Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 24.02.1999, Az.: 2 U 272/98

Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises für die Feststellung von Brandursachen; Brandverursachung durch Dacharbeiten als typischer Geschehensablauf; Anscheinsbeweis auf Grund einer Verletzung von Brandverhütungsvorschriften

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
24.02.1999
Aktenzeichen
2 U 272/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0224.2U272.98.0A

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 1999, 220-222

Amtlicher Leitsatz

Feuerversicherung: Anscheinsbeweis für Brandursachen

Gründe

1

Der Anscheinsbeweis erlaubt bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens ohne exakte Tatsachengrundlage. Die Zurechnung erfolgt auf Grund von Erfahrungssätzen, die es ermöglichen, gleichermaßen von einem festgestellten Verhalten auf einen eingetretenen Erfolg wie umgekehrt von einem eingetretenen Erfolg auf dessen Ursache zu schließen (BGH NJW 1991, 230, 231 [BGH 03.07.1990 - VI ZR 239/89]; BGH VersR 1991, 460, 461 [BGH 06.03.1991 - IV ZR 82/90]; BGH NJW-RR 1993, 1117, 1118 [BGH 12.05.1993 - IV ZR 120/92]; BGH ZfS 1997, 49, 50). Der typische Geschehensablauf muss dabei in dem zu beurteilenden Geschehensausschnitt das charakteristische Bild einer Fallgruppe aufweisen, für die eine bestimmte Verkettung von Ursache und Wirkung typisch, d. h. nach allgemein gültigen Erkenntnissen dauernd zu beobachten ist. Dieser Modellcharakter, der insbesondere aus vielfacher Beobachtung und ständiger Erfahrung abgeleitet werden kann, gibt dem zu beurteilenden Sachverhalt die Typik. Ob der Sachverhalt im Einzelfall wirklich typisch ist, kann stets nur auf Grund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (BGH NJW 1996, 1828 [BGH 19.03.1996 - VI ZR 380/94]). Für das Gericht ist bei Vorliegen der Voraussetzungen die Wahrscheinlichkeit, einen dem Erfahrungssatz unterliegenden Sachverhalt vor sich zu haben, so groß, dass eine Abweichung erst einkalkuliert zu werden braucht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Atypik hervortreten. Dass ein solcher typischer Geschehensablauf vorliegt, hat derjenige zu beweisen, der sich auf die Typik beruft. Der konkrete Sachverhalt, um dessen Modellcharakter es geht, muss, sofern er nicht unstreitig ist, vollbeweislich erwiesen sein (BGHZ 7, 198, 201 [BGH 25.09.1952 - III ZR 322/51]; Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., vor § 284 Rdnr. 29).Die Grundsätze des Anscheinsbeweises kommen insbesondere auch dann zur Geltung, wenn es um die Feststellung von Brandursachen geht (BGH VersR 1974, 750; BGH VersR 1980, 532; BGH BauR 1984, 80, 82; BGH VersR 1991, 460, 461 [BGH 06.03.1991 - IV ZR 82/90]; BGH NJW-RR 1993, 1117, 1118 [BGH 12.05.1993 - IV ZR 120/92]; BGH ZfS 1997, 49, 50). Ein Anscheinsbeweis kommt in derartigen Fällen allerdings regelmäßig nur dann in Betracht, wenn der Brand im Einwirkungsbereich der Gefahrenstelle entstanden ist und deshalb unter Berücksichtigung der Gesamtumstände auf einen typischen Geschehensablauf geschlossen werden kann (BGH VersR 1974, 750; BGH BauR 1984, 80, 82; BayObLG VersR 1976, 788, 789). Vorliegend lassen sich die genannten Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis nicht feststellen.

2

1.)

