Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.07.2001, Az.: L 3 KA 22/01
Zahlung eines Restbetrages auf die Gesamtvergütung für das Jahr 1995; Rückwirkende Anhebung des Vertragspunktwertes aufgrund eines Vertrages über die Höhe der Gesamtvergütung; Ausschöpfung der höchstzulässigen Gesamtvergütung; Vorlage der Schlussabrechnung; materiell-rechtliche Ausschlussfrist; Rechtsfolgen einer Fristversäumnis; Auslegung von Willenserklärung und Verträgen; Keine bloße Ordnungsvorschrift; Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung; Begleitumstände in die Auslegung mit einzubeziehen; Rechtsfolgen eines geheimen Vorbehalts; Keine Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 10.07.2001
- Aktenzeichen
- L 3 KA 22/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 15872
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0710.L3KA22.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 21.02.2001 - AZ: S 31 KA 602/97
Rechtsgrundlagen
- § 85 Abs. 2 Satz 1 SGB V
- § 133 BGB
- § 157 BGB
- § 116 BGB
- § 242 BGB
Prozessführer
Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen, A...,
Prozessgegner
XXX
Sonstige Beteiligte
Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., D...,
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
am 10. Juli 2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht E.,
die Richterin am Landessozialgericht F. und
den Richter am Landessozialgericht G.
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren zu erstatten; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die klagende Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) begehrt von der beklagten Krankenkasse die Zahlung eines Restbetrages in Höhe von 86.331,08 DM auf die Gesamtvergütung für das Jahr 1995.
Unter anderem für die Klägerin führte die niedersächsische Landesvertretung des beigeladenen Verbandes der Angestellten-Krankenkassen mit der Klägerin Ende 1994/Anfang 1995 Verhandlungen über die Höhe der für 1995 zu erbringenden Gesamtvergütung. Die Verhandlungen blieben zunächst erfolglos. Mit Wirkung zum 01. Juli 1995 bestellte der niedersächsische Sozialminister mit Erlass vom 28. Juni 1995 den Ministerialdirigenten I. zur Wahrnehmung der Aufgaben der Vertreterversammlung und des Vorstandes der Klägerin als Beauftragten nach § 79 a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Buch V Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Dieser nahm umgehend neue Verhandlungen mit dem Beigeladenen auf, die am 06., 10. und 13. Juli über insgesamt mehr als fünf Stunden geführt wurden. Auf Seiten der Klägerin nahmen neben Herrn I. überwiegend insbesondere auch Herr J., ihr damaliger und heutiger Geschäftsführer, teil.
Nach Abschluss der Verhandlungen schlossen für die Klägerin Herr I. und für den Beigeladenen Herr K. noch am 13. Juli 1995 einen schriftlichen Vertrag "über die Abgeltung der Leistungen nach den Gebührentarifen A, B, C, D und E in 1995". Dieser enthielt insbesondere folgende Regelungen:
I.1.
Die Ersatzkassen zahlen ab dem 01.01.1995 für Leistungen nach den Gebührentarifen A, B und E folgende Punktwerte:VdAK: 1,57 DM ...
I. 3.
Die Vertragspartner streben vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Risikostrukturausgleiches sowie der Regionalisierung des Vertragswesens der Ersatzkassen und aufgrund der Abrechnungsergebnisse des Vorjahres eine Ausschöpfung der höchstzulässigen Gesamtvergütungen bis zu einer Quote von maximal 98 % an. Sollten die jeweiligen verbandsbezogenen höchstzulässigen Gesamtvergütungen mit den unter 1. festgelegten Beträgen aufgrund der angeforderten Leistungsmenge mit einer Quote von unter 98 % ausgeschöpft werden, erfolgt eine rückwirkende Anhebung der Punktwerte für das Jahr 1995 bis zu einem Betrag vonVdAK: 1,587,00 DM ...,
soweit hierdurch die Ausschöpfungsquote von 98 % der höchstzulässigen Gesamtvergütungen nicht überschritten wird. Die Schlussabrechnung für das Jahr 1995 erfolgt bis zum 30.06.1996.
II. 1.
Die Festlegung der höchstzulässigen Gesamtvergütungen in 1995 erfolgt auf der Basis der höchstzulässigen Gesamtvergütungen des Jahres 1994. Die zugrundegelegten Ausgangsdaten basieren auf den über die KZVN geleisteten Honorarzahlungen des Jahres 1993 für die Gebührentarife A, B und E, inklusive ein Drittel IP-Leistungen (= IP-alt), inklusive Material- und Laborkosten...II. 3.
