Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 19.12.2007, Az.: 7 B 3409/07
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 19.12.2007
- Aktenzeichen
- 7 B 3409/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 62434
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2007:1219.7B3409.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 1 AMG
- § 40 AMG
- § 123 Abs. 1 VwGO
Fundstelle
- GesR 2008, 161
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Wird ein bereits zugelassenes Arzneimittel im Rahmen einer klinischen Prüfung von einer niedergelassenen Apotheke vor der Anwendung am einzelnen Patienten gemäß den Herstellerangaben durch Verflüssigung rekonstituiert, bedarf die Apotheke hierfür keiner Herstellungserlaubnis nach § 13 Abs. 1 AMG. Der Prüfarzt (hier: ein niedergelassener Onkologe) darf die klinische Prüfung, sofern die übrigen Voraussetzungen nach den §§ 40 ff. AMG erfüllt sind, unter Mitwirkung einer Apotheke ohne Herstellungserlaubnis beginnen.
- 2.
Der Anspruch zu 1. Satz 2 kann durch eine feststellende einstweilige Anordnung gesichert werden. Für den Anordnungsgrund im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind auch Interessen der Allgemeinheit und der in die klinische Prüfung eingebundenen Patienten an den Ergebnissen der klinischen Prüfung bedeutsam.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, mit welcher der Antragsteller die Feststellung beantragt, im Rahmen der klinischen Prüfung EudraCT-Nr. 2006-004865-32; Studiennr. ABC-2006-NSCLC-01, berechtigt zu sein, die Prüfpräparate von der -Apotheke, zu beziehen, ohne dass die Apotheke dazu einer Herstellungserlaubnis gemäß § 13 AMG bedarf, ist zulässig und begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft zu machen. Das Gericht kann dabei grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur für beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Eine Ausnahme gilt dann, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 123 Rn. 14 ff.). Eine einstweilige Anordnung ist auch in den Fällen statthaft, in denen die Hauptsacheklage - wie hier - eine Feststellungsklage ist. Eine solche ist auch nicht subsidiär, da die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Stellungnahme des Antragsgegners aufgrund des Anzeigeverfahrens nach § 67 Arzneimittelgesetz (AMG) nicht Gegenstand einer Anfechtungs- oder einer Verpflichtungsklage sein kann (s. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Der Antragsteller hat den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine in der Hauptsache erhobene Klage auf Feststellung, dass der Antragsteller berechtigt ist, die klinische Prüfung wie geplant unter Beteiligung der -Apotheke durchzuführen, wäre voraussichtlich zulässig und begründet.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Hinsichtlich der Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen keine Zweifel, da ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner besteht. Als Rechtsverhältnis werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder zu einer Sache ergeben ( BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 50/89 - zitiert nach juris). Das festzustellende Rechtsverhältnis muss nicht unmittelbar zwischen den Parteien des Feststellungsprozesses bestehen. Die Klage kann auch auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Beklagten und einem Dritten gerichtet sein (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 43 Rn. 16 m.w.N.).
Gemäß § 67 AMG unterliegt die vom Antragsteller geplante klinische Prüfung der Genehmigungs- und Anzeigepflicht. Seiner Anzeigepflicht gemäß § 67 AMG gegenüber dem Antragsgegner als zuständiger Behörde auf Landesebene (§ 6e Nr. 1 ZustVO-SOG) kam der Antragsteller nach und wurde anschließend durch den Antragsgegner informiert, dass die klinische Prüfung unter der streitigen Mitwirkung der -Apotheke nicht begonnen werden dürfe. Da der Antragsgegner zugleich darauf hinwies, dass er eine dennoch wie geplant begonnene klinische Prüfung zumindest für die -Apotheke als Straftat gemäß § 96 Nr. 4 AMG (und evtl. als Beihilfe für den Antragsteller) werte und zur Anzeige führen würde, ist die Klärung der streitbefangenen Frage - muss zuvor eine Herstellungserlaubnis für die -Apotheke erteilt werden - ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.
Die Feststellungsklage wäre auch begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer klinischen Prüfung gemäß §§ 40 ff. AMG sind vollumfänglich gegeben.
