Landgericht Braunschweig
Urt. v. 21.02.2001, Az.: 5 O 5/00 (001)

Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung; Begriff des "Arbeitgebers" im strafrechtlichen Sinne; Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer herrschenden Gesellschaft; Voraussetzungen für die Vertretungsberechtigung eines Organs der Gesamtschuldnerin

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
21.02.2001
Aktenzeichen
5 O 5/00 (001)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 30549
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2001:0221.5O5.00.001.0A

Fundstellen

  • GmbHR 2002, 591 (amtl. Leitsatz)
  • NJW-RR 2002, 393-394 (red. Leitsatz)
  • NWB 2002, 1432
  • NZI 2001, 486-488
  • NZS 2002, 150-152

In dem Rechtsstreit ...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 21.02.2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
die Richterin am Landgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. 3.

    Das Urteil ist für jeden der Beklagten gegen Sicherheitsleistung von jeweils 9.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.

    Streitwert: Gebührenstufe bis 160.000,00 DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung für Mitarbeiter der Firma ... (Gemeinschuldnerin) in den Monaten August und September 1996 geltend.

2

Der Beklagte zu 1. war Geschäftsführer der .... Diese Gesellschaft war die Komplementärin der Gemeinschuldnerin.

3

Der Beklagte zu 2. war der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Muttergesellschaft der Gemeinschuldnerin, ..., mit dem Zuständigkeitsbereich Personal- und Finanzwesen. Diese Muttergesellschaft hatte etliche weitere Tochtergesellschaften in Deutschland.

4

In seiner Funktion erließ der Beklagte zu 2. Richtlinien für die in der Hierarchie nachgeordneten Unternehmen und bestimmte, daß Personal und Löhne von einer zentralen Dienstleistungsgesellschaft verwaltet wurden. Mit einem zwischen der Gemeinschuldnerin und der zentralen Dienstleistungsgesellschaft der ...-Gruppe, der Firma ..., deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2. ebenfalls war, wurde ein Dienstleistungsvertrag geschlossen. Danach wurden die zentralen Verwaltungsaufgaben für Personal und Löhne der Unternehmen der ...-Gruppe von dieser GmbH verwaltet.

5

In seiner Funktion als Geschäftsführer dieser zentralen Dienstleistungsgesellschaft erteilte der Beklagte zu 2. der ... - deren Alleinvorstand der Beklagte zu 2. ebenfalls war - einen Dienstleistungsauftrag zur Verwaltung der Lohn- und Personalbuchführung für die Gesellschaften der ...-Gruppe.

6

Gegenstand der ... (Gemeinschuldnerin) war die Herstellung von Gleisschwellen und Betonfertigteilen. Zuletzt waren dort 103 Mitarbeiter tätig. Infolge Überschuldung stellten sowohl die Gemeinschuldnerin als auch die Muttergesellschaft am 06.11.1996 beim Amtsgericht Gelsenkirchen Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens. Der vom Amtsgericht bestellte Vergleichsverwalter kam in seinem Bericht vom 27.12.1996 zu dem Ergebnis, daß eine Überschuldung der Gemeinschuldnerin vorlag und eine ausreichende Masse zur Durchführung eines Vergleichsverfahrens zwar nicht mehr zur Verfügung stehe, die Masse aber noch zur Durchführung eines Konkursverfahrens ausreiche. Daraufhin wurde am 01.01.1997 durch das Amtsgericht Gelsenkirchen ein Anschlusskonkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet, aus dem die Klägerin bislang keine Zahlungen erhielt.

7

Nach Kenntnis des Vergleichs- bzw. Konkursverfahrens nahm die Klägerin eine Prüfung bei der Gemeinschuldnerin vor und ermittelte dabei, daß für die Monate August und September 1996 für bei der Klägerin versicherte sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin Sozialversicherungsbeiträge i. H. v. 271.864,66 DM zu zahlen gewesen wären. Zwar wurden in diesem Zeitraum Löhne an die Mitarbeiter ausgezahlt. Die Auszahlung von Sozialversicherungsbeiträgen war aber unterblieben. Die Klägerin errechnet sich daraus einen rückständigen Betrag an Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung i. H. v. 135.932,33 DM. Hinsichtlich einzelner Mitarbeiter ist diese Berechnung streitig.

