Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 13.08.2019, Az.: 5 B 3516/19

Abschiebungsandrohung; Abschiebungsanordnung; anerkannt Schutzberechtigte; Bürgergeld; Existenzminimum; Inländergleichbehandlung; Italien; systemische Mängel Italien, bejaht; systemischen Mängeln des Asylsystems

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
13.08.2019
Aktenzeichen
5 B 3516/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69966
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Jedenfalls seit der Einführung des sogenannten "Bürgergeldes" in Italien im März 2019, ist dort in Bezug auf anerkannt Schutzberechtigte von dem Vorliegen systemischer Mängel im Asylsystem auszugehen.

2. Der Umstand, dass anerkannt Schutzberechtigte vom Bezug des "Bürgergeldes" (als Form der Sozialhilfe) faktisch ausgeschlossen sind, stellt einen Verstoß gegen das Gebot der "Inländergleichbehandlung" dar.

3. § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG ist eine Ausnahmevorschrift, deren Anwendung in jedem Fall nachvollziehbar zu begründen ist; eine Abschiebungsandrohung muss auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 22. Februar 2018 (Az. 5 A 1544/18) gegen die im Bescheid des Bundesamtes der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2018 unter Ziffer 3. verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige (sinngemäße) Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2018 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,

ist auch begründet.

1.

Bei der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs einen entscheidenden Stellenwert. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Erweist sich der Rechtsbehelf bei summarischer Überprüfung demgegenüber als offensichtlich erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Adressaten des Verwaltungsakts, von dessen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben.

Die Abschiebungsandrohung stellt sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach als rechtwidrig dar, sodass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.

a)

Als Rechtsgrundlage für die erlassene Abschiebungsandrohung kommt vorliegend einzig § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG in Betracht. Die Vorschrift ist aufgrund der Verweisung in § 71 Abs. 4 2. Halbsatz AsylG im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat – wie Italien gemäß § 26 a Abs. 2 AsylG als Mitgliedstaat der EU – entsprechend anzuwenden. Bei dem von dem Antragsteller am 13. November 2017 gestellten Asylantrag handelt es sich um einen Asylfolgeantrag im Sinne von § 71 AsylG, denn der von ihm zuvor bereits gestellte und als unzulässig abgelehnte Asylantrag (Bescheid vom 14. April 2015) war ein früherer Antrag im Sinne von Abs. 1 der Vorschrift (vgl. hierzu allgemein: Marx, Kommentar zum AsylG, 9. Auflage 2017, § 71, Rn. 9).

Bei Folgeanträgen nach § 71 Abs. 4 2. Halbsatz i. V. m. § 34 a AsylG ist eine Abschiebungsandrohung nur dann zulässig, wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 oder 2 AsylG nicht ergehen kann (§ 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG). Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies impliziert, dass das Bundesamt zunächst zu prüfen hat, ob eine Abschiebung möglich ist oder nicht, und dementsprechend entweder eine Abschiebungsanordnung erlässt oder auf das in Abs. 1 Satz 4 der Vorschrift zweitrangig vorgesehene Instrument der Abschiebungsandrohung zurückgreift. Bei der Auslegung und Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften ist zu beachten, dass Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung nicht etwa austauschbar oder teilidentisch sind, sondern unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung darstellen, wenn auch mit einer gleichen Zielrichtung und teilweise identischen Prüfungsinhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 – 1 B 41/15 –, juris). Die Regelung in Satz 4 ist mit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes in das AsylG eingeführt worden und schafft eine zusätzliche Möglichkeit zum Erlass einer die Abschiebung vorbereitenden Maßnahme. Dabei hat der Gesetzgeber die in diesen Fällen bislang allein bestehende Möglichkeit, nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG eine Abschiebungsanordnung zu erlassen, als vorrangige Maßnahme beibehalten. Mit der Regelung in § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG will der Gesetzgeber offenbar einerseits eine Handhabe geben für Fälle, in denen eine Abschiebung und damit der Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht möglich ist, andererseits nicht gänzlich auf das Instrument der Abschiebungsanordnung verzichten, wie dies im Unterschied hierzu für die Fallgestaltungen der § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG in § 35 AsylG vorgesehen ist. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber hier eindeutig nicht voraussetzungslos den Erlass einer Abschiebungsandrohung zulässt, ist zu verlangen, dass die Antragsgegnerin zunächst eine Prüfung vornimmt, ob der Erlass einer Abschiebungsanordnung möglich ist oder nicht.

