Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 02.02.1999, Az.: 5 U 166/98
Ausschluss einer Vorerbschaft und Nacherbschaft durch Vollerbschaftsanordnung im notariellen Testament; Qualifiziertes Auskunftsbegehren durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 02.02.1999
- Aktenzeichen
- 5 U 166/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 29143
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1999:0202.5U166.98.0A
Rechtsgrundlage
- § 2314 Abs. 1 S. 2 u. 3 BGB
Fundstellen
- FamRZ 2000, 62-63 (Volltext mit amtl. LS)
- NJWE-FER 1999, 213
- OLGReport Gerichtsort 1999, 206-207
Amtlicher Leitsatz
Vollerbschaftsanordnung im notariellen Testament schließt Annahme von Vor- u. Nacherbschaft aus - qualifiziertes Auskunftsbegehren trotz zuvor erfolgter privatschriftlicher Auskunft.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege der Stufenklage zur Bezifferung ihres Pflichtteils zunächst Auskunft über den Bestand des Nachlasses nach ihrer 1995 verstorbenen Mutter.
In dem gemeinsamen Testament der Erblasserin und des Beklagten vom 21.03.1974 - Urkundenrolle Nr. 101/74 des Notars S.... C..., D... - heißt es zur Erbeinsetzung:
§ 1
Wir setzen uns gegenseitig als Erben in der Weise ein, dass der Überlebende Vollerbe sein soll.§ 2
Erben des Längstlebenden von uns sind unsere Kinder, und zwarM..., geb. am 14.10.l962
M..., geb. am 12.2.1966
Ersatzerben für unsere Kinder sollen ihre Abkömmlinge nach Maßgabe der gesetzlichen Erbfolge sein.
Auf das vorprozessuale Auskunftsbegehren hat der Beklagte mit Schreiben vom 08.05.1996 Angaben zum unbeweglichen und beweglichen Vermögen einschließlich eigener Werteinschätzungen gemacht, den Pflichtteil nach einer Quote von 1/8 und einem Aktivvermögen von 223.125,00 DM mit 27.890,00 DM errechnet und darauf 13.000,00 DM unter Zurückbehalten eines Betrages in Höhe von 15.000,00 DM wegen von der Klägerin herauszugebenden Nachlassschmuckes gezahlt. Mit Anwaltsschreiben vom 16.10.1996 hat er die Angaben zum Nachlas weiter präzisiert.
Die Klägerin hat diese Mitteilung zum Nachlas für unvollständig gehalten und Auskunft durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses sowie Wertermittlung des Grundbesitzes unter Vorlage von Sachverständigengutachten verlangt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, zu einer weitergehenden Auskunft und zur Einholung von Wertgutachten nicht verpflichtet zu sein.
Das Landgericht hat die Auskunftsklage durch Teilurteil insgesamt abgewiesen. Der Beklagte habe vorprozessual ausreichend Auskunft erteilt, als Nacherbin stehe der Klägerin kein Wertermittlungsanspruch zu und das Verlangen nach einem notariellen Nachlassverzeichnis sei rechtsmißbräuchlich.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr qualifiziertes Auskunftsbegehren insgesamt weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.
Der Beklagte ist auf der ersten Stufe der Pflichtteilsklage gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB verpflichtet, der Klägerin Auskunft über den Wert des Grundbesitzes durch Vorlage von unparteiischen Sachverständigengutachten und den Nachlassbestand durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Nachlassverzeichnisses zu erteilen.
