Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.11.2003, Az.: 3 A 399/02

Autismus; Eingliederungshilfe; ergänzende Beschulung; Ermessensentscheidung; geistige Behinderung; Integrationshelfer; Regelschulbesuch

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
06.11.2003
Aktenzeichen
3 A 399/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48320
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die ergänzende Beschulung eines geistig behinderten Kindes, das aufgrund der Entscheidung der Schulbehörde eine Schule für geistig Behinderte besucht, in einer Regelschule bedarf zumindest einer ausdrücklichen Zustimmung der Schulbehörde.

Ergänzende Beschulung in einer Regelschule bei geistiger Behinderung.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

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Der am 13. Mai 1988 geborene Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für die Betreuung während des stundenweisen Besuchs einer Regelschule.

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Beim Kläger besteht eine autistische geistige Behinderung. Er hat gelernt, sich sprachlich in kurzen Sätzen sowie mittels der sogenannten gestützten Kommunikation über einen Personalcomputer schriftlich auszudrücken. Er besucht seit dem Schuljahr 1995/96 eine Schule für geistig behinderte Menschen in G., nachdem vom Schulaufsichtsamt G. mit Bescheid vom 08.06.1995 ein entsprechender sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war. In der Schule für geistig Behinderte findet keine Autismustherapie, jedoch eine Autistenförderung im Unterricht statt. Wegen dieser Förderung erhält die Schule von der Bezirksregierung Braunschweig einen Zusatzbedarf von 24 Sonderschullehrerstunden, welche in den Klassen eingesetzt werden, in denen Schüler mit autistischem Verhalten unterrichtet werden. Seit April 2001 wird eine Autismustherapie mit zwei Betreuungseinheiten pro Woche durch die Autistenambulanz durchgeführt, deren Kosten von der Beklagten getragen werden. Innerhalb der gesamten Klasse erfolgt eine integrative Beschulung mit einer anderen Schule in den Fächern Kunst und Sport.

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Im Schuljahr 1998/1999 und 1999/2000 nahm der Kläger mit einer Betreuerin am Unterricht der 2. bzw. 3. Klasse in der Grundschule H. jeweils eine Stunde wöchentlich im Fach Mathematik teil. Damit war eine pädagogische Mitarbeiterin in therapeutischer Funktion der Schule für geistig Behinderte betraut. Die Betreuungsperson wird als Stützer benötigt. Im Schuljahr 2000/2001 und 2001/2002 nahm der Kläger ein- bis zweimal wöchentlich am Mathematikunterricht in der 5. bzw. 6. Klasse der I. Gesamtschule teil. Im Schuljahr 2002/2003 nahm der Kläger im ersten Halbjahr zweimal wöchentlich eine Stunde und im zweiten Halbjahr zwei Unterrichtsstunden einmal pro Woche in Gesellschaftslehre und Biologie am Unterricht der 8. Klasse der I. Gesamtschule teil.

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Unter dem 20. Dezember 2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für seine Betreuung beim Besuch der I. Schule in einer 5. Klasse am Mathematikunterricht ca. fünfmal wöchentlich je eine Stunde. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Januar 2002 ab. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG gehöre die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und durch Hilfe zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu, zwar zu den Aufgaben der Eingliederungshilfe. Dies gelte mindestens für eine in der Regel im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung. Wenn diese Schulbildung nach den Schulgesetzen ohne Maßnahme der Eingliederungshilfe erreicht werden könne, gingen die Bestimmungen der Schulgesetze dem BSHG vor. Gemäß § 12 der Verordnung nach § 47 BSHG (EingliederungshilfeVO) umfasse die Hilfe zur Schulbildung zwar u. a. auch die Hilfe zum Besuch einer Realschule, eines Gymnasiums etc. Dies gelte jedoch nur dann, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Kindes zu erwarten sei, dass es das Bildungsziel erreichen werde. Der Kläger werde den Schulabschluss der Sonderschule G mit dem Zusatz erwerben, dass er am Unterricht der I. Schule teilgenommen habe. Dementsprechend werde durch den stundenweisen Besuch der anderen Schule kein anderes Bildungsziel erreicht, weshalb eine Kostenübernahme für weiteres Personal aus Mitteln der Sozialhilfe nicht möglich sei. Durch den Besuch der Sonderschule für geistig behinderte Kinder werde dem Kläger seinen Fähigkeiten entsprechend eine angemessene Schulbildung zuteil, so dass § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG nicht anwendbar sei. Wenn die Schule für geistig behinderte Kinder nicht in der Lage sei, eine besondere Förderung des Klägers aus eigenen Kräften durchzuführen, könne es nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe sein, dies aus Sozialhilfemitteln zu kompensieren.

