Landgericht Osnabrück
Urt. v. 10.01.2000, Az.: 9 O 2255/99

Haftung eines Tierarztes für die durch den Einsatz eines risikobehafteten Medikaments bedingte Verendung eines Pferdes; Vom Tierarzt zu beachtende Sorgfalt bei der Medikation von Tieren

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
10.01.2000
Aktenzeichen
9 O 2255/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 32061
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2000:0110.9O2255.99.0A

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter tierärztlicher Behandlung eines Pferdes auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Sie war Eigentümerin eines sechsjährigen Reitpferdes. Wegen eines leichten Hustens, den die Klägerin allein beim "Lösen" des Pferdes feststellte, zog sie am 17.03.1999 den beklagten Tierarzt hinzu. Dieser hörte das Pferd ab und stellte dabei nur leichte Atemgeräusche fest. Ferner teilte ihm die Klägerin mit, dass das Pferd kein Fieber habe. Der Beklagte diagnostizierte eine nicht fieberhafte, subakute, infektiöse, katarrhische Entzündung der oberen Luftwege und verabreichte das Penicillinpräparat "Tardomyocel" durch intramuskuläre Injektion. Der aus Bl. 13 d.A. ersichtliche Beipackzettel dieses Medikamentes enthielt einen deutlichen Hinweis auf mögliche Nebenwirkungen wie etwa Anaphylaxien.

3

Bereits bei der ersten Injektion riss das Pferd die Augen auf und trat rückwärts; bei der zweiten Injektion begann die Hinterhand zu schwanken. Nachdem die Klägerin das Pferd auf Anweisung des Beklagten einige Zeit geführt hatte, brach es zusammen und verendete. In dem Untersuchungsbericht des Pathologischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule Hannover (Bl. 11 f. d.A.) wurde als Ursache des akuten schockartigen Herz-Kreislaufversagens eine anaphylaktische Reaktion angenommen. Aber auch eine Fettembolie konnte nicht sicher ausgeschlossen werden.

4

Die Klägerin behauptet, die Behandlung des Tieres mit einem penicillinhaltigen Medikament sei nicht angezeigt gewesen. Ein Antibiotikum wie "Tardomyocel" hätte nur bei einer akuten und fieberhaften Erkrankung verabreicht werden dürfen. Der Wert des Pferdes habe 53.200,00 DM betragen.

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Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 54.447,61 DM nebst 4% Zinsen seit dem 1.9.1999 zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Der Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass das Pferd aufgrund einer anaphylaktischen Schockreaktion verstorben sei. Er behauptet, die Verabreichung eines Antibiotikums sei die richtige Behandlung gewesen, da die Wahrscheinlichkeit einer allergischen Reaktion sehr gering sei.

8

Das Gericht hat Beweis erhoben zum Ablauf der Behandlung durch Vernehmung der Zeugen Z1, Z2, Z3, Z4 und Z5 und zur Fehlerhaftigkeit dieser Behandlung durch ein mündliches Gutachten des Sachverständigen S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.12.1999 (Bl. 64-71 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Dienstvertrages und aus unerlaubter Handlung gem. § 823 BGB gegen den Beklagten.

10

Zwischen den Parteien ist unstreitig ein tierärztlicher Behandlungsvertrag zustandegekommen. Dieser Vertrag stellt, da sich der Tierarzt zur Leistung einer Behandlung nach den bestehenden tierärztlichen Erkenntnissen verpflichtet, einen Dienstvertrag gemäß § 611 BGB dar.

11

Der Beklagte hat seine Sorgfalts- und Schutzpflichten aus diesem Dienstvertrag verletzt.

