Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 04.11.2003, Az.: 6 A 81/03
Aufenthaltsbefugnis; geduldeter Asylbewerber; gesicherter Aufenthalt; Mitwirkungspflicht; Personaldokument; Personenidentität; rechtmäßiger Aufenthalt; Reiseausweis; Staatenlose; ungeklärte Abschiebungsmöglichkeit; zumutbare Beseitigung des Abschiebungshindernisses
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 04.11.2003
- Aktenzeichen
- 6 A 81/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48276
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 40 AuslG
- § 28 StlÜbk
- § 30 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Solange bei geltend gemachter Staatenlosigkeit der Ausländer seiner Mitwirkungspflicht aus § 40 AuslG bei der Beschaffung von Personaldokumenten nicht vollständig nachgekommen ist und im Heimatland vorhandene Unterlagen über seine Personenidentität und den Staatsangehörigkeitsstatus nicht beschafft hat, kann der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet nur mit einer Duldung nach § 55 AuslG gesichert werden.
2. Aus diesem Grunde kann auch ein Reiseausweis nach Art 28 StlÜbk nicht erteilt werden, weil der Aufenthalt des solchermaßen nur geduldeten Ausländers nicht als gesichert im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen ist (vgl. BVerwG, Beschl. vom 28.01.1997, Buchholz 402.27 Art 28 StlÜbk Nr. 5).
Tatbestand:
Die Klägerin reiste im September 1999 zusammen mit ihren beiden Brüdern und einer Schwägerin in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte blieb sowohl vor dem Bundesamt (Bescheid vom 20. September 1999) als auch vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig (Urt. vom 04. September 2001, 6 A 90/00) erfolglos. Auch die von ihren Verwandten betriebenen Klageverfahren blieben ohne Erfolg (Urt. vom 04. September 2001, 6 A 89/00 und 6 A 91/00). In ihrem Asylverfahren hatte die Klägerin beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge angegeben, die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen, und außerdem ausgeführt, ihren Lebensunterhalt durch die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen, die ihrem älteren Bruder gehört hätten, bestritten zu haben. Die Brüder hatten in ihren Asylverfahren ebenfalls angegeben, syrische Staatsangehörige zu sein, und bestätigt, dass der ältere von ihnen in Syrien 30 Dönem eigenes Land besessen habe, das sie bewirtschaftet hätten. Der jüngere Bruder der Klägerin hatte außerdem geschildert, einen syrischen Personalausweis besessen zu haben, den ihm der Schleuser abgenommen habe, bevor sie Syrien verlassen hätten. Erst im Klageverfahren hatten die Brüder der Klägerin mit Schriftstücken, die vom Gericht als offenbare Fälschungen angesehen worden waren, erstmals behauptet, nicht die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen, sondern in einem Register für Ausländer erfasst gewesen zu sein.
Die Klägerin wird seitdem gemäß § 55 AuslG im Bundesgebiet geduldet.
Am 7. Dezember 2001 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und machte geltend, staatenlos zu sein. Mit diesem Status werde ihr vom syrischen Staat die Wiedereinreise nach Syrien verweigert. Ihr müsse deshalb auch ein Ausweis für Staatenlose ausgestellt werden. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 8. Januar 2002 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie bei der syrischen Botschaft erfolglos versucht habe, Reiseunterlagen für eine Rückreise nach Syrien zu erhalten. Es sei ihr erklärt worden, dass man für sie nicht zuständig sei, weil sie nicht die syrische Staatsangehörigkeit habe. Der Beklagte möge sich selbst mit der syrischen Botschaft in Verbindung setzen.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2002 forderte der Beklagte von der Klägerin eine schriftliche Bestätigung der syrischen Botschaft, dass man ihr einen Pass nicht erteilen wolle. Die Klägerin könne derzeit nicht als staatenlos angesehen werden. Für Personen, die eine Bescheinigung oder einen „roten Ausweise“ vorlegten, werde eine Überprüfung durch die deutsche Botschaft in Syrien veranlasst. In dieser Hinsicht bestehe eine Mitwirkungspflicht der Klägerin.
Die Klägerin teilte unter dem 18. Juli 2002 dem Beklagten mit, dass sie die geforderte Bescheinigung der syrischen Botschaft nicht vorlegen könne. Deshalb sei gegenüber dem Beklagten angeregt worden, sich selbst mit der Botschaft in Verbindung zu setzen. Identitätspapiere besitze sie nicht. Sie sei bereit, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass sie in Syrien als Ausländerin geboren sei und gelebt habe.
Als der Beklagte weiterhin an der Forderung festhielt, Nachweise hinsichtlich der vermeintlichen Staatenlosigkeit vorzulegen, insbesondere darzutun, dass sie auch nicht die türkische oder irakische Staatsangehörigkeit besitze, teilte die Klägerin am 21. Januar 2003 mit, das türkische Generalkonsulat habe erklärt, die Behörde möge sich selbst an das Konsulat wenden; die irakische Auslandsvertretung habe sich überhaupt nicht geäußert.
