Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.01.2019, Az.: 4 ME 8/19
Fachrichtungswechsel; Nichteignung; Schwerpunktverlagerung; unverzüglich; Unverzüglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.01.2019
- Aktenzeichen
- 4 ME 8/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 70130
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 20.12.2018 - AZ: 4 B 2277/18
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs 3 S 1 Nr 1 BAföG
- § 7 Abs 3 S 4 BAföG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein wichtiger Grund für einen Fachrichtungswechsel im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG ist zu verneinen, wenn die vom Auszubildenden für das bisherige Studienfach erkannten Leistungsdefizite mit hoher Wahrscheinlichkeit im neuen Studienfach in gleicher oder gar verschärfter Weise zum Tragen kommen werden und daher ein Scheitern in der neu gewählten Fachrichtung absehbar ist. Die Regelvermutung des § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG steht dem nicht entgegen.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 20. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat ihren Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorläufig eine monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von 649,00 Euro zu zahlen, zu Recht abgelehnt.
Dabei kann es dahinstehen, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem ersten Wechsel der Antragstellerin von BWL hin zum Wirtschaftsingenieurwesen um einen Fachrichtungswechsel und nicht lediglich um eine Schwerpunktverlagerung gehandelt habe, weil keine vollständige Identität der betroffenen Studiengänge bis zum Wechsel der Antragstellerin gegeben sei, zutrifft, auch wenn der Senat bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss für überzeugend hält. Denn ein Anordnungsanspruch ist sowohl im Falle eines Fachrichtungswechsels als auch im Falle einer Schwerpunktverlagerung zu verneinen.
Geht man – wie das Verwaltungsgericht – von einem Fachrichtungswechsel aus, so ist der Anordnungsanspruch deshalb ausgeschlossen, weil ein wichtiger Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG für den ersten Fachrichtungswechsel nicht gegeben war und es damit auf die Frage, ob für einen weiteren Fachrichtungswechsel ein wichtige Grund vorgelegen hat, nicht mehr ankommt, weil bei einem mehrfachen Wechsel für jeden Wechsel ein wichtiger Grund bestanden haben muss (BVerwG, Urt. v. 9.6.1983 - 5 C 122/81 -, juris Rn. 10). Zwar wird bei einem erstmaligen Fachrichtungswechsel nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG in der Regel vermutet, dass die Voraussetzungen nach Nummer 1 erfüllt sind, sofern der Wechsel durch den Auszubildenden einer Hochschule bis zum Beginn des dritten Fachsemesters erfolgt. Diese Vermutung ist allerdings vorliegend, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, aufgrund des Studienverlaufs in den ersten zwei Semestern widerlegt. Denn die Antragstellerin hat gerade in den Veranstaltungen mit mathematischem und technischem Anteil, die einen erheblichen Teil ihres Studiums ausgemacht haben, ihren eigenen Angaben zufolge die zum Bestehen erforderlichen Leistungen nicht erbringen können. Dieser Umstand rechtfertigt zwar einen Wechsel weg vom BWL-Studium, allerdings nicht den von ihr zunächst vorgenommenen Wechsel hin zu einem Studium mit einem gleichen oder sogar noch höheren Anteil mathematischer und technischer Veranstaltungen.
