Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.11.2003, Az.: 6 C 369/03

Aufnahmekapazität; Curricular-Normwert; Kapazitätsermittlung; Numerus clausus; Pharmazie; Schwundausgleich; Studienzulassung; Zulassung zum Studium; Zulassungsverfahren; Zulassungszahl

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.11.2003
Aktenzeichen
6 C 369/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kapazitätsermittlung in Bezug auf den Studiengang der Pharmazie im WS 2003/04 an der TU Braunschweig

Tenor:

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zu 1) ab dem Wintersemester 2003/04 vorläufig zum Studium der Pharmazie im 1. Fachsemester zuzulassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

II. Die Anträge der Antragsteller zu 2) und 3) werden abgelehnt.

Diese Antragsteller tragen die Kosten ihres jeweiligen Verfahrens.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird für jedes Verfahren auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren ihre vorläufige Zulassung zum Studium der Pharmazie bei der Antragsgegnerin ab dem Wintersemester 2003/04. Zur Begründung ihrer Anträge tragen sie im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin schöpfe ihre Aufnahmekapazität nicht aus und sei in der Lage, über die durch Verordnung festgesetzte Zahl von zu vergebenden Studienplätzen hinaus weitere Studienbewerber aufzunehmen. Die Anträge sind auf die vorläufige Zulassung im 1. Fachsemester gerichtet. Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf die Antragsbegründungen verwiesen.

2

Gemäß § 1 i.V.m. Anlage 1 Abschn. I A der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2003/04 und zum Sommersemester 2004 - ZZ-VO - vom 3. Juli 2003 (Nds. GVBl 2003, 256) ist die Zahl der bei der Antragsgegnerin im Studiengang Pharmazie für das Wintersemester 2003/04 zu vergebenden Studienplätze auf 75 festgesetzt worden. Auf der Grundlage einer von der Antragsgegnerin durchgeführten Kapazitätsberechnung nimmt die Antragsgegnerin zum Wintersemester 2003/04 insgesamt 75 Studenten des ersten Fachsemesters auf. An dieser von ihr ermittelten Zahl von Studienanfängern hält sie fest; sämtliche Studienplätze seien verteilt.

3

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der Berechnung der Antragsgegnerin, wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die "Generalakte Pharmazie/Wintersemester 2003/04" Bezug genommen.

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II. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben lediglich in Bezug auf den Antragsteller zu 1) Erfolg; im Übrigen sind die Anträge abzulehnen.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Sowohl die Dringlichkeit der begehrten gerichtlichen Entscheidung als auch der Anspruch auf Zulassung zum Studium wegen nicht vollständig ausgeschöpfter Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin in diesem Studiengang sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Nach Maßgabe dieser Gesichtspunkte kann dem Rechtsschutzbegehren der Antragsteller zu 2) und 3) nicht entsprochen werden.

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Die Anträge der Antragsteller zu 2) und 3) können ungeachtet der Frage unausgeschöpfter Aufnahmekapazitäten keinen Erfolg haben, weil diese Antragsteller bei der Antragsgegnerin keinen ordnungsgemäßen Zulassungsantrag gestellt haben. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 der Nds. Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen durch die Hochschulen - Hochschul-VergabeVO - i.d.F. vom 29. August 2002 (Nds. GVBl. 2002, 374) muss der Studienbewerber, wenn er die Zulassung zum Studium innerhalb oder außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl beantragt, die Hochschulzugangsberechtigung für den gewählten Studiengang spätestens bis zum Ablauf der jeweiligen Bewerbungsfrist nachweisen. Die Antragsteller zu 2) und 3) haben ihre Hochschulzugangsberechtigung bis zum 15. Oktober 2003, dem Ende der für sie geltenden Bewerbungsfrist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2b Hochschul-VergabeVO), nicht bei der Antragsgegnerin vorgelegt. Die Bewerbungsfrist ist eine Ausschlussfrist (§ 2 Abs. 1 Hochschul-VergabeVO). Eine Nachfrist konnte die Antragsgegnerin nicht setzen, da eine § 2 Abs. 1 Satz 3 Hochschul-VergabeVO entsprechende Regelung für das Zulassungsverfahren außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl fehlt. Ebenso scheidet eine entsprechende Anwendung dieser Regelung aus, da der im Interesse der Studienbewerber vorgesehene späte Ablauf der Bewerbungsfrist es nicht zulässt, den Beginn des Vergabeverfahrens außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl weiter hinauszuschieben. Nicht ausreichend ist, wenn die Antragsteller die Hochschulzugangsberechtigung dem bei Gericht gestellten Antrag auf Zulassung zum Studium beigefügt haben. Der gerichtliche Zulassungsantrag unterscheidet sich von dem an die Hochschule gerichteten Antrag nach Form und Inhalt und ist deshalb nicht geeignet, diesen auch nur teilweise zu ersetzen oder ihn zu ergänzen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 23.04.1992 - 10 N 5675/91 u.a. -).