Eine solche Prüfung ist auch im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Denn bei Erlass einer Abschiebungsandrohung werden von der Antragsgegnerin lediglich gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG die zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse geprüft. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse bleiben, anders als bei der Abschiebungsanordnung (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2. Mai 2012 – 13 MC 22/12 –, Rn. 27, juris), außer Betracht. Dies bedeutet für den Betroffenen, dass er derartige, der Abschiebung entgegenstehende Gründe nur noch gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen kann. Prozessual wird dies meist in einem Verfahren gem. § 123 VwGO stattfinden, und zwar anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung, die gemäß § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht mehr angekündigt werden darf und deren Termin dem Betroffenen damit zumeist nicht bekannt sein wird. Gerichtlicher Rechtsschutz wird dann häufig in einer Situation gesucht, in der sich der Betroffene bereits auf dem Weg zum Flughafen oder am Flughafen befindet. Die Möglichkeiten, hier umfassend und mit Nachweisen zu möglichen Abschiebungshindernissen vorzutragen, sind faktisch eingeschränkt. Demgegenüber ist bei Erlass einer Abschiebungsanordnung die Durchführbarkeit der Abschiebung behördlich zu prüfen und die diesbezügliche behördliche Entscheidung voll überprüfbar. Angesichts dieser aus dem Erlass einer Abschiebungsandrohung resultierenden faktischen Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten dürfen an die Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden. Eine Abschiebungsandrohung muss vielmehr auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Solche der Abschiebung entgegenstehenden Gründe hat die Antragsgegnerin im konkreten Einzelfall darzulegen.

Hier sind dem Bescheid keine entsprechenden Erwägungen zu entnehmen.

b)

Darüber hinaus dürfte sich die gemäß §§ 71 Abs. 4, 34 a Abs. 1 Satz 4, 26 a AsylG angedrohte Abschiebung nach Italien aus einem weiteren Grund als rechtswidrig erweisen. Gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59, 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist. Diese Voraussetzungen sind hier voraussichtlich nicht erfüllt.

Dem Antragsteller steht nach summarischer Prüfung in Bezug auf Italien ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Hier kommt ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK in Betracht, wonach (u. a.) niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden darf. Einer solchen Behandlung dürfte der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein.

Um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu gelten, muss die Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Dazu können nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) –, NVwZ 2011, 413) ausnahmsweise auch auf Armut zurückzuführende schlechte humanitäre Bedingungen gehören. Das gilt zwar nicht in dem Sinne, dass die Vertragsparteien verpflichtet sind, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen allgemein finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O.; EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 (Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien) –, juris). Auch reicht die drohende Abschiebung in ein Land, in dem die wirtschaftliche Situation des Betroffenen schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, nicht aus, die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu erreichen. Art. 3 EMRK schützt aber davor, ohne Perspektive in extremer Armut leben zu müssen und außerstande zu sein, für die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygieneartikel und Unterkunft aufzukommen (ebenso VG Oldenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015, – 12 B 245/15 –, juris). Einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im vorstehenden Sinne sind Personen, die vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, insbesondere aber dann ausgesetzt, wenn sie sich in einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Situation ernsthafter Entbehrungen und Not einer behördlichen Gleichgültigkeit gegenübersehen. Eine solche Situation liegt nach Auffassung des Einzelrichters nicht erst dann vor, wenn die betreffenden Personen ohne staatliche Unterstützung hilflos dem Tod durch Hunger und Krankheit ausgesetzt wären, sondern auch dann, wenn sie ohne staatliche Hilfe erheblich unterhalb des jeweiligen wirtschaftlichen Existenzminimums leben müssten.

