Landgericht Braunschweig
Urt. v. 26.07.2001, Az.: 4 S 62/01
Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs als Folge eines Verkehrsunfalls; Kriterien für eine angemessene Festlegung einer Haftungsquote; Gegenüberstellung eines Rotlichtverstoßes und eines allgemeinen Sorgfaltspflichtverstoßes beim Linksabbiegen
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 26.07.2001
- Aktenzeichen
- 4 S 62/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 30550
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:2001:0726.4S62.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Braunschweig - 19.12.2000 - AZ: 118 C 3194/00
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 17 StVG
- § 18 Abs. 1 StVG
- § 254 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 823 Abs. 2 BGB
- § 9 Abs. 4 StVO
- § 9 Abs. 5 StVO
- § 37 Abs. 1 StVO
- § 37 Abs. 2 S. 7 StVO
- § 3 Abs. 1 PflVG
Fundstellen
- KF 2002, 88
- NJW-RR 2001, 1682 (Volltext mit red. LS)
- ZAP EN-Nr. 0/2002
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz aus Verkehrsunfall
In dem Rechtsstreit ...
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht
die Richterin und
den Richter am Landgericht
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Berufungsklägers wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 19.12.2000 - 118 C 3194/00 - abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.356,43 DM nebst 4% Zinsen seit dem 11.03.2000 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die erstinstanzlichen Kosten tragen die Beklagten zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte.
Der Streitwert des Berufungsrechtzuges wird auf 2.371,51 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Kammer hat erneut Beweis erhoben über den Unfallhergang durch Vernehmung des Zeugen xxx und der Zeugin xxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.06.2001 (Bl. 66ff. d.A.) verwiesen. Die Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig 909 Js 18209/00 und des Amtsgerichts Braunschweig 114 C 2742/00 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
In der Sache hat die Berufung teilweise Erfolg.
Die Beklagten sind gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 StVG, 254, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 1 und 2 Satz 7 StVO, 3 Abs. 1 PflVG verpflichtet, dem Kläger 2/3 seines bei dem Verkehrsunfall vom 18.12.1999 erlittenen Schadens zu ersetzen.
Nach dem Ergebnis der vor dem Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, daß der Beklagte zu 1.) unmittelbar vor der Kollision in die Kreuzung eingefahren ist, als die Lichtzeichenanlage für ihn bereits geraume Zeit "Rot" gezeigt hat.
Die Zeugin xxx, Fahrerin des klägerischen Pkw Honda Legend, hat ausgesagt, sie sei erst auf das Tankstellengelände nach links abgebogen, nachdem das erste Fahrzeug des Gegenverkehrs, ein weißes VW-Transportfahrzeug mit Firmenbeschriftung, auf dem linken der beiden Gegenverkehrfahrstreifen an der Ampel gestanden und dessen Fahrer zunächst mit Lichthupe und dann durch Handzeichen sie darauf aufmerksam gemacht habe, daß sie nunmehr abbiegen könne. Sie sei daraufhin angefahren und habe dann rechts sehen können, wie sich das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) mit hoher Geschwindigkeit genähert habe. Obwohl sie noch versucht habe, Gas zu geben, um aus der Kreuzung zu gelangen, sei es zur Kollision gekommen und das Fahrzeug des Klägers hinten rechts beschädigt worden.
Der Zeuge xxx hat bekundet, er sei mit dem Betriebsfahrzeug seines Arbeitgebers, VW-Caddy, weiß, mit Kasten und Beschriftung, an der fraglichen Ampelanlage auf dem linken Fahrstreifen des Hansestraße stadtauswärts bei "Rot" zum Stehen gekommen. Vor ihm habe im Gegenverkehr die Zeugin xxx mit dem klägerischen Pkw zum Linksabbiegen - aus seiner Sicht nach rechts - eingeordnet im Kreuzungsbereich mit blinkendem Fahrtrichtungsanzeiger gestanden. Er habe sie durch Lichthupe darauf aufmerksam gemacht, daß er "Rot" habe und sie deshalb fahren könne. Da sie zunächst nicht reagiert habe, habe er ihr zusätzlich ein Handzeichen gegeben. Dann sei sie angefahren. Als nur noch das Heck des klägerischen Pkw in die Kreuzung hineingeragt habe, sei der Beklagte zu 1.) mit seinem Pkw VW Bora auf dem rechten Fahrstreifen an dem stehenden, vom Zeugen xxx geführten Fahrzeug vorbei und trotz Rotlichts in die Kreuzung hineingefahren. Dort sei er mit seinem Pkw mit dem seitlichen Heckbereich des klägerischen Pkw zusammengestoßen.
Die Kammer ist diesen Aussagen nach kritischer Prüfung gefolgt.
