Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.11.2003, Az.: 3 A 292/03
Anrechnung; Einkommen; Elternteil; Grundsicherung; Kindergeld; Kindergeldberechtigter; Sozialhilfe; Weitergabe; Zuwendung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 06.11.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 292/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48418
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 16 BSHG
- § 76 Abs 1 BSHG
- § 2 Abs 1 S 3 GSiG
- § 3 Abs 2 GSiG
- § 31 EStG
- § 62 EStG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Auch im Grundsicherungsrecht ist Kindergeld Einkommen des Kindergeldberechtigten, d. h. in der Regel der Eltern oder eines Elternteils. Es kann nur dann zu anrechenbarem Einkommen des Kindes werden, wenn es diesem durch einen gesonderten zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben wird (im Anschluss an die Rechtsprechung zur Anrechnung von Kindergeld bei Leistungen nach dem BSHG).
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01. - 30.06.2003 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu bewilligen. Der Bescheid des Beklagten vom 18.03.2003 und sein Widerspruchsbescheid vom 17.04.2003 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin und der Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die 1981 geborene Klägerin leidet an dem Prader-Willi-Syndrom und ist dauernd voll erwerbsgemindert ohne Rentenbezug. Ihre Mutter ist zur Betreuerin bestellt. Die Klägerin wohnt zusammen mit zwei Geschwistern im Haus ihrer Eltern und arbeitet in den F. Werkstätten des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland e. V. Für die Unterkunft fallen Gesamtkosten in Höhe von rd. 1.200,00 EUR monatlich an.
Unter dem 30.12.2002 beantragte die Klägerin beim Beklagten Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 18.03.2003 bewilligte der Beklagte der Klägerin ab dem 01.01. bis zum 30.06.2003 bedarfsorientierte Grundsicherung in Höhe von monatlich 25,76 EUR. Bei der Berechnung wurde neben den Einkünften aus der Werkstatttätigkeit das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich als Einkommen der Klägerin angerechnet. Unterkunftskosten wurden nicht in Ansatz gebracht.
Dagegen hat die Klägerin am 31.03.2003 Widerspruch erhoben, "soweit das Kindergeld als ihr Einkommen angesehen und daher auf die Grundsicherung angerechnet wurde". Sie hat geltend gemacht, das Kindergeld sei zu Unrecht als ihr Einkommen angerechnet worden. Es handele sich grundsätzlich um Einkommen ihrer Eltern als Kindergeldberechtigte. Das Kindergeld könne nur dann zu anrechenbarem Einkommen des Kindes werden, wenn es diesem durch einen gesonderten zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben werde. In ihrem Fall fließe das gezahlte Kindergeld ebenso wie das sonstige Einkommen in den gemeinsamen Topf der familiären Wirtschaftsgemeinschaft und werde für Ausgaben der gesamten Gemeinschaft eingesetzt. Es könne auch nicht gemäß § 16 Satz 1 BSHG vermutet werden, dass die Eltern ihr das Kindergeld zuwenden. Die Vermutung des § 16 BSHG gelte im Grundsicherungsrecht nicht, da die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene analoge Geltung im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung aus dem Grundsicherungsgesetz herausgenommen worden sei. Damit habe die Bereitschaft der Eltern gefördert werden sollen, ihr behindertes Kind weiterhin im eigenen Haushalt wohnen zu lassen. Gemäß § 31 EStG diene das Kindergeld der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes bzw. der Förderung der gesamten Familie. Zum Existenzminimum zählten dabei auch die Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung des Kindes. Eine Anrechnung des Kindergeldes auf die Grundsicherung würde dem Sinn und Zweck des § 31 EStG zuwider laufen, weil ihre Eltern aufgrund ihrer Behinderung Aufwendungen für ihren existentiellen Lebensunterhalt tätigen müssten, durch die Bedarfe abgedeckt würden, die nicht von dem nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG gewährten Regelsatz umfasst würden. Die Regelsätze umfassten die laufenden Leistungen für Ernährung, hauswirtschaftlichen Bedarf einschließlich Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Aufgrund ihrer Behinderung bestehe bei ihr darüber hinausgehender notwendiger Mehrbedarf, der durch das Einkommen ihrer Eltern, zu dem auch das Kindergeld zähle, gedeckt werde. Dabei handele es sich um erhöhte Kosten für krankheitsbedingte spezielle Ernährung, Bekleidungskosten, Fahrtkosten im Rahmen therapeutischer Bemühungen und medizinischer Maßnahmen, Zuschüsse oder Finanzierung von medizinisch notwendigen Vorsorgemaßnahmen, sämtliche Pflege- und Betreuungsleistungen, die die Eltern darüber hinaus erbrächten, notwendige Betreuungs- und Begleitkosten in den Ferien und bei Freizeitunternehmungen (z. B. für Kinobesuche) und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Dabei handele es sich nicht um Luxusaufwendungen, sondern um unvermeidbare Lebenshaltungskosten, die es ihr ermöglichten, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Im Hinblick auf diese erheblichen monatlichen Unterhaltsaufwendungen erscheine es gerechtfertigt, ihre Eltern an dem in § 31 EStG vorgesehenen Familienleistungsausgleich teilhaben zu lassen. Eine Anrechnung des Kindergeldes verbiete sich daher auch unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten.
