Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 04.03.2009, Az.: 15 UF 51/06

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.03.2009
Aktenzeichen
15 UF 51/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 41662
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2009:0304.15UF51.06.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerfG - 18.08.2010 - AZ: 1 BvR 811/09

In der Familiensache

pp.

wegen Vaterschaftsfeststellung

hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 2. Februar 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hameln geändert und neu gefasst.

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.

Gründe

1

I.

Der am 1999 geborene Kläger begehrt die Feststellung, dass der Beklagte sein Vater ist. Das Amtsgericht hat dazu ein Abstammungsgutachten des Dr. med. S vom . Februar 2004 einschließlich des Ergänzungsgutachtens vom . Juli 2005 eingeholt. Dadurch konnte keine Klärung der Abstammung herbeigeführt werden, weil neben dem Beklagten auch dessen monozygoter Zwillingsbruder T L als biologischer Vater in Betracht kommt. Weiter hat das Amtsgericht das Gutachten des Dr. med. S vom . Dezember 2005 zur Klärung der Empfängniszeit eingeholt. Dort ist aufgrund der noch vorhandenen Patientenunterlagen der Mutter des Klägers festgestellt worden, dass deren letzte Regel am 29. April 1998 stattgefunden hatte und sich danach rechnerisch eine Empfängniszeit zwischen dem 9. Mai 1998 und dem 16. Mai 1998 ergab. Aufgrund des dokumentierten Ultraschallbefundes sei aber ein Konzeptionszeitpunkt zwischen dem 9. Juni 1998 und dem 16. Juni 1998 wahrscheinlicher, zur Konkretisierung werde das Ergebnis der in der Frühschwangerschaft durchgeführten Ultraschalluntersuchungen benötigt.

2

Schließlich hat das Amtsgericht den Zeugen T L vernommen und aufgrund der Angaben der Mutter des Klägers die Überzeugung gewonnen, dass sie nach dem . April 1998, d.h. nach dem Tod ihres Vaters, nur noch Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten hatte. Daraufhin ist der Klage stattgegeben worden. Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

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Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten.

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Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 26. April 2006 das Abstammungsgutachten des Prof. Dr. med. S , , vom . Oktober 2007 eingeholt, worauf verwiesen wird. Im Termin am . Januar 2009 sind T L und die Mutter des Klägers als Zeugen vernommen worden. Auf das Ergebnis wird unter II. eingegangen.

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Die Berufung ist begründet.

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Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte biologischer Vater des Klägers ist, weshalb eine rechtliche Vaterschaft nicht in Betracht kommt.

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1. Unter den vorliegenden Umständen ist eine direkte, d.h. genetische Zuordnung des Klägers zum Beklagten zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) mit Hilfe der Paternitätsbegutachtung jedenfalls nicht mit der für eine Verurteilung im Statusprozess erforderlichen Wahrscheinlichkeit möglich.

8

Das ergibt sich aus dem Abstammungsgutachten des Prof. Dr. med. S vom 4. Oktober 2007. Das Gutachten beruht auf aufwändigen und umfangreichen Laboruntersuchungen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und wurde unter Hinzuziehung von Prof. Dr. rer. nat. M K , , erstellt, weil mit dem Versuch, einen von zwei als Putativvätern in Betracht kommenden monozygoten Zwillingen auszuschließen, wissenschaftlich-technisches Neuland beschritten wurde. Dabei sind mit außerordentlichem Kostenaufwand erst in jüngster Zeit zu diesem Zweck identifizierte Mikrosatelliten-Polymorphismen (STRMarker) eingesetzt worden, die zuvor noch nie zur Klärung einer praktischen Fragestellung, wie sie hier Gegenstand ist, herangezogen worden waren. Deshalb vermochte der Sachverständige vor Beginn der entsprechenden Laboruntersuchungen die Erfolgsaussichten nicht konkret einzuschätzen. Insgesamt sind 1.033 voneinander unabhängige Loci untersucht worden, während nach 2.4.2.1 der Richtlinien für die Erstattung von Abstammungsgutachten (FamRZ 2002, 1159) nur die Untersuchung von mindestens 12 Loci erforderlich ist. Auf der Basis der so gewonnenen Daten ist der Ausschluss eines der beiden Putativväter nicht möglich.