Im Rahmen der Prognose, ob Ausländer im Falle ihrer Überstellung in einen anderen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer in diesem Sinne unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein werden, ist dabei nicht allein auf die Rechtslage in diesem Staat abzustellen; maßgeblich ist auch deren Umsetzung in die Praxis (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) –, a. a. O.; Hailbronner, Ausländerrecht, Band 3, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG, Rn. 21). Dabei ist zu berücksichtigen, ob staatliche Stellen es durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen betroffenen Personen praktisch verwehren, von ihren gesetzlich verankerten Rechten Gebrauch zu machen (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, HUDOC, Rn. 96).

Im Rahmen der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich anderer EU-Mitgliedstaaten der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gilt, dem die Vermutung zugrunde liegt, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der EMRK steht (vgl.: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 –, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 29. Januar 2018 – 10 LB 82/17 –, Rn. 28f., juris).

Nach diesem Maßstab und unter Berücksichtigung der dem Gericht zugänglichen Erkenntnismittel liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller im Falle seiner Überstellung nach Italien dort aufgrund systemischer Schwachstellen der dortigen Aufnahmebedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. des Art. 3 EMRK ausgesetzt sein könnte.

Dies ergibt sich daraus, dass anerkannt Schutzberechtigte keinen Zugang zur Sozialhilfe (in Form des sogenannten „Bürgergeldes“) haben und ihnen deshalb ein Leben unterhalb des Existenzminimums droht.

Das Anfang März 2019 in Italien neu eingeführte „Bürgergeld“ i. H. v. (bis zu) 780,- € pro Monat, für dessen Bezug ein Bedürftigkeitsnachweis erforderlich ist und das damit faktisch eine Form der Sozialhilfe darstellt, wird lediglich an italienische Staatsbürger gezahlt oder solche Menschen, die seit mindestens zehn Jahren (davon die letzten zwei kontinuierlich) in Italien wohnen (vgl.: https://www.redditodicittadinanza.gov.it/; Neues Deutschland Online vom 6. März 2019, Italien führt Grundsicherung ein – Das sogenannte Bürgerschaftsgeld ähnelt dem deutschen Hartz IV, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1113764.buergergeld-italien-fuehrt-grundsicherung-ein.html; Frankfurter Allgemeine Zeitung Online vom 6. März 2019, Neue Sozialleistungen sorgen in Italien für Ansturm, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/buergergeld-sorgt-fuer-ansturm-in-italien-16075215.html; Süddeutsche Zeitung Online vom 6. März 2019, Italien führt das Bürgergeld ein, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/italien-grundeinkommen-cinque-stelle-1.4357211; Neue Züricher Zeitung Online vom 8. März 2019, Das italienische Bürgergeld ist da, https://www.nzz.ch/wirtschaft/italiens-regierung-fuehrt-buergergeld-ein-ld.1465569; Tagesschau.de vom 29. April 2019, Bürgergeld in Italien – Sozialpolitische Revolution, https://www.tagesschau.de/ausland/italien-buergergeld-101.html).

Anerkannt Schutzberechtigten steht nach Art. 20ff. Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) – namentlich deren Artikel 29 – und den Wohlfahrtsvorschriften der GFK – namentlich dessen Art. 23 – ein Anspruch auf „Inländergleichbehandlung“ zu (vgl.: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 2017 – 2 BvR 157/17 –, Rn. 20, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 31. Juli 2018 – 2 BvR 714/18 –, Rn. 23, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2013 – 6 K 7204/12.A –, Rn. 27, juris). Das Bundesverfassungsgericht hatte in Bezug auf Griechenland ausgeführt, dass die dort (zum damaligen Zeitpunkt) gewährten Sozialleistungen an einen bis zu 20jährigen legalen Aufenthalt anknüpften, weshalb anerkannt Schutzberechtigte von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen seien (vgl.: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 2017 – 2 BvR 157/17 –, Rn. 20, juris). Eine vergleichbare Situation liegt auch in Italien in Bezug auf das „Bürgergeld“ vor, welches für Menschen, die nicht zuvor einer Beschäftigung nachgegangen sind, den weitaus größten und einzig sicheren Teil staatlicher Sozialleistungen ausmacht (vgl. zu den übrigen, sehr limitierten und zu großen Teilen nicht garantierten Sozialleistungen die Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, Beschluss vom 6. April 2018 – 10 LB 109/18 –, Rn. 34 - 47, juris). Auch ein zehnjähriger Aufenthalt in Italien als Grundvoraussetzung für den Leistungsbezug dürfte für anerkannt Schutzberechtigte mit einem faktischen Leistungsausschluss gleichzusetzen sein.