Mit Bescheid vom 17.04.2003 wurde der Widerspruch seitens des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 3 Abs. 2 GSiG gelten für den Einsatz von Einkommen und Vermögen die §§ 76-78 BSHG und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Gemäß § 76 BSHG gehörten im Sinne dieses Gesetzes alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme im Gesetz genannter Leistungen zum Einkommen. Dementsprechend sei Kindergeld auch nach der rechtlichen Neugestaltung des Kindergeldrechtes durch das Jahressteuergesetz 1996 weiterhin grundsätzlich sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen gemäß § 76 BSHG. Gemäß § 74 Abs. 1 EStG könne das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Kindergeld könne an Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrages, der sich bei entsprechender Anwendung des § 76 EStG ergebe, ausgezahlt werden. Dies gelte auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig sei oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten brauche, der geringer sei als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Da die Klägerin dementsprechend die Möglichkeit habe, ihre Kindergeldansprüche vom Arbeitsamt an sich abzweigen zu lassen, sei der Bescheid vom 18.03.2003 zu Recht ergangen.
Dagegen hat die Klägerin am 07.05.2003 Klage erhoben und ergänzend geltend gemacht, die Klageerwiderung des Beklagten beziehe sich auf einen Kindergeldanspruch für ein Kind, das keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen habe. Sie sei in diesem Sinne kein Kind, sondern sie bekomme das Kindergeld unter der Voraussetzung der Behinderung und ihr werde das Kindergeld auch über das 27. Lebensjahr hinaus ohne altersmäßige Begrenzung bezahlt. Des weiteren sei anzumerken, dass sie mietfrei und ohne Zahlung von Nebenkosten bei ihren Eltern wohne. Lebe ein leistungsberechtigtes behindertes Kind im Haushalt seiner Eltern, würden die Unterkunftskosten in der Regel nach der Zahl der vorhandenen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft aufgeteilt. In diesem Falle übernehme der Grundsicherungsträger den Teil der Unterkunftskosten, der nach der Pro-Kopf-Aufteilung auf das Kind entfalle. Dementsprechend stehe ihr auch insoweit ein höherer Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zu.
Die Klägerin beantragt (wörtlich),
den Bescheid des Beklagten vom 18.03.2003 und seinen Widerspruchsbescheid vom 17.04.2003 aufzuheben und diesen zu verpflichten, die Grundsicherung neu zu berechnen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er ergänzend vor, er vertrete zwar inzwischen ebenfalls die Rechtsansicht, dass grundsätzlich das Kindergeld bei der kindergeldberechtigten Person als Einkommen zu berücksichtigen sei. Gleichwohl dürfte das Kind aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofes vom 16.04.2002 (VIII R 50/01) die Möglichkeit haben, das Kindergeld direkt an sich auszahlen zu lassen, da § 74 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 EStG analog erfüllt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Verpflichtungsklage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet, soweit sich die Klägerin gegen die Anrechnung von Kindergeld als ihr Einkommen wendet. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Bewilligung weiterer monatlicher Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Höhe von 154,00 EUR für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2003 zu. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG, BGBl. 2001, Teil I, 1335 ff.). Danach können Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann, zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf Antrag Leistungen nach dem GSiG erhalten. Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung haben Antragsberechtigte, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können. Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen gelten die §§ 76-78 BSHG und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend (§ 3 Abs. 2 GSiG).
