Landgericht Braunschweig
Urt. v. 14.06.2001, Az.: 10 S 30/01 (7)

Anwendbarkeit des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG); Ansehung einer Klausel als überraschend; Objektive Ungewöhnlichkeit einer Vertragsklausel wegen Unvereinbarkeit mit dem Leitbild eines Vertrags; Erstattung der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ausgleichs von Wiederherstellungskosten einer beschädigten Sache; Pflicht zur Erstattung der auf die Reparaturkosten entfallenden Mehrwertsteuer

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
14.06.2001
Aktenzeichen
10 S 30/01 (7)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 30656
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2001:0614.10S30.01.7.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wolfsburg - 05.12.2000 - AZ: 22 C 163/00

Fundstellen

  • DAR 2002, 456 (red. Leitsatz)
  • NVersZ 2002, 130-132
  • VRA 2001, 183
  • VersR 2001, 1279-1280 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 10.05.2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
den Richter am Landgericht ... und
den Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 05.12.2000 (Geschäfts-Nr.: 22 C 163/00) wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Entscheidungsgründe

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

2

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

3

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg.

4

1.

Die Beklagte ist dem Kläger aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag zur Zahlung des nach dem Reparaturkostengutachten kalkulierten Mehrwertsteuerbetrages in Höhe von 2.975,27 DM verpflichtet.

5

2.

Der Zahlungsverpflichtung der Beklagten steht § 13 Abs. 5 Satz 4 der dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrunde gelegten Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) der Beklagten in der Fassung vom 01.01.1999 nicht entgegen, nach der der Versicherer die Mehrwertsteuer nur ersetzt, wenn der Versicherungsnehmer diese tatsächlich entrichtet hat. Denn diese Vorschrift ist eine überraschende Klausel im Sinne des § 3 AGBG und deshalb nicht Vertragsbestandteil geworden.

6

a)

Die Vorschriften des AGBG sind anwendbar, da es sich bei den AKB der Beklagten um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG handelt. Die Klauseln der AKB der Beklagten wurden nicht etwa bei Vertragsschluss von den Parteien im einzelnen ausgehandelt und vereinbart, sondern sind als allgemeine und vorformulierte Bedingungen Grundlage jedes zwischen der Beklagten und einem Versicherungsnehmer geschlossenen Kraftfahrzeugvollkaskoversicherungsvertrags.

7

b)

§ 13 Abs. 5 Satz 4 der AKB ist nicht Vertragsbestandteil geworden, weil diese Klausel nach den Umständen, insbesondere dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich ist, dass der Kläger nicht mit ihrer Verwendung zu rechnen brauchte.

8

Der Inhalt einer Klausel unterfällt § 3 AGBG, wenn er objektiv ungewöhnlich ist und ihm subjektiv ein Überraschungsmoment dergestalt innewohnt, dass der Vertragspartner mit der Klausel nicht zu rechnen braucht (Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Aufl. [2001], § 3 AGBG Rdnr. 1 und 2).

9

Ob eine Klausel objektiv ungewöhnlich ist, ist nach den Gesamtumständen zu beurteilen (Palandt-Heinrichs, a.a.O.); die Ungewöhnlichkeit kann sich insbesondere aus der Unvereinbarkeit mit dem Leitbild des Vertrages (BGHZ 121, 113[BGH 22.12.1992 - VI ZR 341/91]) oder aber einer erheblichen Abweichung vom dispositiven Recht (BGH NJW 1992, 1236 [BGH 19.02.1992 - VIII ZR 65/91]) oder von den üblichen Vertragsbedingungen (Palandt-Heinrichs, a.a.O.) ergeben.

10

Ob die Klausel subjektiv überraschend ist, d.h. ob eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Verwendungsgegners und des Klauselinhalts besteht, beurteilt sich regelmäßig nach den Erkenntnismöglichkeiten des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden (BGHZ 101, 33[BGH 08.05.1987 - V ZR 89/86]).

11

aaa)

§ 13 Abs. 5 Satz 4 der AKB der Beklagten ist objektiv ungewöhnlich, weil die Klausel von den Grundsätzen abweicht, die in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung für die Erstattung der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ausgleichs von Wiederherstellungskosten einer beschädigten Sache gebilligt wurden, die über viele Jahre hinweg auch für die Kaskoversicherung galten und in wesentlichen Bereichen heute noch gelten.