Mit der Einführung dieses „Bürgergeldes“ haben sich die Verhältnisse in Italien derart geändert, dass die zuvor u. a. vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. April 2018, a. a. O., Rn. 47) angenommene Gleichbehandlung von Inländern und anerkannt Schutzberechtigten bei der Gewährung von Sozialleistungen nicht mehr gegeben ist. Vielmehr dürften anerkannt Schutzberechtigte derart von grundlegenden Sozialleistungen ausgeschlossen sein, dass sie – anders als die italienische Bevölkerung – unterhalb des in Italien notwendigen Existenzminimums zu leben gezwungen sind, soweit sie – was aufgrund der Sprachbarriere und häufig fehlender Qualifikation sowie mangelnder sozialer Netzwerke und Familienstrukturen auf viele anerkannt Schutzberechtigte zutreffen dürfte – auf absehbare Zeit keinen Zugang zu einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit erlangen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hatte in seinem vorzitierten Beschluss vom 6. April 2018 zu der Situation anerkannt Schutzberechtigter in Italien vor der Einführung des „Bürgergeldes“ u. a. ausgeführt (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. April 2018, a. a. O., Rn. 34 - 47):

„Für Dublin-Rückkehrer, die in Italien noch keinen Schutzstatus erhalten haben, hat der Senat in seinem Urteil vom 4. April 2018 (- 10 LB 96/17 -, juris) systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen und die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verstößen gegen Art. 4 EUGrCh und Art. 3 EMRK ebenfalls verneint. Anerkannte Schutzberechtigte befinden sich nach ihrer Rückkehr nach Italien hinsichtlich des Zugangs zu Wohnraum und zu den Leistungen zum Lebensunterhalt zwar in einer schwierigeren Situation als Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus erhalten haben, doch auch in ihrem Fall können systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen, die eine Verletzung von Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK begründen, nicht festgestellt werden. Auch die Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie sind für diesen Personenkreis erfüllt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Anerkannte Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltsbewilligung, die 5 Jahre gültig ist, bei Ablauf in der Regel automatisch verlängert wird (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011, Seite 31, und Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 34) und Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. zu einer Berufsausbildung verschafft (BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, Seite 3). Sie können mit dieser Aufenthaltsbewilligung ein- und ausreisen und sich in Italien ohne Einschränkungen bewegen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 33).

Sie sind bezüglich der sozialen Rechte und dem Zugang zu Sozialleistungen den italienischen Staatsangehörigen völlig gleichgestellt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 35, und Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 3). Angesichts dessen, dass das italienische Sozialsystem nicht dem deutschen Sozialsystem vergleichbar ausgestaltet ist und sowohl für anerkannte Flüchtlinge als auch für italienische Staatsangehörige gleichermaßen deutlich weniger Fürsorgeleistungen vorhält, bedeutet dies aber auch, dass von ihnen grundsätzlich erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seiten 35 und 49, und Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 1). Soweit es danach im Bereich der Versorgung mit einer Unterkunft und mit den Leistungen zum Lebensunterhalt – wie im Folgenden dargestellt wird – zu Problemen kommen kann, ergeben sich daraus keine systemischen Mängel in den Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte, die eine Verletzung von Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK begründen (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.08.2016 – 13 A 63/16. A –, juris Rn. 55 ff.). Denn Art. 3 EMRK ist nach dem oben dargestellten Maßstab im Kern ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Verhalten eines Staates, der mit Gleichgültigkeit auf eine gravierende Mangel- und Notsituation reagiert, und begründet beispielsweise keinen individuellen Anspruch auf Versorgung mit einer Wohnung oder die allgemeine Verpflichtung, Flüchtlinge finanziell zu unterstützen. Anerkannte Schutzberechtigte müssen sich insbesondere auf die für alle italienischen Staatsangehörigen geltenden Voraussetzungen und Einschränkungen hinsichtlich des Empfangs von Sozialleistungen verweisen lassen (sogenannte Inländergleichbehandlung).

