Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 07.02.2019, Az.: 2 A 7/17

Antrag; Aufhebung; Bescheidungsklage; Bindungswirkung; Bundesimmissionsschutzrecht; Drittanfechtung; formelle Rechtswidrigkeit; Genehmigung; immissionsschutzrechtliche Genehmigung; Neubescheidung; Rücknahme; Sachentscheidung; Sachentscheidungsinteresse; steckengebliebenes Genehmigungsverfahren; Untätigkeitsklage

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
07.02.2019
Aktenzeichen
2 A 7/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69888
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Rücknahme einer Genehmigung wegen formeller Mängel führt nicht zum Entfallen des Sachentscheidungsinteresses des Antragstellers. Hält dieser an seinem ursprünglichen Antrag fest, dann ist die Behörde zur - erneuten - Sachentscheidung verpflichtet.

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 30. Juni 2010 - erneut - zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bescheidung seines Antrags vom 30. Juni 2010 auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.

Der Kläger ist Landwirt. Er beantragte am 30. Juni 2010 die Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zum Halten oder zur Aufzucht von Mastgeflügel und eines Blockheizkraftwerkes mit einer elektrischen Leistung von 265 kW als Nebenanlage auf dem Grundstück Flurstück 39 der Flur 2, Gemarkung C.. Mit Schreiben vom 9. Januar 2013 beantragte der Kläger darüber hinaus eine Befreiung von den Beeinträchtigungsverboten des gesetzlich geschützten Biotops für das Flurstück 35/1 der Flur 2, Gemarkung C..

Mit Bescheid vom 30. Juli 2013 erteilte der Beklagte dem Kläger die beantragte Befreiung und mit Bescheid vom 6. Januar 2014 die begehrte Genehmigung.

Gegen diese Genehmigung und die Befreiung erhob der Naturschutzbund Deutschland (NABU) nach erfolglosen Widerspruchsverfahren Klagen beim erkennenden Gericht (Az. 2 A 167/14 und 2 A 168/14).

Mit Schreiben vom 13. Juni 2016 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er nach einem Telefonat mit der Berichterstatterin beim Verwaltungsgericht Lüneburg davon ausgehe, dass das Gericht der Klage aus formalen Gründen stattgeben werde. Um den ursprünglichen Antrag zu erhalten, regte er an, den Widerspruchsbescheid und die Genehmigung aufzuheben und ihm die Möglichkeit zu geben, eine Auslegung nebst Erörterung zu wiederholen. Dies würde unter Aktualisierung der Antragsunterlagen und unter Einbeziehung des Biotopes D. geschehen.

Mit Verfügung vom 14. Juni 2016 wies die Kammer nach Vorberatung darauf hin, dass ein absoluter Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG vorliege, weil die naturschutzrechtliche Befreiung entgegen § 13 BImSchG nicht in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren „einkonzentriert“ worden sei. Darüber hinaus bestünden Bedenken hinsichtlich der Unbefangenheit eines am Verfahren beteiligten Gutachters. Vor diesem Hintergrund regte die Kammer an, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung und die erteilte Befreiung aufzuheben.

Daraufhin hob der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juni 2016 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 6. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2014 und die naturschutzrechtliche Befreiung vom 30. Juli 2013 unter Hinweis auf § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG auf. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Prüfung des Antrags habe zwar ergeben, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung sowie für die Befreiung vorgelegen hätten. Jedoch sei nach dem Hinweis des Verwaltungsgerichts davon auszugehen, dass das naturschutzrechtliche Befreiungsverfahren in das immissionsschutzrechtliche Verfahren hätte einkonzentriert werden müssen, wonach alle diesbezüglichen entscheidungserheblichen Erwägungen zum Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren nach § 10 BImSchG hätten gemacht werden müssen. Eine - erneute - inhaltliche Sachentscheidung über den Antrag ist dem Rücknahmebescheid vom 14. Juni 2016 nicht zu entnehmen.

