Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.07.2001, Az.: L 6 U 216/00
Vorliegen der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anl. zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV; Tätigkeit als Tischler; Beschwerden der gesamten Wirbelsäule; Schweres Heben ohne Hilfsmittel; ständig gebückte Haltung; Durchführung oft tagelanger Möbeltransporte; Berufsgruppe der Fleischträger und Berufsgruppen mit vergleichbarem Belastungsprofil; Leiden schon vor dem Stichtag vorhanden; Erhebliche Zweifel an einer wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursachten Erkrankung; Fehlender zeitliche Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Erkrankung; Lendenwirbelsäule (LWS) altersentsprechend
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 24.07.2001
- Aktenzeichen
- L 6 U 216/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 25202
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0724.L6U216.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 04.04.2000 - AZ: S 6 U 54/97
Rechtsgrundlagen
- § 551 RVO
- § 580 RVO
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Bezirksverwaltung Magdeburg, Keplerstraße 12, 39104 Magdeburg,
hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
ohne mündliche Verhandlung am 24. Juli 2001
durch
den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. C.,
den Richter am Landessozialgericht D.,
die Richterin am Landessozialgericht E. und
die ehrenamtlichen Richter Dr. F. und G.
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. April 2000 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule (HWS) durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter (Berufskrankheit - BK - Nr. 2109 der Anl. zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV) leidet.
Der 1936 geborene Kläger arbeitete von August 1954 bis September 1989 in der H. als Tischler. Wegen Wirbelsäulenbeschwerden war er ab Oktober 1989 als Gruppenleiter beschäftigt (Auskunft der Arbeitgeberin vom 22. Juni 1993, Bescheinigung des Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienstes vom 3. September 1990). Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. I. erstattete die Ärztliche Anzeige über eine BK vom 20. April 1993 und berichtete über Beschwerden der gesamten Wirbelsäule, die der Kläger auf schweres Heben ohne Hilfsmittel und auf eine ständig gebückte Haltung zurückführe. Im Fragebogen vom 5. März 1994 gab der Kläger an, in den Jahren 1954 bis 1989 ungefähr 5 Stunden in der Woche großflächige Span- und Tischlerplatten seitwärts des Körpers getragen zu haben, die ein Gewicht von 60 bis 80 kg hatten. Des Weiteren habe er in den Jahren 1970 bis 1989 6 Stunden je Woche Röhrenspantüren und verglaste Fensterflügel seitwärts des Körpers getragen, die 40 bis 60 kg wogen. Bei der Durchführung von Umzügen habe er durchschnittlich ungefähr 7 Stunden je Woche Möbel, die 40 bis 100 kg schwer gewesen seien, mit über die Schulter gelegten Tragegurten transportiert. In dem von der Arbeitgeberin ausgefüllten Fragebogen vom 29. April 1994 ist festgehalten, dass in den Jahren 1954 bis 1975 beim Umzug von Heimbewohnern Möbel über bis zu 3 Etagen zu transportieren gewesen seien. Nach 1975 sei diese Tätigkeit nur noch selten angefallen. Der Technische Aufsichtsdienst - TAD - der Beklagten gelangte in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 1995 zu dem Ergebnis, dass bei einer durchschnittlichen Häufigkeit von 10 bis 12 Hüben je Arbeitsschicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 nicht gegeben seien. Der Sachbearbeiter der Beklagten hielt trotzdem "in diesem Einzelfall" eine Begutachtung für erforderlich (Vermerk vom 16. März 1995). Prof. Dr. J. und K. erstatteten das chirurgische Gutachten vom 7. November 1995, Frau Dr. L. und die Assistenzärztin M. fertigten das radiologische Zusatzgutachten vom 31. Oktober 1995.