Höhere Anforderungen an die Versorgung von anerkannten Flüchtlingen ergeben sich auch nicht aus der Qualifikationsrichtlinie. Denn nach deren Art. 29 Abs. 1 tragen die Mitgliedstaaten “nur“ dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe – wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats – erhalten. Nach Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie tragen die Mitgliedstaaten ferner dafür Sorge, dass diese Personen zu denselben Bedingungen – wie Staatsangehörige des ihren Schutz gewährenden Mitgliedstaats – Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Schließlich muss nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie auch der Zugang zu Wohnraum “nur“ unter den Bedingungen gewährleistet werden, die den Bedingungen gleichwertig sind, die für andere Drittstaatsangehörige gelten, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten. Da Italien anerkannte Schutzberechtigte im Hinblick auf die Sozialleistungen genauso behandelt wie seine eigenen Staatsangehörigen, scheidet deshalb auch ein Verstoß gegen die Qualifikationsrichtlinie von vornherein aus (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.08.2016 – 13 A 63/16. A –, juris Rn. 58).

Demgegenüber kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass Flüchtlinge, die die Landessprache oft nur unzureichend beherrschen, über kein familiäres Netzwerk in Italien verfügen, das sie bei fehlenden staatlichen Leistungen auffangen könnte, und sie insofern faktisch schlechter gestellt sind als die italienischen Staatsangehörigen. Denn dies ändert nichts daran, dass sie den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie entsprechend dieselben rechtlichen und tatsächlichen Zugangsmöglichkeiten zu den Sozialleistungen haben wie italienische Staatsangehörige. Im Unterschied beispielsweise zu der Lage in Bulgarien (siehe hierzu Senatsurteil vom 29.01.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 36 ff, 45 ff. und 49 ff.) werden sie nämlich nicht durch die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung des Zugangs zu den Sozialleistungen von diesen ausgeschlossen.

Davon abgesehen dürften auch viele italienische Staatsangehörige in der heutigen Zeit über kein ausreichendes familiäres Netzwerk mehr verfügen, das sie im Falle der Bedürftigkeit auffängt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gerade auch anerkannte Flüchtlinge Zugang zu den Hilfeleistungen kommunaler und karitativer Einrichtungen sowie der Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) haben, die das fehlende familiäre Netzwerk zumindest teilweise ausgleichen. Denn diese versorgen sie nicht nur mit Lebensmitteln und Unterkunftsplätzen (Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516/14.A, Seite 5; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 80), sondern bieten auch andere, speziell auf anerkannte Flüchtlinge zugeschnittene und durch staatliche sowie europäische Mittel geförderte Hilfen wie Jobtrainings, Praktika und Sprachkurse (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 53; BAMF, Länderinformation: Italien, Mai 2017, Seite 3) und auch Projekte an, die beim Übergang zur Selbstständigkeit nach der Beendigung der Unterbringung in einem SPRAR-Zentrum unterstützen sollen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 51).

Über die Hilfen durch kommunale und karitative Einrichtungen sowie NGO’s hinaus sind rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte aber auch im Hinblick auf staatliche Hilfen keineswegs gänzlich auf sich selbst gestellt. Unabhängig von dem oben genannten Gesichtspunkt der sogenannten Inländergleichbehandlung kann deshalb auch aus diesem Grund eine Verletzung der Rechte aus Art. 4 EUGrCh und Art. 3 EMRK nicht festgestellt werden, zumal der italienische Staat auf die Situation anerkannter Flüchtlinge nicht mit Gleichgültigkeit reagiert.