8

Dagegen ist die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1) vorläufig zum Studium der Pharmazie im 1. Fachsemester zuzulassen.

9

Maßstab für die in den vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorzunehmende Überprüfung der von der Antragsgegnerin ermittelten Zulassungszahl ist die Verordnung über die Kapazitätsermittlung zur Vergabe von Studienplätzen - KapVO - vom 23. Juni 2003 (Nds. GVBl. 2003, 222). Die Berechnung aufgrund der KapVO, die bis zu vier Stellen hinter dem Komma und ohne Rundung durchgeführt wird, ergibt für den Studiengang Pharmazie zum Wintersemester 2003/04 eine um einen Studienplatz höhere Aufnahmekapazität als die von der Hochschule ermittelte Zahl von 75 Studienplätzen für Studienanfänger.

10

In die Berechnung gehen gemäß § 8 Abs. 1 und 3 KapVO alle haushaltsrechtlich besetzbaren Stellen des wissenschaftlichen Lehrpersonals ein, die der Lehreinheit Pharmazie zugeordnet sind. Maßgeblich sind insoweit grundsätzlich die am Berechnungsstichtag heranzuziehenden Ansätze des Stellenplanes der Antragsgegnerin für das Jahr 2003.

11

Der Antragsgegnerin stehen für den Studiengang Pharmazie insgesamt 49 Stellen zur Verfügung, die sich zusammensetzen aus:

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10 C 2/3/4 - Stellen(Professor)
1 C 2 - Stelle(Hochschuldozent)
2 C 1 - Stellen(Wiss. Assistent)
11 A 13/14/15 - Stellen(Akad. Rat/Oberrat/Direktor)
25 BAT II a-Stellen(wiss. Mitarbeiter zur Weiterbildung)
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Gegen die Höhe der in der Verordnung über die Lehrverpflichtung an Hochschulen vom 11. Februar 2000 - LVVO - (Nds. GVBl 2000, 18) normierten Regellehrverpflichtungen sind - soweit diese Festsetzungen hier maßgeblich sind - verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben. Die Summe der Lehrdeputate der zu berücksichtigenden Stellen beträgt danach 278,0 LVS und setzt sich in folgender Weise zusammen:

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9 Professoren (C4/C3/C2)x 8 = 72 LVS
1 Professor (C 3)x 4 =4 LVS
1 Hochschuldozent (C2)x 6 =6 LVS
2 Wiss. Ass. (C1)x 4 =8 LVS
11 Akad.Rat/Dir. (A13/A15)x 8 = 88 LVS
25 Wiss. Mit. z.W. (BAT II a)x 4 = 100 LVS
= 278 LVS
15

Die Lehrverpflichtung des Stelleninhabers einer C-3-Stelle (Prof. Dr. Beerhues) ist wegen seiner Funktion als Dekan nur mit 4 LVS anzusetzen)

16

Zu den Lehrdeputaten der Stelleninhaber kommen Lehrauftragsstunden im Umfang von 40 LVS hinzu, die der Lehreinheit für den Ausbildungsaufwand nach § 13 Abs. 1 KapVO in dem hier maßgeblichen Bemessungszeitraum durchschnittlich je Semester zur Verfügung gestanden haben. Insoweit bedarf die Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin einer Korrektur. Wie schon in dem vergangenen Vergabezeitraum werden von dem Lehrbeauftragten Dr. Vieregge im Umfang von 5 LVS und nicht nur mit 3 LVS Lehrleistungen für die Ausbildung i.S.d. § 13 Abs. 1 KapVO erbracht.