Frau Dr. L. und Assistenzärztin M. beschrieben im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) regelrechte Zwischenwirbelräume. Lediglich der Zwischenwirbelraum im Übergang zum Kreuzbein (L5/S1) war leicht verschmälert. Die Bewegungssegmente L3 bis S1 zeigten diskrete knöcherne Veränderungen, die nicht über das Altersmaß hinausgingen. Lediglich im Bereich des Segments L5/S1 waren die degenerativen Veränderungen etwas stärker - leicht über das Altersmaß hinausgehend - ausgeprägt. Insgesamt stellten sich alle Bandscheiben der LWS unauffällig ohne degenerative Veränderungen und ohne Nachweis eines Prolapses (Vorfalls) oder einer Protrusion (Vorwölbung) dar. Im Rahmen der klinischen Untersuchung fanden Prof. Dr. J. und K. eine altersentsprechend normale Beweglichkeit der LWS. Prof. Dr. J. und K. verneinten das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS, weil diese frei beweglich sei und sich auch radiologisch altersentsprechend weitgehend normal darstelle. Als weitere relevante Erkrankung des Skelettsystems führten die Gutachter neben einer das Altersmaß etwas überschreitenden Degeneration der Brustwirbelsäule (BWS) eine ausgeprägte, das Altersmaß deutlich überschreitende Degeneration der HWS auf. Die röntgenologische Untersuchung hatte ab dem 3. Halswirbelkörper eine ausgeprägte degenerative, das Altersmaß deutlich überschreitende Veränderung im Sinne einer Spondylosis, einer Erniedrigung der Zwischenwirbelräume und einer Unkonvertebralarthrose ergeben. Klinisch bestand im Bereich der HWS eine endgradige Bewegungseinschränkung bei Linksseitenneigung und -drehung. Ansonsten war der Befund unauffällig.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 3. Juni 1996 Entschädigungsleistungen ab. Mit seinem Widerspruch rügte der Kläger, dass die Schädigung der HWS, die durch langjähriges Tragen mit Schultergurten bedingt sei, nicht genügend berücksichtigt worden sei. Privatdozent Dr. N. bestätigte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28. August 1996 eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS und empfahl, noch eine Stellungnahme des TAD zu dieser BK einzuholen. In seiner Stellungnahme vom 12. September 1996 verneinte der TAD die arbeitstechnischen Voraussetzungen auch dieser BK. Eine außergewöhnliche Zwangshaltung der HWS mit einer nach vorn und seitwärts erzwungenen Kopfbeugehaltung habe nicht im Vordergrund gestanden. Auch sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger Lastgewichte von 50 kg und mehr mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen habe. Der Kläger führte in seinem Schreiben vom 13. Oktober 1996 aus, den wöchentlichen Zeitaufwand, die Menge der Hebe- und Tragevorgänge sowie das Gewicht der Gegenstände sehr zurückhaltend aufgeführt zu haben. Die Zwangshaltung der HWS bei Hebe- und Tragevorgängen mit Schultergurt sei sicher gegeben. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 21. März 1997).
Dagegen richtet sich die rechtzeitig vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobene Klage. Nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 4. April 2000 hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass er in der Zeit von 1954 bis 1975 oft tagelang habe Möbeltransporte durchführen müssen. Diesen Zeitraum habe die Beklagte nicht ausreichend berücksichtigt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Transportvorgang mit Tragegurt demonstriert. Das SG hat durch Urteil vom 4. April 2000 den Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente in Höhe von 20 vom Hundert (vH) der Vollrente zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS, die durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter verursacht worden sei. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger insbesondere in der Zeit von 1954 bis 1975 wesentlich mehr als die vom TAD angenommenen 50 bis 60 Trage- und Hebevorgänge je Woche verrichtet habe. Beim Möbeltransport mit Tragegurten ergebe sich eine Zwangshaltung. Anhaltspunkte für eine außerberufliche Entstehung der Erkrankung der HWS gebe es nicht. Eine körpereigene Entstehung erscheine ausgeschlossen, da BWS und LWS lediglich altersentsprechende degenerative Erscheinungen aufwiesen. Die Auswirkungen der BK seien mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH zu bewerten.
