Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 11.03.2009, Az.: 9 U 138/08
Statthaftigkeit des Urkundenverfahrens für die Klage eines GmbH-Geschäftsführers auf Zahlung von Gehalt; Übergangsgeld und Abfindung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.03.2009
- Aktenzeichen
- 9 U 138/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 12726
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0311.9U138.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover, 22 O 9/08 vom 30.07.2008
Rechtsgrundlagen
- § 611 BGB
- § 592f ZPO
Fundstellen
- GmbHR 2009, 825
- OLGR Celle 2009, 473-475
- ZIP 2009, 2172
Amtlicher Leitsatz
Für die Klage eines GmbH-Geschäftsführers auf Gehalt, Übergangsgeld und Abfindung ist ein Urkundenprozess statthaft, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen durch Urkunden nachweisbar oder unstreitig sind, und zwar auch dann, wenn sich die beklagte Gesellschaft auf eine (streitige und nicht mit Urkunden beweisbare) außerordentliche Kündigung beruft und der Kläger die Zahlung der vertraglich vorgesehenen Bruttobeträge verfolgt.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. Juli 2008 verkündete Vorbehaltsurteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass es sich bei den vom Landgericht zugesprochenen Zahlungen um Bruttobeträge handelt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger, früherer Geschäftsführer der Beklagten, begehrt von dieser im Wege eines Urkundsverfahrens Geschäftsführergehalt, Übergangsgeld und eine Abfindung. Wegen des Sachverhalts und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf das angefochtene Vorbehaltsurteil Bezug genommen, mit dem der Klage ganz überwiegend stattgegeben und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten worden ist.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Prozessziel vollständiger Klagabweisung weiter. Schon im Urkundsverfahren sei belegt, dass das Anstellungsverhältnis des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten beendet worden sei, weil jener das maßgebliche Kündigungsschreiben vom 21. Dezember 2007 (Anlage K 4 im gesonderten Hefter) selbst vorgelegt habe. Außerdem habe der Kläger die Kündigungsgründe (nämlich "schwere Verfehlungen") ebenfalls selbst vorgetragen. Ohnehin sei das Urkundsverfahren für Ansprüche des aus wichtigem Grunde gekündigten Geschäftsführers vom Grundsatz her nicht geeignet, weil die Prozessrisiken einseitig auf die anstellende Gesellschaft überbürdet würden. Aus den gleichen Gründen könne der Kläger zudem weder Übergangsgeld noch Abfindung beanspruchen. Darüber hinaus habe das Landgericht die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung der Bruttobeträge verurteilt, was dem Kläger die nicht statthafte Möglichkeit gebe, auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zur Zahlung an sich selber zu vollstrecken. Letztlich sei das Urkundsverfahren für auf Bruttobeträge gerichtete Zahlungsansprüche nicht einmal statthaft, wie sich aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ergebe.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung erweist sich als unbegründet. Das Landgericht hat mit zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, denen der Senat beitritt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, der Urkundsklage (abgesehen von einem kleinen Teil der Nebenansprüche) stattgegeben und die Beklagte im Wege eines Vorbehaltsurteils verurteilt. Im Hinblick auf die Berufungsangriffe ist folgendes festzuhalten:
1. Das Urkundsverfahren ist - auch in Ansehung dessen, dass der Kläger Ansprüche auf Vergütung für seine Dienste als vormaliger Geschäftsführer der Beklagten verfolgt - statthaft. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten insbesondere nicht die von ihr als unangemessen empfundene Risikoverteilung mit Blick auf die streitige außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags entgegen. Es ist gerade der (vom Gesetzgeber gewollte) Sinn des Urkundsprozesses, Zahlungsansprüche, deren Voraussetzungen durch Urkunden bewiesen werden können, auf schnelle (wenn auch vorläufige) und damit für den Gläubiger vorteilhafte Weise titulieren zu können. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber dem Schuldner eines entsprechenden Urkundenvorbehaltsurteils als Korrektiv hinsichtlich der Vollstreckungsrisiken die Möglichkeit zur Seite gestellt, einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 707 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt. ZPO stellen zu können.
Für Ansprüche aus Dienstvertrag, hier Geschäftsführeranstellung, gilt nichts anderes. insbesondere ist nicht etwa die Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 ArbGG (die das Urkundsverfahren im Arbeitsgerichtsprozess ausschließt) entsprechend anwendbar. Selbst wenn man mit der Beklagten einen "offensichtlichen Wertungswiderspruch" annehmen wollte, weil ein Geschäftsführer, anders als ein Arbeitnehmer, seine Gehaltsansprüche zunächst im Urkundsverfahren verfolgen darf, ist dieser jedenfalls vom Gesetzgeber nicht zum Anlass genommen worden, das Urkundsverfahren für nicht dem Arbeitsgerichtsgesetz zugeordnete Dienstverhältnisse ebenfalls auszuschließen. Eine planwidrige Regelungslücke besteht insoweit nicht (vgl. auch OLG Rostock, 6 U 122/04, BeckRS 2005, 30348467. Musielak/ Voit, ZPO, Rdnr. 5 zu § 592. Pesch, NZA 2002, 957 ff.).
Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die für die Rückforderung der Bürgschaft auf erstes Anfordern den Urkundenprozess als unstatthaft ansieht, weil damit die Klärung des materiellen Bürgschaftsfalls weitgehend in das Nachverfahren abgedrängt werde (BGH, NJW 2001, 3549), ist auf Vergütungsansprüche aus Dienstverhältnissen, deren Kündigung streitig ist, nicht übertragbar. Insoweit wird lediglich die Klärung der (rechtsvernichtenden) Einwendung der Kündigung für die Fälle dem Nachverfahren vorbehalten, in denen die Voraussetzungen der Kündigung mit Urkunden nicht belegbar sind (vgl. für die Erhebung nicht im Urkundsverfahren beweisbarer Einreden im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit eines Mietgegenstandes BGH, NJW 2007, 1061).