Zwar erscheint auf den ersten Blick ein Widerspruch in der Aussage der Zeugin xxx darin zu liegen, daß im polizeilichen Unfallprotokoll nichts davon vermerkt ist, daß der Zeuge xxx sie "durchgewunken" hat. Das heißt jedoch nicht zwingend, daß die Zeugin xxx die Unwahrheit gesagt hat. Es erscheint keineswegs fernliegend, daß sie das "Durchwinken" unter dem Eindruck des Unfalls nicht angegeben hat oder die Angabe in der zusammenfassenden Darstellung des Unfallberichts keine ausdrückliche Erwähnung neben ihrer Angabe gefunden hat, der Gegenverkehr habe schon "Rot" gehabt - was sie im übrigen ohne Licht- bzw. Handzeichen nicht sicher wissen konnte.
Daß in der handschriftlichen, von der Zeugin xxx unterschriebenen -sehr kurzen- Unfallschilderung vom 03.01.2000 (Bl. 11 der BA StA Braunschweig) das "Durchwinken" des Fahrers des stehenden Gegenverkehrs keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat, hat die Zeugin xxx damit erklärt, daß die Unfallschilderung nicht sie, sondern der Kläger nach einem mit ihr geführten Telefonat verfaßt und sie den Anhörungsbogen dann nur noch unterschrieben habe.
Danach verbleibt zur Überzeugung der Kammer kein so erheblicher Widerspruch, der dazu zwingt, der Zeugin xxx nicht zu glauben. Zu berücksichtigen ist auch insoweit, daß in dieser Unfallschilderung durchaus davon die Rede ist, daß der Gegenverkehr bereits bei "Rot" an der Ampel gestoppt habe, was die Zeugin nur durch entsprechenden Hinweis des Fahrers des haltenden Gegenverkehrs wissen konnte, da sie nach dem Einordnen auf die Ampelsignale unstreitig selbst keine Sicht mehr hatte. Unter der weiteren Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich bei dem von der Zeugin geführten Pkw um einen Firmenwagen des Klägers gehandelt hat, erscheint es durchaus nachvollziehbar, daß der - nach dem Eindruck in der Beweisaufnahme - eher einfach strukturierten Zeugin xxx es beim Unterschreiben des vorgefertigten Anhörungstextes nicht weiter aufgefallen ist, daß darin lediglich der von ihr angegebene Grund, woher sie wußte, daß der Gegenverkehr bereits "Rot" hatte, keine ausdrückliche Erwähnung findet.
Entscheidend ist, daß die Aussage der Zeugin xxx durch die glaubhafte Aussage des Zeugen xxx gestützt wird. Die Gründe, aus denen sich das Amtsgericht nicht in der Lage gesehen hat, den Zeugen xxx und xxx zu glauben, sind nicht stichhaltig. Das Amtsgericht geht in seinem Urteil davon aus, die Zeugin xxx müsse den Zeugen xxx noch kurz nach dem Unfall gesehen haben und hätte deshalb Anlaß gehabt, ebenso wie der Zeuge xxx von sich aus, auf eine Beteiligung des Zeugen xxx an der Unfallaufnahme hinzuwirken. Diese Annahmen werden nicht von entsprechenden Feststellungen getragen. Die Zeugin xxx ist in I. Instanz nicht danach befragt worden, ob sie unmittelbar nach dem Unfall Gelegenheit hatte, den Zeugen xxx zur Unfallaufnahme zu bitten. Auch der Zeuge xxx ist in der erstinstanzlich verwerteten Vernehmung des Parallelrechtsstreits 114 C 2742/00 nicht danach befragt worden, wieso er sich nicht bei der polizeilichen Unfallaufnahme als Zeuge gemeldet hat.
Vor der Kammer hat der Zeuge xxx dazu schlüssig und widerspruchsfrei bekundet, er sei unmittelbar nach dem Unfall, nachdem er "Grün" bekommen habe, weitergefahren, habe sodann nach Erledigung seines Auftrages - Abholung von Sanitärbedarf - die Hansestraße weiter stadtauswärts befahren und sei deshalb auch gar nicht mehr an der Unfallstelle vorbeigekommen. Demzufolge konnte er auch nicht wissen, daß es zur Frage der Ampelschaltung zum Unfallszeitpunkt Uneinigkeit zwischen den Unfallbeteiligten gab und die Polizei hinzugezogen worden war.
Es ist daher auch glaubhaft, daß sich nach den weiteren Bekundungen der Zeugen der Zeuge xxx auf einen Zeugenaufruf per Zettel, der in dem neben den Wasserbettenstudio des Klägers befindlichen Geschäftsbetrieb angebracht gewesen sei, einige Wochen nach dem Unfall als Zeuge gemeldet hat.