Für die Budgetberechnungen werden folgende Ausgangsdaten aus 1993 zugrundegelegt:VdAK: 406.604.760,00 DM
nachrichtlich Kostenerstattung: 2.684.000,00 DM ...
II. 5.
Die Parteien verpflichten sich, bis spätestens 15.09.1995 die unter 3. genannten Abrechnungsdaten aus 1993 abzustimmen. Ergibt sich aus dieser Abstimmung Korrekturbedarf, so werden die Daten entsprechend angepasst...
In den folgenden Monaten erfolgten Abstimmungsversuche der Beteiligten bezüglich der unter Ziff. II.3. des Vertrages genannten Abrechnungsdaten, die jedoch nicht in eine einvernehmliche schriftliche Vereinbarung über die Abänderung der in dem Vertrag vom 13. Juli 1995 genannten Daten mündeten.
1995 erbrachten die Mitglieder der Klägerin nach deren Angaben gegenüber den Mitgliedern der Beklagten Leistungen, die unter Zugrundelegung des Vertragspunktwertes von 1,57 DM mit 8.053.321,37 DM zu vergüten waren. Der Betrag von 8.053,321,37 DM ist von der Beklagten entrichtet worden.
Gegenüber allen VdAK-Kassen erbrachten die Mitglieder der Klägerin nach deren Angaben Leistungen in einem Honorarumfang von 428.399.500,00 DM unter Zugrundelegung eines Punktwertes von 1,57 DM.
Am 02. August 1996 fasste der Vorstand der Klägerin einen Beschluss, in dem er die Auffassung vertrat, dass nach Ziff. I.3. des Vertrages vom 13. Juli 1995 eine rückwirkende Anhebung des Vertragspunktwertes auf 1,587,00 DM erfolgen müsse. In der Folgezeit ab September 1996 bemühte sich die Klägerin zunächst vergebens, die kassenspezifischen Mitgliederzahlen der Angestellten-Krankenkassen zu erlangen. Im Dezember 1996 richtete die Klägerin an den Beigeladenen eine Endabrechnung für das Jahr 1995, mit der sie ihr Begehren auf rückwirkende Anhebung des Vertragspunktwertes auf 1,587,00 DM gemäß Ziff. I.3. des Vertrages vom 13. Juli 1995 begründete.
Mit Schreiben vom 13. Juni 1997 spezifizierte die Klägerin die zunächst gegenüber dem Verband erteilte Gesamtabrechnung gegenüber der Beklagten dahingehend, dass unter Zugrundelegung des maximal möglichen Vertragspunktwertes von 1,587,00 DM von dieser Nachzahlungen in Höhe von 86.331,08 DM zu erbringen seien. Diesem Begehren trat die Beklagte insbesondere mit der Begründung entgegen, dass die Klägerin den in Ziff. I.3. Satz 3 des Vertrages vom 13. Juli 1995 vorgesehenen Termin für die Abgabe der Schlussabrechnung für das Jahr 1995 versäumt habe.
Mit ihrer am 29. August 1997 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die nach Ziff. I.3. des Vertrages maßgebliche Quote von 98 % der höchstzulässigen Gesamtvergütung im Jahr 1.995.438.097.211,00 DM betragen habe. Demgegenüber habe die auf der Basis eines Vertragspunktwertes von 1,57 DM durchgeführte Ist-Abrechnung lediglich zu Honorarzahlungen in Höhe von 428.399.500,00 DM geführt, so dass nach Ziff. I.3. des Vertrages der Vertragspunktwert rückwirkend auf 1,587,00 DM zu erhöhen sei. Selbst mit einer solchen rückwirkenden Anpassung würde die vertraglich vorgesehene 98 %ige Ausschöpfung der höchstzulässigen Gesamtvergütung nicht erreicht.
Unter Berücksichtigung des von den Vertragsbeteiligten verfolgten Zieles einer Ausschöpfung der höchstzulässigen Gesamtvergütung bis zu einer Quote von maximal 98 % sei auch kein Raum für eine Interpretation der in dem Vertrag vorgesehenen Frist zur Vorlage der Schlussabrechnung im Sinne einer Ausschlussfrist. Auch sonst seien in dem Vertrag die Rechtsfolgen für den Fall einer Fristüberschreitung nicht ausdrücklich geregelt worden.