12

Im dispositiven gesetzlichen Schadensersatzrecht ist die Frage der Erstattung der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ausgleichs der Wiederherstellungskosten einer beschädigten Sache nicht geregelt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass ein Geschädigter die Erstattung der Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten auch dann verlangen kann, wenn er den Schadensumfang nur gutachterlich feststellen lässt, auf eine Reparatur aber verzichtet oder diese von privater Hand durchführen lässt, die Mehrwertsteuer also nicht tatsächlich anfällt, sondern auf Grundlage des Gutachtens nur "fiktiv" abrechnet wird (BGHZ 61, 56; BGH NJW 1989, 3009; Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Aufl. [2001], § 249 Rdnr. 8 m.w.N.). Dies ergibt sich aus der Dispositionsfreiheit des Geschädigten, nach der es ihm freigestellt ist, ob er die aufgrund des Sachverständigengutachtens festgestellten Schadensbetrag tatsächlich für die Wiederherstellung verwendet oder anderweitig einsetzt (BGHZ 61, 56; Palandt-Heinrichs, a.a.O., Rdnr. 4 und 8). Denn auch bei der nur fiktiv abgerechneten Mehrwertsteuer handelt es sich nicht um die Geltendmachung einer tatsächlich nicht abgeführten Steuer, sondern um einen echten Schadensposten, dem kein anrechenbarer Vorteil gegenübersteht. Der Mehrwertsteueranteil ist trotz getrennter Ausweisung als leistungsbezogene Abgabe auf den Verbrauch ein allgemeiner Kostenfaktor, der in den Preis der Leistung Eingang gefunden hat (BGH NJW 1985, 1222 [BGH 30.01.1985 - IVa ZR 109/83]). Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Satz 1 BGB), und zwar im Falle der Beschädigung einer Sache nach Wahl des Geschädigten durch Leistung des dazu erforderlichen Geldbetrags (§ 249 Satz 2 BGB). Dieser vom Geschädigten zu beanspruchende Geldbetrag bestimmt sich nach den finanziellen Aufwendungen, die von einer ordentlichen Werkstatt im Rahmen der üblichen Vergütung für die Reparatur des Fahrzeugs zu erbringen sind und die sich durch Gutachten ausgewählter Sachverständiger ermitteln lassen. Hierzu gehört aber auch die Mehrwertsteuer, da der Geschädigte für die Wiederherstellung in einer Werkstatt Preise zahlt, die die Mehrwertsteuer umfassen.

13

Die Kammer verkennt nicht, dass diese für den Schadensanspruch aus Delikt oder Gefährdung geltenden Grundsätze nicht ohne weiteres auf das Recht der Fahrzeugversicherung übertragen werden können, da der Versicherer Schadensersatz gemäß § 1 Abs. 1 VVG nur "nach Maßgabe des Vertrages" schuldet.

14

Allerdings war für die vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht durch das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen geltenden AKB der Kraftfahrtversicherungsunternehmen, in denen eine derartige Klausel wie § 13 Abs. 5 Satz 4 der AKB der Beklagten (Stand: 01.01.1999) nicht enthalten war, höchstrichterlich ebenso anerkannt, dass der Kaskoversicherer dem Geschädigten auch dann den auf die Reparaturkosten entfallenden Mehrwertsteuerbetrag zu zahlen hat, wenn der geschädigte Versicherungsnehmer das Fahrzeug von privater Hand oder gar nicht reparieren lässt (BGH NJW 1985, 1222 [BGH 30.01.1985 - IVa ZR 109/83]). Die damals maßgebliche Klausel der AKB sah vor, dass der Versicherer die "erforderlichen Kosten der Wiederherstellung" schuldete. Auf das Bereichungsverbot nach § 55 VVG konnte sich der Versicherer nicht stützen, weil der Versicherungsnehmer, der sich entschloss, auf die Wiederherstellung zu verzichten, seine Stellung nicht in einer Weise verbesserte, der im Verhältnis zum Versicherer Gewicht zukam, da die Entschädigung nur die Einbußen ausglich, die der Versicherungsnehmer durch den Schadensfall erlitt (BGH NJW 1982, 1222 [BGH 06.05.1981 - I ZR 92/78]). Gleiches galt für die Wiederherstellung durch private Hand; hierbei setzte der Versicherungsnehmer den überschießenden Betrag zur Kompensation bestehender Nachteile wie Aufwendungen an Zeit und Mühen zur Ermittlung einer entsprechenden Reparaturgelegenheit sowie erhöhten Risiken in bezug auf Mängelfreiheit und Durchsetzbarkeit von Gewährleistungsansprüchen ein (BGH NJW 1985, 1222 [BGH 30.01.1985 - IVa ZR 109/83]).

