Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.07.2001, Az.: L 3 KA 9/01
Rügelose Einlassung auf eine Klageerweiterung; Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens bei vertragsärztlichen Abrechnungsstreitigkeiten; Genehmigung zur Abrechnung von bestimmten Laborleistungen; Bescheid über den Honoraranspruch eines zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Frauenarztes; Sachlich-rechnerische Berichtigungen durch die Kassenärztliche Vereinigung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 18.07.2001
- Aktenzeichen
- L 3 KA 9/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 15898
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0718.L3KA9.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 13.12.2000 - AZ: S 16 KA 494/97
Rechtsgrundlagen
- § 99 SGG
- § 83 Abs.2 SGB V
- § 45 Abs.1 BMV-Ärzte
- § 45 Abs.2 BMV-Ärzte
- § 33 Abs.4 Arzt/Ersatzkassen-Vertrag
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, D...,
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
am 18. Juli 2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesozialgericht E.
die Richterin am Landessozialgericht F. und
den Richter am Landessozialgericht G.
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch aus dem Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft sachlich-rechnerische Berichtigungen aus den Quartalen III/96 bis III/98.
Der Kläger ist als Frauenarzt in H. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Beschluss vom 6. November 1989 erteilte der Vorstand der Bezirksstelle I. der Beklagten dem Kläger die Genehmigung zur Abrechnung der Laborleistungen nach Abrechnungsnummer 4140 für LH, HCG, FSH, Prolactin, HPL und Östriol sowie nach Abrechnungsnummer 4145 für Testosteron und Östradiol. Die Abrechnungsgenehmigung der Nummer 4145 für DHEAS, Progesteron und Androstendion werde dagegen nicht erteilt, weil diese Leistungen für das Gebiet des Frauenarztes fachfremd seien.
Mit am 18. Februar 1997 zur Post gegebenem Bescheid über den Honoraranspruch des Klägers für das Quartal III/96 teilte die Bezirksstelle I. der Beklagten dem Kläger mit, dass die von ihm abgerechnete Gebührennummer 4246 nicht den Gebührenordnungs- bzw. Abrechnungsbestimmungen entspreche, weil diese Leistungen aus dem Kapitel O III der Gebührenordnung genehmigungspflichtig seien und ihm eine derartige Genehmigung nicht erteilt worden sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 17. März 1997 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig die Genehmigung für die Abrechnung dieser Ziffer. Zur Begründung erläuterte er, die Erbringung dieser Leistung gehöre eindeutig zum Fach Gynäkologie und sei deshalb nicht als fachfremd zu beurteilen. Die Technik der Erbringung gleiche der Erbringung der genehmigten Ziffern seines Hormonlabors; seine Qualifikation ergebe sich aus seiner langjährigen Erfahrung mit Hormonanalysen.
Mit bindend gewordenem Beschluss vom 20. April 1998 lehnte die Bezirksstelle I. der Beklagten die beantragte Abrechnungsgenehmigung mit der Begründung ab, dem Kläger fehle das gemäß Abs. 6 des Anhanges zu Abschnitt E der Laborrichtlinien der KBV erforderliche Zeugnis, das seine Qualifikation zur Durchführung dieser Leistungen beinhalte.
Den Widerspruch betreffend die sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal III/96 wies die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juni 1998 unter Hinweis auf die fehlende Abrechnungsgenehmigung zurück.
Die dagegen erhobene Klage hat das SG Hannover durch Urteil vom 13. Dezember 2000 abgewiesen, nachdem es zuvor die Parallel-Verfahren betreffend die Quartale IV/96 bis IV/97 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Quartale I bis III/98 im Wege der Klageerweiterung einbezogen hat. In der Begründung hat es dargelegt, dem Kläger fehle die für die Abrechnung der GO-Nr. 4246 erforderliche Genehmigung. Soweit ihm im Jahre 1989 die Genehmigung zur Abrechnung der GO-Nrn. 4140 und 4145 (teilweise) erteilt worden sei und diese von der tatsächlichen Ausführung der Leistung denjenigen Leistungen ähnele, die der betroffene Arzt nach den neu gestalteten Bestimmungen des EBM 96 abrechnen wolle, helfe ihm diese Genehmigung nicht weiter, weil mit dem Begriff "Ähnliche Untersuchungen" in der GO-Nr. 4246 diese nicht gemeint seien. Ändere sich im Verlaufe von Neufassungen des EBM die Abrechnungsnummer für die einmal erteilte Genehmigung, so erstrecke sich die Genehmigung selbstverständlich auch auf die neue Abrechnungsnummer. Dies gelte jedoch nur dann, wenn die mit der neuen Abrechnungsnummer bezeichnete Leistung tatsächlich identisch sei mit derjenigen, für die der Arzt eine Genehmigung erhalten habe. Handele es sich hingegen nicht nur um eine neue Benennung der bereits genehmigten Leistung, sondern werde der Leistungsinhalt der neuen EBM-Nr. neu gefasst, so erstrecke sich die einmal erteilte Genehmigung nicht auf diesen neuen Leistungsinhalt, sofern es nicht ausdrückliche Übergangsregelungen in der Neufassung des EBM gebe.
