Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.07.1997, Az.: XII 640/96

Anforderungen an wirksame Bekanntage eines Steuerbescheids; Wirksame Bekanntgabe eines Steuerbescheids an Bevollmächtigten ; Ermessensfehler bei fehlerhafter Bekanntgabe

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.07.1997
Aktenzeichen
XII 640/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 15999
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0716.XII640.96.0A

Verfahrensgegenstand

Zur Frage der wirksamen Bekanntgabe eines Steuerbescheides für den Fall, daß ein Bevollmächtigter bestellt ist und die Bekanntgabe gleichwohl nur an die Steuerpflichtigen selbst erfolgt.

Einkommensteuer 1992

In dem Rechtsstreit
hat der XII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 16. Juli 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Der Einspruchbescheid vom 05.09.1996 und der Einkommensteuerbescheid 1992 vom 11.09.1995 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird Vollstreckungsnachlaß gegen Sicherheitsleistung gewährt.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob einÄnderungsbescheid zur Einkommensteuer 1992 wirksam bekanntgegeben wurde.

2

Die Klägerin gab gemeinsam mit ihrem Ehemann am 16.06.1994 eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ab. Die Steuererklärung war von dem jetzigen Prozeßbevollmächtigten, Steuerberater H., gefertigt worden. Mit Bescheid vom 10.01.1995 setzte das Finanzamt - FA- die Einkommensteuer 1992 auf 35.688,00 DM fest. Dieser Bescheid wurde mit einfachem Brief der Klägerin und ihrem Ehemann bekanntgegeben. Gegen diesen Bescheid wurde seitens des Steuerberaters H. Einspruch eingelegt. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens reichte Steuerberater weitere Unterlagen nach. Aufgrund dessen erging unter dem 11.09.1995 ein geänderter Einkommensteuerbescheid, mit welchem das FA die Einkommensteuer auf 34.278,00 DM herabsetzte. Auch dieser Einkommensteuerbescheid wurde der Klägerin und ihrem Ehemann mit einfachem Brief bekanntgegeben. Eine Bekanntgabe an den Steuerberater H. erfolgte nicht. Am 06.12.1995 beantragte der Steuerberater H. im Auftrag der Klägerin eine Änderung dieses Einkommensteuerbescheides gemäß § 129 AO. Seinem Antrag fügte er Bankauszüge und Zinsbescheinigungen sowie die Anlage V 1992 für das Grundstück ... in ... bei. Aus der Anlage V ergab sich ein Werbungskostenüberschuß für das Grundstück in Höhe von 117.598,00 DM, der bisher im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nicht berücksichtigt worden war.

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Das FA lehnte in der Folgezeit unter Hinweis auf den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 11.09.1995 mit Bescheid vom 11.01.1996 eine Änderung der Einkommensteuerveranlagung unter Berücksichtigung der Anlage V ab. Dieser ablehnende Bescheid wurde an Steuerberater H. bekannt gegeben. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos, mit Bescheid vom 05.09.1996 verwarf das FA diesen Einspruch als unzulässig. Der Einspruchsbescheid wurde dem Steuerberater H. bekanntgegeben. Als Anlage wurde eine Ausfertigung des Einspruchsbescheides für die Klägerin und ihren Ehemann beigefügt.

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Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, daß das FA zu Unrecht den Verlust aus Vermietung und Verpachtung für das Grundstück ... in G. nicht berücksichtigt habe. Der Änderungsbescheid vom 11.09.1995 sei nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Zu Unrecht habe das FA diesen Bescheid lediglich der Klägerin und ihrem Ehemann persönlich bekanntgegeben. Richtigerweise hätte zumindest eine gleichzeitige Bekanntgabe auch an den steuerlichen Berater, Steuerberater H., erfolgen müssen. Dieser sei von der Klägerin als Empfangsbevollmächtigter für alle Steuerarten benannt worden. Diese Empfangsvollmacht habe die Klägerin im Betriebseröffnungsfragebogen vom 10.08.1993 erteilt. Hierin habe sie angegeben, daß Steuerberater H. Empfangsvollmächtigter für alle Steuerarten sein solle und nicht nur für die Umsatzsteuer.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid 1992 vom 11.09.1995 und die Einspruchsentscheidung vom 05.09.1996 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, daß die Einkommensteuerbescheide zutreffend nur der Klägerin und ihrem Ehemann bekanntgegeben worden seien. Die Angaben der Klägerin im Betriebseröffnungsfragebogen bezögen sich ausdrücklich nur auf die Umsatzsteuererklärung 1992. Dies sei entsprechend auch auf dem Betriebseröffnungsfragebogen vermerkt worden. Soweit in diesem Fragebogen die Empfangsvollmacht auf alle Steuerarten bezogen sei, bedeute dies, daß nur betriebliche Steuern angesprochen seien. Bestimmte Fragen dieses Eröffnungsfragebogens dienten lediglich der Prüfung, ob künftig Einkommensteuervorauszahlungen festzusetzen seien. Die Einschränkung der Empfangsvollmacht auf alle betriebliche Steuern ergäbe sich im übrigen auch aus dem Gesamtzusammenhang, in dem der Empfangsbevollmächtigte benannt worden sei.

