Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.03.2009, Az.: 9 W 20/09

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
17.03.2009
Aktenzeichen
9 W 20/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 41680
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2009:0317.9W20.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
- 28.01.2009 - AZ: 7 O 161/08

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2009, 392-393

In dem Rechtsstreit

...

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S. sowie den Richter am Oberlandesgericht D. und die Richterin am Oberlandesgericht W. auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 12. Februar 2009 am 17. März 2009 beschlossen:

Tenor:

  1. Der Beschluss der 7. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des Landgerichts ... vom 28. Januar 2009 wird aufgehoben.

  2. Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... wird für begründet erklärt.

  3. Beschwerdewert: 23 755 €.

Gründe

1

Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg, weil das Landgericht verfahrensfehlerhaft und in der Sache unrichtig entschieden hat.

2

1. Über die Ablehnung des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen durfte nicht dessen Stellvertreterin allein entscheiden; vielmehr war dafür die Kammer in vollständiger Besetzung als das "Gericht, dem der Abgelehnte angehört" (§ 45 Abs. 1 ZPO), zuständig. Schon bei der Ablehnung eines Einzelrichters des Landgerichts hat nach § 45 Abs. 1 ZPO die Zivilkammer zu entscheiden, also nicht ein anderer Einzelrichter, sondern der durch den geschäftsplanmäßigen Vertreter ergänzte Spruchkörper (vgl. BGH NJW 2006, 2492 [BGH 06.04.2006 - V ZB 194/05]). Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen wird aber auch in den Fällen des § 349 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO - von denen hier allerdings keiner vorliegt - nicht einmal als Einzelrichter tätig, sondern er repräsentiert die "Vollkammer" (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 568 Rdnr. 3). Deshalb gilt nach wie vor (so schon BayObLG MDR 1980, 237 m. zustimmenden Nachw.), dass über die Ablehnung des Vorsitzenden die Kammer für Handelssachen als Spruchkörper, also unter Mitwirkung der Handelsrichter, zu befinden hat. Der Senat hat dies zuletzt in seinem Beschluss vom 28. April 2008 - 9 W 42/08 - festgestellt, und zwar in einer Beschwerdesache, in der der angefochtene Beschluss von der stellvertretenden Vorsitzenden der 7. Zivilkammer des Landgerichts ... ebenso fehlerhaft allein gefasst worden war wie hier.

3

2. Der Verfahrensfehler des Landgerichts, den die Entscheidung in falscher Besetzung darstellt, führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, veranlasst den Senat aber nicht, die Sache gem. § 572 Abs. 3 ZPO zu anderweitiger Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Anders als in dem Fall, in dem eine Entscheidung durch den unzuständigen Einzelrichter im Hinblick auf § 568 Satz 1 ZPO Auswirkungen auf den gesetzlichen Richter im Beschwerdeverfahren hätte und deshalb eine Zurückverweisung unvermeidbar ist (vgl. dazu OLG Celle, MDR 2003, 523 [OLG Celle 27.09.2002 - 6 W 118/02]), ist der Senat im vorliegenden Beschwerdeverfahren ebenso zuständig, wie wenn die angefochtene Entscheidung in richtiger Besetzung ergangen wäre, weil für Beschwerden gegen Entscheidungen des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen § 568 Satz 1 ZPO (Einzelrichterzuständigkeit des Beschwerdegerichts) nicht gilt.

4

3. Auch inhaltlich ist der Entscheidung des Landgerichts nicht zu folgen. Zwar reicht, jedenfalls bei einem größeren Gericht, ein bloßes Kollegialitätsverhältnis nicht aus, um eine Ablehnung zu rechtfertigen. Jedoch muss die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht auch einer um Objektivität bemühten Partei als berechtigt anerkannt werden, wenn die Gegenpartei (oder deren Repräsentant) demselben Spruchkörper wie der abgelehnte Richter angehört. Die gemeinsame kollegiale Arbeit ist auf offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit angelegt und führt zwangsläufig auch zu persönlichen Kontakten und Eindrücken, die sich auf die Einstellung zu der von einem Handelsrichter, der zugleich Richterkollege ist, in "seinem" Prozess eingenommenen Position auswirken kann. Dabei ist nicht entscheidend, in welchen Intervallen die Zusammenarbeit stattfindet; mehrere gemeinsame Sitzungen (mit diesbezüglichen Besprechungen, Beratungen und Abstimmungen des Verfahrensablaufs) im Jahr genügen, um die ablehnende Partei ein persönliches Verhältnis der genannten Art voraussetzen lassen zu können.

5

Diese Auffassung des Senats steht im Einklang nicht nur mit einer jüngeren Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe ( MDR 2006, 1185, die ebenfalls einen der Kammer angehörenden Handelsrichter als Geschäftsführer einer Partei zum Gegenstand hatte), sondern auch mit der nahezu einhelligen Auffassung in der veröffentlichten Rechtsprechung (vgl. außer der Entscheidung des OLG Karlsruhe OLG Hamm, MDR 1978, 583, sowie OLG Nürnberg, NJW 1967, 1864; a.A. OLG Schleswig, MDR 1988, 236) und in der Literatur (vgl. MünchKommZPO/ Gehrlein, 3. Aufl., § 42 Rdnr. 12 - anders als noch in der Vorauflage -; Stein/Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rdnr. 4, Fn. 17; Thomas-Putzo/Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rdnr. 10; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rdnr. 16; Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 42 Rdnr. 12), mit der sich der angefochtene Beschluss nicht auseinandersetzt. Soweit in anderen Fällen Handelsrichter nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter einer Partei waren, macht dies unter dem Gesichtspunkt einer Besorgnis der Befangenheit keinen Unterschied. Dieser ganz herrschenden Meinung, die dem Verständnis des Senats entspricht, zu folgen, ist nicht zuletzt auch im Interesse der Rechtssicherheit sinnvoll, um (weiterhin) eine einheitliche Praxis des gesetzlichen Richters in dieser Frage zu erhalten.

6

Nach alledem war die Entscheidung des Landgerichts zu revidieren und dem Ablehnungsgesuch stattzugeben.

7

Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, weil die Kosten einer erfolgreichen Beschwerde solche des Rechtsstreits sind, über die nach §§ 91 ff. ZPO zu entscheiden ist (vgl. dazu nur Thomas-Putzo/Hüßtege, a.a.O., § 46 Rdnr. 9).

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Beschwerdeverfahrens entspricht nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die sich in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung befindet (vgl. Zöller-Herget, § 3 Rdnr. 16 "Ablehnung eines Richters"), dem Wert der Hauptsache.