Gegen das ihr am 15. Mai 2000 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 29. Mai 2000 eingelegten Berufung. Zur Begründung hat sie einen Bericht über die Belastungen der Mitarbeiter in Möbeltransportbetrieben beim Heben und Tragen von Lasten (Weber/Dankwardt, August 1997) vorgelegt. Danach gebe es nur wenige Möbel, die 50 kg und mehr wögen. Des Weiteren würden nur wenige dieser schweren Lasten auf der Schulter oder mit einem Tragegurt transportiert. Da schwere Möbel, die mit einem Tragegurt zu transportieren seien, immer von 2 Personen getragen würden, halbiere sich die Last für den einzelnen Träger. Im Durchschnitt werde der Gurt 4mal je Umzug eingesetzt. Der Gurt sei so auf die Schulter gelegt, dass die Kraftkomponente nach unten zeige. In keinem Fall bewirke er eine zwanghafte Kopfschiefhaltung. Eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 2109 sei auszuschließen. Des Weiteren hat die Beklagte die Stellungnahmen des Dipl.-Ing. O. vom 24. August 2000 und die beratungsärztliche Stellungnahme des Privatdozenten Dr. N. vom 3. Januar 2001 vorgelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. April 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. April 2000 zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hebt hervor, die im Jahr 1996 untersuchten Arbeiten seien nicht mit den von ihm ausgeführten Arbeiten in den Jahren 1954 bis 1975 zu vergleichen. In dieser Zeit seien jährlich über 100 Umzüge durchzuführen gewesen. Die Möbel seien in den überwiegenden Fällen nicht auseinander gebaut gewesen. Das mit Tragegurten zu tragende Gewicht sei deshalb höher als von der Beklagten angenommen gewesen.
Der Senat hat den Beteiligten mit Verfügung des Berichterstatters vom 20. März 2001 mehrere Aufsätze über bandscheibenbedingte Erkrankungen übersandt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Denn die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§§ 580 f., 551 der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Art. 36 Unfallver-sicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch - SGB - VII - Reichs-versicherungsordnung - RVO), weil die ausgeübte Berufstätigkeit als Tischler, die auch die Durchführung von Umzügen beinhaltete, nicht vom Anwendungsbereich der BK Nr. 2109 der Anl. zur BKV erfasst wird (dazu unter 1). Des Weiteren ist seine Erkrankung nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch diese Tätigkeit wesentlich (mit)verursacht worden (dazu unter 2).
1.
Die BK Nr. 2109 erfasst langjähriges Tragen schwerer Lasten von 50 kg und mehr auf der Schulter. Unter diesen Wortlaut lässt sich die Tätigkeit des Klägers als Tischler in der H. insbesondere in den Jahren 1954 bis 1975 auch dann nicht fassen, wenn sie in diesen Jahren wesentlich durch Umzugsarbeiten mit Hilfe von Tragegurten mitgeprägt war (Mehrtens/ Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, Kommentar, M 2109, Rn. 2, S. 8). Daran bestehen nach dem von der Beklagten vorgelegten Bericht über die Belastungen der Mitarbeiter in Möbeltransportbetrieben beim Heben und Tragen von Lasten erhebliche Zweifel. Die von Möbelwerkern getragenen Lastgewichte liegen nach dieser Untersuchung bei ungefähr 90 vH der Gewichte im Bereich bis zu 30 kg, also deutlich unterhalb der Schwelle von 50 kg. Nur ungefähr 10 vH der zu tragenden Gewichte waren schwerer (Ergebnisse der statistischen Erhebung, Tabelle 4/5). Der Anteil der Verwendung von Tragegurten lag bei unter 1 vH aller Handhabungsvorgänge (a.a.O., Tabelle 6/8 Einsatz technischer Hilfsmittel). Diesen Zweifeln muss der Senat jedoch nicht nachgehen. Insbesondere bedarf es nicht der vom Kläger angeregten Vernehmung früherer Arbeitskollegen. Denn entscheidend ist, dass das Tragen von Lasten mit Tragegurten nicht vom Anwendungsbereich der BK Nr. 2109 erfasst wird. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:
Die mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) erfolgte Bezeichnung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter als BK Nr. 2109 erfasst nach dem Willen der Verordnungsgeberin die Berufsgruppe der Fleischträger und Berufsgruppen mit vergleichbarem Belastungsprofil (Begründung der Änderung der BKV, B zu Artikel 1 Nr. 4a, BR-Drucks. 773/92, S. 9; Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2109, I. Gefahrenquellen, Bundesarbeitsblatt 3/1993, S.53; Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1999 - L 6 U 206/98 - S. 9 f. = HVBG RdSchr VB 100/99; vgl. auch LSG Berlin, Urteil vom 17. August 2000 - L 3 U 81/97 = HVBG-INFO 2001, 145 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 17. Dezember 1997 - L 2 U 1591/97 - S. 8 f. = HVBG RdSchr. VB 35/99 und 11. November 1998 - L 2 U 883/98 = HVBG-INFO 2001, 134 ff.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. Juli 1999 - L 3 U 202/97 = HVBG RdSchr. VB 155/99; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Januar 1997 - L 15 U 231/95 = NZS 1997, 578 f.). Deshalb hat die Art des Tragens nicht nur "eine gewisse Bedeutung" (so SG Gießen, Urteil vom 21. Oktober 1999 = HVBG-INFO 2001, 140 ff.). Vielmehr ist nach dem medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand ein erheblich häufigeres Vorkommen von Verschleißschäden der HWS - dieses ist nach § 551 Abs. 2 RVO (§ 9 Abs. 2 SGB VII) Voraussetzung für die Bezeichnung einer Krankheit als BK - beim Tragen schwerer Lasten auf der Schulter von statischer Belastung und abnormer Haltung der Wirbelsäule abhängig. Der Arbeitsvorgang beim Fleischträger ist - jedenfalls in der Vergangenheit - von dieser besonderen Belastung geprägt gewesen. Deshalb bestehen allenfalls für diese Berufsgruppe die nach der vom Bundesverfassungsgericht (SozR 2200 § 551 Nr. 11) gebilligten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 59, 295, 298) für die Bezeichnung einer Krankheit als BK erforderlichen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (Begründung der Änderung der BKV, a. a. O., S. 9; Merkblatt, IV. weitere Hinweise, a. a. O., S. 55 linke Spalte). Es leuchtet deshalb ein, dass die Verordnungsgeberin die Anwendung der BK Nr. 2109 auf Fleischträger und Berufsgruppen mit ähnlichem Belastungsprofil beschränkt hat.
Entgegen der Auffassung des SG übt das Tragen mit Tragegurten nicht die gleichen biomechanischen Hebelwirkungen aus wie das - die Tätigkeit von Fleischträgern prägende - Tragen schwerer Lasten auf der Schulter (Elster, Berufskrankheitenrecht, C II Nr. 2109 Anm. 2). Bei dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die gutachtliche Stellungnahme des Privatdozenten Dr. N., die er - als von besonderer Sachkunde getragenen, qualifizierten Beteiligtenvortrag - zu würdigen hat (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87). Entgegen der Auffassung des Klägers ist Privatdozent Dr. N. als Chirurg/Unfallchirurg für die Beurteilung der BK Nr. 2109 auch qualifiziert. Denn die Beurteilung der durch mechanische Einwirkungen verursachten, mechanisch induzierten Krankheiten (Anl. zur BKV, Gruppe 21) fällt in den Kompetenzbereich von Chirurgen und Orthopäden (Schröter, Der Orthopäde 2001, 100; vgl. zu den Zuständigkeiten der einzelnen Fachgebiete allgemein Ludolph, Besonderheiten der chirurgisch-orthopädischen Begutachtung in: Ludolph/Lehmann/Schürmann, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, VI. - 1.1). Im Übrigen handelt es sich auch bei dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, das Grundlage der Entscheidung des SG gewesen ist und auf das sich der Kläger stützt, um ein chirurgisches Gutachten.