12

Der Tierarzt schuldet aufgrund des Behandlungsvertrages die Durchführung der gebotenen therapeutischen Maßnahmen. Welche therapeutischen Maßnahmen bei der Erkrankung eines Pferdes erforderlich sind, bemisst sich nach den veterinärmedizinischen Kenntnissen und Erfahrungen. Dabei ist der Tierarzt verpflichtet, die Integritätsinteressen des Pferdeeigentümers zu wahren. Insoweit muß er die von einem gewissenhaften Veterinärmediziner zu erwartenden tierärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen einsetzen, wobei er seine Tätigkeit u.a. auch an wirtschaftlichen Erwägungen auszurichten hat (vgl. BGH VersR 86, 817, 818). Auf dieser Grundlage ist der Tierarzt verpflichtet, einen Nutzen-/Risiko-Vergleich anzustellen, er muß also den mit einer Behandlung verbundenen Nutzen kennen und das korrelierende Risiko quantifizieren. Der Tierarzt schuldet dabei seinem Auftraggeber die Wahl der sichersten Methode. Dies ist nicht nur für den Bereich der Humanmedizin allgemein anerkannt, sondern gilt unter anderem auch für Rechtsanwälte ( BGH Urteil vom 14.1.1975 - VI ZR 102/74 = VersR 75, 524 m. Nachw.) und generell selbst für Dienstleistungen einfacherer Art. Für den Tierarzt gilt diese Verpflichtung damit unzweifelhaft auch (vgl. BGH VersR 77, 546). Bei verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten muss daher die Wahl eines Medikamentes mit höheren Risiken eine sachliche Rechtfertigung finden.

13

Dass der Beklagte diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest.

14

Mit den Feststellungen des Sachverständigen geht das Gericht davon aus, dass die vom Beklagten gestellte Diagnose nur eine Verdachtsdiagnose war. Die für eine genauere Diagnostik erforderlichen klinischen Tests wurden nicht durchgeführt, was auch der gängigen tierärztlichen Praxis entspricht.

15

Diese Diagnose des Beklagten war nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen fehlerhaft. Eine infektiöse entzündliche Erkrankung des Pferdes ließ sich auf der Grundlage des von ihm behaupteten Befundes durch den Beklagten nicht feststellen. Denn Indizien für eine Infektion wie etwa Fieber oder dicker eitriger Nasenausfluss lagen nicht vor. Aus seinen Feststellungen - kein Fieber, aber Atemgeräusch in Kehlkopf und Luftröhre sowie Nasenausfluß - konnte lediglich eine geringfügige Bronchialentzündung nicht infektiöser Natur gefolgert werden.

16

Unabhängig davon, ob diese fehlerhafte Diagnose bereits als Pflichtverletzung zu werten ist, hat der Beklagte bereits dadurch gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Wissenschaft und Kunst verstoßen, dass er aufgrund einer bloßen Verdachtsdiagnose das risikoreichere Medikament "Tardomycel" eingesetzt hat.

17

Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte der Beklagte ein Medikament mit höheren Risiken nur dann verabreichen dürfen, wenn er eine zuverlässige Indikation hätte stellen können. Zwar sind die Risikofaktoren des vom Beklagten verabreichten Wirkstoffes in den tierärztlichen Lehrbüchern nicht enthalten. Ferner sind, wie der Sachverständige ausgeführt hat, nach der Anwendung von "Tardomycel" bei Pferden Todesfälle auch sehr selten. Da jedoch der Beipackzettel des Medikamentes ausdrücklich auf die Nebenwirkung einer Anaphylaxie hinweist, musste der Beklagte diese bei der Wahl seines therapeutischen Weges berücksichtigen und nach einer Risikoabwägung von der Verabreichung eines penicillinhaltigen Mittels absehen. Aufgrund der oben ausgeführten Verpflichtung zur Wahl der sichersten Methode könnte das Vorgehen des Beklagte nur dann nicht als Verstoß gegen die der Klägerin rechtlich geschuldete Sorgfalt gewertet werden, wenn eine andere Medikation, die größere Sicherheit bot, aus bestimmten Gründen untunlich oder unzumutbar war (BGH a.a.O..). Sachliche Gründe, die die Wahl einer risikoreicheren Methode gerechtfertigt hätten, lagen hier aber nicht vor. Wie der Sachverständige dargelegt hat, war eine Behandlung allein mit risikoärmeren Medikamenten wie "Clenbuterol" oder "Sputolysin" völlig ausreichend.