Der Kläger akzeptierte die Rücknahme der Bescheide und erklärte mit Schreiben vom 15. Juni 2016 Rechtsmittelverzicht.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2016 teilte der Kläger mit, dass er seinen Antrag aus dem Jahr 2010 aufrechterhalte und die immissionsschutzrechtliche Genehmigung - erneut - erteilt bekommen wolle.

Mit E-Mail vom 1. August 2016 erwiderte der Beklagte, keine Möglichkeit zu sehen, aufgrund der vorhandenen Antragsunterlagen erneut zu entscheiden. Der Kläger müsse einen neuen Antrag stellen. Hierauf informierte der Kläger den Beklagten telefonisch, dass er den Rechtsmittelverzicht hinsichtlich der Rücknahme der begünstigenden Verwaltungsakte im Klageverfahren nur erklärt habe, um den ursprünglichen Antrag zu retten und das bisherige Verfahren weiterzuführen, damit der Beklagte über den ursprünglichen Antrag erneut entscheiden könne. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 erklärte der Kläger, dass eine neue Antragstellung nicht möglich sei. Er bat weiterhin um erneute Bescheidung seines ursprünglichen Antrags. Mit Schreiben vom 10. November 2016 teilte der Beklagte mit, dass sämtliche in der Angelegenheit geführte Verfahren mittlerweile als beendet anzusehen seien. Es gebe deshalb kein offenes Verfahren mehr, in dem ein Bescheid ergehen könne oder in dem noch eine Sachentscheidung ausstehe. Um für das ursprünglich geplante Vorhaben eine Genehmigung zu erhalten, müsse ein neuer Antrag gestellt werden.

Unter dem 1. Dezember 2016 forderte der Kläger den Beklagten zur Anerkennung von Amtshaftungsansprüchen auf, hilfsweise zur Erklärung eines Verjährungsverzichts. Im Anschluss daran prüfte der Beklagte das Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs intern und vermerkte im Verwaltungsvorgang, dass die Aufhebung des Genehmigungsbescheids dazu dienen sollte, dem Kläger die Chance auf eine rechtssichere Genehmigung zu verschaffen, was sich später als unmöglich herausgestellt habe, da das Verfahren „höchstwahrscheinlich“ durch die Aufhebung „aufgehoben“ worden sei (Bl. 28 des Verwaltungsvorgangs). Mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 erklärte der Beklagte den Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis einschließlich 31. Dezember 2017.

Am 9. Januar 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Ansicht, dass über seinen Antrag aus dem Jahr 2010 nach Rücknahme der Genehmigung sowie der Befreiung erneut entschieden werden müsse. Durch die Rücknahme der verfahrensfehlerhaften Genehmigung habe sich das Antragsverfahren nicht erledigt. Die Rücknahme führe auch nicht zu einer Rücknahme des Antrags und lasse das Sachbescheidungsinteresse nicht entfallen. Entscheidend sei, dass dem Beklagten Verfahrensfehler unterlaufen seien, die es erforderlich machten, das Verfahren in rechtmäßiger Form zu wiederholen. Er, der Kläger, könne ein gesetzmäßiges Verwaltungsverfahren verlangen, schon aus dem Aspekt der Folgenbeseitigung ergebe sich der Anspruch, das Verfahren in das Stadium vor Begehung der Verfahrensfehler zu versetzen und ordnungsgemäß weiterzuführen. Für ihn sei es ausgeschlossen, einen neuen Antrag zu stellen, da sich mittlerweile die rechtlichen Grundlagen geändert hätten und eine Genehmigung danach nicht mehr in Betracht komme. Für ihn sei die Sache deshalb von existenzieller Bedeutung.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung der begehrten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 30. Juni 2010 - erneut - zu entscheiden,