Mit Urteil vom 21. Februar 2001, der Klägerin zugestellt am 30. März 2001, hat das Sozialgericht Hannover die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Nach dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarungen verliere diejenige Vertragspartei, die ihre aus dem Abrechnungsjahr 1995 resultierenden Ansprüche erst nach dem 30. Juni 1996 geltend mache, ihr Recht auf Durchsetzung dieser Ansprüche. Durch diese unbedingte Regelung hätten die Vertragsparteien Rechtsklarheit schaffen wollen. Allerdings müsse durch Auslegung ermittelt werden, ob unter Umständen eine Fristüberschreitung unschädlich sei. Dies komme namentlich dann in Betracht, wenn die Klägerin aus von ihr nicht zu verantwortenden Gründen an der rechtzeitigen Vorlage der Schlussabrechnung gehindert worden wäre. Ein solcher Ausnahmefall sei im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht ersichtlich.
Mit ihrer am 30. März 2001 eingelegten Berufung hebt die Klägerin insbesondere hervor, dass die vertragliche Bestimmung der Ziff. I.3. Satz 3 keine ausdrückliche Regelung über die Rechtsfolgen einer Fristversäumnis treffe. Diese Lücke sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Maßgeblich sei insoweit der objektiv erkennbar erklärte rechtsgeschäftliche Wille der vertragschließenden Beteiligten. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass im Zuge der Vertragsverhandlungen der Charakter des Rechnungslegungsdatums als Ausschlussfrist nie diskutiert worden sei. Herr I. als der damalige Vertreter der Klägerin sei bis heute der Auffassung, dass die Regelung nicht die Bedeutung einer Ausschlussfrist aufweise.
Selbst wenn die Bestimmung im Sinne einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist zu interpretieren sein sollte, könne sich die Klägerin unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben auf eine Fristversäumung nicht berufen. Sie, die Klägerin, habe Ziff. I.3. Satz 2 des Vertrages dahingehend verstanden, dass zunächst die in dem Vertrag verbandsbezogen festgelegten höchstzulässigen Gesamtvergütungen auf die einzelnen Mitgliedskassen "heruntergebrochen" werden und erst anschließend kassenbezogen der Ausschöpfungsgrad ermittelt werden sollte. Dieser Rechenweg hätte jedoch die Kenntnis der Mitgliederbewegungen der Mitgliedskassen vorausgesetzt. Diese Zahlen sei ihr nicht bekannt gewesen. Auch habe sich die Beklagte zur Übergabe entsprechender Zahlen nicht bereit gefunden, obwohl sie durch entsprechende Informationen eine zeitnahe Abrechnung hätte ermöglichen können.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Februar 2001 aufzuheben und
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 86.331,08 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29. August 1997 zu zahlen.
Der Beigeladene beantragt – zugleich im Namen der Beklagten –,
die Berufung zurückzuweisen.
Seiner Auffassung nach hat das Sozialgericht zutreffend die Frist der Ziff. I.3. Satz 3 des Vertrages im Sinne einer materiell-rechtlich wirksamen Ausschlussfrist gedeutet, die von Seiten der Klägerin versäumt worden sei. Überdies scheitere der geltend gemachte Restzahlungsanspruch auch daran, dass die in Ziff. II.5. des Vertrages vorgesehene Abstimmung nicht innerhalb der dort genannten Frist erfolgt sei. Überdies habe die Klägerin ihren Berechnungen einen überhöhten Wert für die höchstzulässige Gesamtvergütung 1995 zugrundegelegt, da sie unzulässigerweise auch die so genannten KfO-Leistungen in die Berechnungen mit einbezogen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Über die vorliegende Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zutreffend dargelegt, dass der geltende gemachte Restvergütungsanspruch der Klägerin jedenfalls daran scheitert, dass diese die in Ziff. I.3. Satz 3 des Vertrages vom 13. Juli 1995 vorgesehene Ausschlussfrist für die Vorlage der Schlussabrechnung für das Jahr 1995 nicht eingehalten hat.