18

Dieser Eisatz des risikobehafteten Medikaments durch den Beklagten ist für das Verenden des Pferdes der Klägerin ursächlich geworden. Die Applikation des Medikaments "Tardomycel" hat den tödlich verlaufenden anaphylaktischen Schock bei dem Reitpferd unmittelbar verursacht. Das ergibt sich zum einen bereits aus dem Untersuchungsbericht des Instituts für Pathologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Soweit der Pathologe eine Fettembolie nicht sicher ausschließt, geht der vom Gericht zugezogene Sachverständige ohne Einschränkung vom Vorliegen eines anaphylaktischen Schocks aus. Da der Sachverständige nicht nur den Sektionsbericht, sondern zusätzlich auch die klinische Symptomatik, die sich aus dem von den Zeugen geschilderten Geschehensablauf ergab, zum Anknüpfungspunkt seiner Beurteilung machen konnte, ist diesen Ausführungen - ungeachtet der Einschränkung im Bericht des Pathologen - zu folgen. Tatsächliche Anhaltspunkte, die auf eine andere Todesursache hindeuten könnten, gibt es zudem nicht, so daß kein Anlaß besteht, an der Richtigkeit dieser Beurteilung zu zweifeln.

19

Der Beklagte hat bei der Wahl des risikoreicheren Medikamentes, das zu dem tödlich verlaufenden anaphylaktischen Schocks bei dem Pferd führte, seine Vertragspfichten gegenüber der Klägerin schuldhaft verletzt. Anders als in der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 13.05.1997 (12 U 7/97 = VersR 98, 902) musste hier die potentielle Gefährlichkeit des verabreichten Antibiotikums dem Beklagten bekannt sein. Im Hinblick auf den Hersteller-Beipackzettel des Penicillinpräparates, welches der Beklagte dem Pferd der Klägerin mittels intramuskulärer Applikation verabreichte, musste er mit einem Zwischenfall, wie er in Form des anaphylaktischen Schocks bei dem Reitpferd eintrat, als Folge der Spritzen ernstlich rechnen. Bei Verabreichung von Nichtantibiotika wäre das Verenden des Pferdes vermieden worden.

20

Es kann den Beklagten nicht entlasten, dass Todesfälle durch das Medikament "Tardomycel" bei Pferden sehr selten auftreten. Der Sachverständige hat als Anhaltspunkt die Relation der dem Bundesgesundheitsamt gemeldeten derartigen Todesfälle zur geschätzten Zahl der Verwendungen des Medikaments mit 1:140.000 beziffert. Denn die vertragliche Sorgfaltspflicht des Tierarztes zur Wahl der sichersten Methode rechtfertigt das Eingehen auch geringer Risiken dann nicht, wenn risikolose Behandlungsmöglichkeiten bestehen.

21

Auch die verbreitete Unsitte in der medizinischen Praxis, vorschnell Antibiotika zu verabreichen (vgl. OLG Frankfurt VersR 83, 349), entlastet den Beklagten nicht. Denn eigene Fehler verlieren diese Qualität nicht dadurch, daß auch andere sie begehen (vgl. BGHZ 8, 138, 140 ff. [BGH 27.11.1952 - VI ZR 25/52]; OLG Frankfurt a.a.O..).

22

Aufgrund der schuldhaften Verletzung seiner Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag hat der Beklagte nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung den Schaden der Klägerin durch den Verlust des Pferdes zu ersetzen. Da dieser Schaden wegen des Bestreitens der Wertangaben der Klägerin durch den Beklagten noch nicht feststeht, war gem. § 304 Abs. 1 ZPO vorab über den Anspruchsgrund zu entscheiden.