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Zwar hält es der Sachverständige für grundsätzlich möglich, die Fragestellung durch eine weitere Aufstockung der zu untersuchenden STR-Marker zu klären. Das Gericht hat sich indessen aufgrund eigener Beurteilung davon zu überzeugen, ob davon auszugehen ist, dass ein solches Vorgehen den nach 2.6.2 der Richtlinien erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Nichtausschluss des Beklagten erbringen, d.h. das Prädikat "Vaterschaft praktisch erwiesen" rechtfertigen könnte. Das erscheint nach den bisherigen, aus der Entscheidung vergleichbarer Fälle gewonnenen Erfahrungen des Senats nach derzeitigem Stand von Wissenschaft und Technik nicht der Fall. Diese Einschätzung wird durch das Schreiben des Sachverständigen vom . Dezember 2008 bestätigt, wonach auch auf diesem Gebiet kommerziell tätige Unternehmen bis heute noch keine Lösung gefunden haben.

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2. Zur weiteren Überzeugung des Senats greift, anders als vom Amtsgericht angenommen, auch die gesetzliche Vaterschaftsvermutung (§ 1600 d Abs. 2 S. 1 BGB) nicht. Zwar hat der Beklagte in der gesetzlichen Empfängniszeit vom 28. März 1998 bis zum 25. Juli 1998 (§ 1600 d Abs. 3 BGB) der Mutter des Klägers beigewohnt. Aber die dadurch ausgelöste Vermutung wird durch schwerwiegende Zweifel entkräftet (§ 1600 d Abs. 2 S. 2 BGB). Denn nach dem Ergebnis der durch den Senat durchgeführten Vernehmung der Zeugin S , Mutter des Klägers, und des Zeugen T L steht nicht fest, dass die Zeugin im vorgenannten Zeitraum allein mit dem Beklagten, d. h. nicht auch mit dem Zeugen T L Geschlechtsverkehr hatte.

11

Nach den Angaben der Zeugin S hat sie den Zeugen T L zeitlich vor dem Beklagten kennen gelernt. Das müsse ab März 1998 gewesen sein, weil sie damals aus Spanien zurückgekommen sei. Sie habe den Zeugen über S R (Mutter des vom Zeugen abstammenden Kindes J R) kennen gelernt, bei der sie damals gewohnt habe. In diesem Zusammenhang sei sie auch mit dem Beklagten zusammen gekommen. Am 15. April 1998 sei ihr Vater gestorben, nach dessen Beerdigung am 15. Mai 1998 (verzögert aufgrund Anordnung einer Obduktion) sei die Schwangerschaft festgestellt worden. Auf die Frage des Senats, ob sie - wie im angefochtenen Urteil festgestellt - nach dem . April 1998 nur mit dem Beklagten und nicht mit dem Zeugen T L geschlechtlich verkehrt habe, hat die Zeugin erklärt: "Ich meine ja, bin mir fast sicher." Dabei ist sie auf Nachfrage verblieben. Damit sind selbst bei der Zeugin nicht alle Zweifel ausgeräumt. Auch dass sie in dieser Zeit noch einen weiteren Mann als Geschlechtspartner hatte, nämlich laut Akteninhalt einen gewissen J , vermochte sie nicht mit Gewissheit auszuschließen.

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Die Aussage des Zeugen T L erlaubt nicht die Feststellung, dass er in der gesetzlichen Empfängniszeit für den Kläger keinen Geschlechtsverkehr mit dessen Mutter, der Zeugin S , hatte. Der Zeuge hat ausgesagt, er könne das zu dieser aufgenommene sexuelle Verhältnis nicht zeitlich einordnen, auch nicht im Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters. Davon sei ihm nichts bekannt. Irgendwann habe er vom Verhältnis seines Bruders mit der Zeugin erfahren. Zu diesem habe er damals wegen persönlicher Differenzen keinen Kontakt gehabt.

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Nach beiden Aussagen kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass der Zeuge T L in der gesetzlichen Empfängniszeit für den Kläger mit dessen Mutter Geschlechtsverkehr hatte. Das begründet erhebliche Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten (vgl. BGH FamRZ 1989, 1068, 1069) und lässt es in der Zusammenschau mit den in erster und zweiter Instanz eingeholten Gutachten offen, ob der Kläger durch den Beklagten oder den Zeugen T L gezeugt worden ist.

14

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.