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Dagegen hat der Kläger am 13. Januar 2002 Widerspruch erhoben und geltend gemacht, dass die Folgen der Behinderung durch den Besuch der I. Schule beseitigt bzw. gemildert würden. Durch seine Beteiligung am Mathematikunterricht der I. Schule sei er immer häufiger in der Lage, selbst mit Zahlen umzugehen und Sachverhalte zu erfragen. Dass Zusammensein mit nicht behinderten Kindern sporne ihn an, selbständig sein Leben in die Hand zu nehmen. Der Unterricht fördere sein Selbstvertrauen und seine Fähigkeit, Kontakte herzustellen. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ sowie generell die Integration würden gefördert.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger erfülle seine allgemeine Schulpflicht an der Sonderschule für geistig Behinderte. Es gebe keine Einschränkungen, die diesen Schulbesuch behinderten. Die Schule werde durch den Fahrdienst oder den Vater erreicht, eine pflegerische Hilfe an der Person sei nicht erforderlich. Nach der Stellungnahme der Schulleitung sähen die maßgeblichen Schulvorschriften keine Möglichkeiten vor, für leistungsstärkere Schüler einen Zusatzbedarf für Fördermaßnahmen nach dem individuellen Förderkonzept geltend zu machen. Zwar seien Kooperationen zwischen Schulen möglich und genehmigungsfrei, lösten aber keine Zuweisung von Zusatzstunden aus. Insofern bleibe es der Schule überlassen, mit vorhandenen Kräften die stundenweise Beschulung an anderen Schulen durchzuführen. Wenn schon die Schulbehörden nicht dafür Sorge zu tragen hätten, könne es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers sein, eine von der Schule gewünschte, durch eigenes Personal aber nicht zu organisierende, externe Beschulung zu ermöglichen und zu finanzieren. Hier sei der Nachrang des § 2 BSHG zu beachten und eindeutig die Kostenpflicht des Schulträgers gegeben. Der stundenweise Besuch der Grundschule sei als freiwillige Maßnahme der Schule anzusehen, die über das Ziel der üblicherweise erreichbaren Bildung hinausgehe. Sollte eine andere Schulform oder ein anderer Schultyp die geeignetere Beschulung darstellen, sei dies über die zuständigen Schulbehörden umzusetzen. Die übrigen positiven Begleiterscheinungen des externen Schulbesuchs, wie Verselbständigung und Kontaktaufnahme, würden durch sie bereits im Wege der Übernahme der Kosten der Therapie in der Autismusambulanz gezielt gefördert.

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Hiergegen hat der Kläger (spätestens am 27. Dezember 2002) Klage erhoben. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, es gehe um die Gleichstellung und Integration des Klägers. Der besonderen Situation von Autisten werde durch die erlassenen Regelungen in keiner Weise Rechnung getragen. Dem Vorschlag, ein gemeinsames Gespräch zwischen Eltern, Schule, Kultusministerium und Sozial- und Jugendamt über mögliche Regelungen durchzuführen, sei nie nachgegangen worden. Eine übergreifende Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen würde ihm – dem Kläger – eine bessere Zukunft ermöglichen, auch wenn dabei kein „höherer“ Schulabschluss erreicht werde.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 26. November 2002 aufzuheben und diese zu verpflichten, die Kosten für seine Betreuung durch einen geeigneten Integrationshelfer während des stundenweisen Besuchs einer Regelschule zu übernehmen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt sie aus, die Argumente der Gleichstellung und Integration reichten für die Ermöglichung des geltend gemachten Schulbesuchs und der damit verbundenen Kostenübernahme durch das Sozialamt nicht aus. Durch die vom Kläger begehrte externe Beschulung sei kein höherer Schulabschluss zu erzielen und damit auch keine Verbesserung der beruflichen Perspektiven gewährleistet. Eine soziale Integration sei auch auf anderem Wege erreichbar, beispielsweise in der Freizeit.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht (derzeit) kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für seine Betreuung durch einen geeigneten Integrationshelfer während des stundenweisen Besuchs einer Regelschule für die Teilnahme am Unterricht zu. Die Beklagte hat den vom Kläger gestellten Antrag mit dem Bescheid vom 03.01.2002 und ihrem Widerspruchsbescheid vom 26.11.2002 ermessensfehlerfrei abgelehnt.