Privatdozent Dr. N. hat in seiner chirurgischen Stellungnahme vom 3. Januar 2001 (S. 4) überzeugend darauf aufmerksam gemacht, dass das Tragen mit Tragegurten biomechanisch günstiger zu bewerten ist als das Tragen der Fleischträger. Denn die für Fleischträger typische außergewöhnliche Haltung des Halses, die nicht nur in einer Vorwärtsneigung, sondern auch in einer durch den Platzbedarf der Last erzwungenen Schiefhaltung des Halses zur Gegenseite besteht, liegt beim Tragen mit Tragegurten nicht vor. Vielmehr wird in dem o.g. Bericht über die Belastung bei Möbeltransportern hervorgehoben, dass der Vorteil der Tragetechnik mit Gurten u.a. in einer ergonomisch ausgewogenen Körperhaltung liegt (S. 75, 7.1.4 des Abschnitts über Möglichkeiten der Verhütung/Minimierung von Gefährdungen). Privatdozent Dr. N. hat in diesem Zusammenhang auf den medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand hingewiesen (S. 3 der genannten Stellungnahme), wonach Gefahrenquelle das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter darstellt, das mit einer statischen Belastung der cervikalen Bewegungssegmente und mit einer außergewöhnlichen Zwangshaltung der HWS einhergeht (s. auch Merkblatt I. Gefahrenquellen, a.a.O.; Schröter/ Rademacher, Die Bedeutung von Belastung und außergewöhnlicher Haltung für das Entstehen von Verschleißschäden der HWS - dargestellt an einem Kollektiv von Fleischabträgern, Z. ges. Hyg. 1971, 841 ff.). Seine Wertung, dass gleichwohl eine Gefährdung durch das Tragen mit Tragegurten nicht von vornherein auszuschließen sei, vermag dann nicht mehr zu überzeugen und dazu zu führen, dass die Tätigkeit des Klägers unter die BK Nr. 2109 gefasst werden kann.
2.
Doch selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 erfüllt, ist kein für ihn günstiges Ergebnis die Folge. Dabei kann unbeantwortet bleiben, ob Entschädigungsansprüchen nicht schon die Rückwirkungsvorschrift des § 6 Abs. 2 BKV entgegensteht. Danach ist die Anerkennung dieser BK auf Versicherungsfälle beschränkt, die nach dem 31. März 1988 eingetreten sind. Aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen geht jedoch hervor, dass der Kläger schon vor diesem "Stichtag" an dem Krankheitsbild der BK Nr. 2109 litt und dass nach der Auskunft der H. vom 29. April 1994 zu diesem "Stichtag" Möbeltransporte wohl nicht mehr anfielen. Daraus folgt, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale der BK bereits vor dem 1. April 1988 erfüllt sein dürften. Diesem Gesichtspunkt muss der Senat jedoch nicht weiter nachgehen. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass die Erkrankung der HWS des Klägers durch die Berufstätigkeit als Tischler wahrscheinlich wesentlich (mit)verursacht worden ist, auch wenn er in erheblichem Umfang bei Möbeltransporten Lastgewichte mit Tragegurten hat bewegen müssen.
