Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.07.2001, Az.: L 6 U 188/00
Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente wegen Berufsunfähigkeit; Berufsunfähigkeit infolge einer tumorbedingten Darmerkrankung eines Hafenarbeiters, der arbeitsbedingt mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in Berührung kam
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 24.07.2001
- Aktenzeichen
- L 6 U 188/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 15932
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0724.L6U188.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 10.03.2000 - AZ: S 3 U 37/98
Rechtsgrundlage
- § 551 Abs. 2 RVO
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft Mannheim, M 5, 7, 68161 Mannheim,
hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
ohne mündliche Verhandlung am 24. Juli 2001
durch
den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts C.,
den Richter am Landessozialgericht D.,
die Richterin am Landessozialgericht E. und
die ehrenamtlichen Richter F.
für Rechterkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 10. März 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres 1921 geborenen und 1998 verstorbenen Ehemannes, des Versicherten G., die Zahlung von Verletztenrente. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich bei dem Kolonkarzinom, an dem der Versicherte 1985 erkrankte (vgl. den Krankenbericht vom 17. Juli 1985), um eine Berufskrankheit (BK) oder um eine Krankheit, die von der Beklagten wie eine BK zu entschädigen ist, handelte.
Der Versicherte war während seiner Beschäftigung im H. Hafen bis 1979 beim Umschlag von so genanntem "Elektrodenpech" gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) exponiert. Ratsherr I. teilte der Beklagten im August 1996 mit, dass infolge dieser Exposition viele Arbeiter an typischen Tumoren erkrankt seien, die nach wissenschaftlichen Aussagen auf diesen Umschlag zurückzuführen seien. Daraufhin ermittelte die Beklagte auch zu Leistungsansprüchen des Versicherten. Sie zog medizinische Unterlagen und die Ergebnisniederschrift über die Sitzung der Hauptgeschäftsführerkonferenz der gewerblichen Berufsgenossenschaften am 25./26. September 1996 bei. In diesem Protokoll ist vermerkt, dass in Kürze mit einer Empfehlung und ihrer wissenschaftlichen Begründung zu rechnen sei, Lungenkrebs durch PAK als neue BK zu bezeichnen. Da die vorliegenden arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nur ausreichend für eine Entschädigung des durch PAK ausgelösten Lungenkarzinoms seien, könne ein anderes Krankheitsbild nicht entschädigt werden. Aus gewerbeärztlicher Sicht wies Dr. J. die Beklagte darauf hin, dass auch eine Verursachung von Karzinomen des Kehlkopfes und der Niere durch PAK diskutiert werden könne. Bei den übrigen Krebserkrankungen gebe es keine Hinweise, dass eine Exposition gegenüber PAK wesentlich ursächlich sei (Stellungnahme vom 15. April 1997). Daraufhin lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab (Bescheid vom 31. Juli 1997). Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1998).
Das Sozialgericht (SG) Aurich hat die rechtzeitig erhobene Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 10. März 2000 abgewiesen.
Gegen den ihr am 17. April 2000 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit der am 12. Mai 2000 eingelegten Berufung. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass das Kolonkarzinom, an dem ihr Ehemann erkrankte, von der Beklagten zu entschädigen sei und beantragt sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 10. März 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 1998 aufzuheben,
- 2.
das Kolonkarzinom, an dem ihr Ehemann erkrankte, als BK festzustellen, hilfsweise festzustellen, dass es sich bei dieser Erkrankung um eine Krankheit handelte, die von der Beklagten wie eine BK zu entschädigen ist,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihr als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 10. März 2000 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten (§ 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - SGB - I) keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§§ 551, 580 f. der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII - Reichsversicherungsordnung - RVO). Zutreffend haben SG und Beklagte entschieden, dass die Darmerkrankung des Versicherten keine BK ist. Auf die zutreffenden Ausführungen in den angefochtenen Entscheidungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 3 SGG). Es ist auch nicht möglich festzustellen, dass es sich bei der Erkrankung des Versicherten um eine Krankheit handelte, die von der Beklagten wie eine BK zu entschädigen ist.
Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit wie eine BK entschädigen, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Hat die Verordnungsgeberin nach der Prüfung vorhandener Erkenntnisse es abgelehnt, eine Krankheit als BK zu bezeichnen, so sind diese Erkenntnisse nicht mehr neu mit der Folge, dass eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO nicht möglich ist (BSG, Urteil vom 21. Januar 1997 - 2 RU 7/96 - st. Rspr.). Das ist hier der Fall. Im Rahmen der Begründung seiner Empfehlung, Lungenkrebs durch PAK bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren als BK zu bezeichnen, hat der die Bundesregierung beratende ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion "Berufskrankheiten" - beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung geprüft, ob die Anerkennung eines Kolonkarzinoms nach beruflicher Exposition gegenüber PAK als BK in Betracht komme: Zwar beobachteten mehrere Autoren ein erhöhtes Kolonkarzinomrisiko bei bestimmten Berufsgruppen. Allerdings fand sich in der Mehrzahl der epidemiologischen Studien kein erhöhtes Kolonkarzinomrisiko. Auch liegen bislang keine Studien vor, die eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen beruflicher Exposition gegenüber PAK und einem Kolonkarzinomrisiko fanden. Insgesamt konnte eine Empfehlung zur Anerkennung eines Kolonkarzinoms nach beruflicher Exposition gegenüber PAK nicht ausgesprochen werden (Bundesarbeitsblatt 4/1998, 54, 57). Dass seit der Empfehlung des Sachverständigenbeirats neue Erkenntnisse entstanden sind, ist weder ersichtlich, noch von der Klägerin vorgetragen worden. Deshalb ist es den Gerichten und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung verwehrt, Entschädigungsleistungen zu erbringen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.