Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 18.03.2005, Az.: 2 A 21/05
bösgläubig; Bösgläubigkeit; Missachtung; Mitteilung; Mitteilungspflicht; Mitverschulden der Behörde; Mitwirkung; Pflicht; Sorgfalt; Umzug; unverzüglich; Verschulden; Verzug; Wechsel; Wegfall; Wohngeld; Wohnung; Zögern
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 18.03.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 21/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50669
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10
- § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10
- § 30 Abs 1 WoGG
- § 101 VwGO
- § 113 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung von Wohngeldbewilligungsbescheiden.
Tatbestand:
Der Kläger, der seinen jetzigen Namen nach Eheschließung zwischen Februar und August 2001 angenommen hat und vorher E. hieß, bewohnte seit 01. Juni 1999 eine Wohnung in der F. Straße in C.. Er erhielt hierfür von der Beklagten Wohngeldleistungen. Zuletzt mit Bescheid vom 19. Februar 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger monatlich Wohngeld in Höhe von 144,73 DM für die Zeit vom 01. Februar 2001 bis 31. Januar 2002. Zum 31. Juli 2001 zog der Kläger aus der Wohnung aus und nahm Wohnsitz in G.. Grund des Auszugs waren massive Bedrohungen seitens der Mitbewohner gegen den Kläger.
Am 18. August 2001 sandte der Kläger, der wohngeldrechtlich unter seinem bisherigen Namen E. geführt worden war, unter seinem jetzigen Namen ein Telefax an die Beklagte. Die Nummer, an die das Telefax gerichtet war, war die des Sozialamtes, adressiert war das Schreiben an die Beklagte “Wohngeldstelle“. Unter dem Betreff “Wohngeld für Wohnung H. Straße“ teilte er der Beklagten mit, dass sein Wohngeldanspruch nach im August 2001 erfolgter Ummeldung ab September 2001 wegfiele. Er teilte mit, sich erlauben zu wollen, das Wohngeld für die neue Wohnung weiter verwenden zu wollen, weil er nur infolge massiver Bedrohungen seitens der Hausmitbewohner ausgezogen sei. Er gehe davon aus, dass dies in Ordnung sei, wenn er innerhalb der nächsten vier Wochen nichts von der Beklagten höre. Dieses Telefax ist erst im Laufe des Widerspruchsverfahrens zu den Wohngeldakten gelangt, hatte aber die Beklagte nachweislich erreicht.
Nachdem die Wohngeldbehörde der Beklagten durch einen Abgleich der Meldedaten im April 2002 davon Kenntnis erlangt hatte, dass der Kläger seit dem 1. August 2001 in G. gemeldet war, hob sie ihren Bewilligungsbescheid vom 19. Februar 2001 mit Bescheid vom 23. April 2002 ab 01. August 2001 auf und forderte vom Kläger einen Betrag von 444,00 Euro zuviel gezahlten Wohngeldes zurück. Sie stützte diese Verfügung auf §§ 30 Abs. 1 WoGG i.V.m. 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Hiergegen legte der Kläger im Wesentlichen mit der Begründung Widerspruch ein, er habe aufgrund seines Telefaxes vom 18. August 2001 darauf vertraut, das Wohngeld behalten zu dürfen. Diesen Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 02. Januar 2004 zurück. Sie führte aus, die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge stütze sich auf die bereits von der Ausgangsbehörde genannten Vorschriften. Deshalb komme es auf die - nicht in den Akten befindliche - Mitteilung des Klägers vom 18. August 2001 über seinen Umzug nach G. nicht an.
Hiergegen hat der Kläger am 30. Januar 2004 Klage erhoben.
Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ermögliche nur eine Aufhebung von Bewilligungsbescheiden ex nunc, nicht aber, wie von der Beklagten vorgenommen ex tunc. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X lägen nicht vor, weil er der Beklagten Mitteilung über seinen Umzug gemacht habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 02. Januar 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Bescheide entgegen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist im Wesentlichen begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig sind rechtswidrig soweit mit ihnen der Wohngeldbewilligungsbescheid vom 19. Februar 2001 für die Zeit von September 2001 bis Januar 2002 zurückgenommen und vom Kläger ein Betrag von mehr als 74,00 Euro (das ist der auf den Monat August 2001 entfallende Wohngeldbetrag) zurückgefordert wird. Hierdurch wird der Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, wie sie Wohngeldbewilligungsbescheide darstellen, ist, soweit wie hier abgelaufene Bewilligungszeiträume betroffen sind, § 48 SGB X. § 30 Abs. 1 WoGG regelt demgegenüber (lediglich) die Voraussetzungen für einen Anspruchswegfall und den hierfür maßgeblichen Zeitpunkt. Dabei erlaubt § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur die Aufhebung für die Zukunft. Dies ist, worauf der Kläger zu Recht hinweist, die Zeit nach Aufhebung des Bewilligungsbescheides (vgl. nur Stadler/Gutekunst, WoGG, § 30 Rn. 6). Die Vorschrift vermag deshalb nicht Rechtsgrundlage für die (Teil-) Aufhebung des Wohngeldbewilligungsbescheides vom 19. Februar 2001 zu sein.
Als Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung dieses Bescheides kommt allein § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X in Betracht. Danach soll - soweit das hier einschlägig ist - der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt des Eintritts einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, aufgehoben werden, soweit
Nr. 2, der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist oder
Nr. 4, der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Diese Voraussetzungen liegen nur für den Monat August 2001 vor.