8

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1. habe als Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin bei Auszahlung der Löhne für August und September 1996 von der finanziell angeschlagenen Situation der Gemeinschuldnerin gewusst. Hinsichtlich des Beklagten zu 2. ist die Klägerin der Ansicht, dieser müsse für die nicht an sie abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung haften, weil er als verantwortlicher Geschäftsführer für das Finanzwesen der Muttergesellschaft aufgrund interner Richtlinien in der Lage gewesen sei, Einfluss auf das Finanzwesen der Tochtergesellschaft zu nehmen.

9

Auf Antrag der Klägerin ist am 22.09.1999 gegen den Beklagten zu 1. ein Mahnbescheid über 155.171,36 DM sowie 20,00 DM Nebenforderungen erlassen worden. Nach fristgerechtem Widerspruch des Beklagten zu 1. hat die Klägerin mit ihrer Anspruchsbegründung ihre Klage auch auf den Beklagten zu 2. erweitert und gleichzeitig hinsichtlich der geltend gemachten Forderung die Klage teilweise zurückgenommen.

10

Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 136.057,79 DM nebst 1% monatlichem Säumniszuschlag hierauf seit 01.08.1999 zu zahlen.

11

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

12

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen .... Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21.02.2001 (Bl. 288 - 292 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

14

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Schadensersatz für nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zu.

15

Ansprüche gegen die Beklagten zu 1. und zu 2. auf Schadensersatz für nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe der Klagforderung für die Monate August und September 1996 könnten sich nur aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB ergeben. Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten wäre demnach, daß sie sich einer Straftat gem. § 266 a StGB strafbar gemacht hätten. Das ist aber nicht der Fall.

16

Hinsichtlich des Beklagten zu 2. scheitert dies bereits an seiner fehlenden Stellung als Arbeitgeber i.S.d. § 266 a StGB. Arbeitgeber im Sinne dieser Vorschrift ist ausschließlich der nach § 611 ff. BGB Dienstberechtigte. Dies war hier die Gemeinschuldnerin, bei der der Beklagte zu 2. nicht die Rolle eines vertretungsberechtigten Organs inne hatte und nicht einmal Gesellschafter war. Wie das Kammergericht in seinem Urteil vom 26.11.1996 (vgl. NJW-RR 1997, 1126 f. [KG Berlin 26.11.1996 - 9 U 6892/95]) ausgeführt hat, kann der Geschäftsführer einer herrschenden Gesellschaft auch dann nicht in die deliktische Verantwortung für die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch eine Tochtergesellschaft in Anspruch genommen werden, wenn er tatsächlich Geschäftsführungsaufgaben für diese Gesellschaft wahrgenommen haben sollte, solange die hierzu berufenen Organe der Tochtergesellschaft noch im Amt waren und dies auch ausübten. Etwas anderes könne allenfalls für einen "Strohmann" gelten, der nach außen lediglich vorgeschoben sei und hinter dem eine natürliche Person stehe. Eine weitere Ausnahme nimmt das Kammergericht dann an, wenn eine natürliche Person einen Auftrag zur vollständigen Übernahme der Geschäftsführung des Inhabers des Betriebes angenommen habe. Keiner dieser Ausnahmefälle liegt hier vor.

17

Zwar hat der Beklagte zu 2. aufgrund seiner Stellung im Mutterkonzern faktisch Einfluss auf die Personal- und Lohnverwaltung auch für die Gemeinschuldnerin nehmen können. Der Beklagte zu 1. war jedoch als Geschäftsführer nach wie vor im Amt und übte dies auch aus. Bei dem Beklagten zu 1. handelte es sich auch nicht um einen "Strohmann". Er war vielmehr in seiner Geschäftsführertätigkeit nach wie vor aktiv und gestaltete im Rahmen dessen die Geschicke der Gemeinschuldnerin. Nach der gegebenen Struktur war damit weder der Beklagte zu 2. als sogenannter "faktischer Geschäftsführer" der Gemeinschuldnerin, noch der Beklagte zu 1. als "Strohmann" anzusehen.

