knapp 19 Jahre alt war und sich ihr Aussehen während der letzten acht Jahre stark verändert haben kann. Allerdings gibt es für die erneute Anfertigung von Lichtbildern für Zwecke des Erkennungsdienstes allein unter dem Aspekt der Aktualität keine Rechtsgrundlage. Der Vortrag der Beklagten, Lichtbilder seien entsprechend den Vorgaben des Personalausweisgesetzes stets zu aktualisieren und mindestens alle fünf Jahre zu erneuern, wird von der Kammer dahin verstanden, dass die Beklagte § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Personalausweise - PAuswG -, wonach die Gültigkeitsdauer von Personalausweisen bei Personen, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur fünf Jahre beträgt, entsprechend auf die Erneuerung von erkennungsdienstlichen Lichtbildern anwenden will. Eine Regelungslücke, die eine entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 PAuswG rechtfertigen würde, ist hier jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr verbietet sich eine Analogie schon wegen der umfassenden Regelungen zur Berichtigung, Speicherung und Löschung von Daten in §§ 481 ff. StPO und der o. g. engen Auslegung des Begriffs der Notwendigkeit i. S. v. § 81b 2. Alt. StPO im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.
Wozu die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und die Durchführung von Messungen bei der Klägerin erforderlich sein sollen, ist ebenfalls nicht zu erkennen. Bei den bisher gegen sie durchgeführten Ermittlungs- und Strafverfahren waren - soweit ersichtlich -, körperliche Merkmale nicht von Bedeutung. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die Klägerin versucht hätte, ihre Identität durch eine Änderung ihres Aussehens zu verschleiern. Hierfür gibt es keinerlei Hinweise.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.