Der Vertrag vom 13. Juli 1995 stellt einen Vertrag über die Höhe der Gesamtvergütung im Sinne des § 85 Abs. 2 Satz 1 SGB V dar. Bei seinem Abschluss ist die Klägerin durch den Ministerialdirigenten I. wirksam vertreten worden, da dieser mit Erlass des niedersächsischen Sozialministers vom 28. Juni 1995 mit Wirkung zum 01. Juli 1995 zum Beauftragten nach § 79 a Abs. 1 SGB V zur Wahrnehmung der Aufgaben der Vertreterversammlung und des Vorstandes der Klägerin bestellt worden ist. Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit dieser Bestellung sind weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich; im Übrigen wären etwaige derartige Bedenken im vorliegenden Zusammenhang auch deshalb nicht relevant, weil sich der im vorliegenden Verfahren geltend gemachte Leistungsanspruch gerade auf den Gesamtvergütungsvertrag vom 13. Juli 1995 stützt. Mithin hätte die Klägerin mit der Erhebung der vorliegenden Klage den Abschluss des Vertrages durch Herrn I. – soweit erforderlich – jedenfalls genehmigt. Schon deshalb ist kein Raum für die Einschätzung der Klägerin, dass sie vor Abschluss des Vertrages nicht in dem erforderlichen Umfang "gehört" worden sein könnte.
Die Regelung der Ziff. I.3. Satz 3 des Vertrages sieht vor, dass die Schlussabrechnung für das Jahr 1995 bis zum 30.06.1996 erfolgt. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass diese vertragliche Bestimmung im Sinne einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist mit der Folge zu interpretieren ist, dass die Klägerin keine Ansprüche mehr aus der Regelung der Ziff. I.3. geltend machen kann, da sie die Frist des Satzes 3 zur Vorlage der Schlussabrechnung für das Jahr 1995 verstreichen ließ.
Nach den entsprechend anzuwendenden §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist bei der Auslegung von Willenserklärung und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2000 - VIII ZR 275/98– NJW – RR 2000, 1002, 1003).
Der Wortlaut der Regelung, wonach die Schlussabrechnung für das Jahr 1995 bis zum 30. Juni 1996 "erfolgt", vermag zwar den Charakter dieser Klausel nicht abschließend zu klären, deutet jedoch eher auf die Vereinbarung einer Ausschlussfrist. Hätten die Beteiligten nur eine Ordnungsvorschrift vereinbaren wollen, die die Klägerin sanktionslos hätte missachten könne, dann hätte es jedenfalls nahegelegen, die Formulierung dahingehend abzuschwächen, dass die Schlussabrechnung bis zum 30.06.1996 "erfolgen soll" oder dass die Klägerin "sich bemühen wird", diese Abrechnung bis dahin zu erstellen.
Gegen die Annahme einer bloßen Ordnungsvorschrift spricht überdies, dass die Regelung der Ziff. I.3. Satz 3 damit rechtlich funktionslos wäre. Die Beteiligten hätten ebenso gut auf jede Regelung über den Zeitpunkt für die Vorlage der Schlussabrechnung verzichten können, wenn eine Versäumung der vertraglich vorgesehenen Frist für die Klägerin keine Konsequenzen hätte haben sollen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist aber anzunehmen, dass eine vertragliche Bestimmung nach dem Willen der Parteien einen bestimmten rechtserheblichen Inhalt haben soll. Deshalb ist bei mehreren an sich möglichen Auslegungen derjenigen der Vorzug zu geben, bei welcher der Vertragsnorm eine tatsächliche Bedeutung zukommt, wenn sich diese Regelung ansonsten (zumindest teilweise) als sinnlos erweisen würde (vgl. BGH, Urteil vom 01. Oktober 1999 - V ZR 168/98– NJW 1999, 3704, 3705 [BGH 01.10.1999 - V ZR 168/98]) [BGH 01.10.1999 - V ZR 168/98].
