Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.02.2002, Az.: 3 B 435/01
ambulante Eingliederungshilfe; Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Autismus; Autismustherapie; Eingliederungshilfe; Einrichtungsträger; einstweilige Anordnung; geeignetes Mittel; geistige Behinderung; gestützte Kommunikation; heilpädagogische Fördermaßnahme; Kostenübernahme; Lebenshilfe; Leistungen zur Teilhabe; sachliche Zuständigkeit; teilstationäre Eingliederungshilfe; teilstationäre Unterbringung; zusätzliche Eingliederungshilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 20.02.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 435/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 42336
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 SGB 9
- § 4 Abs 2 SGB 9
- § 15 SGB 9
- § 55 SGB 9
- § 67 Abs 1 S 1 SGB 9
- § 39 Abs 1 S 1 BSHG
- § 40 Abs 1 Nr 8 BSHG
- § 44 BSHG
- § 93 Abs 2 BSHG
- § 123 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei autistischen Störungen kann ein Anspruch auf eine zusätzliche ambulante Autismustherapie neben einem Anspruch auf teilstationäre Förderung in einer Behinderteneinrichtung bestehen.
2. Dem Hilfeanspruch des Hilfebedürftigen kann nicht entgegengehalten werden, der Träger der teilstationären Förderung sei zur Übernahme der Kosten dieser Therapie verpflichtet, wenn dieser die Kostenübernahme ablehnt.
3. Anzuwendendes Recht bei vor Inkrafttreten des SGB IX entstandenem Eingliederungsanspruch.
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung verpflichtet, die Kosten für eine Autismustherapie durch das Autismus- Therapie- und Beratungszentrum W. im Umfang von wöchentlich zwei Fördereinheiten für einen Zeitraum von sechs Monaten zu übernehmen.
Die Kosten trägt die Antragsgegnerin. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Gründe
I. Der 1959 geborene Antragsteller begehrt eine Kostenzusage der Antragsgegnerin für ambulante Therapiemaßnahmen im Autismus- Therapie- und Beratungszentrum in W. Aufgrund fehlender Sprachentwicklung und ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten hat der Antragsteller keine Schule besucht. Seit 1990 wird er von montags bis freitags für die Dauer von insgesamt 15 Stunden in der Fördergruppe der Lebenshilfe in W. betreut. Hierfür gewährte das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben (NLZSA) Eingliederungshilfe für die teilstationäre Betreuung. Der Antragsteller, der nach amtsärztlicher Feststellung an einer autistischen Störung leidet, soll nach Angaben der Lebenshilfe ab dem 1. Februar 2002 17,5 Stunden und ab 1. April 2002 20 Stunden wöchentlich betreut werden. Eine längere Betreuungszeit scheidet nach Angaben der Lebenshilfe wegen des sehr auffälligen, gestörten und zwanghaften Sozialverhaltens des Antragsstellers aus, da es sonst zu einer zu starken Belastung der übrigen - vier - Gruppenmitglieder kommen würde.
Am 03.02.2001 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten für eine ambulante Autismustherapie durch Mitarbeiter des Vereins zur Förderung autistischer Menschen Regionalverband W. und Umgebung e.V. im Autismus- Therapie- und Beratungszentrum in W.. Mit Gutachten des Amtsarztes der Antragsgegnerin vom 05.03.2001 wurden dem Antragsteller autistisches Verhalten neben geistiger Behinderung attestiert und zunächst befristet für sechs Monate bis zur Erstellung eines Hilfeplanes zwei Therapieeinheiten pro Woche empfohlen, wobei laut vorläufigem Förderplan die Handlungskompetenzen des Antragstellers erweitert werden sollen durch die Anbahnung von zielgerichteten Tätigkeiten bis hin zu vorkonstruierten Arbeitsabläufen. Lebenspraktische, soziale und kommunikative Kompetenzen sollen danach mit der Therapie gefördert und erweitert werden, wobei Ziel der Maßnahmen auch eine eventuelle künftige Unterbringung in einer Wohneinrichtung für Autisten sein soll, wenn die 1933 geborene Mutter des Antragstellers die Betreuung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr gewährleisten kann.
Mit Bescheid vom 19.04.2001 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten für die ambulante Autismustherapie ab und verwies auf ein Rundschreiben des NLZSA vom 14.07.1992 (11/92 Nr. 4306/66). Danach müsse bei Behinderten mit autistischen Störungen, die Anspruch auf Hilfen in teilstationären Einrichtungen hätten, die gesamte erforderliche Hilfe vom Träger der teilstationären Einrichtung erbracht werden. Seien wegen Autismus besondere ergänzende heilpädagogische Fördermaßnahmen erforderlich, so müssten diese durch eigene Personal- und Sachmittel der Einrichtung oder aber durch Inanspruchnahme Dritter (z.B. der Autistenambulanz) auf Kosten der Einrichtung sichergestellt werden. Da dem Antragsteller nach dem amtsärztlichen Gutachten zwei Therapieeinheiten pro Woche zugesprochen worden seien, sei die Umsetzung mit der Lebenshilfe W. abzustimmen. Eine Durchschrift dieses Schreibens wurde der Lebenshilfe W. übersandt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch seine Mutter als Betreuerin, mit Schreiben vom 12.05.2001 Widerspruch mit der Begründung, dass nach einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Lebenshilfe von dort eine Kostenübernahme für die Therapie in der Autismusambulanz nicht gewährt werden könne. In der Folgezeit fanden Gespräche u.a. mit der Lebenshilfe statt, wobei diese in einem Entwicklungsbericht vom 13.09.2001 mitteilte, dass im Rahmen der beschäftigungstherapeutischen Maßnahmen seit einiger Zeit mit der Methode der "Gestützten Kommunikation" mit dem Antragsteller gearbeitet werde. Dieser Kommunikationsmethode gegenüber zeige sich der Antragsteller sehr zugänglich und arbeite bereitwillig mit. Es sei beobachtet worden, dass er während des "Stützens" in seinem Verhalten ruhiger geworden sei.