Der erkennende Senat hat sich der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - S. 7 = SGb 1999, 39, 41 linke Spalte mit Anmerkung von Ricke) angeschlossen, dass allein aus der Tatsache beruflich körperlich schwerer Arbeit nicht auf einen wahrscheinlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang einer bandscheibenbedingten Erkrankung mit dieser Tätigkeit geschlossen werden kann (vgl. z. B. die Urteile vom 6. April 2000 - L 6 U 163/99 ZVW - und 20. Juli 2000 - L 6 U 328/99 = Breithaupt 2000, 818, 821 und 1031, 1032). Das gilt auch dann, wenn - was das SG hier annimmt - keine Anhaltspunkte für eine außerberufliche Verursachung bestehen (Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juli 2000, a.a.O., 1033 ff.). Denn Erkrankungen der HWS sind unabhängig von schwerer körperlicher Arbeit weit verbreitet (Thomann/Rauschmann, Begutachtungs- und Rehabilitationsprobleme bei Halswirbelsäulenschäden - aus orthopädischer Sicht, MedSach 2001, 86: "Das 'HWS-Syndrom‘, eine Volkskrankheit"), und Privatdozent Dr. N. hat darauf hingewiesen, dass Bandscheiben-erkrankungen auf vielen Ursachen beruhen (Begründung der Änderung der BKV, a. a. O., S. 8). Deshalb ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob positive Kriterien benannt werden können, die einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zu begründen vermögen. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Veränderungen der HWS belastungskonform sind, also ob zeitnah zur Beendigung der besonderen Belastung der HWS in den 70er Jahren degenerative Veränderungen auch oberhalb der in der allgemeinen Bevölkerung vorrangig betroffenen Segmente C5/6 bestanden (siehe zu diesem Erfordernis ausführlich das Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1999 - L 6 U 206/98 - S. 13 f. = HVBG RdSchr. VB 100/99). Aktenkundig ist ein erster Röntgenbefund aus dem Jahr 1984, der Veränderungen insbesondere in den Segmenten C4 bis C6 beschreibt (Arztbrief des Dr. P. vom 17. Februar 1984). Dieser Frage muss jedoch deshalb nicht weiter nachgegangen werden, weil schon aus einem anderen Grund erheblicher Zweifel an einer wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursachten Erkrankung besteht, auf den Privatdozent Dr. N. aufmerksam gemacht hat.
Gegen eine berufsbedingte Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS spricht schon, dass Beschwerden der HWS erst zu Beginn der 80er Jahre und somit erst über 5 Jahre nach der vom Kläger als die HWS belastend geschilderten Tätigkeit ärztlich dokumentiert sind. Arbeitsunfähigkeit wegen Beschwerden der HWS bestand während der Kuraufenthalte in den Jahren 1986 und 1991 (Auskunft der AOK Wolfenbüttel vom 10. Juni 1993). Denn mit Beendigung der beruflichen Belastung entfällt die beruflich bedingte schädigende Einwirkung, so dass die berufsbedingte Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung mit zunehmender zeitlicher Distanz zur Beendigung der beruflichen Tätigkeit immer unwahrscheinlicher wird (Urteil des erkennenden Senats vom 6. April 2000 - L 6 U 163/99 ZVW = Breithaupt 2000, 818, 825). Schon wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs erscheint eine berufliche Verursachung der Erkrankung der HWS des Klägers zweifelhaft.
Vor allem kann ein Zusammenhang mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit deshalb nicht festgestellt werden, weil nur die HWS des Klägers degenerativ verändert ist. Die LWS des Klägers, die bei den vom Kläger geschilderten Hebe- und Tragevorgängen weit mehr belastet war als die HWS, stellt sich vollkommen altersentsprechend und ohne jede Erkrankung dar (chirurgisches Gutachten des Prof. Dr. J. und des K. vom 7. November 1995, radiologisches Zusatzgutachten der Frau Dr. L. und der Assistenzärztin M. vom 31. Oktober 1995). Entgegen der Auffassung des SG spricht dieses nicht für, sondern entscheidend gegen einen ursächlichen Zusammenhang.