Schließlich berührt es - entgegen der von der Beklagten in der Verhandlung vor dem Senat unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 2. März 2005 (3 U 3/05, GmbHR 2005, 991 = BeckRS 2005, 04688) vertretenen Auffassung - die Statthaftigkeit des Urkundsverfahrens nicht, dass aus den vom Kläger vorgelegten (und ihrem Inhalt nach unstreitigen) Urkunden nur der Bruttobetrag der verfolgten Forderungen zu ersehen ist. Dass eine Ermittlung der von den Bruttobezügen vorzunehmenden Abzüge (Steuern und Sozialversicherungen) mit den im Urkundsverfahren zu gewinnenden Erkenntnissen nicht möglich sein könnte, berührt das Begehr des Klägers schon deswegen nicht, weil dieses auf die Bruttobeträge gerichtet ist, eine Ermittlung der Nettobezüge also weder im Urkundsverfahren noch im Nachverfahren notwendig ist (weshalb im Übrigen auch die zitierte Entscheidung in der Literatur kritisiert worden ist, vgl. Lelley, GmbHR 2005. 992. Schönhöft, GmbHR 2008, 95). Die Verfolgung von Zahlungsansprüchen, von denen der Dienstherr aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen bspw. steuerliche Abzüge vornehmen darf oder muss, ist nach allgemeiner Auffassung (der auch der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt) in der Weise zulässig, dass auf den gesamten Bruttobetrag geklagt wird (vgl. etwa BGH, WM 1966, 758 f.. LAG Düsseldorf, BeckRS 2006, 43699. Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., Rdnr. 51 zu § 611, Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., Rdnr. 6 zu § 704. Boewer in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 54 zu § 78. Germelmann, Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Aufl., Rdnr. 55 zu § 46 sowie Rdnr. 56 zu § 62). Soweit die Beklagte Steuerbeträge oder Sozialabgaben auf die eingeklagten Forderungen bereits abgeführt hat oder abzuführen gedenkt, ist dies erst im Rahmen der Vollstreckung zu prüfen und in Abzug zu bringen (BGH, a. a. O.. Zöller/Stöber, a. a. O., m. w. N.), wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich bei dem Vollstreckungstitel um ein Urkundenvorbehaltsurteil handelt oder um ein "gewöhnliches" Endurteil.
2. Ebenso wenig ist der Beklagten dahingehend zu folgen, dass dem Kläger der Nachweis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen im Urkundsverfahren bereits deswegen nicht glücke, weil er die Kündigungserklärung vom 21. Dezember 2007 selber vorgelegt habe. Die Wirksamkeit dieser Erklärung ist zwischen den Parteien im Streit, nur eine wirksame Kündigung vermag aber das Anstellungsverhältnis zu beenden. Für die Wirksamkeit der von ihr ausgesprochenen Kündigung trägt die Beklagte nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast (vgl. auch OLG Rostock, a. a. O.). Insoweit gilt im Urkundsverfahren nichts anderes, weshalb auch eine außerordentliche Kündigung nur dann zu berücksichtigen ist, wenn ihre Berechtigung urkundlich nachweisbar oder unstreitig ist. Das aber ist vorliegend nicht der Fall. die Beklagte hat der Sache nach überprüfbare Kündigungsgründe nicht einmal mitgeteilt, geschweige denn urkundlich belegt.
3. Im Ergebnis gleiches gilt für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Übergangszahlungen sowie eine Abfindung (Nrn. 15 und 18 des Anstellungsvertrags, Anlage K 8 im gesonderten Hefter, übersetzte Fassung). Zwar bestimmt Nr. 15 des Anstellungsvertrags, dass die Übergangszahlung dann zu leisten ist, wenn das Arbeitsverhältnis von der Gesellschaft "aus Gründen gekündigt wird, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat". Eine derartige negative Formulierung deutet aber in der Regel darauf hin, dass denjenigen die Beweislast trifft, der das Gegenteil davon geltend machen will (vgl. für entsprechende Formulierungen in Gesetzesvorschriften Zöller/Greger, a. a. O., Rdnr. 17 a vor § 284). Dem entspricht es auch, dass der Beweis einer negativen Tatsache im Regelfall schlechthin nicht möglich ist, weil anderenfalls eine unendliche Vielzahl entgegenstehender Alternativen positiv ausgeschlossenen werden müsste.
Auch Nr. 18 des Anstellungsvertrages des Klägers betreffend die Abfindung stellt durch ihr RegelAusnahmeverhältnis ("außer im Falle einer Kündigung aufgrund schweren oder groben Fehlverhaltens oder Invalidität") klar, dass die Gesellschaft die Voraussetzungen einer vertragsbeendigenden Kündigung zu beweisen hat.
4. Schließlich ist, wie in anderem Zusammenhang bereits erörtert, auch nicht zu beanstanden, dass der Kläger seine Ansprüche in Form der entsprechenden vertraglich vorgesehenen Bruttobeträge verfolgt. Um dies für die Vollstreckung klarzustellen, hat der Senat die entsprechende Tenorierung des Landgerichts auf den erstmals im Berufungsverfahren erfolgten Einwand hin ergänzt. Eine inhaltliche Abänderung der angefochtenen Entscheidung, schon gar im Hinblick auf eine Teilabweisung der Klage, ist damit nicht verbunden, weil der Kläger von vornherein ersichtlich allein die Bruttobeträge verfolgt hat.
5. Die Kostenentscheidung folgt § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit §§ 708 Nr. 10, 108 Abs. 1 S. 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.