Landgericht Aurich
Urt. v. 02.09.2016, Az.: 3 O 234/16

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
02.09.2016
Aktenzeichen
3 O 234/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43088
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der jeweils zu vollstreckenden Forderung vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 14.505,88 €

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rückabwicklung eines PKW - Kaufvertrages im Zusammenhang mit dem sog. „Abgasskandal“ unter Anrechnung gezogener Nutzungsvorteile.

Am 21.08.2012 erwarb die Klägerin von der Beklagten einen gebrauchten VW Golf Plus Style 1,6 TDI mit einer Laufleistung von 5.607 km zum Kaufpreis von 18.830,00 €.

Bei dem in dem Fahrzeug eingebauten Dieselmotor des Typs EA 189 wurde eine unzulässige Manipulation der Abgaswerte dadurch vorgenommen, dass eine Software installiert wurde, die den Ausstoß von Stickoxid (NOx) auf dem Prüfstand optimiert, indes im laufenden Verkehr nicht ansatzweise einhält.

Mit Schreiben vom 08.01.2016 ließ die Klägerin die Beklagte zur Nacherfüllung auffordern und setzte hierzu eine Frist von zwei Wochen, nach deren erfolglosen Ablauf sie sich den Rücktritt vom Vertrag vorbehielt. Mit Schreiben vom 18.01.2016 kündigte die Beklagte an, dass die V. AG konkrete technische Maßnahmen mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) abstimme und nach deren Genehmigung unaufgefordert die Beanstandungen abarbeite und je nach individuellem Erfordernis eine angemessene Ersatzmobilität kostenfrei zur Verfügung stelle. Zudem erklärte die Beklagte für etwaige Ansprüche bezüglich der eingebauten Software auf die Verjährungseinrede bis zum 31.12.2017, selbst wenn diese bereits verjährt sein sollten, zu verzichten.

Mit Schriftsatz vom 05.02.2016 hat die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und die Beklagte vergeblich zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs aufgefordert.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 14.505,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen die Rückgabe des VW Golf Plus Style 1,6 TDI mit der Fahrgestellnummer ..123.. zu zahlen,

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Golf Plus Style 1,6 TDI mit der Fahrgestellnummer ..123..  in Verzug befindet sowie

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 526,58 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, es läge kein Sachmangel vor, da die Parteien keine Beschaffenheitsvereinbarung über die konkreten Emissionswerte des Fahrzeugs getroffen hätten. Vielmehr sei das streitgegenständliche Fahrzeug für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung geeignet, da es unstreitig fahrbereit und voll funktionstüchtig sei. Zudem sei eine Nacherfüllungsfrist von zwei Wochen angesichts der Entwicklung einer veränderten Software und Genehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt unangemessen kurz und damit unwirksam. Schließlich sei ein Rücktrittsrecht der Klägerin wegen Unerheblichkeit des beanstandeten Mangels ausgeschlossen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich der überreichten Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Klägerin steht aufgrund des erklärten Rücktritts gemäß §§ 433, 434, 437, 440, 323 BGB kein Rückabwicklungsanspruch gegenüber der Beklagten zu.

Allerdings ist das streitbefangene Fahrzeug entgegen der Auffassung der Beklagten mangelhaft. Es liegt ein Verstoß gegen § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vor. Zwar eignet sich das Fahrzeug trotz der manipulierten Abgassoftware für die gewöhnliche Verwendung. Es weist angesichts dieser Manipulation aber keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Durchschnittskäufer auch eines Gebrauchtwagens kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und in dem technischen Datenblatt aufgenommenen Werte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen (Prüfstandlauf) gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden, sondern basiert darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüfstandlauf nur aufgrund der manipulierten Software einhält (vgl. Landgericht Münster, Urteil vom 14.03.2016, AZ.: 11 O 341/15).

Einem Rücktritt der Klägerin vom Vertrag dürfte schon entgegenstehen, dass die von ihr gesetzte Frist von zwei Wochen zur Mangelbeseitigung gemäß § 323 Abs. 1 BGB nicht angemessen war. Auch war eine angemessene Fristsetzung nicht entbehrlich, da die Beklagte zwar das Vorliegen eines Mangels bestreitet, jedoch eine Nacherfüllung nicht ernsthaft verweigert hat, vielmehr mit Schreiben vom 18.01.2016 der Klägerin mitteilte, dass nach Entwicklung einer veränderten Software zur Motorsteuerung und deren Genehmigung durch das KBA ihr Fahrzeug kostenfrei überarbeitet werde. Soweit an die Stelle der seitens der Klägerin unwirksam gesetzten Frist zur Mangelbeseitigung eine vom Gericht festzusetzende angemessene Frist in Gang gesetzt wurde, bedarf es dazu indes keiner gerichtlichen Entscheidung.