Sämtliche von den Parteien und dem Brandsachverständigen R im Verlauf des Rechtsstreits in Erwägung gezogenen Abläufe der Brandverursachung durch die Dachdeckerarbeiten der Beklagten zu 2) und 3) sind entweder nachweislich unmöglich oder doch dermaßen unwahrscheinlich, dass von einem typischen Geschehensablauf nicht die Rede sein kann.

3

a)

Dass das Dach selbst durch den Brand zumindest nicht wesentlich beschädigt worden ist, ist unstreitig. Der Sachverständige R hat das Dach zudem an der Anschlussfuge zum Altbau, in deren Bereich sich der Brandherd befunden hat, in Augenschein genommen und festgestellt, dass das Dach nicht gebrannt hat, sondern nur die im Dach verlegte PE-Folie hitzebedingt angeschmolzen ist. Entscheidend ist danach, ob der unstreitige Brand in dem unter dem Dach befindlichen Aufstockungsraum durch Dachdeckerarbeiten verursacht worden sein kann, ohne Dass es auf dem Dach selbst zu nennenswerten Schäden gekommen ist.

4

b)

Ausgeschlossen werden kann, Dass durch die im so genannten Klappverfahren durchgeführten Dachdeckerarbeiten Bitumen erhitzt und verflüssigt worden ist, dieses verflüssigte (aber nicht brennende) Bitumen durch die Anschlussfuge zwischen dem Dach des Neubaus und dem Dach des alten Gebäudes getropft ist und im darunter befindlichen Raum den Brand verursacht hat. Zwar steht auf Grund der vor dem Landgericht durchgeführten Zeugenvernehmung fest, Dass die Anschlussfuge nicht geschlossen war und durch diese Flüssigkeiten in den darunter liegenden Raum hätten gelangen können. Wie der Sachverständige R jedoch in seinemGutachten vom 15.06.1998 (vgl. insbesondere Seite 6) dargelegt hat, ist es gleichwohl sehr unwahrscheinlich, Dass Bitumen auf die genannte Art und Weise durch das Dach in den darunter befindlichen Raum geflossen ist. Dagegen spricht insbesondere, dass der Sachverständige bei der Untersuchung des Dachs, bei welcher er dieses im Bereich der Anschlussfuge geöffnet hat, keine Hinweise auf abgetropftes Bitumen gefunden hat. Zudem hat der Zeuge K, der im Auftrag des Privatgutachters B, welcher wiederum im Auftrag der Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 1) den Brandschaden begutachtet hat, am Tage nach der Brandentstehung die Örtlichkeiten besichtigt. Der als Elektrotechniker insoweit zumindest nicht gänzlich sachunkundige Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet, er habe in der Nähe der von ihm als Brandherd bezeichneten Stelle, nämlich der Anschlussfuge im südlichen Bereich des Raums, geprüft, ob Bitumenreste festzustellen seien; derartige Reste habe er weder auf den Blechsicken noch sonst wo gefunden.Selbst wenn jedoch heißes Bitumen herabgetropft sein sollte, wäre dieses nicht geeignet gewesen, einen Brand zu verursachen. Dies gilt selbst dann, wenn unter er Anschlussfuge im neu geschaffenen Raum brennbare, leicht entzündliche Materialien (Folien, Verpackungsmaterial, Wärmedämmungsreste und Papier) sich befunden haben sollten, wie dies der Zeuge J - im Gegensatz zu den Zeugen P, S, M und N - bekundet hat. Denn wie der Sachverständige ausgeführt hat, ist flüssiges Bitumen, welches nicht brennt, nicht geeignet, andere Stoffe zu entzünden (Gutachten vom 18.11.1996, Seite 8). Etwas anderes gilt lediglich für brennendes Bitumen (Gutachten vom 15.06.1998, Seite 6), worauf nachfolgend eingegangen wird.

