Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.03.2005, Az.: 2 A 2/05

Abbruch; andere Ausbildung; Ausbildung; Ausbildungsabbruch; Ausbildungsförderung; BAföG; Erkrankung; Krankheit; Schilddrüsenerkrankung; unabweisbarer Grund

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.03.2005
Aktenzeichen
2 A 2/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 51031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die am ... geborene Klägerin begehrt von dem Beklagten Ausbildungsförderungsleistungen für ihre Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin.

2

Die Klägerin studierte nach ihrem Abitur, bei dem sie die Leistungskurse Kunst und Biologie belegt hatte, im Wintersemester 1997 in E. zunächst Indische Kunstgeschichte und Philologie. Eigentlich hatte sie vor, Biologie zu studieren, musste aber bei ihrer Ankunft in E. feststellen, dass die Einschreibefristen für dieses NC-Fach bereits abgelaufen waren. Nachdem sie erkannt hatte, dass ihre Neigungen doch bei den naturwissenschaftlichen Fächern liegen, studierte sie ab dem Sommersemester 1998 Biologie an der Freien Universität E.. Ab dem Sommersemester 1999 stellten sich bei der Klägerin eine Konzentrationsschwäche und Antriebslosigkeit ein, mit denen ein Leistungsabfall einherging. Die Ursache für diese Leistungsschwäche blieb der Klägerin wie auch ihren Dozenten (vgl. die schriftliche Stellungnahme des Akademischen Rats Dr. M. N. vom 6. März 2002) zunächst unerklärlich. Die Konzentrationsschwäche, die in Schüben auftrat nahm nach Angaben der Klägerin immer mehr zu, so dass sie sich nach Ablauf des 5. Fachsemesters, dem Sommersemester 2000, nicht mehr anders zu helfen wusste, als sich exmatrikulieren zu lassen. Nach ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung glaubte sie die Ursache in ihrer psychischen Verfassung suchen zu müssen und habe dieser Situation völlig hilflos gegenüber gestanden. Sie habe erkennen müssen, dass sie ihr Vordiplom nicht schaffen würde und habe auch nicht die Kraft besessen, eine Ausnahmegenehmigung des Prüfungsausschusses für die nachträgliche Ablegung der Vordiplomprüfung zu erwirken. In dieser Situation habe sie auch nicht an die Möglichkeit gedacht, sich vom Studium beurlauben zu lassen. Erst nach dem Studienabbruch begab sich die Klägerin in ärztliche Behandlung. Bei ihr wurde eine Schilddrüsenunterfunktion aufgrund einer chronischen Schilddrüsenentzündung diagnostiziert, die immer noch nicht ausgeheilt ist. Als Folge dieser Erkrankung wurden Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Beeinträchtigung der Merkfähigkeit, Leistungsinsuffizienz, eine starke Beeinträchtigung der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit sowie eine depressive Stimmungslage mit gesteigertem Schlafbedürfnis angegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die ärztlichen Stellungnahmen der die Klägerin zunächst behandelnden Ärztin für innere Medizin Dr. O. vom 5. Februar und 4. Juli 2002, diejenigen des sie jetzt behandelnden Arztes für innere Medizin Dr. P. vom 29. Oktober 2004 und 24. März 2005, des Nervenarztes Dr. Q. vom 7. Januar 2003 und diejenigen der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 5. September und 8. November 2001 verwiesen.

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Am 3. September 2001 nahm die Klägerin eine Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin an der S. -Schule in E. auf, nachdem sie von September 2000 bis 31. Januar 2001 einen Berufsvorbereitungslehrgang an der T. -Volkshochschule absolviert hatte. Diese Ausbildung schloss sie am 14. Juni 2004 mit Erfolg ab.

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Am 2. September 2001 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten, ihr für die Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu bewilligen. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2001 unter Hinweis auf § 7 Abs. 3 BAföG ab. Die Klägerin könne sich nicht auf einen unabweisbaren Grund für ihren Studienabbruch berufen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2002, zugestellt am 25. April, zurück.