hilfsweise festzustellen, dass sich das Antragsverfahren zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zum Halten oder zur Aufzucht von Geflügel und eines Blockheizkraftwerks aus dem Jahr 2010 nicht erledigt hat, sondern nach wie vor eine Bescheidungspflicht des Beklagten besteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt zur Begründung vor, dass das Verwaltungsverfahren abgeschlossen sei. Eine abschließende Sachentscheidung sei in diesem Verfahren bereits ergangen. Die Sachentscheidung liege in der erteilten Genehmigung. Dieser Verwaltungsakt sei für den Kläger unanfechtbar und damit bestandskräftig geworden. Dass die erteilte Genehmigung zurückgenommen worden sei, ändere nichts daran, dass das ursprüngliche Verfahren bereits abgeschlossen worden sei, weil das Rücknahmeverfahren ein eigenes Verwaltungsverfahren darstelle. Die Ausgleichsansprüche des Betroffenen im Rücknahmeverfahren seien in § 48 Abs. 3 VwVfG abschließend geregelt. Ein Mechanismus, der durch Beginn oder Abschluss eines Rücknahmeverfahrens ein ursprünglich bereits beendetes Verfahren wiederaufleben lasse, werde weder in Literatur noch Rechtsprechung vertreten. Eine Wiederholung des Verfahrens von Amts wegen aufgrund der Rücknahme des ursprünglichen verfahrensabschließenden Verwaltungsaktes sei gesetzlich nicht vorgesehen. Ein Anspruch auf Wiederholung des Verfahrens sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig (I.) und begründet (II.). Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, über seinen Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung - erneut - zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

I.

Die Klage ist als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) in Form einer Verpflichtungsklage als Bescheidungsklage (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) zulässig.

Insbesondere bedurfte es nicht der Durchführung eines Vorverfahrens. Nach § 75 S. 1 VwGO ist die Klage ohne Durchführung des in den §§ 68 ff. VwGO vorgeschriebenen Vorverfahrens zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (Untätigkeitsklage). So liegt der Fall hier.

1. Der Beklagte hat bisher nicht - erneut - sachlich über den Antrag auf Erteilung der begehrten Genehmigung entschieden. Zwar hatte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 6. Januar 2014 die begehrte Genehmigung erteilt und damit über den Antrag entschieden. Diese Genehmigung hat der Beklagte aber in der Folgezeit zurückgenommen; die Entscheidung über den Antrag ist damit entfallen.

Eine neuerliche Entscheidung über den damit wieder zur Entscheidung stehenden Antrag ist nicht ergangen. Eine Sachentscheidung der zuständigen Behörde im Sinne von § 75 VwGO liegt nur dann vor, wenn sich die Behörde sachlich mit dem Antrag bzw. dem Widerspruch befasst und eine abschließende Äußerung zur Hauptsache abgegeben hat (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 31-33). Weigert sich die Behörde, sich mit dem Antrag bzw. dem Widerspruch zu beschäftigen, so liegt keine Entscheidung zur Sache vor, weshalb auch insoweit die Untätigkeitsklage zulässig ist (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 31-33; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 75 Rn. 6). Ebenso wenig liegt eine Sachentscheidung vor, wenn die Behörde das Vorliegen eines Widerspruchs verneint und deshalb keinen Widerspruchsbescheid erlässt oder sie bei einem Antrag auf Erlass eines Zweitbescheids lediglich auf den ersten Bescheid hinweist (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 31-33, unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.3.1968 - V C 3.67 -, DÖV 1968, 496). Dies zugrunde gelegt, liegt eine sachliche Bescheidung des Antrags vom 30. Juni 2010 nicht vor.

a) Der Rücknahmebescheid vom 14. Juni 2016 selbst enthält keine Entscheidung über den Antrag des Klägers. Dies folgt aus einer Auslegung des Rücknahmebescheids. Die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB sind auf öffentlich-rechtliche Erklärungen entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.1.2018 - 8 B 29.17 -, juris Rn. 7; Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 46.12 -, NVwZ 2014, 151, 153). Bei Verwaltungsakten kommt es wie bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (natürliche Auslegung), sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt an. Maßgeblich ist, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der für ihn erkennbaren Umstände verstehen musste. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und ihr objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zu ermitteln (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 C 46.12 -, a.a.O. m.w.N.).