Anerkannte Flüchtlinge haben im Rahmen der bestehenden Kapazitäten und sofern die maximale Aufenthaltsdauer von 6 Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen (bei Gesundheitsproblemen oder im Hinblick auf bestimmte Integrationsziele) um weitere 6 Monate verlängert werden kann, noch nicht ausgeschöpft ist, Zugang zum Zweitaufnahmesystem SPRAR, das zur Zeit über 31.313 Plätze verfügt. (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 1, Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 1, und Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seiten 29, 35 f. und 39; BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, Seite 3). Bei den SPRAR handelt es sich um eine dezentrale auf lokaler Ebene organisierte (Zweit-)Unterbringung, die aus einem Netzwerk von Unterkünften und überwiegend aus Wohnungen besteht, auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGO‘s basiert und die Teilhabe am kommunalen Leben fördern soll. Die Unterbringung wird von Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen (Rechtsberatung, Sprachkurse, psychosoziale Unterstützung, Jobtrainings, Praktika, Unterstützung bei der Suche einer Stelle auf dem Arbeitsmarkt) begleitet (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seiten 35 f. und 53, und Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 6; BAMF, Länderinformation: Italien, Mai 2017, Seiten 1 und 2). Neben Lebensmitteln erhalten die Bewohner auch ein Taschengeld je nach SPRAR-Projekt zwischen 1,50 Euro/Tag und 3 Euro/Tag (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 50, und Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 3; BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, Seiten 1 und 2).

(…)

Allerdings haben anerkannte Schutzberechtigte in der Regel keinen Zugang zum SPRAR-System mehr, wenn sie einmal in einer SPRAR- Unterkunft aufgenommen worden sind und diese wieder verlassen haben. Von dieser Regel kann nur abgewichen werden, wenn die betroffene Person einen Antrag beim Innenministerium einreicht und neue “Verletzlichkeiten“ vorbringt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 36, und Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 1). In diesem Fall ebenso wie in dem Fall, dass die maximale Aufenthaltsdauer in einer SPRAR-Einrichtung abgelaufen ist, haben die betroffenen Personen, sofern sie nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen und eine Wohnung zu mieten, und auch keinen Unterkunftsplatz in den bereits erwähnten kommunalen und karitativen Einrichtungen oder mit Hilfe der NGO’s erhalten, ebenso wie italienische Staatsangehörige in vergleichbarer Situation nur Zugang zu Notschlafstellen und zu Unterkünften in besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 2). Daraus ergibt sich aber kein systemisches Versagen bezüglich der Aufnahmebedingungen für rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte und keine Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 EUGrCh. Denn auch nach diesen rechtlichen Maßgaben ist der italienische Staat nicht gehindert, den Zugang zu den SPRAR-Einrichtungen von bestimmten - von den Schutzberechtigten erfüllbaren - Voraussetzungen abhängig zu machen und den Anspruch auf Unterkunft in einer solchen Einrichtung entfallen zu lassen, wenn der Schutzberechtigte die Unterkunft “eigenmächtig“ verlässt (vgl. Art 20 Abs. 1 a) der Aufnahmerichtlinie, wonach einem Antragsteller die gewährten materiellen Leistungen entzogen werden können, wenn dieser den von der zuständigen Behörde bestimmten Aufenthaltsort eigenmächtig verlässt), bzw. die Aufenthaltsdauer in einer solchen Einrichtung zu begrenzen. Aus diesem Verhalten des italienischen Staates kann deshalb auch nicht auf dessen Gleichgültigkeit gegenüber anerkannten Schutzberechtigten geschlossen werden.

Abgesehen davon sind anerkannte Flüchtlinge, sofern sie weder in einer staatlichen noch in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung einen Unterkunftsplatz finden, genauso gestellt wie italienische Staatsangehörige in vergleichbarer Situation. Schon aus diesem Grund folgen – wie oben ausgeführt – aus den dargestellten Schwierigkeiten keine systemischen Mängel in den Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte, die eine Verletzung von Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK begründen.