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Schließlich ist das Lehrangebot um die Dienstleistung zu vermindern, die die Lehreinheit Pharmazie für den ihr nicht zugeordneten Studiengang Lebensmittelchemie zu erbringen hat (§ 11 KapVO). Bei der Berechnung des Dienstleistungsbedarfs ist von der bisherigen oder zum Zeitpunkt des Berechnungsstichtags voraussichtlichen Zulassungszahl für den nicht zugeordneten Studiengang auszugehen (§ 11 Abs. 2 KapVO). Dies ist die um einen etwaigen Schwundausgleich bereinigte Zulassungszahl (OVG Lüneburg, Beschl. vom 22.03.1983, KMK-HSchR 1984, 140; Beschl. vom 12.11.1991, 10 N 5209/91 u. a. m.w.N.). Dieser Rechengang führt zu einem Dienstleistungsbedarf von 0,3450 LVS (0,0330 x 20,9136 : 2 = 0,3450).

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Daraus ergibt sich ein bereinigtes Lehrangebot von insgesamt 282.6550 LVS (283 – 0,3450).

19

Aus der Gegenüberstellung von bereinigtem Lehrangebot und bereinigter Lehrnachfrage des Studienganges nach Lehrveranstaltungsstunden wird die personalbezogene Ausbildungskapazität abgeleitet. Die Lehrnachfrage, die dem Betreuungsaufwand aller an der Ausbildung eines Studenten beteiligten Lehreinheiten während des gesamten Studiums entspricht, wird mit dem in der Kapazitätsverordnung festgesetzten Curricular-Normwert (CNW) zum Ausdruck gebracht. Dieser CNW beläuft sich für den Studiengang Pharmazie auf insgesamt 4,5 (§ 13 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Abschnitt A I KapVO).

20

Den auf die Ausbildung in der Lehreinheit Pharmazie entfallenden CNW-Eigenanteil hat die Antragsgegnerin auf der Grundlage der Approbationsordnung für Apotheker - AppOA - vom 19. Juli 1989 (BGBl. I S. 1489) und den späteren Änderungen mit 4,3168 errechnet und den Dienstleistungsimport aus den Lehreinheiten Physik und Chemie mit einem CNW-Anteil von 0,1832 ausgewiesen. Dieses Berechnungsergebnis trägt den im Beschluss der Kammer vom 02. Mai 1991 (6 C 6074/91 u.a.) gegen die frühere Berechnungsweise der Antragsgegnerin erhobenen Bedenken Rechnung. Die Entscheidung wurde vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigt (Beschl. vom 15.08.1991 - 10 N 5319/91 -).

21

Bei einem Lehrangebot von 282,6550 LVS und einer Lehrnachfrage von 4,3168 beträgt die jährliche Aufnahmekapazität bei der Antragsgegnerin im Studiengang Pharmazie unter Anwendung der Formel 5 in der Anlage 1 zu § 6 KapVO 130,9558 Studienplätze (282,6550 x 2 : 4,3168 = 130,9558).

22

Dieses Ergebnis ist gemäß § 16 KapVO um einen Schwundausgleich zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass die Zahl der Abgänge an Studenten in höheren Fachsemestern wegen der Aufgabe des Studiums bzw. des Fach- oder Hochschulwechsels in höheren Fachsemestern (bis zum 8. Fachsemester) größer ist als die Zahl der Zugänge. Für ein derartiges Schwundverhalten ist von einem Wert von 1,1583 auszugehen.

23

Danach beträgt die jährliche Aufnahmekapazität insgesamt 151,6861 Studienplätze (130,9558 x 1,1583) und die halbjährliche Kapazität 76 Studienplätze (1501,6861 : 2 = 75,8430; gerundet = 76).

24

Dies führt für den Antragsteller zu 1) zum Erfolg seines Antragsbegehrens.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.