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Dagegen hat die Klägerin am 27. Mai 2002 (Montag) Klage erhoben.

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Sie beruft sich darauf, ihr Biologiestudium allein wegen ihrer Schilddrüsenerkrankung aufgegeben zu haben.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 14. Dezember 2001 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 10. April 2002 zu verpflichten, ihr für den Bewilligungszeitraum von September 2001 bis zum Ende der Ausbildung zu Biologisch-Technischen-Assistentin im Juli 2004 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er tritt der Klage in der Sache entgegen und meint, die Erkrankung der Klägerin sei kein unabweisbarer Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG.

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Die Klägerin ist in mündlicher Verhandlung informatorisch zu den Gründen ihres Studienabbruchs angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und die Klägerin hat Anspruch darauf, dass ihre Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert wird (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Das Gericht ist nicht gehindert, die Verpflichtung des Beklagten für die Zeit bis zum Ende der Ausbildung auszusprechen, auch wenn die Klägerin nur unter dem 2. September 2001 einen Antrag auf Ausbildungsförderung bei dem Beklagten gestellt hat und Ausbildungsförderung gemäß § 50 Abs. 3 BAföG in der Regel nur für ein Jahr bewilligt wird (Bewilligungszeitraum). Denn der Beklagte stützt seinen ablehnenden Bescheid auf § 7 Abs. 3 BAföG. Ob dessen Voraussetzungen vorliegen, darf der Beklagte auf Antrag gemäß § 46 Abs. 5 Satz 3 BAföG vorab für den gesamten Ausbildungsabschnitt entscheiden. Entsprechend darf auch die Kammer, beschränkt auf das streitige Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 BAföG für den gesamten Ausbildungsabschnitt entscheiden. Die Berechnung der Höhe des Anspruchs bleibt dem Beklagten vorbehalten.

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Die Klägerin hat für den Besuch der S. -Berufsfachschule dem Grunde nach einen Förderungsanspruch nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG. Grundsätzlich besteht dieser Förderungsanspruch gemäß § 7 Abs. 1 BAföG nur für eine erste Ausbildung. Die Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin ist nicht die erste Ausbildung der Klägerin. Vorangegangen waren, ausbildungsförderungsrechtlich relevant, das einsemestrige Studium der Indischen Kunstgeschichte und das Studium der Biologie. Unbeachtlich ist der von der Klägerin absolvierte Berufsvorbereitungslehrgang, da dieser nicht förderungsfähig war.

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Für eine andere Ausbildung wird Ausbildungsförderung gemäß § 7 Abs. 3 BAföG nur geleistet, wenn der Auszubildende nach Nr. 1 der Vorschrift aus wichtigem Grund oder nach Nr. 2 der Vorschrift aus unabweisbarem Grund die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt hat. Dabei ist das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für jeden Fachrichtungswechsel bzw. Abbruch gesondert zu prüfen (Rothe/Blanke, BAföG, § 7 Rn. 40.4).

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Insoweit liegt für den Wechsel vom Studium der Indischen Kunstgeschichte zu Biologie, auch vom Beklagten nicht bestritten, ein wichtiger Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 1 BAföG vor. Die Klägerin hat dieses Studium nur als Parkstudium benutzt und einen Neigungswandel innerhalb kürzester Zeit erkannt und darauf durch die Immatrikulation in das Diplomstudienfach Biologie reagiert (vgl. Rothe/Blanke, a.a.O., Rn. 42.3.2. und 42.3.4.).

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Für den Abbruch des Biologiestudiums ist § 7 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz BAföG zu beachten. Danach gilt bei Auszubildenden u.a. an Hochschulen Nr. 1 der Bestimmung nur bis zum Beginn des vierten Fachsemesters. Da die Klägerin ihr Biologiestudium erst nach 5 Semestern abgebrochen hat, kommt für die Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin Ausbildungsförderung deshalb nur in Betracht, wenn sie dieses Studium aus einem unabweisbaren Grund aufgegeben hat. Dies nimmt die Kammer zugunsten der Klägerin an.