Am 4. März 2003 hat die Klägerin den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung der Klage trägt sie vor:
Sie habe als kurdische Volkszugehörige yezidischen Glaubens im Bezirks Jidaide in Syrien gelebt und sei staatenlos. Eine von der Beklagten geforderte Bescheinigung der syrischen Botschaft, dass sie die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitze, habe die Botschaft verweigert. Obwohl keine Anknüpfungstatsachen vorlägen, dass sie die türkische oder irakische Staatsangehörigkeit haben könnte, fordere der Beklagte die Vorlage einer Negativbescheinigung von diesen Auslandsvertretungen. Sie sei nicht in der Lage, den Beweis zu führen, dass sie eine der genannten Staatsangehörigkeiten nicht besitze.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltsbefugnis sowie einen Ausweis für Staatenlose nach Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er entgegnet:
Voraussetzung für die Ausstellung eines Staatenlosenausweises sei die Feststellung, dass die Klägerin staatenlos sei. In Syrien gebe es drei Gruppen ohne syrische Staatsangehörigkeit, nämlich kurdische Volkszugehörige mit anerkanntem Flüchtlingsstatus, Personen, die im Jahre 1962 ausgebürgert worden seien und eigene Personaldokumente erhalten hätten, sowie Personen, die sich dort ohne behördliche Gestattung illegal aufhielten. Diese Personengruppen könnten staatenlos sein, aber auch die türkische oder irakische Staatsangehörigkeit besitzen. Einen Nachweis, welcher dieser Gruppen die Klägerin zuzuordnen sei, habe die Klägerin bisher nicht geführt. Sie habe vielmehr bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, einen Personalausweis besessen zu haben, die Registernummer aber nicht zu wissen. Auch die Geschwister hätten in ihren Verfahren angegeben, dass ihnen ihr syrischer Personalausweis abgenommen worden sei. Die von den Brüdern vorgelegten fremden Ausweise hätten sich nach einer Prüfung durch die deutsche Botschaft in Damaskus als Fälschungen erwiesen. Die daraufhin vorgelegten Dorfvorsteher-Bescheinigungen seien erneut der deutschen Botschaft zur Prüfung vorgelegt worden. Derartige Bescheinigungen hätten allerdings nur einen geringen Nachweiswert, weil sie käuflich erworben werden könnten. Selbst wenn die Klägerin die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitzen sollte, bestehe die Möglichkeit, dass sie zumindest die türkische oder irakische Staatsangehörigkeit habe. Einen Nachweis, dass dies nicht der Fall sei, habe die Klägerin nicht geführt. Unterlagen für ihren Besuch in der syrischen Botschaft habe die Klägerin ebenfalls nicht vorgelegt. Es bestehe der Verdacht, dass sie ihre wahre Identität verschleiere. Die Erlasslage in Niedersachsen stelle ebenfalls heraus, dass zahlreiche der im Jahre 1962 ausgebürgerten Personen sich zuvor in der Türkei und im Irak aufgehalten hätten und deshalb die Staatsangehörigkeit dieser Länder besitzen könnten. Eine Aufenthaltsbefugnis könne die Klägerin ebenfalls nicht beanspruchen. Im Falle eines erfolglosen Asylverfahrens wäre dies nur der Fall, wenn die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG vorlägen und einer freiwilligen Ausreise oder Abschiebung Hindernisse entgegenstünden, die der Betreffende nicht zu vertreten habe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin habe es zu vertreten, dass sie ihren syrischen Personalausweis nicht mehr besitze und behaupte, auch ihre syrische Registernummer nicht zu wissen, deren Kenntnis im täglichen Leben in Syrien unerlässlich sei. Im Übrigen stehe die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis im behördlichen Ermessen. Danach werde eine Aufenthaltsbefugnis nur erteilt, wenn zumindest das Bestehen der syrischen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden könne. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.
Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung zu ihrem bisherigen Vorbringen im Klageverfahren ergänzend informatorisch angehört worden; hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, der Verfahren 6 A 89/00, 6 A 90/00 und 6 A 91/00 sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig. Zwar bedarf es in Bezug auf das von der Klägerin geltend gemachte Begehren vor einer Klageerhebung grundsätzlich der Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Vorverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO); von dieser Prozessvoraussetzung konnte jedoch in diesem Verfahren abgesehen werden, weil der Beklagte über die von der Klägerin gestellten Anträge ohne zureichenden Grund in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden hatte (§ 75 Satz 1 VwGO). Nachdem die Klägerin wiederholt zum Ausdruck gebracht hatte, den Forderungen des Beklagten nach der Vorlage von Identitätsnachweisen und -bescheinigungen nicht nachkommen zu können, hätte der Beklagte auf der Grundlage der ihm bis dahin vorliegenden Erkenntnisse über die Anträge der Klägerin entscheiden können.
Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 30 Abs. 5 AuslG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag – wie es hier der Fall ist – unanfechtbar abgelehnt worden ist, eine Aufenthaltsbefugnis nur nach Maßgabe der Absätze 3 und 4 des § 30 AuslG erteilt werden. Danach kommt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis abweichend von den Erfordernissen des § 8 Abs. 1 AuslG in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil einer freiwilligen Ausreise des Ausländers oder seiner Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat (§ 30 Abs. 3 AuslG). Darüber hinaus kann einem Ausländer, der – wie es bei der Klägerin der Fall ist – seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig ist und eine Duldung besitzt, abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, sofern der Ausländer sich nicht weigert, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen.
Nach Maßgabe dieser Regelungen kann der Beklagte ungeachtet des Umstandes, dass die zu treffende Entscheidung in seinem (pflichtgemäßen) Ermessen steht, nicht zur Erteilung der von der Klägerin beanspruchten Aufenthaltsbefugnis verpflichtet werden. Denn das Fehlen gültiger Reisepapiere für die Ausreise oder Abschiebung hat die Klägerin zu vertreten. Sie hat zur Überzeugung des Gerichts nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zudem nicht alles ihr Zumutbare unternommen, um die Beschaffung solcher Unterlagen zu ermöglichen bzw. ihren Staatsangehörigkeitsstatus aufzuklären, von dem die Frage der Ausreise- oder Abschiebungsmöglichkeit abhängt.
Nach dem Ausgang ihres Asylverfahrens und den diesbezüglichen Angaben ihrer Angehörigen, mit denen sie nach Deutschland eingereist ist, musste bisher davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die syrische Staatsangehörigkeit besitzt. Sollte diese Annahme zutreffen, hätte sie nicht in dem ihr zumutbaren Maß an der Beschaffung von Reiseunterlagen für die Rückkehr nach Syrien mitgewirkt (vgl. hierzu: § 40 AuslG). Dies bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Die Klägerin hat aber selbst dann, wenn sie tatsächlich die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitzen sollte, nicht die gebotenen Anstrengungen unternommen, um ihren Staatsangehörigkeitsstatus zu belegen, von dem die Klärung der Rückkehrmöglichkeit nach Syrien abhängt. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung behauptet, in Syrien einen rot-orangefarbenen Ausweis besessen zu haben, den sie dort zurückgelassen haben will und von dem sie annimmt, dass er sich bei ihrer Mutter befindet. Einen solchen Ausweis hätte sich die Klägerin im Verlauf des Aufenthalts in der Bundesrepublik und in Kenntnis der Bedeutung, den ein solches Personaldokument für ihren Aufenthaltsstatus hat, aus Syrien schicken lassen müssen, um ihrer Mitwirkungspflicht an der Klärung ihrer Personenidentität zu genügen. Dies hat die Klägerin nicht getan und sich auch ersichtlich nicht sonst bemüht, über ihre in Syrien verbliebenen Angehörigen Nachweise über ihre Personenidentität (z.B. einen Auszug aus dem dortigen Fremdenregister) zu beschaffen. Der Umstand, dass weder sie noch ihre Geschwister bisher Kontakt mit ihren in Syrien verbliebenen Angehörigen aufgenommen haben wollen, sofern diesen Angaben überhaupt Glauben geschenkt werden kann, entlastet die Klägerin nicht. Schon deshalb kommt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nicht in Betracht.
Da infolgedessen noch nicht feststeht, ob die Klägerin als staatenlos anzusehen ist, scheitert auch der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 StlÜbk. Die Erteilung eines solchen Ausweises kommt nicht in Betracht, solange nicht von einem rechtmäßigen Aufenthalt des Ausländers im Sinne dieser Vorschrift im Bundesgebiet ausgegangen werden kann. Ein solcher rechtmäßiger Aufenthalt ist nicht gegeben, wenn sich der Ausländer nach einer asylrechtlichen Aufenthaltsgestattung und einer anschließenden Duldung bei ungeklärter Abschiebungsmöglichkeit im Bundesgebiet aufhält, wie dies hier der Fall ist (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Urt. vom 22.10.1996, 13 L 1662/96; bestätigt durch: BVerwG, Beschl. vom 28.01.1997, Buchholz 402.27 Art. 28 StlÜbk Nr. 5).
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 GKG, wobei für jeden der beiden Streitgegenstände (Aufenthaltsbefugnis und Reiseausweis) ein Wert von 4.000,00 Euro (insgesamt 8.000,00 Euro) anzunehmen ist.