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Gemäß § 39 BSHG ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Eingliederungshilfe wird gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. § 40 BSHG nennt in der Form nicht abschließend aufgezählter Regelbeispiele Maßnahmen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe gewährt werden können. Bei der Entscheidung des Sozialhilfeträgers, in welcher Form und in welchem Maß Eingliederungshilfe zu gewähren ist, handelt es sich gemäß § 4 Abs. 2 BSHG um eine Ermessensentscheidung. Die Regelung des § 40 BSHG gewährt nämlich im Grundsatz keinen Anspruch auf eine konkrete Maßnahme (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.09.1993 – 5 C 50.91 -, BVerwGE 94, 127, 133; VGH Mannheim, Urt. v. 18. Dezember 1996 – 6 S 2598/94 -, Behindertenrecht 1997, 164 ff.). Das der Behörde eingeräumte Ermessen ist durch die aus § 39 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BSHG folgende Rechtspflicht bestimmt und begrenzt, im Einzelfall solche Maßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf die Person des Hilfesuchenden, die Art und Schwere seiner Behinderung am besten versprechen, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe soweit wie möglich und nachhaltig erfüllt werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.08.1995, Buchholz § 40 BSHG Nr. 19, S. 8/9). Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe ist, dass ein ggf. bestehender Bedarf für eine Eingliederungsmaßnahme nicht bereits anderweitig gedeckt wird. Dies ist Ausdruck des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe, der sich aus § 2 Abs. 1 BSHG ergibt. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Es kommt darauf an, ob der Betroffene die benötigte Hilfe tatsächlich erhält oder alsbald und unschwer erhalten kann, ob er also über anderweitige sogenannte bereite Mittel verfügt, die die erforderliche Förderung ermöglichen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 06.11.1998 – 4 L 4221/98 -; VG Braunschweig, Urt. v. 17.06.1999 – 3 A 3068/98 -).

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Der Kläger gehört unzweifelhaft dem Kreis der Personen im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG an, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind. Nach seinen Ausführungen leidet er an einer autistischen geistigen Behinderung. Im Übrigen ergibt sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG bereits daraus, dass das zuständige Schulaufsichtsamt G. mit Bescheid vom 08.06.1995 sonderpädagogischen Förderbedarf beim Kläger festgestellt und den Besuch der Schule für geistig Behinderte in G., die der Kläger nach wie vor besucht, angeordnet hat.

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Dem Kläger steht jedoch kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer beim stundenweisen zusätzlichen Besuch einer Regelschule aus §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG zu. Die beantragte Eingliederungshilfe stellt nach Ansicht der Kammer keine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne dieser Vorschrift dar. Danach sind Leistungen der Eingliederungshilfe vor allem Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Ergänzt wird diese Bestimmung durch § 12 der VO nach § 47 BSHG (EingliederungshilfeVO). Die Voraussetzungen für eine Hilfemaßnahme im Sinne von §§ 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG, 12 Nr. 1 EingliederungshilfeVO liegen nicht vor. Danach umfassen Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Nach dem Wortlaut wird deutlich, dass insoweit lediglich Maßnahmen über Eingliederungshilfe förderungsfähig sind, die sich im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bewegen. Die Kammer ist in Übereinstimmung mit der Beklagten der Ansicht, dass der Kläger zumindest nach dem derzeitigen Sachstand seine allgemeine Schulpflicht erfüllt, indem er die Sonderschule für geistig Behinderte besucht. Dies ist ihm auch ohne den Einsatz einer externen Hilfskraft (z. B. als Stützer bei der gestützten Kommunikation) möglich. Denn eine entsprechende Verpflichtung hat das Schulaufsichtsamt G. mit Bescheid vom 08. Juni 1995 festgestellt. Eine diesen Bescheid abändernde Entscheidung liegt nicht vor.