18

Bei der Frage, ob der Beklagte zu 2. nicht allein aufgrund seiner beherrschenden Stellung in der ...-Gruppe für den Bereich der Lohn- und Finanzverwaltung gem. § 266 a StGB zu haften hat, ist weiter auch zu berücksichtigen, daß im Strafrecht eine analoge Anwendung des § 14 StGB nicht möglich ist. Vielmehr ist eine strenge Auslegung geboten. Ein vertretungsberechtigtes Organ der Gemeinschuldnerin war der Beklagte zu 2. jedoch nicht.

19

Ein solches vertretungsberechtigtes Organ der Gemeinschuldnerin war der Beklagte zu 1.. Seiner Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB steht allerdings der fehlende Nachweis eines vorsätzlichen Handelns entgegen. Gem. § 266 a StGB muss das Vorenthalten von Beiträgen der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung zumindest bedingt vorsätzlich geschehen.

20

Dies setzt nun wiederum auch voraus, daß der Beklagte zu 1. im Zeitraum, in dem die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abzuführen waren, zumindest Kenntnis davon hatte, daß eine Abführung aufgrund der schwierigen finanziellen Situation der Gemeinschuldnerin gefährdet sein könnte.

21

Im vorliegenden Fall müsste die Kenntnis jeweils bis zum 15. des Folgemonats, für den die Arbeitnehmeranteile zu zahlen waren, also hier dem 15. September bzw. 15. Oktober, vorgelegen haben. Die Klägerin hat aber nicht beweisen können, daß der Beklagte zu 1. in diesem Zeitraum überhaupt Kenntnis von der finanziell schwierigen Situation der Gemeinschuldnerin hatte, obwohl sie für dieses anspruchsbegründende Merkmal beweispflichtig war.

22

Keiner der von der Klägerin dazu benannten Zeugen hat eine solche Kenntnis des Beklagten zu 1. nur ansatzweise bestätigen können. Der Zeuge ..., der sich selbst als Spezialisten in der Materie aufgrund seiner Stellung als Leiter Recht und Personal innerhalb der ...-Gruppe bezeichnete, hat angegeben, er selbst habe von der Konkursreife der ...-Gruppe nichts gewusst. Herr ...- habe mit ihm über die Problematik auch nie gesprochen. Hinsichtlich von Erkenntnissen des Beklagten zu 1. war die Aussage demnach unergiebig.

23

Das gleiche gilt auch für die Aussage des Zeugen Auer. Dieser hat bekundet, zur Frage einer etwaigen Kenntnis des Beklagten zu 1. von der Situation der ...-Gruppe nichts sagen zu können. Er habe mit dem Beklagten zu 1. nichts zu tun gehabt. Bei Geschäftsführerbesprechungen, an denen er teilgenommen habe, seien Liquiditätsprobleme kein Thema gewesen.

24

Die Aussage des Zeugen Dr. ... war hinsichtlich des Beweisthemas ebenfalls unergiebig. Er hat bekundet, etwa eine Woche vor Stellung des Vergleichsantrages im November 1996 habe ein Treffen mit allen Geschäftsführern stattgefunden. Als dort über die Situation der Gruppe gesprochen worden sei, habe große Überraschung geherrscht. Er habe daraus geschlossen, daß den Geschäftsführern und damit auch dem Beklagten zu 1. die Konkursreife der Gruppe konkret nicht bekannt gewesen sei.

25

Auch aus den übrigen Umständen kann nicht auf eine Kenntnis des Beklagten zu 1. von der schwierigen finanziellen Situation der Gesamtgruppe geschlossen werden. Vielmehr spricht nach Auffassung der Kammer einiges dafür, daß der Beklagte zu 1. aufgrund der in seinem Teilbereich gerade wirtschaftlich guten Situation in dem hier relevanten Zeitraum 15. September bis 15. Oktober 1996 nichts von der wirtschaftlichen Krise der Gesamtgruppe wusste.

26

Da eine Haftung dem Grunde nach der Beklagten nicht besteht, kommt es auf den Streit der Parteien zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche nicht mehr an. Ebenso wenig ist auch ein Anspruch auf die geltend gemachten Säumniszuschläge gegeben.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 3 ZPO, 12 GKG.