5

c)

Eine Brandverursachung durch brennendes Bitumen kann ebenfalls - zumindest mit sehr großer Wahrscheinlichkeit - ausgeschlossen werden. Wie der Sachverständige R insbesondere bei seiner Anhörung vor dem Landgericht am 06.10.1998 ausgeführt hat, wird bei einem sachgerechten Erhitzen beim so genannten Klappverfahren die Bitumenbahn nicht in Brand gesetzt. Die Anwendung dieses Verfahrens - so der Sachverständige - sei im vorliegenden Fall auch bei der von den Zeugen beschriebenen offenen Anschlussfuge deshalb nicht zu beanstanden. Ein Brennen der Bitumenbahn auf der Seite, die erhitzt und dann umgeklappt wird, kommt nur in Betracht bei einer stetigen Hitzezufuhr auf einen bestimmten Flammpunkt. Dies ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Der Sachverständige hat dazu angegeben, er würde eine solche Verhaltensweise "schon als vorsätzliche Inbrandsetzung des Dachs betrachten". Konkrete Anhaltspunkte für eine derartige Handlungsweise der Beklagten zu 2) und 3) sind nicht vorhanden.Selbst wenn man aber unterstellt, Dass eine Bitumenbahn entflammt und gleichwohl umgeklappt worden wäre, wären jedenfalls kleine Flämmchen nach dem Umklappen auch bei dem vorliegenden Dachaufbau erloschen. Dies hat der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht am 06.10.1998 ebenfalls im Einzelnen ausgeführt. Unterstellt man gleich wohl auch insoweit wiederum den vom Sachverständigen als sehr unwahrscheinlich betrachteten Fall, Dass eine brennende Bitumenbahn nach dem Umklappen weiter gebrannt hat, hätte sie jedoch nach oben trichterförmig durchbrennen müssen. Für einen solchen Geschehensablauf gibt es keinerlei Anhaltspunkte, und die Klägerin hat ihre in diesem Zusammenhang geäußerte Mutmaßung, die Bitumenbahn sei nach dem Brand ausgetauscht worden, nicht unter Beweis gestellt. Vor allem aber hat der Sachverständige ausgeführt, Dass im Fall der Inbrandsetzung einer Bitumenbahn ein möglicher Brand sich zunächst im Dachbereich ausgebreitet hätte (vgl. Gutachten vom 18.11.1996, Seite 8; Gutachten vom 15.06.1998, Seite 6). Gerade an der zur Brandübertragung von der Dachfläche in den darunter liegenden Raum in Betracht kommen den Anschlussfuge hat es jedoch nicht gebrannt. Dies steht - wie bereits ausgeführt - auf Grund der Feststellungen des Sachverständigen fest (vgl. insbes. Protokoll vom 10.03.1997, Seite 4).

6

d)

Eine Brandverursachung bzw. Brandübertragung durch die im Dach verlegte PE-Folie kann ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Der Sachverständige hat bei seiner Untersuchung des Dachs die im Zeitpunkt des Brands vorhandene Folie vorgefunden und festgestellt, Dass sie nicht gebrannt hat, sondern hitzebedingt nur leicht eingeschmolzen ist (Gutachten vom 18.11.1996, Seite 6; Protokoll vom 10.03.1997, Seite 4; Protokoll vom 06.10.1998, Seite 3). Zwar konnte der Sachverständige nicht ausschließen, dass der vom Dachbereich in den neu geschaffenen Raum herunterhängende Folienteil geschmolzen ist oder sogar gebrannt hat (Protokoll vom 10.03.1997, Seite 2). Eine Entzündung der herunterhängenden Folie durch die Dacharbeiten ist gleichwohl praktisch auszuschließen.Denn der Sachverständige hat ausgeführt (Protokoll vom 06.10.1998, Seiten 3 und 4), Dass er auch im tiefer liegenden Dachbereich keinerlei Brandspuren festgestellt habe und ohne brennendes Material eine Entflammung der Folie auszuschließen sei.Schließlich hat der Sachverständige auch überzeugend dargelegt, Dass das Brandloch in der PVC-Folie (= orangefarbene Europlane), welche im Aufstockungsraum aufgehängt war, keinen Schluss darauf zulässt, Dass der Brand durch die Arbeiten der Beklagten zu 2) und 3) verursacht sein könnte (Protokoll vom 06.10.1998, Seite 4).Insgesamt ist mithin festzustellen, Dass der Sachverständige keinen auch nur theoretisch denkbaren Geschehensablauf einer Brandverursachung durch die Dachdeckerarbeiten ernsthaft für möglich hält. Unter diesen Umständen kann von einem typischen Geschehensablauf, der den Anscheinsbeweis der Verursachung des Brands durch die Beklagten zu 2) und 3) rechtfertigen könnte, nicht die Rede sein.