Im Fall der Klägerin ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Voraussetzungen für eine Antragsberechtigung im Sinne von § 1 GSiG vorliegen. Die Klägerin ist 22 Jahre alt und dauernd voll erwerbsgemindert. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 1 GSiG liegen nach den von der Klägerin vorgelegten und vom Beklagten seiner Hilfeberechnung zutreffend zugrunde gelegten Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin ebenfalls unstreitig vor. Der Beklagte hat jedoch zu Unrecht das für die Klägerin ihren Eltern bewilligte und ausgezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR als ihr eigenes Einkommen bedarfsmindernd in Ansatz gebracht.
Das erkennende Gericht hat für laufende Leistungen nach dem BSHG unter Berufung auf die obergerichtliche Rechtsprechung über die Zuordnung von Kindergeld bei der Bedarfsermittlung entschieden (vgl. Urt. v. 03.04.2003 zum Az. 3 A 262/02). Danach gilt auch das im Wege des "Familienleistungsausgleichs" gemäß § 31 EStG 1996 neu ausgestaltete Kindergeld nach dem 10. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes (§§ 62 ff.) als Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG. Es ist Einkommen des Kindergeldberechtigten, und zwar in der Regel der Eltern bzw. eines Elternteils. Es kann nur dann zu anrechenbarem Einkommen des Kindes werden, wenn es diesem durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben wird. Eine Zuwendung von Kindergeld in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn es dem Kind im Rahmen des ihm im Haushalt gewährten Familienunterhalts als Naturalleistung, wie z. B. durch Unterkunft, Kost oder Bekleidung, zugute kommt. Es genügt deshalb nicht, dass es in einen gemeinsamen Topf fließt, aus dem der Aufwand für den Lebensunterhalt des Kindes gerade mittels des zweckorientierten und mit Rücksicht auf das Kind gewährten Kindergeldes, d. h. gerade aus dem Kindergeld, bestritten wird (vgl. OVG Hamburg, B. v. 03.04.2002 - 4 Bs 20/02 -, NVwZ-RR 2002, 756 ff.).
Nach Ansicht der Kammer ist diese rechtliche Beurteilung auch auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz anzuwenden. Der Gesetzgeber hat nach seinem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen eine eigenständige Sozialleistung geschaffen, deren Zweck es ist, den grundlegenden Lebensbedarf alter und voll erwerbsgeminderter Menschen zu sichern (vgl. BT-Drs. 14/5150, S. 48). In Konsequenz dieser Zielsetzung hat der Gesetzgeber die Vorschriften des BSHG nicht generell für ergänzend anwendbar erklärt, sondern lediglich auf bestimmte Vorschriften des BSHG verwiesen und insbesondere die Frage der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen bzw. Unterhaltsansprüchen speziell im Grundsicherungsgesetz geregelt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG). Demgegenüber verweist jedoch gerade § 3 Abs. 2 GSiG für den Einsatz von Einkommen und Vermögen auf die Regelungen des BSHG, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung nach Ansicht der Kammer Anwendung findet.
Ein weiteres Argument ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG. Da danach ein Anspruchsübergang der Unterhaltsansprüche von (behinderten) Kindern gegenüber ihren leiblichen Eltern abgesehen von im Regelfall, so auch hier, nicht gegebenen außergewöhnlich guten Einkommensverhältnissen (Grenzbetrag: 100.000,00 EUR) ausgeschlossen ist und Zielsetzung dieser Regelung ist, einen ansonsten möglichen ökonomischen Anreiz zur stationären Unterbringung eines bedürftigen Kindes (im Sinne einer "Abschiebung in ein Heim") zu verhindern bzw. zu verringern, spricht auch dies dafür, das den Eltern der Klägerin bewilligte und ausgezahlte Kindergeld nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen (vgl. VG Ansbach, nicht rechtskräftiges Urteil vom 10.07.2003 - AN 4 K 03.00575).
