Landgericht Aurich
Urt. v. 28.06.2016, Az.: 3 O 178/16 (057)
Gewährleistung; Totenruhe; Reh; Friedhof
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 28.06.2016
- Aktenzeichen
- 3 O 178/16 (057)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43058
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 471,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2014 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 83,54 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 38 % und die Beklagte 62 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Seite in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Schadensersatz für die Beschädigung von Grabschmuck durch Rehe.
Die Beklagte ist Trägerin des Friedhofs in L.. Auf diesem Friedhof besitzt der Kläger ein Familiengrab, in dem sein an Weihnachten 2012 verstorbener Sohn am 02.01.2013 beigesetzt wurde. Ein Teil des Friedhofs ist mit einem Zaun umgeben, ansonsten ist eine Abgrenzung durch Hecken und Buschwerk vorhanden. In der Vergangenheit kam es auf dem Friedhof wiederholt zu Beschädigungen von Grabschmuck und -bepflanzungen, insbesondere durch Rehe. Nach Bekanntwerden des Umtriebs von Wild reparierte die Beklagte den vorhandenen Zaun. Sie versuchte, das Rehwild mit übelriechenden Chemikalien fernzuhalten. Auf Veranlassung der Beklagten gab das Bestattungsunternehmen Empfehlungen für die Grabbepflanzung. Die Beklagte plant, das Friedhofsgelände im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten nach und nach weiter einzäunen.
Der Kläger behauptet, bereits am Tag nach der Beisetzung seines Sohnes - und auch in der Folgezeit - sei die Grabdekoration beschädigt gewesen. Die Grabbepflanzung und der Grabschmuck seien abgefressen und über mehrere Quadratmeter verstreut gewesen. Das Grab habe mehrfach neu dekoriert werden müssen. Diese Schäden seien durch Wildfraß von Wildtieren - ein bekanntes Problem auf dem Friedhof - entstanden. Die Beklagte habe auf die Aufforderung, die Beschädigungen beispielsweise durch eine Einfriedung des Friedhofs zu unterbinden, nicht reagiert. Es sei weiterhin zu Beschädigungen gekommen. Der Kläger verlangt Schadensersatz für zerstörte Blumendekoration in Höhe von 471,50 € und für einen Blütenkranz in Höhe von 200,00 €.
Er meint, die kostenpflichtige Zurverfügungstellung der Grabstelle entfalte eine Fürsorgepflicht der Beklagten, vermeidbare Schäden von ihm und anderen Nutzern der Grabstelle abzuwenden. Die Unterhaltungspflicht für den Friedhof umfasse die ordnungsgemäße Instandhaltung und die bauliche Unterhaltung, einschließlich Umfassungsmauern.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 761,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 147,56 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die Beschädigung des Grabschmucks des Klägers am Folgetag der Beisetzung und in der Folgezeit sowie erforderliche Neudekorationen mit Nichtwissen.
Die Beklagte meint, ein Friedhof sei ein sogenannter befriedeter Bezirk im Sinne des Jagdrechts, auf dem die Jagd ruhe. Schäden durch Tiere auf Friedhöfen seien ein generelles Problem. Eine Pflicht zur Einfriedung durch einen Zaun bestehe nicht, insbesondere sei die vorhandene Abgrenzung durch Hecke und Buschwerk ausreichend.
Das zunächst angerufene Amtsgericht Leer hat sich mit Beschluss vom 26.02.2016 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG an das Landgericht Aurich verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die mündliche Verhandlung vom 17.05.2016 und auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zum Teil begründet.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 471,50 € gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 BGB aus der zwischen den Parteien bestehenden öffentlich-rechtlichen Sonderverbindung.
1. Als Träger eines Friedhofs trifft die Beklagte nicht nur eine Verkehrssicherungspflicht für die Personen, die mit dem Friedhof bestimmungsgemäß in Berührung kommen, wie Friedhofnutzer und sonstige Besucher. Darüber hinaus besteht gegenüber dem Kläger auch eine vertragsähnliche Haftung.
Durch den Nutzungsvertrag vom 01.04.1961, der ausweislich des Gebührenbescheids vom 29.01.2013 verlängert wurde, besteht zwischen den Parteien ein öffentlich-rechtliches Nutzungsverhältnis. Aufgrund des in §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 10 Abs. 1 des Niedersächsischen Bestattungsgesetzes (NBestattG) vom 08.12.2005 festgeschriebenen Bestattungszwangs war der Kläger für die Beisetzung seines Sohnes auf die Benutzung des Friedhofs angewiesen. Gemäß der zwischen den Parteien geltenden Friedhofsordnung in Verbindung mit der Friedhofsgebührenordnung war die Nutzung des Friedhofs gebührenpflichtig.