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Nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Grund nur dann unabweisbar, wenn Umstände eintreten, die die Fortführung der bisherigen Ausbildung objektiv und subjektiv unmöglich machen. Der unabweisbare Grund darf die Wahl zwischen Fortsetzung der bisherigen Ausbildung und ihrem Abbruch nicht zulassen. Es dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die zu einem Wegfall der Eignung des Auszubildenden für die künftige Ausübung des bisher angestrebten Berufs und die dahin zielende noch zu absolvierende Ausbildung geführt haben (Urteil vom 30.4.1981 -5 C 36.79-, BVerwGE 62, 174; vom 19.2.2004 -5 C 6.03-, NVwZ 2004, 1005). Nicht hierunter fällt ein auf Ausbildungs- und Prüfungsrecht beruhendes Scheitern im Verlaufe einer Ausbildung. Die Klägerin kann sich auf einen solchen unabweisbaren Grund berufen, denn ihre unvermutet auftretende Schilddrüsenerkrankung war ursächlich für ihren Leistungsabfall und ihr Prüfungsversagen und machte es ihr objektiv und subjektiv unmöglich, das Biologiestudium fortzusetzen. Hiervon ist die Kammer nach Auswertung der ärztlichen Atteste, der Stellungnahme des Akademischen Rats Dr. N. vom 6. März 2002 und den eigenen Einlassungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung überzeugt. Sämtliche Dokumente belegen einen krassen und für die Beteiligten seinerzeit unerklärlichen Leistungsabfall bei der Klägerin, die nicht in der Lage war, sich zu konzentrieren. Dies führte, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zwar emotional berührt aber dennoch sachlich und nachvollziehbar hat darlegen können, dazu, dass sie den Anforderungen an einen Diplomstudiengang und schon gar den anschließenden beruflichen Anforderungen nicht mehr gewachsen war. Sie hatte objektiv keine Wahl, das Studium fortzusetzen oder abzubrechen. Sie war damals und ist heute aufgrund ihrer noch nicht ausgeheilten Erkrankung schubweise nicht in der Lage, anspruchsvolle universitäre Studienleistungen abzufragen und zu erbringen. Es kann der Klägerin objektiv deshalb auch nicht entgegengehalten werden, sie habe sich vom Studium der Biologie beurlauben lassen können und hätte sich nicht exmatrikulieren lassen müssen. Denn eine Besserung der gesundheitlichen Situation der Klägerin ist bis heute nicht eingetreten. Auch subjektiv sah sich die seinerzeit depressiv verstimmte und in höchstem Grade verunsicherte Klägerin nicht in der Lage das Studium fortzusetzen und den dort gestellten Anforderungen gerecht werden zu können. Die Wahl, ihr Biologiestudium fortzusetzen bestand daher für die Klägerin weder objektiv noch subjektiv. Dies allein rechtfertigt die Anwendung des § 7 Abs. 3 BAföG. Auf die Frage, ob und wie die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung den Anforderungen der Ausbildung zur Biologisch-Technischen-Assistentin genügen konnte, kommt es rechtserheblich nicht an. Die Kammer merkt jedoch in diesem Zusammenhang an, dass es für sie auf der Hand liegt, dass die Leistungsanforderungen einer solchen Ausbildung bei weitem nicht so hoch sind wie bei einem universitären Studium. Auch ermöglicht es die zeitliche Dauer dieser Ausbildung von drei Jahren dem Auszubildenden viel eher, zwischenzeitlich krankheitsbedingt eingetretene Lerndefizite aufzuarbeiten als die durch das Erfordernis, das Vordiplom innerhalb einer bestimmten Frist bestehen zu müssen, geprägte universitäre Ausbildung.

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Zur Höhe des der Klägerin zustehenden Anspruchs vermag das Gericht keine Aussagen zu treffen, da hierzu vom Beklagten bislang keine tatsächlichen Feststellungen getroffen wurden. Dies wird der Beklagte nunmehr nachzuholen haben, wobei die Klägerin eine Mitwirkungspflicht trifft.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.