Die rechtliche Beurteilung des Landgerichts, das Testament enthalte eine Vor- und Nacherbeneinsetzung - die dem Wertermittlungsbegehren in der Tat entgegenstehen könnte - trifft nicht zu. Der Testamentswortlaut ist eindeutig. Die von dem Notar gewählte Formulierung, die den Beklagten als "Vollerben" ausweist und die Kinder als Erben des Längstlebenden, lässt ein anderes Verständnis nicht zu. Die Stellung eines in seiner
Verfügungsbefugnis auch bei Annahme weitestgehender Befreiung gegenüber einem Vollerben beschränkten Nacherben ist damit nicht zu vereinbaren. Die in § 3 des Testamentes enthaltenen Vorbehalte für den Längstlebenden (Aussetzung von Vermächtnissen, Anordnung von Testamentsvollstreckungen, Teilungsanordnungen) und die Strafklausel in § 4 im Falle von Pflichtteilsverlangen der Kinder nach dem Erstversterbenden streiten nicht für eine Vor- und Nacherbschaft, sondern sind vor dem Hintergrund der Beschränkungen eines gemeinschaftlichen Testamentes zu sehen und dem Bestreben, dem Längstlebenden die umfassende Rechtsstellung zu verschaffen, die nur durch die angeordnete Vollerbenstellung zu erreichen ist. Dass auch in der Klageschrift auf S. 3 die "Beklagte" (gemeint: die Klägerin) als Nacherbin bezeichnet wird, steht dem nicht entgegen. Diese irrtümliche Bezeichnung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vermag an der wahren Rechtslage nichts zu ändern. Als pflichtteilsberechtigter Nichterbin steht der Klägerin der begehrte Wertermittlungsanspruch zu; auf die Möglichkeit, selbst ein Wertgutachten einzuholen, braucht sie sich nicht verweisen zu lassen.
Das Verlangen nach einem notariellen Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB ist nicht rechtsmissbräuchlich.
Zwar hat der Beklagte in den zwei vorprozessualen Schreiben umfangreich zu dem Nachlassbestand - insbesondere zum Grundbesitz, zum Schmuck aber auch zu dem Nachlas nach dem Großvater und dem Pkw der Erblasserin Stellung genommen und die Existenz von Guthaben verneint. Wenn die Klägerin insoweit weitere Unvollständigkeiten vermutet und behauptet, gibt ihr das keinen Anspruch auf "erneute" Auskunft, vielmehr müsste sie sich diesbezüglich auf die zweite Stufe - der Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit - verweisen lassen; ganz abgesehen davon, dass sie bezüglich des Pkws, der unstreitig wegen der vorherigen Veräußerung nicht mehr zum Nachlas gehörte, und der Verwendungsnachweise für den Umgang mit dem Nachlas nach dem Großvater ohnehin keine weitergehenden Auskunftsansprüche besitzt, die sich nur auf den vorhandenen Nachlas selbst beziehen.
Das macht das qualifizierte Auskunftsbegehren durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses aber nicht rechtsmissbräuchlich. Wie der erkennende Senat stets betont hat, ist es gerade nicht in das Belieben des Auskunftsschuldners gestellt, wie er das Auskunftsbegehren zu befriedigen gedenkt (vgl. nur FamRZ 1993, 857 f). Die Klägerin hat mit ihrem gesamten Schriftverkehr - vorprozessual wie prozessual - durchgängig ihr Streben nach einer vollständigen mit hohen Richtigkeitsgarantien versehenen Auskunft zum Ausdruck gebracht. Sie hat damit dem Beklagten gerade keinen Anlass gegeben, darauf zu vertrauen, sie werde sich auch mit einer einfachen privatschriftlichen Auskunftserteilung zufriedengeben. Darüber hinaus fehlen - wie bereits vorprozessual angesprochen und von der Berufung zu Recht gerügt - jede Angaben des Erben zu dem sog. fiktiven Nachlassbestand mit etwaigen ausgleichspflichtigen Zuwendungen der Erblasserin innerhalb der letzten 10 Jahre. Das qualifizierte Auskunftsbegehren bezieht sich aber auf alle Positionen; es ist daher jedenfalls für den darauf gerichteten gesetzlichen Anspruch unschädlich, wenn der Beklagte einzelne Auskunftspositionen bereits erfüllt hat, solange noch nicht vollständig Auskunft erteilt ist (Senat a.a.O. S. 858).
Weitergehende Anhaltspunkte, die das Auskunftsverlangen als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch von dem Beklagten nicht dargetan.