Schließlich ergibt sich aus den verfügbaren Erkenntnisquellen auch nicht, dass tatsächlich der größte Teil der anerkannten Schutzberechtigten über einen längeren Zeitraum obdachlos ist. Denn danach ist ein im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl eher kleiner Teil der Migranten tatsächlich obdachlos bzw. lebt in besetzten Häusern. Nach Schätzung der MÈDECINS SANS FRONTIÈRES (= Ärzte ohne Grenzen) gibt es nämlich “nur“ ungefähr 10.000 obdachlose Menschen unter den Asylsuchenden und Schutzgenehmigungsinhabern (MSF, „OUT of sight“ – Second edition, Stand: 08.02.2018).

Einen Anspruch auf staatliche Sozialhilfe, die mit der in Deutschland gewährten Sozialhilfe vergleichbar ist, haben außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen lebende und mangels hinreichender Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt oft auf Schwarzarbeit (beispielsweise in der Landwirtschaft) angewiesene Schutzberechtigte (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 52) ebenso wenig wie italienische Staatsangehörige (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 49). Es gibt ein Arbeitslosengeld, wenn jemand seine (legale) Arbeit verloren hat. Personen mit sehr geringem oder keinem Einkommen – wie viele anerkannte Schutzberechtigte – haben ferner die Möglichkeit, sich für einen “finanziellen Beitrag“ zu bewerben, dessen Höhe je nach Region bzw. Gemeinde sehr unterschiedlich ist (beispielsweise in Rom bis zu 500 Euro im Jahr, in Mailand 250 Euro pro Monat für einen Zeitraum von 6 Monaten) und dessen Gewährung von der Anzahl der Anfragen und dem verfügbaren Budget abhängt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seiten 49 f., und Anlage vom 31.07.2017 zu der Anfragebeantwortung an VG Hannover vom 12.09.2017, Seite 4). Da der italienische Staat die anerkannten Schutzberechtigten demnach auch in dieser Hinsicht genauso behandelt wie seine eigenen Staatsangehörigen, können auch insoweit systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen, die eine Verletzung von Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK begründen, nicht festgestellt werden.“

Demnach hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte insbesondere deshalb verneint, weil diese bei der Gewährung von Sozialleistungen nicht schlechter gestellt seien als Inländer. Diese Begründung ist seit Einführung des „Bürgergeldes“ in Italien Anfang März 2019 aber nicht mehr haltbar, weshalb der Einzelrichter die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht (mehr) als maßgebend ansieht.

Die Ungleichbehandlung der anerkannt Schutzberechtigten mit Inländern bei der Gewährung des Bürgergeldes wird auch nicht auf andere Weise ausgeglichen. Andere zur Verfügung stehende Unterstützungsmöglichkeiten dürften nicht ausreichen, um zu verhindern, dass sie häufig ein Leben unterhalb des Existenzminimums fristen müssen.

Die in der zitierten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aufgeführten sogenannten „finanziellen Beiträge“ reichen ersichtlich nicht annährend zur Existenzsicherung aus. Ferner besteht kein einklagbarer Anspruch auf diese Leistungen, sondern es hängt letztlich vom Zufall ab, ob und für welchen – zum Teil nur kurzen – Zeitraum man solche überhaupt erhält.

Der Verweis des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auf das häufige Angewiesensein auf Einkommen aus Schwarzarbeit, die im Falle von Flüchtlingen in nicht seltenen Fällen sogar in einen Zustand moderner Sklaverei mündet (vgl. z. B.: Deutschlandfunk Online vom 29. Juni 2017, Migranten in Italien – Die neuen Sklaven Europas, https://www.deutschlandfunk.de/migranten-in-italien-die-neuen-sklaven-europas.1773.de.html?dram:article_id=389841; Die Zeit Online vom 8. August 2018, Erntehelfer – Italiens moderne Sklaverei, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/erntehelfer-italien-migranten-afrika-sklaverei-modern; ARTE vom 26. November 2018, Re: Sklaverei in Italien – Yvan Sagnets Kampf für Erntehelfer), stellt keine ernsthafte Möglichkeit der Existenzsicherung, sondern vielmehr einen unmenschlichen und erniedrigenden Zustand im Sinne des Art. 3 EMRK für die betroffenen Flüchtlinge dar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Schwarzarbeit (auch in Italien) verboten ist.