Gegen dieses seinem Bevollmächtigten am 18. Januar 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Februar 2001 Berufung eingelegt. Das SG habe verkannt, das der EBM im Abschnitt O III wegen der zum 1. April 1994 in Kraft getretenen Laborreform einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen worden sei. Die neue GO-Nr. 4246 sei als Nachfolgeziffer für die GO-Nr. 4145 zu betrachten, für die er unstreitig eine Abrechnungsgenehmigung erhalten habe. Die Beklagte habe demnach zu Unrecht die sachlich-rechnerischen Berichtigungen vorgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Hannover vom 13. Dezember 2000 sowie
- die Bescheide der Beklagten vom 18. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12 Juni 1997 (Quartal III/96),
- vom 14. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 1997 (Quartal IV/96),
- vom 4. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1997 (Quartal I/97),
- vom 12. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1998 (Quartal II/97),
- vom April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1998 (Quartal III/97),
- vom Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1998 (Quartal IV/97),
- vom August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 1998 (Quartal I/98),
- vom 22. Oktober 1998 (Quartal II/98) und vom 21. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1999 (Quartal III/98)
aufzuheben, soweit in ihnen sachlich-rechnerische Berichtigungen bezogen auf die GO-Nr. 4246 vorgenommen wurden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 SGG zulässige Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 153 Abs. 4 SGG).
Gegenstand des Verfahrens sind die Klagen gegen die Bescheide der Beklagten betreffend die Quartale III/96 bis IV/97, die durch den Beschluss des SG Hannover vom 27. Januar 1998 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden. Darüber hinaus sind auch die Bescheide über die sachlich-rechnerischen Berichtigungen der GO-Nr. 4246 in den Quartalen I bis III/98 im Wege der Klageerweiterung gemäß § 99 Abs. 1 und 2 SGG Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens geworden, weil sich die Beklagte auf die mit Schriftsätzen des PB des Klägers vom 28. September und 28. Dezember 1998 gestellten entsprechenden Anträge des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung des SG am 13. Dezember 2000 rügelos eingelassen hat. Nach der Rechtsprechung des BSG steht der Zulässigkeit der Klageerweiterung auch bezüglich des Quartals II/98 nicht entgegen, dass das Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt wurde. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich über die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus aus dem Regelungszweck des § 78 SGG Ausnahmen vom Erfordernis des Vorverfahrens ergeben könnten. So bedürfe es keiner Nachprüfung der als mitangefochten geltenden Bescheide durch die Widerspruchsbehörde. Für einen durch (gewillkürte) Klageänderung in das Verfahren einbezogenen Verwaltungsakt habe der 7. Senat des BSG die Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens mit der Begründung verneint, bei dem neuen Verwaltungsakt gehe es um dieselbe Rechtsfrage wie in den zunächst angefochtenen Bescheiden, und die Beklagte, die über den Widerspruch zu befinden gehabt hätte, habe der Klageerweiterung zugestimmt. In anderen Entscheidungen sei die Erteilung des Widerspruchsbescheides aus prozessökonomischen Erwägungen für entbehrlich gehalten worden, wenn die zuständige Behörde in der Klageerwiderung zu erkennen gegeben habe, dass sie an der getroffenen Regelung festhalten werde. Für den Bereich der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, die eine dem § 96 SGG vergleichbare Regelung nicht kenne, bestehe Einigkeit, dass ein Widerspruchsbescheid nicht erwartet werden könne, wenn in einem bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt durch einen neuen geändert oder ersetzt werde und dieser im Wege der Klageänderung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden solle. Dasselbe werde für den Fall angenommen, dass der neue Verwaltungsakt die im Ausgangsbescheid getroffene Regelung für einen späteren Zeitraum wiederhole und das geänderte Klagebegehren im wesentlichen denselben Streitstoff betreffe wie das ursprünglich durchgeführte Vorverfahren. Diese Grundsätze seien auf vertragsärztliche Abrechnungsstreitigkeiten zu übertragen. Handele es sich darum, dass der Honoraranspruch eines Vertragsarztes in späteren Quartalen in derselben, von ihm bereits im Ausgangsverfahren beanstandeten Weise geregelt werde, und bestehe zwischen den Beteiligten Übereinstimmung, dass über die Folgebescheide im Rahmen des bereits anhängigen Prozesses mit entschieden werden solle, so sei auch dann, wenn kein Fall des § 96 SGG vorliege, dem Zweck des Vorverfahrens, die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zunächst durch die Verwaltung selbst überprüfen zu lassen, durch die im Ausgangsverfahren getroffene Widerspruchsentscheidung genüge getan (vgl. zum Vorstehenden BSG in SozR 3-2500 § 85 SGB V Nr. 12 Seiten 75/76 mit weiteren Nachweisen).