Der Zeuge xxx ist glaubwürdig. Er hat emotionslos und ohne Anzeichen von Absprachen, Übertreibungen oder Ausschmückungen den Unfallhergang geschildert. Die Kammer ist überzeugt, daß der Zeuge nur tatsächlich erlebtes und wahrgenommenes Geschehen bekundet. hat. Er hat kein erkennbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß er in einem privaten oder beruflichen Kontakt zu dem Kläger und/oder der Zeugin steht.
Bei der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsanteile ist unter Berücksichtigung aller Umstände von einer Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zugunsten des Klägers auszugehen.
Dem Rotlichtverstoß des Beklagten zu 1.) ist gegenüberzustellen, daß der Kläger dem im obliegenden Unabwendbarkeitsbeweis (§ 7 Abs. 2 StVG) nicht geführt hat. Die Zeugin ist nach eigenem Bekunden in Richtung Tankstellengelände abgebogen, obwohl sie sich nicht davon vergewissert hat, daß auf der rechten Spur des Gegenverkehrs kein Fahrzeug herannaht und womöglich in Kreuzung einfährt. Den herannahenden VW Bora des Beklagten zu 1.) hat sie ihrer eigenen Aussage zu Folge erst während ihres Abbiegevorganges wahrgenommen. Unter Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht aus §§ 9 Abs. 4 StVO (Linksabbiegen), 9 Abs. 5 StVO (Abbiegen in ein Grundstück) hat sie sich allein auf das Handzeichen des Zeugen xxx verlassen, obwohl sie - nicht zuletzt behindert durch den VW Caddy des Zeugen xxx - keine ausreichende Möglichkeit hatte, die zweite Gegenfahrspur einzusehen. Die Zeugin hätte sich vorsichtig mit dem klägerischen Pkw "vortasten" müssen, um sich diese Sichtmöglichkeit zu verschaffen. Das hat sie nach eigenem Bekunden nicht getan.
Das darin liegende Verschulden der Zeugin xxx ist gegenüber dem Rotlichtverstoß des Beklagten zu. 1) als nicht so schwerwiegend, aber auch nicht als so geringfügig einzustufen, daß es hinter diesem zurücktritt. Insbesondere ist dem Beklagten zu 1.) über den Rotlichtverstoß hinausgehend kein weiteres Verschulden anzulasten. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts liegt auf Seiten des Beklagten zu 1.) kein zulässiges aber sorgfaltswidriges Rechtsüberholen (z.B. im Sinne von § 5 Abs. 7 StVO) vor, sondern ein - abgesehen von dem Rotlichtverstoß - grundsätzlich zulässiger Fahrvorgang vor, bei dem rechts schneller gefahren werden darf als links (§ 7 Abs. 3 StVO). Allein durch die getroffene - freigestellte - Wahl des rechten Fahrstreifens auf Fahrbahnen mit mehreren markierten Fahrstreifen für eine Richtung innerhalb geschlossener Ortschaften wird dem Pkw-Fahrzeugführer keine höhere Sorgfaltspflicht auferlegt, auch nicht für den Fall, daß er - freigestellt - im Rahmen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schneller fährt als die Fahrzeuge auf dem linken Fahrstreifen.
Unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr und des wechselseitigen Verschuldens der Unfallbeteiligten ist der klägerischen Mitverursachungsanteil deshalb mit 1/3 zu bewerten.
Die Zugrundelegung der Verursachungsanteile und des unstreitigen materiellen Schadens führt zu einem Ersatzanspruch in Höhe von 2.323,09 DM (2/3 x 3.484,64 DM). Daneben sind die Beklagten verpflichtet, dem Kläger 33,33 DM der pauschalen Kosten zu ersetzen, die allein schon inflationsbedingt gem. § 287 ZPO nach nunmehr 12 Jahren der Zuerkennung einer Kostenpauschale von 40,00 DM in Höhe 50,00 DM zuzusprechen ist. Die allgemeine Verringerung der Telefonkosten, die im übrigen gegenwärtig wieder steigen, fällt nicht so erheblich ins Gewicht, daß damit ein längeres Festhalten an der unverändert niedrigen Kostenpauschale von nur 40,00 DM zu rechtfertigen wäre. Ab dem 01.01.2002 dürfte allerdings - aus Vereinfachungsgründen - von einer allgemeinen Kostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro (nicht: 50,00 DM = 25,56 Euro) auszugehen sein.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 a.F. BGB.
Die Kostenentscheidung berücksichtigt das wechselseitige Obsiegen und Unterliegen der Parteien sowie die in den Instanzen unterschiedlichen Streitwerte (§§ 92 Abs.2, 97 Abs. 1 ZPO).
Der Berufungsstreitwert folgt aus § 14 Abs. 1 GKG.