Im vorliegenden Zusammenhang wird diese Beurteilung noch dadurch bestätigt, dass sich die Beteiligten im Zuge der ausführlichen Vertragsverhandlungen auch eingehend mit der Frage der Bindungswirkung ihrer Vereinbarungen befasst haben. So haben sie insbesondere die Regelung, wonach die Klägerin zu gewährleisten habe, dass die von Ersatzkassen gezahlten Honorarbeträge in vollem Umfang entsprechend der 1995 für Ersatzkassen-Versicherte erbrachten Leistungen an die niedersächsischen Zahnärzte zur Auszahlung gelangen, nach eingehenden Verhandlungen aus dem eigentlichen Vertragstext herausgenommen und zum Gegenstand einer gesonderten Protokollnotiz gemacht. Zu diesem Punkt hält beispielsweise das von der Klägerin erstellte – bezeichnenderweise knapp 40 Seiten bei einem Vertragstext von 2 ½ Seiten umfassende – Protokoll der Vertragsverhandlungen die Äußerungen des Verhandlungsführers des Beigeladenen K. fest, dass eine solche Protokollnotiz ein anderes Gewicht habe, als wenn die Regelung direkt im Vertrag stehe (vgl. S. 38 des Protokolls). Gerade in Anbetracht einer solchen sorgfältigen Vorgehensweise erscheint es fernliegend, dass die Beteiligten andererseits Fristbestimmungen in das Vertragswerk aufgenommen haben sollen, ohne dieser eine klare rechtliche Bedeutung beizumessen.
Auch der im Rahmen der Auslegung maßgeblich zu berücksichtigende Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1995 – XI ZR 6/95– BGHZ 131, 136, 138) [BGH 31.10.1995 - XI ZR 6/95] spricht für eine Interpretation der Regelung im Sinne einer Ausschlussfrist. Nach langen Verhandlungen hatte sich die beigeladene Krankenkassen-Landesvertretung erstmals in einer Gesamtvergütungsvereinbarung mit der Klägerin bereit erklärt, den Punktwert rückwirkend für das Abrechnungsjahr zu erhöhen, sofern sich im Nachhinein herausstellen würde, dass die höchstzulässige Gesamtvergütung nicht zu einer (von beiden Seiten für vertretbar erachteten) Quote von maximal 98 % ausgeschöpft würde, und zwar höchstens bis zu einem Punktwert von 1,587,00 DM. Mit dieser Regelung waren die Krankenkassen der Klägerin entgegengekommen, da damit den Interessen der Zahnärzte an einer möglichst guten Honorierung ihrer Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben über die zulässige Höhe der Gesamtvergütungen nahezu weitestmöglich entsprochen wurde. Dieses Entgegenkommen war für die Krankenkassen mit Abrechnungsschwierigkeiten verbunden, da bis zur Klärung der Frage einer rückwirkenden Punktwertanhebung nicht abschließend zu überblicken war, welche Leistungen die betroffenen Krankenkassen an die Klägerin zu erbringen hatten. Um die sich daraus ergebenden Nachteile für die betroffenen Krankenkassen in Grenzen zu halten, sah der von dem Beigeladenen im Zuge der Vertragsverhandlungen vorgelegte Entwurf, der insoweit auch Vertragsinhalt geworden ist, eine Frist für die Vorlage der Schlussabrechnung für das Jahr 1995 bis zum 30. Juni 1996 vor. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Krankenkassen jedenfalls nach dem 01. Juli 1996 überblicken konnten, ob von Seiten der Klägerin Nachforderungen in Anwendung der Ziff. I.3. des Vertrages geltend gemacht wurden. Dieses Ziel konnte diese Vertragsklausel nur dann erreichen, wenn sie den Charakter einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist aufwies. Schutzwürdige Interessen der Klägerin wurden dadurch schon deshalb nicht berührt, weil eine Wahrung dieser Frist nach den den Beteiligten bei Vertragsschluss erkennbaren Umständen für sie nicht mit nennenswerten Problemen verbunden war.
In einem weiteren Auslegungsschritt sind überdies die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit diese einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2000 – a.a.O.). Auch diese bestätigen das vorstehend erläuterte Interpretationsereignis. In diesem Zusammenhang sind namentlich die zum Vertragsschluss führenden Verhandlungen zu berücksichtigen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die die Vorverhandlungen führenden Personen zum späteren Vertragsabschluss berechtigt sind (vgl. BGH, Urteil vom 08. Juli 1999 – III ZR 5/98– NJW 1999, 3191); dementsprechend steht es einer Berücksichtigung von Äußerungen während der Verhandlungen erst recht nicht entgegen, dass diese von einem zum Vertragsschluss nicht bevollmächtigten Vertreter eines Beteiligten in Gegenwart des Vertretungsberechtigten gemacht werden.
Das von der Klägerin erstellte Protokoll über die Vertragsverhandlungen bestätigt das Interesse der Krankenkassen an einem klar definierten Termin zur Regelung etwaiger Restvergütungen nach Ziff. I.3. des Vertrages. Der Verhandlungsführer der Krankenkassen K. hat ausdrücklich hervorgehoben, dass die Krankenkassen diesbezüglich "einen Zeitpunkt" brauchten (vgl. S. 28 des Protokolls). Dementsprechend war dieses Interesse auch den Vertretern der Klägerin bekannt.