Klinische Prüfung bei Menschen ist gemäß § 4 Abs. 23 AMG jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen. Die vorliegend vom Antragsteller geplante Prüfung der Prüfsubstanz Bevacizumab-Erl.-Gemcit.-Clapl. im Rahmen der klinischen Studie "Inoperable Non-Squamous NSCLC Stage III/IV: A Randomised Phase II Study with Bevacizumab plus Erlotinib OR Gemcitabin/Cisplatin plus Bevacizumab" in seiner onkologischen Praxis stellt eine klinische Prüfung dar. Der Antragsteller handelt dabei als Prüfarzt im Sinne von § 4 Abs. 25 AMG, wonach Prüfer in der Regel ein für die Durchführung der klinischen Prüfung bei Menschen in einer Prüfstelle verantwortlicher Arzt ist. Die klinische Prüfung wurde von der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, gemäß §§ 40, 42 Abs. 2 AMG vorbehaltlos genehmigt. Auch die nach §§ 40 Abs. 1 Satz 2, 42 Abs. 1 AMG erforderliche zustimmende Bewertung der Ethikkommission ist eingeholt worden. Das Vorliegen der fachlichen und medizinischen Voraussetzungen für eine klinische Prüfung ist im übrigen unstreitig.
Der Antragsteller als Prüfarzt darf die erforderlichen Prüfpräparate auch von der vom ihm ausgewählten Apotheke beziehen, ohne dass diese über eine Herstellungserlaubnis im Sinne von § 13 AMG verfügen muss.
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 AMG bedarf derjenige, der Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG gewerbsmäßig oder berufsmäßig zum Zwecke der Abgabe an andere herstellen will, einer Erlaubnis der zuständigen Behörde. Unter Herstellen ist nach § 4 Abs. 14 AMG das Gewinnen, das Anfertigen, das Zubereiten, das Be- oder Verarbeiten, das Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken, das Kennzeichnen und die Freigabe zu verstehen (zur Definition siehe Kloesel/Cyran, AMG, § 4 Rn. 49).
Mit der Rekonstitution, also der Verflüssigung der getrockneten Wirksubstanz für die Anwendung, etwa durch Auflösung in einem Lösungsmittel, wird ein Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Verfahren nach Überzeugung des Gerichts nicht hergestellt, sondern ohne Bearbeitung des Arzneimittels als solches lediglich für die Verabreichung in der vorgesehenen - flüssigen - Form bereitgestellt (vgl. zur bestimmungsgemäßen Anwendung in der flüssigen Form die jeweiligen Herstellungshinweise zu den Arzneimitteln Avastin, Gemzar, Cisplatin medac, Bl. 59 ff.d. Gerichtsakte). Die Rekonstitution erfüllt die Tatbestandsmerkmale der Herstellung aus § 13 AMG damit nicht.
Hierfür spricht zunächst die von den jeweiligen Herstellern vorgesehene Anwendungsweise der betreffenden Arzneimittel. Diese werden in getrockneter Form gelagert und müssen, da sie als Infusion verabreicht werden, zwangsläufig vorher für die Anwendung verflüssigt werden. Die erforderliche Lösung und eine Durchstechflasche sind bei dem Arzneimittel enthalten, so dass die Verflüssigung den vorgesehenen Gebrauch ermöglicht. Ein erneutes Herstellen ist darin keineswegs zu sehen, der Wirkstoff wird nicht verändert oder anderweitig zusammengesetzt. Darauf, dass lediglich die von der jeweiligen Herstellerfirma vorgesehene Anwendungsvorbereitung ohne weitere Zwischenschritte oder Veränderungen des Wirkstoffs durch die -Apotheke vorgenommen werden soll, wies der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2007 noch einmal ausdrücklich hin.
Das Gericht schließt sich diesbezüglich der Auffassung des Antragstellers dahingehend an, dass keine Arzneimittelherstellung im Rahmen der klinischen Studie erfolgt, welche im Übrigen durch Aussagen von Mitarbeitern sowohl des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) als auch des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestützt wird. Mitarbeiter beider Behörden erklären übereinstimmend und ausdrücklich, dass Rekonstitution keine Herstellung ist und deshalb keiner Erlaubnis gemäß § 13 Abs. 1 AMG bedarf (BMG, Vortrag von H.-P. Hofmann vom 30. November 2006 zum Thema "Das aktuelle AMG und seine Spielräume" abrufbar unter www.gesundheitsforschung-bmbf.de/_media/03_Hofmann.pdf aus Sicht des BMG", sowie BfArM, Vortrag von Dr. Aylin Mende vom 6. Februar 2006 zum Thema "Antragstellung auf Genehmigung einer klinischen Prüfung", abrufbar unter http://www.bfarm.de/nn_599148/SharedDocs/Publikationen/DE/BfArM/publ/praesent/dialog__2006/dialog-060206/Vortrag__03,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Vortrag_03.pdf). Auch in einer aktuellen Stellungnahme aus dem BMG (Schreiben vom 12. Dezember 2007, Bl. 101 f.d. Gerichtsakte) wird ausgeführt, dass die "Zubereitung vor der Anwendung" von Zytostatika nach den jeweiligen Vorgaben des pharmazeutischen Unternehmens, wie etwa das Auflösen eines gefriergetrockneten Pulvers, fachlich gesehen kein Herstellungsschritt im Sinne des AMG ist und keiner Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG bedarf.