Ein wichtiger Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG setzt voraus, dass dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nach verständigem Urteil unter Berücksichtigung aller im Rahmen der Ausbildungsförderung erheblichen Umstände, die sowohl durch die am Ziel der Ausbildungsförderung orientierten öffentlichen Interessen als auch durch die Interessen des Auszubildenden bestimmt werden, dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zumutbar ist (st. Rspr. des BVerwG, s. nur Urt. v. 8.11.1984 - 5 C 119.81 -, FamRZ 1985, 647 m.w.N.). Auch wenn dieser Maßstab den Fokus vor allem auf die Gründe für die Aufgabe des bisherigen Studienfachs legt (vgl. Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Aufl. 2016, § 7 Rn. 132), kann doch der wichtige Grund nicht allein darauf bezogen werden, sondern muss auch den Wechsel hin zu dem neuen Studienfach umfassen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG, wonach der wichtige Grund sich auf den Fachrichtungswechsel und nicht lediglich die Aufgabe der bisherigen Fachrichtung bezieht. Daraus folgt, dass ein wichtiger Grund für einen Fachrichtungswechsel dann zu verneinen ist, wenn die vom Auszubildenden für das bisherige Studienfach erkannten Leistungsdefizite mit hoher Wahrscheinlichkeit im neuen Studienfach in gleicher oder gar verschärfter Weise zum Tragen kommen werden. Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil die Inhalte des BWL-Studiums und die des Studienfachs Wirtschaftsingenieurwesen zu Beginn des Studiums im Wesentlichen gleich sind und mit zunehmender Studiendauer im Fach Wirtschaftsingenieurwesen die mathematisch-technische Komponente an Bedeutung gewinnt. Daher war ein Scheitern der Antragstellerin im neu gewählten Studienfach bereits bei Studienbeginn absehbar, so dass ein wichtiger Grund für den Fachrichtungswechsel bereits deshalb nicht angenommen werden konnte. Dem steht auch nicht die Regelvermutung des § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG entgegen. Denn ausweislich der Begründung des Entwurfs des 21. BAföGÄndG (BT-Drs. 15/3655 v. 24.8.2004, S. 9 f.) dient die Einführung dieser Verfahrenserleichterung vor allem der Verwaltungsvereinfachung, soll aber nicht den Anspruch der Ausbildungsförderung aufgeben, dass eine möglichst frühzeitige Orientierung und Festlegung auf den geeigneten Studiengang erwartet wird. Diesem Ziel würde nicht entsprochen werden, wenn die Vermutungsregelung zur Annahme eines wichtigen Grundes für ungeeignete Fachrichtungswechsel wie den vorliegenden führen könnte.
Geht man – wie es die Antragstellerin in ihrem Beschwerdevorbringen nahegelegt hat – indessen davon aus, dass der Wechsel von BWL zu Wirtschaftsingenieurwesen eine Schwerpunktverlagerung gewesen ist, so ist der Antragstellerin im Rahmen der für die Prüfung eines wichtigen Grundes nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG erforderlichen Interessenabwägung entgegenzuhalten, dass sie den weiteren Wechsel zum Studiengang International Communication an der D. in E. nicht unverzüglich vorgenommen hat.
Ein wichtiger Grund kann nur dann angenommen werden, wenn der Auszubildende selbst die vom Bundesausbildungsförderungsgesetz vorausgesetzte Obliegenheit zur verantwortungsbewussten, vorausschauenden und umsichtigen Planung sowie zur zügigen, zielstrebigen Durchführung der Ausbildung ausreichend erfüllt hat (Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Aufl. 2016, § 7 Rn. 134). Dem Auszubildenden wird entsprechend seinem Ausbildungsstand und Erkenntnisvermögen zugemutet, den Gründen, die einer Fortsetzung der bisherigen Ausbildung entgegenstehen, rechtzeitig zu begegnen. Sobald der Auszubildende sich Gewissheit über die fehlende Neigung oder Eignung für das bisher gewählte Fach verschafft hat, muss er deshalb, damit ein wichtiger Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG bejaht werden kann, unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), die erforderlichen Konsequenzen ziehen und die bisherige Ausbildung abbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.6.1990 – 5 C 45/87 -, BVerwGE 85, 194, 196 m.w.N.). Daran gemessen hätte die Antragstellerin nicht bis zum Ende ihres dritten Semesters an der TU F. verbleiben dürfen, sondern spätestens zum Abschluss des zweiten Semesters ihr Studium dort beenden müssen, nachdem deutlich geworden war, dass ihr Leistungsvermögen in den mathematischen und technischen Fächern derart unzureichend ist, dass sogar die endgültige Exmatrikulation aus dem BWL-Studium bevorstand. Dass die Antragstellerin stattdessen versucht hat, ihrer nicht zu übersehenden Nichteignung entgegenzutreten, indem sie das BWL-Studium unter anderer Bezeichnung für ein weiteres Semester faktisch fortgesetzt bzw. wiederholt hat, stellt einen Verstoß gegen ihre Obliegenheit zur zügigen und zielstrebigen Durchführung der Ausbildung dar. Daran ändert auch die von ihr in der Fachrichtungswechselbegründung vom 10. August 2018 zum Ausdruck gebrachte Hoffnung nichts, dass sie durch die Umschreibung in den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen ihr BWL-Studium hätte retten können. Denn bei verständiger Würdigung ihrer Neigungen und Fähigkeiten hätte der Antragstellerin bereits zu diesem Zeitpunkt klar sein müssen, dass eine solche Hoffnung keine Stütze in der Wirklichkeit finden konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).