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Entgegen der Ansicht des Klägers steht auch nicht fest, dass für ihn aufgrund seines differenzierten Behinderungsbildes, gekennzeichnet durch erhebliche Beeinträchtigungen im Sozialverhalten und in den lebenspraktischen Bereichen, gleichzeitig jedoch überdurchschnittliches Wissen in Teilbereichen etc., lediglich die von ihm gewünschte kombinierte Beschulung, d. h. Beschulung in der Schule für geistig Behinderte und regelmäßige Teilnahme am Unterricht einer Regelschule, die angemessene Schulbildung im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG darstellt. Insoweit ist darauf abzustellen, dass § 40 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbs. BSHG ausdrücklich regelt, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben. Nach dem Niedersächsischen Schulgesetz (i. d. F. v. 03.03.1998, Nds. GVBl. S. 137, zul. geändert durch Gesetz v. 28.08.2002, Nds. GVBl. S. 366) besteht für alle Kinder in Niedersachsen grundsätzlich Schulpflicht (§ 65 NSchG). Grundsätzlich erfolgt die Einschulung von Kindern in die Grundschule. Gemäß § 68 NSchG sind Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG), zum Besuch der für sie geeigneten Sonderschule oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet, wenn nicht die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist. Die Schulbehörde entscheidet, ob die Verpflichtung zum Besuch einer Sonderschule besteht und welche Schule zu besuchen ist. Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs erfolgt entsprechend der aufgrund von § 60 Abs. 1 Nr. 1, 4 und 5 NSchG erlassenen Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 01.11.1997 (Nds. GVBl. S. 458) und den dazu erlassenen ergänzenden Bestimmungen (Schulverwaltungsblatt 1997, 385 ff.). Nach Durchlaufen des darin festgestellten Verfahrens ist für den Kläger im Juni 1995 festgestellt worden, dass er seine allgemeine Schulpflicht durch den Besuch der Schule für geistig Behinderte in G. zu erfüllen hat. Damit ist gleichzeitig entschieden worden, dass diese Beschulung die für den Kläger angemessene Schulbildung im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG darstellt (vgl. OVG Münster, Urt. v. 15.06.2000 – 16 A 3108/99 -, Recht der Lebenshilfe 2000, 168 ff.; VGH Baden-Württemberg, B. v. 14.01.2003 – 9 S 2199/02 -, DVBl. 2003, 474 ff.). Da auch das Regelbeispiel des § 12 Nr. 2 EingliederungshilfeVO lediglich Maßnahmen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht vorsieht, liegen aus demselben Grund auch diese Voraussetzungen nicht vor. Eine Maßnahme im Sinne von § 12 Nr. 3 EingliederungshilfeVO kommt nicht in Betracht, da der Kläger nach übereinstimmender Einschätzung der Beteiligten das Bildungsziel einer Realschule, eines Gymnasiums oder einer Fachoberschule aufgrund seines Behinderungsbildes insgesamt nicht erreichen kann.

