Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.07.2001, Az.: 12 PA 2413/01
Mehrbedarf (Alter); Hilfe zum Lebensunterhalt; Erwerbsunfähigkeit; Schwerbehindertenausweis
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.07.2001
- Aktenzeichen
- 12 PA 2413/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 34561
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2001:0716.12PA2413.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Göttingen - 21.06.2001 - AZ: 2 A 2089/01
Rechtsgrundlagen
- 5 BSHG
- 23 I 1 Nr 2 BSHG
- 4 V SchwbG
Fundstellen
- FEVS 2002, 445-447
- br 2003, 90-91
- info also 2003, 43 (red. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Für die Gewährung des Mehrbedarfs nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG ist auf den Besitz des Schwerbehindertenausweises, nicht aber auf den Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialhilfeträger abzustellen.
Gründe
Dem Zulassungsantrag ist aber deshalb der Erfolg zu versagen, weil er die im angefochtenen Beschluss vertretene Auffassung nicht zu erschüttern vermag, für die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG sei auf den Besitz eines Ausweises nach § 4 Abs. 5 SchwbG mit dem Merkzeichen G abzustellen, nicht aber auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei dem Sozialhilfeträger. Soweit die Klägerin mit ihrem Zulassungsbegehren demgegenüber geltend macht, ein Mehrbedarf wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG sei gem. § 5 BSHG bereits dann anzuerkennen, wenn dem Sozialhilfeträger (durch eine entsprechende Antragstellung) die Umstände bekannt würden unter denen ein Mehrbedarf zugesprochen werden könne, auch seien die Sozialhilfeträger an die Statusentscheidungen der Versorgungsämter bei der Prüfung inhaltsgleicher Tatbestandsvoraussetzungen gebunden, so berücksichtigt sie damit nicht hinreichend, dass der Gesetzgeber nunmehr, d.h. seit der Änderung des § 23 BSHG durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts (v. 23.7.1996, BGBl. I S. 1088), in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG die Gewährung des Mehrbedarfs ausdrücklich von dem Besitz eines Ausweises "nach § 4 Abs. 5 des Schwerbehindertengesetzes mit dem Merkzeichen G" abhängig macht. Damit modifiziert die für die Gewährung eines Mehrbedarfs maßgebliche gesetzliche Vorschrift den allgemeinen Grundsatz des § 5 BSHG, wonach im Regelfall ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen bereits ab dem Zeitpunkt besteht, zu dem dem Sozialhilfeträger (oder den von ihm beauftragten Stellen) die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung vorliegen (§ 5 Abs. 1 BSHG). Anders als im Regelfall, der von § 5 BSHG erfasst wird und bei dem auch eine rückwirkende Gewährung, bezogen auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Sozialhilfeträgers von dem Bedarf des Hilfesuchenden möglich ist (vgl. Roscher, in LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, RdNr. 22 zu § 5), sieht dies die hier interessierende Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 BSHG gerade nicht vor, sondern hebt auf den Besitz eines entsprechenden Ausweises ab.
Hätte der Gesetzgeber auch hier - wie bei der Grundregel des § 5 BSHG - eine rückwirkende Leistungsgewährung ermöglichen wollen, so hätte er dies durch eine entsprechende Formulierung der gesetzlichen Vorschrift zum Ausdruck bringen müssen, die von ihrem Wortlaut her, wie dies der angefochtene Beschluss zutreffende hervorhebt, eine Leistungsgewährung ab Stellung des Antrages (auf Gewährung des Mehrbedarfs nach § 23 Abs. 1 BSHG) bei der Behörde nicht zulässt. Dies ist aber nicht geschehen. Obwohl dem Gesetzgeber bei der Neufassung des § 23 BSHG bekannt gewesen sein musste, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (nebst des Merkmales G) schon wegen der zeitaufwendigen und umfänglichen Prüfungen im Regelfall rückwirkend (wie im Falle der Klägerin) erfolgt, hat er davon abgesehen, als Gewährungsvoraussetzung auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft abzustellen. Vielmehr hat er allein auf den Besitz eines in aller Regel erst später ausgestellten Ausweises abgehoben. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die rückwirkende Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BSHG ausschließen wollte (vgl. hierzu auch Schellhorn, in: Schellhorn/Irasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1998, RdNr. 13, wonach eine rückwirkende Gewährung des Mehrbedarfs nicht möglich ist). Auch der Einwand der Klägerin, die Sozialhilfeträger seien an die Statusentscheidungen der Versorgungsämter gebunden, führt zu keiner anderen Auslegung. Zwar geht auch § 23 Abs. 1 Satz 1 BSHG davon aus, dass den Sozialämtern eine eigene Prüfung der Schwerbehinderteneigenschaft des Hilfebedürftigen nicht zukommt, weil allein auf den Besitz eines entsprechenden Ausweises als ein Tatbestandsmerkmal für die Leistungsgewährung abgestellt wird, aus diesem Umstand und aus der von der Klägerin bezeichneten Bindungswirkung lässt sich aber nichts dazu ableiten, ab wann der Mehrbedarf zu gewähren ist und ob insbesondere eine rückwirkende Gewährung zu erfolgen hat.