Privatdozent Dr. N. hat plausibel darauf aufmerksam gemacht, dass Tätigkeiten, die ausreichend sind, um eine BK im Sinne der Nr. 2109 der Anl. zur BKV zu verursachen, immer auch die Rumpfwirbelsäule belasten (S. 2 f. der Stellungnahme vom 3. Januar 2001). Wegen dieser zwangsläufigen biomechanischen Wirkung des Tragens schwerer Lasten auf der Schulter kann die BK Nr. 2109 allenfalls dann festgestellt werden, wenn jedenfalls dem Lebensalter deutlich vorauseilende degenerative Veränderungen auch an der LWS bestehen (vgl. auch Schröter, Der Orthopäde 2001, 112 mittlere Spalte). Dieses stimmt mit dem medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand überein, der Grundlage der BKen der Wirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten war. Danach weisen Transportarbeiter, die auch auf der Schulter tragen, neben höhergradigen Veränderungen der HWS auch solche der LWS und BWS auf. Auch darauf hat Privatdozent Dr. N. zutreffend hingewiesen (S. 5 der Stellungnahme vom 3. Januar 2001).
Die oben erwähnte Studie über Fleischträger von SCHRÖTER und RADEMACHER (1971) macht zwar keine Angaben über Veränderungen der BWS und LWS. Aus der Auswertung der Studien über Transportarbeiter durch Bolm-Audorff (Berufskrankheiten der Wirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten in: Konietzko/Dupuis, Handbuch der Arbeitsmedizin, 1993, IV - 7.8.3, S. 4 ff.), der als Berichterstatter im die Bundesregierung beratenden ärztlichen Sachverständigenbeirat - Sektion BKen - beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung maßgeblich an der Aufnahme bandscheibenbedingter Erkrankungen in die Liste der BKen beteiligt war, geht jedoch hervor, dass Rückenschmerzen und Veränderungen der LWS deutlich im Vordergrund standen. In der von HULT (1954) verfassten und im oben erwähnten Merkblatt genannten Studie sind u. a. bei Hafenumschlagsarbeitern im Vergleich zu einer unbelasteten Kontrollgruppe sowohl an der LWS als auch - in geringerem Umfang - an der HWS häufiger Veränderungen festgestellt worden (S. 5 der Stellungnahme des Privatdozenten Dr. N. vom 3. Januar 2001; vgl. auch Weber/Morgenthaler, Gibt es das "typische berufsbedingte Schadensbild"? in: Kügelgen/Böhm/Schröter, Lumbale Bandscheibenkrankheit, 1998, S. 277, 282 rechte Spalte). SCHRÖTER und SCHLOMKA (1954) führten röntgenologische Untersuchungen bei Lastenträgern, die auch im Umzugsgewerbe oder als Sackträger in Müllereibetrieben der ehemaligen DDR tätig waren, und bei Bankangestellten als Kontrollgruppe durch. Die Lastenträger wiesen im Vergleich zu der Kontrollgruppe höhere Veränderungen sowohl im Bereich der HWS als auch im Bereich von BWS und LWS auf (Bolm-Audorff, Zbl Arbeitsmed 1998, 318, 320).
Wegen der vorstehend wiedergegebenen Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen und der biomechanischen Wirkung des Tragens schwerer Lasten auf der Schulter auch für die Rumpfwirbelsäule ist die Feststellung der BK Nr. 2109 jedenfalls dann nicht möglich, wenn sich die LWS - wie beim Kläger - unauffällig und altersentsprechend darstellt. Denn es leuchtet biomechanisch nicht ein und es lässt sich mit dem epidemiologischen Kenntnisstand nicht vereinbaren, dass das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, das zwangsläufig auch die Rumpfwirbelsäule belastet, nur zu Veränderungen der HWS führt und an der LWS keine entsprechenden "Spuren" hinterlässt.
3.
Aus diesen Gründen muss auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden. Auf die Frage, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers infolge der Erkrankung der HWS in rentenberechtigendem Grade, d. h. um mindestens 20 vH gemindert ist, kommt es nicht mehr an. Dieser Wert ist im Übrigen bei einer lediglich endgradigen Bewegungseinschränkung der HWS und ansonsten unauffälligem klinischen und neurologischen Befund (vgl. S. 5 f. des chirurgischen Gutachtens vom 7. November 1995) nicht ohne weiteres plausibel.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.