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Zwar verweist der Kläger zu Recht darauf, dass es sich bei den in § 40 Abs. 1 BSHG und § 12 EingliederungshilfeVO genannten Maßnahmen lediglich um Regelbeispiele handelt, deren Aufzählung nicht abschließend ist. Jedoch kann im vorliegenden Fall der Anspruch nach Ansicht der Kammer nicht auf eine unmittelbare Anwendung von § 39 Abs. 3 BSHG gestützt werden. Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Übernahme von Kosten für einen Integrationshelfer, da er ohne eine solche Hilfskraft nicht sinnvoll am Schulunterricht der Regelschule teilnehmen kann. Dementsprechend geht es nicht um Kosten für z.B. den Schulbesuch erleichternde Maßnahmen, die außerhalb der Schule stattfinden (vgl. zur Petö-Therapie BVerwG, Urt. v. 30.05.2002 – 5 C 36.01 -, Recht der Lebenshilfe 2002, 110 ff.), sondern um die Beschulung an sich. Für die grundsätzlich durch das geltende Schulrecht zu regelnde Beschulung hat der Gesetzgeber die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG über § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG ausdrücklich an das Erfordernis der „Angemessenheit“ der Schulbildung geknüpft. Damit wird der Rahmen der möglichen Hilfen durch die allgemeinen Gesetze, hier die schulrechtlichen Anforderungen, bestimmt. Solange nicht schulrechtlich zumindest im Wege einer ausdrücklichen Zustimmung der Schulbehörde (vgl. VGH Baden-Württemberg, a. a. O.) festgestellt ist, dass die kombinierte Beschulung des Klägers die nach dem Schulrecht angemessene Schulbildung für ihn darstellt, kann Eingliederungshilfe über § 39 Abs. 3 BSHG für die beantragte Maßnahme nicht gewährt werden (vgl. VGH München, Urt. v. 14.05.2001 – 12 B 98.2022, FEVS 53, 361 ff.). Dies gilt selbst dann, wenn zu erwarten ist, dass die teilweise Unterrichtung in einer Regelschulklasse geeignet ist, das Wissen, die Interessen und die Fähigkeiten des Klägers zu festigen und zu erweitern und damit einer Eingliederung des Klägers in die Gesellschaft im Sinne von § 39 Abs. 3 BSHG dienlich sein kann (vgl. VGH München, a. a. O.). Jedoch sind Hilfen zur angemessenen Schulbildung nicht darauf ausgerichtet, über die Gewährleistung der Teilnahme am staatlichen Schulbildungssystem und die Möglichkeit zur Wahrnehmung der dort gebotenen Bildungschancen hinaus in jedem Einzelfall die letzten Bildungsreserven des Behinderten auszuschöpfen (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 21.03.2002 – 3 A 2/02 -).

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Die Kammer ist auch der Ansicht, dass die vom Kläger gewünschte über Eingliederungshilfe zu finanzierende kombinierte Beschulung einer Regelung durch die zuständige Schulbehörde zumindest aber einer ausdrücklichen Zustimmung bedarf. Aus den Vorschriften des NSchG und der Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs mit ergänzenden Bestimmungen (s. o.) ergeben sich keine Hinweise auf die Möglichkeit und Regelungsbedürftigkeit einer solchen kombinierten Beschulung, welche insbesondere auch auf die vermehrten Bemühungen zu differenzierten integrativen Beschulungen zurückzuführen sind. Aus den in Ziff. 16 und 17 der ergänzenden Bestimmungen zur Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs ersichtlichen von der Schulbehörde zu treffenden Maßnahmen ergibt sich, dass auf Dauer zu treffende abschließende Entscheidungen lediglich von der Schulbehörde zu treffen sind. Lediglich eine probeweise Beschulung z. B. in einer anderen Schule kann durch eine Klassenkonferenz bestimmt werden (vgl. Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Kommentar: § 68, 5.1.7). Hier soll zweifellos keine probeweise Beschulung des Klägers zusätzlich in der Regelschule erfolgen, sondern eine entsprechende Beschulung wird auf Dauer angestrebt. Damit handelt es sich um eine Entscheidung, die die ursprüngliche Regelung der Schulbehörde aus Juni 1995 abändert, und nur durch diese getroffen werden kann. Insoweit liegt nach Ansicht der Kammer der Fall des § 1 Nr. 2 der VO zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vor. Auch in einem Fall wie dem vorliegenden könnte die bereits aufgrund der Entscheidung vom 6. Juni 1995 eingeleitete sonderpädagogische Förderung nicht mehr ausreichend sein, so dass ein neues Feststellungsverfahren einzuleiten wäre. Nach Ansicht der Kammer reichen auf § 25 NSchG beruhende Kooperationsvereinbarungen zwischen den beteiligten Schulen allein insoweit nicht aus. Die Anwendungsbereiche der Vereinbarungen nach § 25 NSchG haben ihr Schwergewicht im pädagogisch-unterrichtlichen Bereich. Ein solcher Fall kann auch eine Zusammenarbeit zwischen Grundschule und Sonderschule durch Einsatz von Sonderschullehrern in der Grundschule sein (vgl. Seyderhelm, a. a. O., § 25, 2.1). Dementsprechend enthält ein entsprechender Erlass des Kultusministeriums vom 17.02.1987 (Schulverwaltungsblatt S. 55 ff.) Regelungen über den Einsatz von Sonderschullehrern in der Grundschule, um jeden Grundschüler seinen individuellen Voraussetzungen gemäß bestmöglich zu fördern.

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Nach alledem ist die Klage mit der für den Kläger negativen Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.