Von der Möglichkeit in den sogenannten SPRAR-Einrichtungen unterzukommen profitiert nur ein Teil der anerkannt Schutzberechtigten, sodass sich auch hieraus nichts anderes ergeben dürfte, zumal der mögliche Aufenthalt zeitlich stark begrenzt ist (s. o.: sechs Monate bis maximal zwölf). Des Weiteren dürfte auch ein Großteil der aus dem Staatsgebiet der Antragsgegnerin abgeschobenen und in Italien anerkannten Schutzberechtigten keinen Zugang zu diesen Einrichtungen erhalten. Denn soweit sie zuvor in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht waren und diese im Zuge der Ausreise aus Italien verlassen haben, besteht in der Regel kein Zugangsrecht mehr (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. April 2018, a. a. O., Rn. 44). Dass insoweit eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausscheiden soll, weil der Zugang durch eigenmächtiges Handeln der betroffenen Personen sozusagen selbstverschuldet verwirkt sei, erschließt sich dem Einzelrichter nicht. Denn dies ändert nichts daran, dass anerkannt Schutzberechtigte durch eine Abschiebung nach Italien in eine so extreme materielle Not geraten, dass das Existenzminimum nicht mehr erreicht wird, weshalb nach den oben dargestellten Maßstäben eine Verletzung vom Art. 3 EMRK vorliegt. Denn bei der Frage, ob eine existenzielle Notlage gegeben ist, kann es nicht darauf ankommen, ob diese auch auf das Verhalten der betroffenen Person zurückzuführen ist.

Dass in Italien durch nichtstaatliche Träger Unterstützung geleistet wird, hat bei der Frage, ob systemische Mängel vorliegen, außer Betracht zu bleiben, was sich bereits aus dem Wortlaut ergibt („systemische Mängel“). Denn insoweit ist ausschließlich auf die staatlich garantierten Einrichtungen abzustellen. Alle nichtstaatlichen Unterstützungsangebote für anerkannt Schutzberechtigte sind freiwillig und können deshalb jederzeit wegfallen. Darüber hinaus sind viele anerkannt Schutzberechtigte nach den Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts trotz aller Hilfsangebote häufig auf Schwarzarbeit angewiesen (s. o.).

Aber selbst wenn unter Einbeziehung der nichtstaatlichen Unterstützungsleistungen in der Vergangenheit und vor der Einführung des „Bürgergeldes“ die insgesamt vorhandenen Sozialleistungen ausreichend gewesen sein sollten, um anerkannt Schutzberechtigten ein im Sinne des Art. 3 EMRK menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, stellt sich die Frage, ob die vom Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in seiner zitierten Entscheidung beschriebenen Leistungen nach Einführung des „Bürgergeldes“ fortbestehen. Denn es liegt nahe, dass der italienische Staat, der durch das „Bürgergeld“ zusätzliche Ausgaben hat, im Rahmen seiner restriktiven Flüchtlingspolitik an anderer Stelle Einsparungen vornimmt. Schon aus diesem Grund ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, um im Hauptsacheverfahren diese Frage aufzuklären.

Der italienische Staat dürfte zudem der (häufig eintretenden) sozialen Not anerkannt Schutzberechtigter (nunmehr) mit einer Gleichgültigkeit gegenüberstehen, die er gegenüber der eigenen Bevölkerung (und Menschen, die seit geraumer Zeit im Land leben) nicht (mehr) zeigt. Dies ergibt sich daraus, dass die Grundsicherung in Form des „Bürgergeldes“ vom Staat zur Sicherung des Existenzminimums offensichtlich als notwendig angesehen wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der italienische Staat mit dem faktischen Ausschluss anerkannt Schutzberechtigter vom „Bürgergeld“ (s. o.), die Existenzbedrohung der Schutzberechtigten tatenlos und damit gleichgültig hinnimmt.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).