Ein Rücktritt der Klägerin ist jedenfalls gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da sich die Pflichtverletzung der Beklagten als unerheblich erweist. Im Rahmen dieser Erheblichkeitsprüfung ist gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wobei für behebbare Mängel grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2014, Az.: VIII ZR 94/13). Anhaltspunkte dafür, dass der gerügte Mangel nicht behebbar sei, sind weder ersichtlich, noch seitens der Klägerin aufgezeigt worden. Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels ist daher in der Regel dann auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind. Dies ist jedenfalls dann der Fall, sofern der Mangelbeseitigungsaufwand 1 % des Kaufpreises nicht überschreitet (vgl. BGH, Urteil vom 14.09.2005, AZ.: VIII ZR 363/04).

Nach den Ausführungen der Beklagten ist im Rahmen eines Updates beim 1,6-Liter- EA 189-Motors des klägerischen Fahrzeugs zudem direkt vor dem Luftmassenmesser ein sogenannter Strömungstransformator zu befestigen, der die Messgenauigkeit des Luftmassenmessers verbessert und den Verbrennungsvorgang optimiert.

Einschließlich des Aufspielens eines Software-Updates erfordert dies in einer Vertragswerkstatt voraussichtlich weniger als eine Stunde, sodass sich die voraussichtlichen Kosten auf deutlich weniger als 100,-- € belaufen werden. Selbst wenn man zu den Kosten der Einspielung der Software noch anteilige Entwicklungskosten des Updates hinzurechnen wollte, so ist plausibel und nachvollziehbar, dass auch dann die Mängelbeseitigungskosten nicht mehr als 100,-- € betragen, da die Entwicklungskosten auf mehrere Millionen Fahrzeuge umzulegen wären. Insgesamt erreicht der Mangelbeseitigungsaufwand daher allenfalls 0,53 % des seinerzeitigen Kaufpreises, sodass vorliegend die Unerheblichkeitsschwelle nicht überschritten wird.

Auch die weiteren Gesichtspunkte der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung gebieten keine andere Beurteilung. Weder haben die in unzulässiger Weise vorgetäuschten besseren Emissionswerte zu einem Widerruf der Typengenehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt geführt, noch wird hierdurch die Verkehrs- und Betriebssicherheit des klägerischen Fahrzeuges beeinträchtigt. Soweit die Klägerin ausführt, nach Durchführung der Nachbesserungsarbeit könne die Leistung des Fahrzeuges sinken, der Verbrauch steigen und ein möglicher Wiederverkaufswert reduziert sein, handelt es sich um Mutmaßungen ins Blaue hinein, für die es vor Durchführung der angekündigten Nacherfüllungsmaßnahmen keinerlei substantielle Anhaltspunkte gibt.

Die Rücktrittsklage der Klägerin führt daher, wie bereits vielfach entschieden (vgl. LG Stralsund vom 03.03.2016, AZ.: 6 O 236/15; LG Münster vom 14.03.2016, AZ.: 11 O 341/15; LG Bochum vom 16.03.2016, Az.: I-2 O 425/15; LG Frankenthal (Pfalz) vom 05.04.2016, AZ.: 7 O 488/15; LG Flensburg vom 14.04.2016, AZ.: 7 O 97/15; LG Bielefeld vom 02.05.2016, AZ.: 3 O 318/15; LG Ellwangen vom 09.05.2016, AZ.: 4 o 21/16, LG Frankenthal (Pfalz) vom 12.05.2016, AZ.: 8 O 208/15, LG Dortmund vom 12.06.2016, AZ.: 25 O 6/16; LG Ravensburg vom 12.05.2016, AZ.: 6 O 67/16; LG Paderborn vom 09.06.2016, AZ.: 3 O 23/16; LG Ellwangen vom 10.06.2016, AZ.: 285/15; LG Regensburg vom 15.06.2016, AZ.: 3 O 2161/15; LG Nürnberg-Fürth vom 21.06.2016, AZ.: 4 O 441/16; LG München II vom 05.07.2016, AZ.: 14 O 404/16; LG Landau i. d. Pfalz vom 11.07.2016, AZ.: 2 O 17/16; LG Gießen vom 11.07.2016, AZ.: 2 O 397/15; LG Bamberg vom 22.07.2016, AZ.: 11 O 62/16) nicht zum Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.