Das SG hat die gegen die von der Beklagten ausgeführten sachlich-rechnerischen Berichtigungen betreffend die Abrechnung der GO-Nr. 4246 in den Quartalen III/96 bis III/98 gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Rechtsgrundlage für die durchgeführten sachlich-rechnerischen Berichtigungen sind § 45 Abs. 1 und 2 BMV-Ärzte betreffend die Primärkassen und § 33 Abs. 4 Arzt/Ersatzkassen-Vertrag betreffend die Ersatzkassen. Nach diesen weitgehend übereinstimmenden Regelungen obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich ihrer sachlich-rechnerischen Richtigkeit, auch unter Anwendung eines Regelwerkes. Sie berichtigt gegebenenfalls die fehlerhafte Honorarforderung des Vertragsarztes.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall in Bezug auf die von dem Kläger abgerechnete GO-Nr. 4246 gegeben. Dabei handelt es sich um eine quantitative Bestimmung mittels Immunoassay (je Untersuchung 600 Punkte) bezogen auf einen Katalog von Stoffen mit den Ziffern 4228 bis 4240. Die GO-Nr. 4246 bezieht sich auf "ähnliche Untersuchungen unter Angabe der Art der Untersuchung". Diese im Abschnitt O III des EBM-Ä enthaltenen GO-Nrn. sind nach Ziffer 4 des Anhanges zu Abschnitt E der Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für die Durchführung von Laboruntersuchungen in der vertragsärztlichen Versorgung nur nach vorheriger Genehmigung der jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung unter Nachweis der erforderlichen Fachkunde abrechenbar. Der Kläger hat diese Genehmigung zwar im Oktober 1997 bei der Beklagten beantragt, diese hat sie jedoch mit dem zwischen den Beteiligten bindend gewordenen Bescheid vom 23. April 1998 nicht erteilt.
Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte ihm mit Beschluss vom 6. November 1989 eine Genehmigung zur Abrechnung der GO-Ziffern 4140 und 4145 (teilweise) erteilt hat. Die in dieser Genehmigung enthaltenen Stoffe, deren Untersuchung und Abrechnung dem Kläger gestattet wurde, finden sich in dem Katalog der EBM-Nrn. 4228 bis 4240, auf die sich die Auffangnr. 4246 bezieht, nicht wieder. Selbst wenn die vom Kläger angewandte Untersuchungsmethode identisch ist, kommt es für die Anwendung der GO-Nr. 4246 darauf an, dass ein dem voranstehenden Katalog von Stoffen vergleichbarer Stoff untersucht wird. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr sind die in der Genehmigung vom 06.11.1989 genannten Stoffe in den Abrechnungsziffern 4211(FSH), 4212 (LH), 4213 (HPL), 4214 (Prolaktin), 4215 (Östradiol), 4216 (Östriol) und 4218 (Testosteron) genannt, die in einem voranstehenden gesonderten Katalog enthalten sind. Ob eine Abrechnung der vom Kläger in den streitigen Quartalen erbrachten Leistungen, die er nach der GO-Nr. 4246 abgerechnet hat, eventuell nach den oben genannten GO-Nrn. abrechnungsfähig sind, braucht im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden, weil Gegenstand des Verfahrens ausschließlich die sachlich-rechnerische Berichtigung bezogen auf die GO-Nr. 4246 ist. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass die im Kapitel über Laboratoriumsuntersuchungen im Anschluss an einzeln aufgeführte Laborleistungen genannten weiteren Leistungstatbestände betreffend "ähnliche Untersuchungen" (GO-Nrn. 4224, 4246, 4272, 4288 und 4298) nach der Rechtsprechung des BSG durch die Kassenärztlichen Vereinigungen nur einschränkend ausgelegt werden dürfen. Dies folge daraus, dass der Bewertungsausschuss mit der Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes nur bei dieser Handhabung nicht gegen seine Verpflichtung verstoßen hat , im wesentlichen selbst den Inhalt der vertragsärztlichen Versorgung festzulegen (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr. 11, Seiten 52/53).
Bezogen auf das Quartal III/98 sind noch folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
Der Kläger hat in seinem Widerspruchsschreiben vom 12. Juli 1999 selbst eingeräumt, dass er die einmonatige Widerspruchsfrist versäumt hat. Zu Recht hat es die Beklagte unter Würdigung der vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 4. August 1999 genannten Gründe abgelehnt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren, weil der Kläger die Wiederspruchsfrist schuldhaft versäumt hat.
Nach allem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.