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16.04.2002 (VIII R 50/01 - recherchiert in Juris), in dem über die Auszahlung von Kindergeld nicht an den kindergeldberechtigten Vater, sondern an das Kind direkt entschieden worden ist. Dort ist ein Auszahlungsanspruch des Kindes analog § 74 Abs. 1 S. 1 und 3 EStG bejaht worden, obwohl der Vater gegenüber seinem Kind nicht mehr gesetzlich unterhaltspflichtig war. In § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG ist - wie auch in § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB I ausdrücklich - geregelt, dass das Kindergeld an das Kind selbst ausgezahlt werden kann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit gar nicht oder nur in einer Höhe unterhaltspflichtig ist, die niedriger ist als das Kindergeld. Damit soll nach Ansicht des BFH sichergestellt werden, dass auch ohne eine Verletzung der Unterhaltspflicht durch den Kindergeldberechtigten das Kindergeld nicht dem Unterhalt nicht leistungsfähiger Eltern dient, sondern dem Kind zugute kommt. Auf dieser Grundlage gebe es keinen sachlich einleuchtenden Grund dafür, das Kindergeld aufgrund von § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG dann an das Kind selbst auszuzahlen, wenn eine Verletzung der Unterhaltspflicht nur wegen fehlender Leistungsfähigkeit der Eltern nicht vorliege, einen derartigen Anspruch des Kindes aber zu verneinen, wenn die - leistungsfähigen - Eltern bereits dem Grunde nach nicht mehr unterhaltspflichtig, aber gleichwohl kindergeldberechtigt (§§ 32, 62, 63 EStG) sind. Wenn das Kindergeld nach dem Wortlaut und Zweck des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht zum eigenen Lebensunterhalt von nicht leistungsfähigen Eltern verwendet werden solle, sei kein Grund ersichtlich, dies anders zu beurteilen, wenn die Eltern sogar leistungsfähig seien. Die bestehende Lücke sei durch eine analoge Anwendung von § 74 Abs. 1 S. 1 und 3 EStG zu füllen.
Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch das genannte BFH-Urteil nichts an der grundsätzlichen Berechtigung der Eltern zum Erhalt von Kindergeld ändert. Denn auch in einem Fall von § 74 EStG wird das Kind nach der gesetzlichen Konzeption nicht selbst kindergeldberechtigt. Es kann lediglich die Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst verlangen und wird deshalb auszahlungsberechtigt mit der Besonderheit, dass die Festsetzung des - fremden - Steuervergütungsanspruchs gemäß § 67 Satz 2 EStG auch vom Auszahlungsberechtigten beantragt werden kann, der so im Festsetzungsverfahren eine Beteiligtenstellung erlangt (vgl. Finanzgericht Köln, Urt. v. 19.09.2002 - 10 K 1162/02 -, recherchiert in Juris unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH).Trotz dieser ggf. bestehenden Auszahlungsmöglichkeit bleiben Eltern kindergeldberechtigt für volljährige behinderte Kinder wie die Klägerin, solange diese sich nicht vollständig (z. B. aus Vermögen) selbständig unterhalten können. Denn nur dann kann davon ausgegangen werden, dass Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert (vgl. Finanzgericht Münster, Urt. v. 25.06.2002 - 6 K 7313/00 - Kg unter Verweis auf das BVerfG, Urt. v. 29.05.1990 - 1 BvL 20/84 -, recherchiert in Juris). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass dann, wenn sich ein volljähriges behindertes Kind nicht vollständig selbst unterhalten kann, gleichgültig ob dieses bei den Eltern oder außerhalb des Elternhauses lebt, Mehraufwendungen vermutet werden, die den Erhalt des Kindergeldes seitens der Eltern rechtfertigen. Darüber hinaus dient der Transferanteil des Kindergeldes gemäß ausdrücklicher Regelung des § 31 Satz 1, 2 EStG der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes bzw. der Förderung der gesamten Familie, welche sich auf alle Familienmitglieder und damit auch auf das Kind, für das der Transferanteil geleistet werde, nicht aber nur auf dieses Kind bezieht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.05.2002 - 12 A 10375/02 -, FEVS 54, 45 ff.). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Eltern der Klägerin im Sinne von § 74 Abs. 1 EStG nicht ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nachkommen, was allein einen eigenen Auszahlungsanspruch der Klägerin rechtfertigen könnte.