Darüber hinaus lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Vereinbarungen und den Vertragsverhandlungen insgesamt eine Richtlinie (vgl. zur Heranziehung entsprechender Richtlinien bei der Vertragsauslegung: BGH – V ZR 100/80 – BGHZ 81, 135) entnehmen, wonach die in dem Vertrag vorgesehenen Fristen rechtsverbindlichen Charakter im Sinne einer Ausschlussfrist haben sollten. Eine weitere Fristregelung enthielt der Vertrag unter Ziff. II.5., wonach die Beteiligten sich verpflichteten, bis spätestens zum 15.09.1995 die unter Ziff. II.3. genannten Abrechnungsdaten aus 1993 abzustimmen. Bei Abschluss des Vertrages war für die Beteiligten noch nicht erkennbar, ob ein derartiger Abstimmungsvorgang sich zu Gunsten der Klägerin oder zu Gunsten der Krankenkassen auswirken würde. Ein lang andauernder Abstimmungsprozess hätte daher auf Seiten der Klägerin Ungewissheit darüber hervorrufen können, ob die Abstimmung nicht im Ergebnis zu ihren Lasten ausfallen würde, was gegebenenfalls zu einer Verrechnung der bereits erbrachten Gesamtvergütung nach Ziff. I.2. Satz 2 des Vertrages hätte führen können. Dementsprechend hatte bezogen auf das in Ziff. II.5. vorgesehene Datum auch die Klägerin ein eigenes Interesse, dass es sich dabei um eine rechtsverbindliche Frist handelte. Bezeichnenderweise befindet sich bezüglich der Frist der Ziff. II.5 des Vertrages in den von der Klägerin abgefassten Protokollen über die Vertragsverhandlungen auch die Äußerung des Geschäftsführers J.: "Wir sollten uns auf ein bestimmtes Datum einigen, wo wir beide in die Pflicht nehmen." Gerade der – offenbar unwidersprochen gebliebene – Zusatz, dass beide Beteiligten "in die Pflicht" genommen werden sollten, macht deutlich, dass die Frist nicht nur im Sinne einer unverbindlichen Ordnungsvorschrift vereinbart werden sollte, sondern dass ihre Versäumung auch materiell-rechtliche Ausschlusswirkungen zeigen sollte (wobei im vorliegenden Zusammenhang nicht abschließend zu klären ist, welches Parteiverhalten und gegebenenfalls welchen Verhandlungserfolg die vertraglich vorgesehene Pflicht zur "Abstimmung" beinhalten sollte). Dabei ist es für die Berücksichtigung solcher im Zuge der Vertragsverhandlungen gemachter Äußerung ohne Belang, inwieweit der sie abgebende Beteiligtenvertreter zum späteren Vertragsabschluss berechtigt war. Überdies hat Herr J. die entsprechende Einschätzung in Anwesenheit des Bevollmächtigten I. abgegeben, ohne dass das Protokoll Hinweise auf einen Widerspruch von seiner Seite oder von Seiten eines anderen Beteiligten erkennen lässt. Wenn aber die Klägerin selbst vertragliche Fristvereinbarungen, soweit sie auch zu ihren Gunsten vorgesehen waren, im Sinne rechtsverbindlicher Ausschlussfristen interpretieren wollte, dann kann sie sich bei den zu Gunsten der Krankenkassen wirkenden weiteren Fristbestimmung der Ziff. I.3. Satz 3 des Vertrages nicht darauf berufen, dass dieser ein rechtsverbindlicher Charakter im Sinne einer Ausschlussfrist gefehlt habe.