Das Gericht sieht keine Veranlassung, eine von diesen eindeutigen Stellungnahmen abweichende Auslegung des Herstellungsbegriffs vorzunehmen (zur weiten Auslegung des Herstellungsbegriffs hinsichtlich der Verblisterung von Fertigarzneimitteln vgl. hingegen Nds. OVG, Urteil vom 16. Mai 2005 - 11 LC 265/05 - zitiert nach juris).
Auf die Frage, ob die Zubereitung im üblichen Apothekenbetrieb gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG erfolgt, kommt es mangels Herstellung eines Arzneimittels nicht mehr an. Die
-Apotheke benötigt damit keine Herstellungserlaubnis und der Antragsteller ist berechtigt, die Prüfpräparate von dieser zu beziehen.
Die Auffassung des Antragsgegners, die Stellungnahme des BMG vom 17. Oktober 2006 (vgl. Bl. 43 d. Gerichtsakte) beziehe sich lediglich auf die Rekonstitution vor der unmittelbaren Anwendung, umfasse aber keine "Vorrats-Rekonstitution", betrifft nicht den hier streitigen Anspruch, da der Antragsteller von der -Apotheke lediglich im jeweiligen Einzelfall die für die Anwendung wie vom Hersteller vorgesehen verflüssigten Prüfpräparate bezieht, die gerade nicht auf Vorrat gelagert sind.
Der Anordnungsanspruch ist damit glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat auch die Gründe für die Eilbedürftigkeit in ausreichendem Maße glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund hat zur Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsachentscheidung abzuwarten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 123 Rn. 26 m.w.N.). Es darf keine zumutbarere oder einfachere Möglichkeit zur vorläufigen Wahrung des betreffenden Rechts geben. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Zwar lässt sich theoretisch vorstellen, dass der Antragsteller sich an der klinischen Prüfung unter Mitwirkung einer anderen niedergelassenen Apotheke mit einer Herstellungserlaubnis gemäß § 13 AMG zumindest bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens beteiligt. Dadurch würde indes in seine Freiheit der Berufsausübung und mithin in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG eingegriffen. Dieser Eingriff wäre nach dem vorher Ausgeführten nicht durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes gerechtfertigt und daher unzulässig. Es liegt auf der Hand, dass die ordnungsgemäße und erfolgreiche Durchführung der klinischen Prüfung im Bereich des Antragstellers durch die Fortsetzung seiner bewährten Zusammenarbeit mit einer bestimmten Apotheke gefördert würde. Der Ausschluss der
-Apotheke von der Mitwirkung an der klinischen Prüfung wäre im übrigen auch in der Sache unverhältnismäßig. Anhaltspunkte dafür, dass die Rekonstitution der Prüfpräparate durch die -Apotheke mit Gefahren für die Gesundheit der Patienten verbunden sein könnte - etwa weil die Apotheke nicht entsprechend ausgerüstet ist -, sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Der unverzügliche Beginn der Studie auch in Leer liegt zudem im Interesse der betroffenen, überwiegend todkranken Patienten. Die fragliche klinische Prüfung rechtfertigt sich u.a. durch die Hoffnung, dass deren Leiden durch die neuartige Medikation gelindert werden können. Unter dem Gesichtspunkt, dass auch die Grundrechte von Patienten, die an der Studie teilnehmen wollen und sich eine Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustands erhoffen und denen wegen des Stadiums ihrer Erkrankung ein Abwarten nicht zuzumuten ist, betroffen sind, liegt eine Eilbedürftigkeit jedenfalls im Interesse anderer Personen und der Allgemeinheit, welche ebenfalls von Forschungsfortschritten profitiert, vor.
Da der Antragsteller sich auch bereits erfolglos direkt an den Antragsgegner gewandt hat, ist ihm eine anderweitige Rechtschutzmöglichkeit nicht eröffnet. Zwar liegt durch die einstweilige Anordnung faktisch eine Vorwegnahme der Hauptsache vor, da der Antragsteller die klinische Prüfung beginnen darf. Allerdings ist die getroffene Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes notwendig, da die Nachteile für die betroffenen Patienten irreparabel wären, wenn die Studie nicht wie geplant zeitnah durchgeführt werden dürfte. Im übrigen ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Entscheidung in der Hauptsache erst dann ergeht, wenn die Studie in den anderen beteiligten Kliniken bereits angelaufen ist und zu Ergebnissen geführt hat und so eine Beteiligung des Antragstellers zu spät käme, um noch angemessen in die Durchführung der Prüfung eingebunden werden zu können.
Dem Antrag war daher im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.