Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 04.12.2007, Az.: 1 A 2316/06
Abriß; Beseitigung; Eingriff; Entfernung; Erhaltung; Ermessen; Ermessensfehler; Hecke; Natur; Naturschutz; Schutzwert; schützenswerte Wallhecke; Störer; Tun; Unterlassen; Vorschaden; Wallhecke; Wiederherstellung; Wiederherstellungsanordnung; Zustand
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 04.12.2007
- Aktenzeichen
- 1 A 2316/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 72003
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 63 NatSchG ND
- § 33 NatSchG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Wiederherstellung einer beschädigten Wallhecke kann vom Kläger nur in dem Maße verlangt werden, wie er die Wallhecke durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen zerstört hat.
Tenor:
Die Bescheide des Beklagten vom 30. September und 1. Oktober 2004 sowie der Widerspruchsbescheid vom 29. März 2006 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 950 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer des Flurstücks ../.. der Flur .. der Gemarkung ... .
An der nördlichen Grenze dieses Grundstücks wurde im Jahre 1986 durch den Beklagten eine Wallhecke mit der Nr. W424 kartiert. Der Beklagte hielt damals in der Kartierung fest, dass der Wall teilweise überweidet sei und sich auf seiner Mitte teilweise ein Zaun befinde. Der Wallkörper sei zum Teil bereits abgetragen, aber dennoch erhaltenswert.
Im Jahre 2000 führte die Zeugin ... vom Ingenieurbüro ... ... im Auftrag des Amtes für Agrarstruktur in der Gegend eine Landschaftsbestandsaufnahme durch, die auch eine Kartierung der Wallhecken mit umfasste. Die Zeugin kartierte an der hier betroffenen Grundstücksgrenze eine Wallhecke der Wertstufe 2 mit einer Höhe von 0,3 bis 0,5 m. Hierzu bemerkte sie, dass diese Wallhecke durchgehend degradiert sei und Durchbrüche aufweise.
Im Winter 2002 und Frühjahr 2003 nahm das Amt für Agrarstruktur ... im fraglichen Gebiet Arbeiten zur Renaturierung der Wälle vor. Dabei wurde der heute sichtbare Wallkörper in seinem jetzigen Zustand aufgeschüttet. Ob dieser Wall von Grund auf neu aufgeschüttet wurde oder ob es sich nur um die Erhöhung eines bereits vorhandenen Walles handelt, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Am 17. Juli 2003 stellte der Beklagte zusammen mit dem Amt für Agrarstruktur im Rahmen eines Ortstermins fest, dass sich im Bereich eines Betonschachtes, der eine zur Drainage des Grundstücks dienende Pumpe enthält, ein ca. 4 m breiter Durchbruch im Wall befindet.
Nach Anhörung des Klägers erließ der Beklagte am 30. September 2004 einen Bescheid, in dem er dem Kläger aufgab, den Wallkörper in der Lücke bis zum 31. Dezember 2004 mit einer Höhe von 1 bis 1,2 m und einer Fußbreite von 2 m wieder herzustellen. Der Betonbehälter sei zu entfernen. Die Ausführung dieser Arbeiten habe der Kläger innerhalb einer Woche nach Fertigstellung anzuzeigen. Für den Fall, dass der Kläger der Wiederherstellungsanordnung nicht fristgerecht und vollständig nachkommt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 750,-- Euro angedroht. Für den Fall, dass er die Fertigstellung der Arbeiten nicht wie gefordert anzeigt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 50,-- Euro angedroht.
Mit Bescheid vom 1. Oktober 2004 wurden die Kosten des Verfahrens auf 150,20 Euro festgesetzt.
Der Kläger hat am 11. Oktober 2004 Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. September 2004 und gegen den Kostenfestsetzungsbescheid erhoben. Zur Begründung trug er im Wesentlichen folgendes vor: Das Amt für Agrarstruktur habe die Abmachungen, die mit ihm im Rahmen der Renaturierung der Wälle getroffen worden seien, nicht beachtet, sondern einen viel größeren Wall als vereinbart hergestellt. Der Betonschacht mit der Pumpe stehe schon seit Jahren an dieser Stelle und könne nicht entfernt werden, ohne dass das Grundstück vernässe. Es sei an dem betreffenden Ort auch nie ein Wall vorhanden gewesen. Ein solcher sei erst jetzt vom Amt für Agrarstruktur neu errichtet worden.
Der Beklagte holte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eine Stellungnahme des Amtes für Agrarstruktur ein, wonach bereits vor den Maßnahmen des Amtes ein, wenn auch erheblich beschädigter, Wallkörper vorhanden gewesen sei, den das Amt für Agrarstruktur lediglich renaturiert habe. Eine Durchfahrt durch den Wallkörper im Bereich des Betonschachtes sei dem Amt nicht bekannt.
Der Versuch einer einvernehmlichen Einigung im Widerspruchsverfahren dahingehend, dass der Beklagte den Walldurchbruch nachträglich genehmigt und der Kläger hierfür am anderen Ende des Walles ein 3 m langes Ersatzstück ansetzt, scheiterte an der fehlenden Bereitschaft des Klägers zur Durchführung einer solchen Ausgleichsmaßnahme.
Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2006 zurück.
Der Kläger hat am 28. April 2006 Klage gegen den Bescheid vom 30. September 2004 und den Kostenfestsetzungsbescheid vom 1. Oktober 2004, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2006, erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, es habe an der fraglichen Grundstücksgrenze nie einen Wall, sondern nur eine Reihe von Eichenbäumen und einen Zaun gegeben. Jedenfalls könne er aber nicht verpflichtet werden, einen so hohen und großen Wall, wie im Bescheid vom 30. September 2004 genannt, herzustellen. Der Kläger beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 30. September 2004 und 1. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, dass die Wallhecke an der fraglichen Stelle bereits vor den Arbeiten des Amtes für Agrarstruktur vorhanden gewesen sei. Die endgültige Höhe des wiederherzustellenden Wallstücks solle ca. 0,8 m betragen. Man habe dem Kläger deswegen die Wiederherstellung mit 1,0 bis 1,2 m aufgegeben, weil noch ein Sackmaß von 0,2 m zu berücksichtigen sei.
Die Kammer hat die Örtlichkeit durch den Berichterstatter in Augenschein genommen und gemäß Beweisbeschluss vom 5. Oktober 2007 Beweis über den früheren Zustand der Örtlichkeit durch Vernehmung der Zeugen ..., ..., ..., ... und ... erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 7. November 2007 verwiesen.
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin einer Entscheidung durch die Kammer ohne weitere mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
Entscheidungsgründe
Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten konnte die Kammer gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Anfechtungsklage ist gem. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Die Kammer geht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch den Berichterstatter davon aus, dass auch vor den Arbeiten des Amtes für Agrarstruktur im fraglichen Bereich bereits eine zwar erheblich degradierte und lückenhafte, aber dennoch schützenswerter Wallhecke vorhanden war, deren Wallkörper zuletzt noch eine Höhe von ca. 0,3 bis 0,5 m aufwies. Ein solcher Wall wurde von den Zeuginnen ... und ... in den Jahren 1985 und 2000 unabhängig voneinander kartiert, wobei der Wall Mitte der 80iger Jahre noch in deutlich besserem Zustand war als im Jahre 2000. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso diese von zwei Fachkräften durchgeführten Kartierungen in dem Maße fehlerhaft sein sollten, wie es der Kläger behauptet, wenn er bestreitet, dass an der fraglichen Grundstücksgrenze überhaupt ein Wall vorhanden war. Hinzu kommt, dass sich das gesamte Landschaftsbild in der Umgebung des klägerischen Grundstücks als typische Wallheckenlandschaft darstellt.
Die Aussagen der Zeugen ..., ... und ... stehen dem nicht entgegen. Alle drei Zeugen haben zwar gute Ortskenntnisse, sind aber keine ausgebildeten Fachkräfte für Landschaftspflege. Wie die Zeugin ... nachvollziehbar ausgeführt hat, können solche Laien eine schwer degradierte Wallhecke, wie sie hier im Jahre 2000 kartiert wurde, nicht ohne weiteres erkennen.
Diese für Laien schwer erkennbare, aber dennoch vorhandene Wallhecke wies zwar Lücken auf. Aufgrund der nachvollziehbaren Aussage der Zeugin ... steht aber fest, dass sie gerade in dem hier fraglichen Bereich, der durch den Betonschacht deutlich sichtbar markiert wird, durchgehend vorhanden war. Der Kläger selbst und der Zeuge ... haben erklärt, in diesem Bereich Erdarbeiten durchgeführt zu haben, da die Drainage im Zuge der Maßnahmen des Amtes für Agrarstruktur verstopft worden sei. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angesichts dieser Sachlage davon auszugehen, dass bei diesen Erdarbeiten unbemerkt der kümmerliche Rest des Wallkörpers zerstört und der Bewuchs aus Sträuchern entfernt wurde. Das Entfernen des strauchartigen Wuchses ergibt sich eindeutig aus einem Vergleich des auf Blatt 8 des Verwaltungsvorganges vorzufindenden Fotos von November 2000 mit der Örtlichkeit, wie sie sich dem Berichterstatter im Ortstermin darstellte. Zwar kann dem Foto nach Aussagen der sachverständigen Zeugin ... nicht entnommen werden, ob sich auch ein Wall an der Grundstücksgrenze befand. Der durchgehende Bewuchs mit Sträuchern, gerade auch vor dem Betonschacht, ist dagegen unschwer und eindeutig zu erkennen. Beim Ortstermin befand sich aber im Bereich des Betonschachtes nicht nur kein Wallkörper, sondern auch kein strauchartiger Bewuchs mehr.