Soweit die Klägerin unter Beweis stellt, dass Ministerialdirigent I. bei Abschluss des Vertrages die fragliche Frist in Ziff. I.3. Satz 3 nicht im Sinne einer Ausschlussfrist gemeint habe, ist dies rechtlich nicht relevant. Da nichts dafür ersichtlich ist, dass eine derartige Interpretation der vertraglichen Fristbestimmung den gemeinsamen Willen der Beteiligten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entsprach, handelte es sich allenfalls um einen inneren Vorbehalt, der mangels Erkennbarkeit auf Seiten des Vertragspartners keine Rechtswirkungen entfalten konnte (vgl. § 116 BGB). Bei dieser Sachlage muss der Senat nicht näher darauf eingehen, ob nicht ohnehin nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass schon unter Berücksichtigung der Höhe der gegebenenfalls nachzuerhebenden Restgesamtvergütung keiner der Beteiligten sich bei Vertragsabschluss vorstellen konnte, dass die Klägerin die ausdrücklich vereinbarte Frist zur Vorlage der Schlussabrechnung für das Jahr 1995 versäumen könnte, mithin auch keiner der Beteiligten Anlass hatte, mit näheren Überlegungen über die Frage der Rechtsfolgen einer Fristversäumung zu beginnen.
Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die Fristregelung der Ziff. I.3 Satz 3 des Gesamtvergütungsvertrages vom 13. Juli 1995 im Sinne einer materiell-rechtlich wirksamen Ausschlussfrist zu interpretieren ist. Diese Frist hat die Klägerin versäumt, da sie die Schlussabrechnung für das Jahr 1995 vereinbarungswidrig nicht bis zum 30. Juni 1996 vorgelegt hat. Auch unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrages kommt als frühester Termin für die Vorlage einer Schlussabrechnung der Dezember 1996 in Betracht, in dem die Klägerin ausweislich der von ihr vorgelegten "Chronologie Endabrechnung 1995 mit VdAK/AEV" gegenüber dem VdAK/AEV die Endabrechnung 1995 erteilt hat. Mithin hat die Klägerin die vertragliche Ausschlussfrist um mindestens knapp ½ Jahr versäumt.
Selbst wenn der Klägerin in Anwendung der Ziff. I.3. des Vertrages ein Anspruch auf eine nachträgliche weitere Gesamtvergütung zustände, könnte sie diesen Anspruch auf der Versäumung der Ausschlussfrist nicht mehr geltend machen.
Dieses Ergebnis ist weder im Hinblick auf die Bestimmung des § 162 Abs. 1 BGB, wonach eine Bedingung als eingetreten gilt, sofern ihr Eintritt von der Partei zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird, noch sonst in Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu korrigieren. Nach den vertraglichen Vereinbarung hatte die Klägerin das Risiko einer rechtzeitigen Vorlage der Schlussabrechnungen zu tragen. Es ist nicht einmal ersichtlich, dass für sie eine Wahrung der vertraglich vorgesehenen Frist auch nur mit nennenswerten Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, wenn sie sich überhaupt um eine Fristwahrung ernsthaft bemüht hätte. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie Ziff. I.3. Satz 2 des Vertrages zunächst dahingehend verstanden habe, dass zunächst die dort vorgesehene verbandsbezogen festgelegte höchstzulässige Gesamtvergütung auf die einzelnen Mitgliedskassen "heruntergebrochen" werden müsse und erst anschließend kassenbezogen der Ausschöpfungsgrad zu ermitteln gewesen sei, vermag der Senat schon nicht zu erkennen, was die Klägerin – die Richtigkeit ihres Vortrages einmal unterstellt – zu einem solchen Vertragsverständnis bewogen haben könnte. Ziff. I.3. Satz 2 des Vertrages stellt ausdrücklich auf die "verbandsbezogene" höchstzulässige Gesamtvergütung ab. Sie bringt damit klar zum Ausdruck, dass der Punktwert für alle Mitgliedskassen des vertragschließenden Verbandes in einheitlicher Höhe rückwirkend angehoben werden sollte. Überdies hätte die Klägerin unter Zugrundelegung dieser Auffassung sich bereits geraume Zeit vor Fristablauf, d. h. vor dem 30. Juni 1996, um die Übermittlung der Mitgliedszahlen der in dem beigeladenen Verband zusammengeschlossenen Krankenkassen (unter Darlegung des aus ihrer Sicht insoweit gegeben berechtigten Interesses) bemühen müssen. Auch dies lässt sich nicht feststellen. Wiederum unter Zugrundelegung der eigenen Angaben der Klägerin ist vielmehr davon auszugehen, dass diese sich erstmalig im September 1996 nach den Mitgliederzahlen der einzelnen Kassen erkundigt haben will, mithin zu einem Zeitpunkt, zudem sie ohnehin die in Ziff. I.3. Satz 3 des Vertrages vorgesehene Ausschlussfrist bereits versäumt hatte.