15

bbb)

Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Pflicht zur Erstattung der auf die Reparaturkosten entfallenden Mehrwertsteuer sowohl im dispositiven gesetzlichen Schadensersatzrecht als auch unter Geltung der vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht durch das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen geltenden AKB der Kraftfahrtversicherungsunternehmen hat den Erwartungshorizont eines typischen Versicherungsnehmers derart geprägt, dass eine die Mehrwertsteuererstattung bei nur fiktiver Schadensabrechnung ausschließende Klausel für ihn subjektiv überraschend kommt (AG Wuppertal ZfS 2001, 122 [OLG Koblenz 28.04.2000 - 10 U 1146/99]; AG Koblenz DAR 2000, 73 [AG Koblenz 10.09.1999 - 14 C 489/99][AG Koblenz 10.09.1999 - 14 C 489/99]). Die Kammer vermag sich in diesem Zusammenhang der Auffassung des LG München I in NJW-RR 2001, 169 und des AG Düsseldorf, Urt. vom 17.01.2001, - 56 C 10936/00 -, der typischerweise zu erwartende Durchschnittskunde verbinde mit dem Begriff AKB in aller Regel keine besondere Vorstellung, nicht anzuschließen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung wird sich nach Ansicht der Kammer vielmehr vorstellen, den Geldbetrag vom Versicherer zu erhalten, der seiner durch das Schadensereignis eingetretenen, objektiv meßbaren Werteinbuße - ggfls. abzüglich einer vereinbarten Selbstbeteiligung - entspricht. Diese Werteinbuße umfasst aber auch die auf die Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer als allgemeinen Kostenfaktor. Die Regelung in § 13 Abs. 5 Satz 4 der AKB der Beklagten weicht indes so erheblich von dieser durch die oben dargelegte höchstrichterliche Rechtsprechung und den vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht durch das Bundesamt für Versicherungswesen geltenden Vertragsbedingungen geprägten Vorstellung eines typischerweise zu erwartenden durchschnittlichen Versicherungsnehmer ab, dass auch der Kläger bei verständiger Würdigung mit einer solchen Klausel nicht zu rechnen brauchte.

16

Der Klausel kommt auch subjektiv ein Überrumpelungseffekt zu, da sie drucktechnisch nicht besonders hervorgehoben worden ist. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Klausel als solche ohne weiteres verständlich ist und an systematisch zutreffender Stelle, nämlich der Beschreibung der Ersatzleistungen, zu finden ist. Wegen ihres überraschenden Inhalts hätte sie nach Auffassung der Kammer aber darüber hinaus drucktechnisch besonders gekennzeichnet werden müssen - zum Beispiel durch Fettdruck oder besonderem Einrücken -, damit sich die Klausel in erkennbarer Weise von den übrigen Bestimmungen der AKB der Beklagten abhebt. Die Klausel befindet sich stattdessen ohne besondere Hervorhebung inmitten eines im Fließtext gesetzten, neun Absätze umfassenden Paragraphen, der insgesamt etwa eine halbe Seitenspalte einnimmt, wobei die Klausel selbst nicht einmal allein in einem Absatz steht.

17

Das Amtsgericht hat darüber hinaus zutreffend darauf hingewiesen, dass es unerheblich ist, ob inzwischen annähernd alle Versicherer diese Klausel benutzen. Die Kammer schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts nach eigener kritischer Prüfung und zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang an (§ 543 Abs. 1 ZPO).

18

3.

Weil § 13 Abs. 5 Satz 4 der AKB der Beklagten nicht Vertragsbestandteil geworden ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Klausel als Konkretisierung einer Hauptleistungspflicht des Versicherers einer Inhaltskontrolle nach § 9 Abs. 2 AGBGüberhaupt zugänglich ist und ihr gegebenenfalls standhält.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.