Auf der Grundlage dieser Auslegungsgrundsätze ist dem Rücknahmebescheid keine Entscheidung über den Antrag des Klägers zu entnehmen. Der Beklagte hat sich im Laufe des damaligen Klageverfahrens entschieden, die Genehmigung aufzuheben, um der Klage des NABU abzuhelfen. Der Bescheid beschränkt sich nach seinem eindeutigen Wortlaut auf eine Wiedergabe der Auffassung der Kammer zur Frage der verfahrensfehlerhaft unterlassenen Einkonzentration des naturschutzrechtlichen Befreiungsverfahrens. Davon ausgehend heißt es in dem Bescheid, dass die Rücknahme erfolge, weil die Kammer den Hinweis erteilt habe, dass die Erteilung der Genehmigung an einem absoluten Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG leide. Der Beklagte hat die Rücknahme damit allein auf die formelle Rechtswidrigkeit des Bescheides gestützt, ohne die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit der vom Kläger begehrten Genehmigung überhaupt erneut zu prüfen. Dies wird auch durch den Vermerk des Beklagten bestätigt, wonach die Aufhebung dem Anliegen des Klägers dienen sollte, zu einer rechtssicheren Genehmigung zu gelangen. Der Bescheid enthält keine Ausführungen dazu, welche Auswirkungen die formelle Rechtswidrigkeit der Genehmigung auf die Genehmigungsfähigkeit des klägerischen Vorhabens hat und wie (daher) mit dem Antrag des Klägers zu verfahren ist.

b) Auch die weitere Korrespondenz der Parteien enthält keine Sachentscheidung. In der E-Mail vom 1. August 2016 teilt der Beklagte dem Kläger lediglich mit, dass er keine Möglichkeit sehe, aufgrund der vorhandenen Antragsunterlagen neu zu entscheiden. Hierin liegt keine Entscheidung über den Antrag des Klägers, sondern die Ablehnung, sich mit dem Antrag des Klägers überhaupt zu befassen. Daran hat der Beklagte bis zuletzt festgehalten, indem er - durchweg nicht in Bescheidform - wiederholt darauf hingewiesen hat, sich an einer Befassung mit dem Antrag gehindert zu sehen, da das Verwaltungsverfahren abgeschlossen sei.

2. Ferner gibt es keinen zureichenden Grund für die Untätigkeit des Beklagten. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, einer Entscheidung über den Antrag stehe die Beendigung des mit dem Antrag vom 30. Juni 2010 initiierten Genehmigungsverfahrens durch den Genehmigungsbescheid vom 6. Januar 2014 entgegen. Auf den Status des Genehmigungsverfahrens kommt es schon deshalb nicht an, weil selbst die Beendigung des Verfahrens den Umstand unberührt ließe, dass über den Antrag des Klägers aufgrund der nachträglichen Aufhebung des Genehmigungsbescheids nach wie vor nicht entschieden ist.

Wird - wie hier - ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts geltend gemacht, ist auch ein Verwaltungsverfahren zu eröffnen (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 22 Rn. 23). Zur Eröffnung eines solchen Verwaltungsverfahrens ist der Beklagte nach § 22 S. 2 Nr. 1 VwVfG aufgrund des nach Aufhebung der Genehmigung nicht beschiedenen Antrags verpflichtet.

Dagegen kann sich der Beklagte nicht mit dem Argument verteidigen, über den Antrag sei abschließend entschieden, da er diese abschließende Entscheidung zurückgenommen hat, ohne einen Ausspruch zur Sache selbst zu treffen.