Dieses Nutzungsverhältnis stellt ein sogenanntes verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis dar, auf welches die allgemeinen Grundsätze, wie sie im bürgerlichen Recht zu der Haftung im Vertragsverhältnis ihren Niederschlag gefunden haben, Anwendung finden können; das ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung der Fall, wenn zwischen dem einzelnen und der Verwaltung ein besonders enges Verhältnis begründet worden ist und wenn außerdem mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis für eine angemessene Verteilung der Verantwortlichkeiten innerhalb des öffentlichen Rechts besteht (BGH, Urteil vom 20. Juni 1974 – III ZR 97/72 –, juris; Palandt, 74. Aufl., § 280, Rn. 10 f.; jeweils m. w. N.).
Ein besonderes und enges Verhältnis des Klägers zu der Beklagten wurde durch den Abschluss und die Verlängerung des Nutzungsvertrags begründet.
2. Aus dieser vertragsähnlichen Beziehung folgt die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die ordnungsgemäße und ihrer Bestimmung entsprechende Nutzung der Grabstelle und des Friedhofs zu ermöglichen. Dazu gehört auch die gesellschaftlich anerkannte würdevolle Ausübung des Totengedenkens. Diese Pflicht hat die Beklagte gegenüber dem Kläger verletzt.
a) Gemäß § 1 NBestattG sind Leichen und Aschen Verstorbener so zu behandeln, dass die gebotene Ehrfurcht vor dem Tod gewahrt wird und das sittliche, religiöse und weltanschauliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt wird. Nach dem hiesigen Brauchtum ist eine Grabstelle für Angehörige und andere nahestehende Personen ein Ort des Gedenkens an den Verstorbenen. Insbesondere ist es gesellschaftlich üblich und anerkannt, die Grabstelle unmittelbar nach einer Beisetzung mit Kränzen und Blumenschmuck zu dekorieren. Die Beklagte hat dafür Sorge zu tragen, dass diese Ausübung des Totengedenkens möglich ist und nicht durch Beschädigungen von Wildtieren empfindlich gestört wird. Die Beschädigung und Entfernung der Grabdekoration durch Wildtiere wie Rehe ist nicht mit einem würdevollen Totengedenken und der Würde des Friedhofs vereinbar.
b) Zur Gewährleistung der Möglichkeit der bestimmungsgemäßen und würdevollen Nutzung des Friedhofs hätte die Beklagte das ihr Zumutbare unternehmen müssen.
Voranzustellen ist, dass die Verhinderung jeglicher Schäden durch Wildtiere, insbesondere durch Kaninchen und Mäuse, weder möglich noch zumutbar ist. Allerdings haben die vorgetragenen Beschädigungen und Verwüstungen durch größere Wildtiere wie Rehe ein anderes Ausmaß und Gewicht. Sie sind mit Beschädigungen durch kleine Wildtiere, wie eine abgefressene Grabbepflanzung, nicht vergleichbar.
Eine Möglichkeit zur Vermeidung von Wildschäden durch Rehwild hätte in der vollständigen Einfriedung des Friedhofgeländes bestanden. Zwar bestimmt § 2 Abs. 4 NBestattG, dass ein Friedhof eine klare Abgrenzung, nicht aber eine Einfriedung voraussetzt. So sieht die gültige Fassung des Niedersächsischen Bestattungsgesetzes im Gegensatz zum Gesetzesentwurf das Merkmal „eingefriedet“ nicht vor. Darauf wurde nach einhelliger Auffassung des Ausschusses verzichtet, um auch Friedwälder in der freien Landschaft zuzulassen. Es blieb lediglich bei der Anforderung einer „klaren“ Abgrenzung des Friedhofsbereichs; diese kann allerdings auch durch optische Mittel (wie z. B. Hinweisschilder oder Markierungen) erreicht werden (Gesetzentwurf zum NBestattG, LT-Drucksache 15/2584, S. 2 f.). In Anbetracht der Besonderheiten von Friedwäldern, die gerade nicht über angelegte Grabstellen verfügen, lässt sich aus dem Verzicht auf die Einfriedung im Niedersächsischen Bestattungsgesetz hinsichtlich der Erforderlichkeit der Einfriedung zur Vermeidung von Wildschäden auf Friedhöfen nichts herleiten. Unterlässt der Friedhofsträger eine vollständige und dauerhafte Einfriedung zur Verhütung von Wildschäden, wird er dies – insbesondere, wenn wiederholt Wildschaden über ein zumutbares Maß hinaus verursacht worden ist – gegen sich gelten lassen müssen (Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 8. Auflage, S. 26). So liegt es hier. Die Beklagte hat zwar verschiedene Maßnahme gegen das ihr bekannte Problem des Wildfraßes unternommen, wie etwa die Reparatur des vorhandenen Zauns, die Verwendung übelriechender Chemikalien und die Empfehlung bestimmter Pflanzensorten. Jedoch waren diese Maßnahmen nicht ausreichend. Zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Nutzung des Friedhofs hätte die Beklagte in Ansehung der Wildschäden und den damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigungen der Nutzer weitere Maßnahmen ergreifen müssen.