7

2.)

Ein Anscheinsbeweis zu Gunsten der Klägerin lässt sich vorliegend auch nicht auf Grund einer Verletzung von Brandverhütungsvorschriften bejahen. Allerdings kann die nachgewiesene Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften die Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises rechtfertigen. Derartige Vorschriften enthalten nämlich das Substrat gesammelter Erfahrungen und sind deshalb als abstrakte Erfahrungssätze geeignet, die Gefährlichkeit bestimmter Verhaltensweisen und den Nutzen der vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen aufzuzeigen (BGH VersR 1972, 149, 150; BGH VersR 1983, 440, 441; BGH VersR 1984, 775, 776; BayObLG VersR 1976, 788, 789).Ein Anscheinsbeweis bei der Verletzung von Brandverhütungsvorschriften setzt jedoch voraus, Dass der Brand im Einwirkungsbereich der Gefahrenstelle entstanden ist (BGH VersR 1963, 885, 886; BayObLG VersR 1976, 788). Aus den obigen Darlegungen zu Ziffer 1.) folgt jedoch, Dass der unter dem Dach befindliche Raum, in welchem es gebrannt hat, nicht mehr als Gefahrenbereich der Dachdeckerarbeiten angesehen werden kann, da eine Brandverursachung in diesem Raum ohne Inbrandsetzung des Dachs unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden hat.Im Übrigen haben die Beklagten zu 2) und 3) auch keine Sicherheitsvorschriften verletzt. Die Unfallverhütungsvorschrift der Bau-Berufsgenossenschaft "Schweißen, Schneiden und verwandte Arbeitsverfahren" (VBG 15) ist nicht anwendbar, denn sie bezieht sich nur auf die Bearbeitung metallischer Werkstoffe (VBG 15 § 1). Darum geht es vorliegend nicht.Auch aus der Unfallverhütungsvorschrift der Bau-Berufsgenossenschaft "Allgemeine Vorschriften" (VBG 1) ergibt sich nichts zu Gunsten der Klägerin. VBG 1 § 43 bezieht sich auf die Lagerung von leicht entzündlichen oder selbstentzündlichen Stoffen an oder in der Nähe von Arbeitsplätzen und Maßnahmen in einem genauer definierten feuergefährdeten Bereich. Bei Bitumen wie bei der beschriebenen PE-Folie handelt es sich jedoch schon nicht um solche Stoffe. Dies hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 15.06.1998 (Seite 4) und bei seiner Anhörung am 06.10.1998 (Protokoll Seite 2) dargelegt.Auch die Vorschriften des Merkblatts der Bau-Berufsgenossenschaft "Brandschutz bei Bauarbeiten" vom Oktober 1985 sind nicht verletzt. In Betracht kämen hier allenfalls Nr. 4.2.2.2 oder Nr. 4.2.2.4 des Merkblatts. Auch hier geht es jedoch lediglich um Verhaltensweisen, die eine Brandgefährdung von Sachen im Gefahrenbereich der Arbeiten betreffen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen kann nicht festgestellt werden, Dass der Aufstockungsraum unter dem Dach als Gefahrenbereich bei Durchführung der Dachdeckerarbeiten zu bewerten ist.