8

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

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Der Änderungsbescheid vom 11.09.1995 ist vom FA nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Zu Unrecht hat das FA diesen Bescheid lediglich der Klägerin und ihrem Ehemann bekanntgegeben und nicht gleichzeitig auch dem jetzigen Prozeßbevollmächtigten, Steuerberater H.

11

Gemäß § 80 Abs. 1 AO kann sich ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Diese Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen. Ist ein solcher Bevollmächtigter bestellt, so soll sich die Finanzbehörde an ihn wenden (§ 80 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Behörde kann sich zwar grundsätzlich auch an den Beteiligten selbst wenden. Ist dies der Fall, so soll jedoch der Bevollmächtigte verständigt werden (§ 80 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AO).

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Der Senat kommt im Streitfall zu dem Ergebnis, daß das FA von dem ihm gemäß § 80 Abs. 3 AO eingeräumten Ermessen in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat. Im Streitfall hatte die Klägerin bereits durch den Betriebseröffnungsfragebogen vom 10.08.1993 deutlich gemacht, daß Steuerberater H. für alle Steuerarten Empfangsbevollmächtigter sein sollte. Zwar findet sich über diesem Fragebogen der Vermerk "Betr.: Umsatzsteuer-Erklärung 1992", gleichwohl geht der Senat davon aus, daß die Fragestellungen in diesem Formular sich nicht lediglich auf die Umsatzsteuererklärung 1992 beziehen, sondern allgemein für alle Steuerarten von Bedeutung sind. Eine Eingrenzung auf bestimmte Steuerarten wird jedenfalls in diesem Vordruck nicht vorgenommen. Das FA selbst gesteht imübrigen zu, daß der Vordruck nicht nur für die Umsatzsteuererklärung, sondern auch für die Einkommensteuervorauszahlungen von Bedeutung sei.

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Im Streitfall kommt noch hinzu, daß der Einspruch, aufgrund dessen das FA dann den Änderungsbescheid vom 11.09.1995 erlassen hatte, auch bereits von Steuerberater H. erhoben worden war. Im Einspruchsschreiben vom 03.02.1995 heißt es:

"Gegen den Einkommensteuerbescheid 1992 vom 10.01.1995 lege ich hiermit auftragsgemäß Einspruch ein. (...)"

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Auch daraus wird deutlich, daß Steuerberater H. von der

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Klägerin bevollmächtigt war. Aus dem Akteninhalt ist nicht ersichtlich, daß das FA Zweifel an der Vollmacht gehabt hat. Hätte das FA derartige Zweifel gehabt, hätte es sich die Vollmacht schriftlich nachweisen lassen können (§ 80 Abs. 1 Satz 3 AO). Auch der Schriftwechsel in der Folgezeit - nach Erhebung des Einspruchs - erfolgte immer über den Steuerberater H.

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Nach alldem ist der Senat der Auffassung, daß das durch§ 80 Abs. 3 Satz 1 AO dem FA eingeräumte Ermessen im vorliegenden Fall auf Null reduziert war. Das bedeutet, daß das FA verpflichtet war, den Einkommensteuerbescheid vom 11.09.1995 dem Steuerberater H. bekanntzugeben.

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Im vorliegenden Fall ist demnach keine wirksame Bekanntgabe erfolgt. Der Änderungsbescheid vom 11.09.1995 entfaltet keine rechtlichen Wirkungen, gleichwohl hat der Senat ihn aufgehoben, um den Rechtsschein eines gültigen Verwaltungsaktes zu beseitigen.

18

Der Einkommensteuerbescheid vom 10.01.1995 lebt demgemäß wieder auf.

19

Das Finanzamt wird nunmehr zu prüfen habend ob und ggf. in welcher Höhe der geltend gemachte Werbungskostenüberschuß aus dem Objekt H. in G. zu berücksichtigen ist.

20

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 155 FGO in Verbindung mit§§ 708, Nr. 10, 711 ZPO. Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren beruht auf§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.