Eine Wallhecke von 0,3 bis 0,5 m und stark degradiertem, lückenhaftem Zustand ist ungeachtet ihrer schweren Vorschäden immer noch schutzwürdig im Sinne des § 33 Abs. 1 NNatG (vgl. Blum/Agena/Franke, NNatG, § 33 Rdnr. 5 f; Nds. OVG, Urteil vom 27. April 1988, 3 OVG A 299/86).
Unter diesen Umständen durfte der Beklagte gemäß § 63 Satz 2 NNatG grundsätzlich die Wiederherstellung einer Wallhecke im Bereich des Durchbruchs anordnen.
Die Wiederherstellungsanordnung ist aber deswegen rechtswidrig, weil sie entgegen § 63 Satz 2 NNatG über die Wiederherstellung des bisherigen Zustandes hinaus geht.
Die Wiederherstellung kann vom Kläger nur in dem Maße verlangt werden, wie er die Wallhecke durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen zerstört hat. Vorschädigungen der Wallhecke wirken sich also zu seinen Gunsten aus. Es kann nicht von ihm verlangt werden, dass er einen idealen, über das vor seiner Zerstörungshandlung Vorhandene hinausgehenden Wallkörper herstellt. Eine Pflicht zum aktiven Schutz der Wallhecke vor Erosionen oder ähnlichen Natureinwirkungen trifft den Eigentümer nicht (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 14. November 2005, 1 A 2438/04).
Die Wallhecke wies hier aber vor den Renaturierungsmaßnahmen des Amtes für Agrarstruktur nur noch eine Höhe von 0,3 bis 0,5 m auf. Auch wenn man ein Sackmaß von 0,2 m berücksichtigt, kann vom Kläger daher keineswegs die Wiederherstellung einer Wallhecke von 1,0 m bis 1,2 m Höhe verlangt werden. Dies geht weit über das dort ursprünglich Vorhandene hinaus. Eine bloße Teilaufhebung insoweit, als die geforderte Wiederherstellung über die ursprünglichen Maße der Wallhecke hinausgeht, ist nicht möglich, weil die Anordnung der Wiederherstellung eines eher kümmerlichen und stark degradierten Wallheckenrestes von 0,3 bis 0,5 m Höhe, der ohnehin schon Durchbrüche aufwies, völlig andere Ermessenserwägungen und Güterabwägungen verlangt, als die Anordnung der Herstellung einer unbeschädigten Wallhecke von 1,0 bis 1,2 m Höhe. Der Beklagte ging insoweit bislang bei seinen Ermessenserwägungen von der unrichtigen Tatsachengrundlage aus, der Kläger habe eine Wallhecke in recht gutem Zustand von 1,0 bis 1,2 m Höhe zerstört.
Ebenso ist der angegriffene Bescheid insofern ermessensfehlerhaft und aufzuheben, als auch die Entfernung des Betonbehälters mit der Pumpe gefordert wird. Nach der Aussage der Zeugin ... steht fest, dass ein solcher oder jedenfalls ein ähnlicher Betonbehälter schon mindestens seit 1985 am fraglichen Ort steht. Dies war dem Beklagten in Person der Zeugin ... auch seit 1985 bekannt. Der Beklagte hat den Betonbehälter dort dennoch bis zum Jahre 2003, also fast 20 Jahre lang, ohne jede Beanstandung geduldet. Erst der Durchbruch des Wallkörpers und die Beseitigung des Bewuchses in diesem Bereich gaben dem Beklagten Anlass, nun auch die Beseitigung des Betonschachtes zu fordern. Unter diesen Umständen stellt sich die Anordnung der Beseitigung des Betonschachtes als ermessensfehlerhaft dar. Allein die Tatsache, dass der Kläger nun auch den Wallkörper und den Bewuchs beseitigen ließ, rechtfertigt es nicht automatisch, darüber hinaus auch die Entfernung eines zuvor über Jahrzehnte geduldeten Betonschachtes zu fordern. Dies hätte im Rahmen der Ermessensausübung einer besonderen Begründung bedurft.
Mit der Aufhebung der Wiederherstellungsverfügung vom 30. September 2004 entfällt auch die Kostentragungspflicht des Klägers für deren Erlass. Da der Kläger somit keine Kosten des Verwaltungsverfahrens tragen muss, ist der ebenfalls angefochtene Kostenfestsetzungsbescheid vom 1. Oktober 2004 rechtswidrig geworden und aufzuheben. Dem steht nicht entgegen, dass die in diesem Bescheid festgesetzte Höhe der Kosten als solches nach Ziffer 64.2.25.1 des Kostentarifs zur ALLGO nicht zu beanstanden ist. Im vorliegenden Fall erfasst die zeitgleich mit der fristgerechten Klage gegen die Sachentscheidung erhobene und verbundene Klage gegen den Kostenfestsetzungsbescheid auch die Frage, ob der Kläger überhaupt dem Grunde nach Kosten tragen muss. Rechtsbehelfe gegen die Kostenfestsetzung erfassen die Kostenlast dann, wenn letztere noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist (Nds. OVG, Beschluss vom 26. März 2007, 2 LA 13/07, Nds. RPfl 2007, 225 f.).