c) Als weitere Maßnahme zur Verhütung von Wildschäden wäre hier auch die ausnahmsweise Gestattung des Jagdrechts in Betracht gekommen. Friedhöfe gehören gemäß §§ 6 BJagdG, 9 Abs. 1 Nr. 5 NJagdG zu den befriedeten Bezirken im Sinne des Jagdrechts. Gemäß §§ 6 Satz 2 BJagdG, 9 Abs. 3 NJagdG kann die Jagd jedoch in beschränktem Maße gestattet werden. Das Verbot der Jagdausübung beruht auf der Erwägung, dass die befriedeten Bezirke wegen des besonderen Charakters, hier also der Würde des Friedhofs, einen besonderen Schutz verdienen und deshalb eine Jagdausübung nicht zulassen (Gaedke, S. 26). Vorliegend hätte es gerade einer Ausnahme von diesem Grundsatz des Jagdverbotes bedurft, um die Würde des Friedhofs zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen. Durch eine – ggf. kurzfristige oder vorübergehende – Gestattung des Jagdrechts hätten weitere Beschädigungen durch Rehe auf dem Friedhof der Beklagten vermieden werden können.
Diese Maßnahmen hat die Beklagte pflichtwidrig nicht ergriffen. Insbesondere wegen der Gebührenpflichtigkeit der Nutzung und vor dem Hintergrund, dass der Kläger wegen des bestehenden Bestattungszwangs auf den Friedhof der Beklagten angewiesen und daran gehindert war, sich in eigener Verantwortung eine Grabstelle anzulegen, waren diese Maßnahmen auch zumutbar (BGH, Urteil vom 20. Juni 1974 – III ZR 97/72 –, juris).
3. Das Verschulden der Beklagten wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Ein Entlastungsbeweis ist nicht angetreten.
4. a) Der Schaden beruht auf der Pflichtverletzung der Beklagten. Wäre die Beklagte ihrer Pflicht zur Verhütung von Wildschäden nachgekommen, wäre die Grabdekoration nicht unmittelbar nach der Beerdigung durch Rehe beschädigt worden. Aufgrund der vom Kläger vorgelegten Lichtbilder von der Grabstelle seines Sohnes nach der Beerdigung (Bl. 65 f. d. A.) steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die sichtbaren Beschädigungen der Grabdekoration durch Rehe verursacht wurden. Insbesondere zeigen die Lichtbilder auch Hufabdrücke von Rehen sowie Rehkot, sodass das Bestreiten der Beklagten insoweit unerheblich ist.
b) Ein Haftungsausschluss war zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls nicht vereinbart. Die seinerzeit gültige Friedhofsordnung enthielt keinen derartigen Ausschluss. Ob der mit Beschluss des Kirchenvorstands vom 23.06.2013 in die Friedhofsordnung aufgenommene Haftungsausschluss wirksam ist, kann vorliegend dahinstehen.
5. Dem Kläger steht der mit dem Antrag zu 1.) geltend gemachte Schadensersatz nur in Höhe von 471,50 € zu. Der Anspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB. Ein weitergehender Anspruch besteht nicht.
a) Aus der an den Kläger adressierten Rechnung der Firma F. B. vom 25.01.2013 (Bl. 6 d. A.) ergibt sich, dass er anlässlich der Beerdigung seines Sohnes für Blumendekoration einen Betrag in Höhe vom 471,50 € aufgewendet hat. Diesen Betrag kann der Kläger infolge der Beschädigung der Grabdekoration durch die Rehe ersetzt verlangen. Demgegenüber ist der Kläger nicht Adressat der Rechnung der Firma B. vom 04.01.2013 über 200,00 € für einen Blütenkranz (Bl. 5 d. A.). Ein Anspruch auf Schadensersatz für diesen Betrag von 200,00 € besteht nicht. Der darüber hinaus geltend gemachte Betrag von 89,54 € (761,04 – 471,50 € – 200,00 € = 89,54) ist vom Kläger auch nach Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2016 nicht dargelegt worden und dementsprechend nicht begründet.
b) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, 187 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat den Betrag von 471,50 € seit dem 03.09.2014 zu verzinsen. Die Rechtshängigkeit ist durch Zustellung der Klage am 02.09.2014 eingetreten.
II. Der mit dem Klageantrag zu 2.) geltend gemachte Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 BGB ist nur in Höhe von 83,54 € entstanden. Die Berechnung der Rechtsanwaltskosten kann nur aus dem zugesprochenen Betrag erfolgen (OLG Frankfurt, Teilurteil vom 19. Februar 2015 – 22 U 113/13 –, juris).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.