Eine wesentliche Änderung der für die Wohngeldbewilligung mit Bescheid vom 19. Februar 2001 maßgeblichen Verhältnisse ist dadurch eingetreten, dass der Kläger zum 31. Juli 2001 aus seiner bisherigen Wohnung in der F. Straße in C. ausgezogen ist. Damit entfällt gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 WoGG der Wohngeldanspruch von dem folgenden Zahlungsabschnitt (§ 28 Abs. 2 Satz 2 WoGG) an, da die Wohnung von keinem zum Haushalt rechnenden Familienmitglied mehr benutzt wird. Da der Kläger noch im Juli 2001 aus der Wohnung ausgezogen ist, entfällt der Wohngeldanspruch ab August 2001.
Änderungen im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 WoGG hat der Antragsberechtigte gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 WoGG der zuständigen Stelle unverzüglich mitzuteilen. Diese Bestimmung begründet eine Mitteilungspflicht im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Allerdings ist der Kläger dieser Mitteilungspflicht durch sein Telefax vom 18. August 2001 für die Zeit ab September 2001 nachgekommen. Ihm kann nicht angelastet werden, dass seine Umzugsmitteilung nicht rechtzeitig zu den Wohngeldakten gelangt ist.
Das Schreiben war erkennbar an die Wohngeldstelle der Beklagten gerichtet. Selbst wenn es daher an die Faxnummer des Sozialamtes gesendet wurde und unterstellt, es gibt eine organisatorische Trennung zwischen Sozialamt und Wohngeldstelle, wäre es Aufgabe des Sozialamtes gewesen, das Schreiben an die Wohngeldstelle weiter zu leiten. Interne Organisationsmängel der Beklagten gehen nicht zu Lasten des Klägers. Wäre das Schreiben ordnungsgemäß weiter geleitet und bearbeitet worden, wäre es der Beklagten auch möglich gewesen, die Wohngeldzahlungen ab September 2001 einzustellen. Zwar wurde der Kläger dort nicht unter seinem jetzigen Namen B., sondern unter seinem früheren Namen E. geführt und hatte der Kläger auf dem Schreiben das Aktenzeichen nicht angegeben, unter dem er wohngeldrechtlich geführt wird. Zum einen wäre es aber wohl möglich gewesen, den Kläger ohne weiteres über die in dem Schreiben angegebene Adresse H. Straße zu identifizieren. Selbst wenn dies technisch nicht möglich gewesen sein sollte, hätte eine Rückfrage unter der vom Kläger auf dem Schreiben angegebenen Postfachanschrift in G. für Klarheit gesorgt, um welchen Antragsteller es sich handelte. Der Kläger ist seiner oben beschriebenen Mitwirkungs- und Mietteilungspflicht daher mit dem genannten Schreiben nachgekommen.
Allerdings geschah dies nicht unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, so dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X für den Monat August 2001 vorliegen.
Der Kläger hat die Wohnung H. Straße nach eigenem Vortrag bereits im Juli 2001 verlassen. Zu dieser Zeit muss er deshalb schon einen Mietvertrag über die neue Wohnung in G. gehabt haben. Die o.a. Mitteilung hat er jedoch erst knapp drei Wochen nach seinem Umzug gemacht. Zwar wird man einem Antragsberechtigten zugestehen müssen, dass er während der Zeit des Umzuges und kurze Zeit danach eine entsprechende Umzugsmeldung nicht schuldhaft unterlässt. Es ist jedoch einerseits nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger der Beklagten nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Abschluss des Mietvertrages, d.h. noch im Juli 2001, hätte entsprechende Mitteilung machen können und andererseits nicht erkennbar, weshalb er auch nach seinem Umzug noch zwei Wochen verstreichen ließ, bevor er eine Umzugsmitteilung an die Beklagte absandte. Dies begründet den Vorwurf schuldhaften Zögerns für den ersten Monat des Anspruchwegfalls, den August 2001. Für die weiteren Zahlungsabschnitte ab September 2001 ist die Mitteilung demgegenüber unverzüglich erfolgt.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten lässt sich schließlich auch nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X stützen. Zwar war dem Kläger durchaus bekannt, dass sein Umzug nach G. Auswirkungen auf seinen Wohngeldanspruch hat, denn er schreibt selbst, dass sein Anspruch nach nunmehr erfolgter Ummeldung ab September 2001 wegfiele. Er ging jedoch, ohne dass ihm insofern grobe Fahrlässigkeit, also eine besonders grobe Missachtung der im Verkehrt erforderlichen Sorgfalt, vorgeworfen werden kann, davon aus, dass die Weiterbewilligung von Wohngeld über den August 2001 hinaus, mit Einverständnis der Beklagten erfolgte. Denn in dem Telefax vom 18. August 2001 wies er die Beklagte darauf hin, dass er sich infolge der von ihm nicht verschuldeten Umstände seines Auszuges aus der Wohnung in der F. Straße zur Einbehaltung der Wohngeldzahlungen berechtigt fühle, wenn er innerhalb von vier Wochen nichts von der Beklagten höre. Die Beklagte wandte sich, wie dargelegt, nicht an den Kläger. Es liegt hier ein atypischer Fall bei eigentlich gegebener Bösgläubigkeit vor, der darin zu sehen ist, dass den Sozialleistungsträger, hier die Beklagte, ein erhebliches Mitverschulden trifft (vgl. Freischmidt in: Hauck/Haines, SGB X, § 48 Rn. 21 a.E.). Denn wenn die Beklagte das Telefax des Klägers ordnungsgemäß behandelt hätte, wäre es nicht zu diesem Missverständnis gekommen und sie hätte es in der Hand gehabt, die Zahlungen einzustellen und den Rechtsirrtum des Klägers aufzuklären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F.