Stellt danach das Kindergeld grundsätzlich Einkommen der Eltern dar, so ist damit nicht deren Befugnis ausgeschlossen, die staatliche Zuwendung an das Kind weiterzuleiten. Diese Befugnis rechtfertigt sich aus dem Schutzauftrag der Eltern gegenüber ihrem Kind und dem Zweck des Kindesgeldes, das Existenzminimum des Kindes durch steuerliche Freistellung des Einkommens der Eltern abzudecken. Sie beinhaltet aber angesichts dessen, dass das Kindergeld auch der Förderung der Familie dient (s. o.), keine Verpflichtung der Eltern zur Vorteilszuwendung. Wenn dem Kind dementsprechend gegenüber seinen Eltern kein Anspruch auf Zuwendung des Kindergeldes zusteht, hat es jedoch über § 74 EStG ggf. nach Einsatz eines Ergänzungsbetreuers, falls die Eltern bzw. ein Elternteil zum Betreuer bestellt wurden, die Möglichkeit, die Auszahlung des Kindergeldes seitens der Kindergeldkasse an sich selbst zu beantragen, wenn Eltern trotz bestehenden Kindergeldanspruchs dem Kind daraus keinerlei Vorteile zukommen lassen. § 74 Abs. 1 EStG stellt insoweit von seiner Zweckrichtung her lediglich eine Ausnahme vom Zweck des steuerrechtlichen Kindergeldes dar, vorrangig das Existenzminimum des Kindes bei den Eltern steuerlich freizustellen (vgl. Greite, Anmerkung zum Urteil des BFH, a. a. O., FR 2002, 945).
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Berechtigung der Eltern zum Erhalt des Kindergeldes unter Berücksichtigung des Zwecks der Förderung der gesamten Familie jedenfalls zu einem mittelbaren Vorteil für das volljährige behinderte Kind führt. Auch dies stellt eine zweckgerechte Verwendung des Kindergeldes dar (vgl. VG Ansbach, a. a. O.). Für eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen der Eltern spricht auch, dass die analoge Anwendung von § 16 BSHG aus der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfes herausgestrichen wurde, womit die Vermutung finanzieller Unterstützung durch Eltern an im Haushalt lebende Kinder nicht gilt. Auch auf diese Weise wird die Bereitschaft der Eltern gestützt, mit einem behinderten volljährigen Kind in einem Haushalt zu leben, statt dieses in einem Heim unterzubringen. In Anbetracht dieser vielfältigen, für eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen der Kindergeldberechtigten sprechenden Argumente bedürfte es nach Ansicht der Kammer für eine gegensätzliche Anrechnung (beim Kind) jedenfalls einer eindeutigen gesetzlichen Regelung.
Nach alledem steht der Klägerin ein Anspruch auf Bewilligung zusätzlicher Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Höhe von monatlich 154 EUR für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2003 zu. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 18.03.2003 und 17.04.2003 sind aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Ein darüber hinausgehender Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Soweit sie in ihrer Klagebegründung nunmehr darauf verweist, dass anteilige Unterkunftskosten als Bedarf hätten berücksichtigt werden müssen, ist die Klage unzulässig. Ihr steht die (teilweise) Bestandskraft des Bescheides des Beklagten vom 18.03.2003 entgegen. Denn nach dem objektiven Erklärungswert des gesamten Widerspruchsvorbringens ist der Widerspruch dahingehend auszulegen, dass der Bescheid lediglich insoweit angefochten wurde, als das Kindergeld als Einkommen der Klägerin angerechnet wurde, d.h. soweit statt 179,79 EUR nur 25,79 EUR monatlich bewilligt wurden (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1986 - 4 C 79.82 -, NVwZ 1988, 147 ff.).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 S. 1, 188 S. 2 VwGO.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gemäß § 124a Abs. 1 S. 1 VwGO ist die Berufung zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).