Dass der Beklagte infolge einer Bescheidaufhebung – sei es aufgrund gerichtlicher Entscheidung, sei es aufgrund eigener Aufhebung nach gerichtlichem Hinweis – zur Entscheidung über den damit wieder auflebenden Antrag verpflichtet ist, ergibt sich daraus, dass der materielle Anspruch des Klägers auf Sachentscheidung aufgrund der Aufhebung des Genehmigungsbescheids unerfüllt ist. Wird ein Verwaltungsakt, der auf Antrag ergangen ist, aufgrund gerichtlicher Entscheidung aufgehoben, ist dieser in Folge der Aufhebung unbeschieden (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 151). Die Behörde muss dann nach Maßgabe des materiellen Rechts erneut – unter Beachtung der Bindungswirkung des aufhebenden Urteils (§ 121 VwGO) – über den Antrag entscheiden, wobei Fristen, die der Antragsteller im ursprünglichen Verfahren durch seinen Antrag gewahrt hatte, gewahrt bleiben (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 151).

Nichts anderes gilt, wenn die Behörde der gerichtlichen Aufhebung durch eine Rücknahme des vom Dritten angefochtenen Bescheids zuvorkommt und damit dem Klagebegehren abhilft. So wie die Behörde auf die gerichtliche Aufhebung beschränkt durch die Grenzen der Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO zur Neubescheidung verpflichtet sein kann, ist auf die behördliche Aufhebung hin eine erneute Entscheidung über den Antrag angezeigt, soweit dieser noch offen ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn über den Antrag gerichtlich oder behördlich ausdrücklich oder inzident eine Sachentscheidung getroffen worden ist (so bspw. zu der in der Aufhebung eines Anerkenntnisbescheids des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gleichzeitig enthaltenen Verneinung des Asylanspruchs: BVerwG, Beschl. v. 31.8.1989 - 9 B 318.89 -, juris). Entsprechend der zu den Grenzen der Rechtskraft entwickelten Grundsätze liegt eine solche sachliche Entscheidung über den Antrag und über den damit geltend gemachten Genehmigungsanspruch nicht vor, wenn die Aufhebung lediglich auf einem Formverstoß, einem Mangel im Verfahren oder einem Ermessensfehler beruht (vgl. zu der insoweit beschränkten Rechtskraftwirkung: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 72; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 121 Rn. 81). Damit korrespondiert der fortbestehende Anspruch des Klägers auf Bescheidung seines Antrags (zur vergleichbaren Situation bei Aufhebung eines Sozialleistungsbescheids wegen eines Formfehlers nach § 42 SGB X vgl. BSG, Urt. v. 14.12.1978 - 1 RJ 54/78 -, juris, wonach ebenfalls nach Aufhebung über den Antrag neu zu entscheiden ist.).

3. Der Beklagte hat innerhalb angemessener Frist nicht - erneut - über den Antrag des Klägers entschieden. Die Fristen des § 10 Abs. 6a BImSchG sind überschritten. Der Beklagte hat von der Möglichkeit einer Fristverlängerung nach § 10 Abs. 6a S. 2 BImSchG keinen Gebrauch gemacht.

4. Die Klage ist als sogenannte Bescheidungsklage, § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO, auch im Übrigen zulässig. Da der Beklagte aufgrund der ursprünglich vorgelegten Antragsunterlagen in der Lage war, über den Antrag des Klägers sachlich durch Erteilung einer Genehmigung zu entscheiden, ist davon auszugehen, dass die Unterlagen vollständig sind und eine Entscheidung des Beklagten grundsätzlich zuließen. Dass aufgrund des Zeitablaufs seit Antragsstellung und der dynamischen Betreiberpflichten des Bundesimmissionsschutzrechts für die - erneute - Sachentscheidung aktualisierte Antragsunterlagen einzureichen sind, dürfte nach übereinstimmender Auffassung der Parteien erforderlich sein. Auf die Zulässigkeit der Klage hat dies keine Auswirkungen.

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nicht deshalb, weil der Kläger im Rahmen der Verpflichtungsklage gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO die Verpflichtung des Beklagten hätte begehren müssen, ihm die beantragte Genehmigung erneut zu erteilen. Er kann sich vielmehr gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO zulässigerweise darauf beschränken, den Beklagten zu verpflichten, über seinen Antrag erneut zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht ist nicht gehalten, selbst inhaltlich über den Anspruch auf Genehmigung zu befinden.

Zwar ist dem Beklagten bei seiner Entscheidung über die Erteilung der begehrten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 6 BImSchG kein Ermessen eingeräumt. Einer Beschränkung des Klagebegehrens auf die Prüfung einzelner Genehmigungsvoraussetzungen steht daher grundsätzlich die Pflicht des Gerichtes entgegen, die Sache umfassend spruchreif zu machen (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Etwas anderes gilt indes dann, wenn die Immissionsschutzbehörde die Genehmigung des Vorhabens, ohne seine Vereinbarkeit mit baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften umfassend zu prüfen, wegen eines bestimmten Rechtsverstoßes - etwa mangelnder Konformität mit einzelnen bauplanungsrechtlichen Anforderungen - ablehnt. In einem solchen Fall eines „steckengebliebenen“ Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen - etwa des Immissionsschutz-, des Bauplanungs- und Naturschutzrechts - erstmals im gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung wird darüber hinaus im allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen usw.) erteilt, wofür individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen der Fachbehörde erheblich sein dürften (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.4.1989 - 4 C 52.87 -, NVwZ 1990, 257; ferner Nds. OVG, Urt. v. 15.5.2009 - 12 LC 55/07 -, juris Rn. 31; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 11.5.2005 - 8 A 10281/05 -, juris Rn. 20). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Klageantrag entsprechend auf Neubescheidung beschränkt wird (vgl. OVG Rh.-Pf., Urt. v. 11.5.2005 - 8 A 10281/05 -, a.a.O). So liegt der Fall hier. Der Beklagte hat sich nach der Rücknahme der Genehmigung aus formalen Gründen mit dem Antrag bislang sachlich noch nicht erneut befasst, also die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht durchgeführt und die Genehmigungsvoraussetzungen im Übrigen noch nicht - erneut - geprüft.

II.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Neubescheidung seines Antrags. Der Kläger hat den Beklagten aufgefordert, über seinen ursprünglichen Antrag vom 30. Juni 2010 erneut zu entscheiden. Dieser Anspruch ist bislang nicht erfüllt. Darüber hinaus ist die begehrte Genehmigung nicht offensichtlich zu versagen (vgl. zu dieser Voraussetzung in der Rechtsprechung u.a. Nds. OVG, Urt. v. 15.5.2009 - 12 LC 55/07 -, juris Rn. 31).

Die Aussichtlosigkeit des Antrages ist unter anderem nicht deshalb offensichtlich, weil sich die rechtlichen Grundlagen für die Erteilung der Genehmigung geändert haben und das Vorhaben des Klägers damit möglicherweise nicht mehr zulässig wäre. Nach § 245a Abs. 4 BauGB ist § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in seiner bis zum 20. September 2013 geltenden Fassung anzuwenden, soweit für Zulassungsentscheidungen über Anlagen zur Tierhaltungen, die dem § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB unterfallen, vor Ablauf des 4. Juli 2012 bei der zuständigen Behörde ein Antrag eingegangen ist. So liegt der Fall hier. Der Kläger hat rechtzeitig einen Antrag gestellt. Dieser Antrag ist nach Rücknahme der Genehmigung aus rein formellen Gründen unbeschieden (s.o.). Anhaltspunkte für eine offensichtliche mangelnde Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz sind derzeit nicht erkennbar oder von den Parteien vorgetragen, zumal der Beklagte zunächst die begehrte Genehmigung erteilt hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.