Mit Bescheid vom 07.11.2001 wies das NLZSA den Widerspruch des Antragstellers zurück. Zur Begründung verwies das NLZSA darauf, dass dann, wenn ein Behinderter Anspruch auf Hilfe in teilstationären oder stationären Einrichtungen habe, grundsätzlich vom Träger der jeweiligen Einrichtung die gesamte erforderliche Hilfe sichergestellt werden müsse. Wenn wegen einer autistischen Störung besondere heilpädagogische Fördermaßnahmen erforderlich seien, um z.B. überhaupt teilstationäre Hilfe leisten zu können, seien diese integraler Bestandteil der Betreuungsmaßnahmen und müssten über die nach § 93 Abs. 2 BSHG vereinbarte Vergütung abgerechnet werden. Im Übrigen sei für zusätzlich zur teilstationären Betreuung erforderliche Maßnahmen die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers nicht gegeben. Derartige ambulante Maßnahmen der Eingliederungshilfe fielen in die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers.
Dagegen hat der Antragsteller am 05.12.2001 Klage erhoben (3 A 417/01) und am 24.12.2001 Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.
Zur Begründung trägt er vor, dass in der Lebenshilfeeinrichtung kaum die Möglichkeit bestehe, ihn entsprechend seiner Behinderung zu fördern. Spezielle, auf seine Behinderung zugeschnittene Fördermaßnahmen würden nicht erbracht. In dem Autismus- Therapie- und Beratungszentrum sei es aber möglich, den Antragsteller durch Gestützte Kommunikation seiner Intelligenz entsprechend zu fördern. Die Gestützte Kommunikation sei speziell für Menschen entwickelt worden, die nicht in der Lage seien, sich lautsprachlich zu äußern. Der Antragsteller habe in mehreren Schreiben, die er zusammen mit einer Therapeutin geschrieben habe, deutlich gemacht, dass es für ihn furchtbar sei, behindert zu sein und wie glücklich er sei, dass er die Möglichkeit zur Gestützten Kommunikation habe. Ohne die Therapie und ohne die Möglichkeit, auch Familienangehörige mit in die Therapie einzubeziehen, sei es dem Antragsteller nicht möglich, aus seiner derzeitigen Isolation herauszukommen. Der Antragsteller wünsche sich aber, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Diese Möglichkeit könne ihm die Fördergruppe der Lebenshilfe nicht bieten. So werde er dort von besonderen Angeboten ausgeschlossen, z.B. kürzlich von einem Besuch des Figurentheaters. Auch an anderen Freizeitmaßnahmen nehme er nicht teil.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die dem Antragsteller für eine zusätzliche, zwei Therapieeinheiten pro Woche in Anspruch nehmende ambulante Autismustherapie durch das Autismus- Therapie- und Beratungszentrum in W. entstehenden Kosten zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
und bezieht sich auf die Begründung des Ausgangs- und Widerspruchsbescheides. Ergänzend trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Antragsteller aufgrund seiner Behinderung nur in einem kleinen überschaubaren Rahmen stundenweise gefördert und betreut werden könne, wobei die Förderung nur mit Zusatzpersonal möglich sei. Aus den Entwicklungsberichten der Lebenshilfe ergebe sich aber, dass dem Antragsteller auch in der Lebenshilfe eine spezielle Förderung zuteil werde, wobei die Gestützte Kommunikation erst seit einiger Zeit mehr Anerkennung im therapeutischen Bereich finde und sich durchsetze. Es könne auch nicht Aufgabe der Lebenshilfe sein, die Mutter des Antragstellers in der Gestützten Kommunikation zu unterweisen. Zwar integriere die Autismusambulanz Familienmitglieder eher in die Therapie des Betroffenen. Diese Einbeziehung könne aber auch dadurch gewährleistet werden, dass die Mutter des Antragstellers an Elternabenden teilnehme, die die Ambulanz anbiete. Soweit der Antragsteller den Ausschluss von der Teilnahme an Freizeitaktivitäten bemängele, so sei zweifelhaft, ob aufgrund seines Krankheitsbildes und der Verhaltensauffälligkeiten überhaupt die Möglichkeit bestehe, an derartigen Ausflügen teilzunehmen, unabhängig davon, ob diese von der Lebenshilfe oder der Autismustherapie durchgeführt würden.
Bezüglich des am 20.02.2002 durchgeführten Erörterungstermins, in dem der Antragsteller, seine Mutter und die Mitarbeiterinnen der Lebenshilfe und des Autismus- Therapie- und Beratungszentrums gehört wurden, wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und des NLZSA Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Autismustherapie durch das Autismus- Therapie- und Beratungszentrum W. im Umfang von zwei Fördereinheiten wöchentlich als zusätzliche ambulante Maßnahme zu der teilstationären Betreuung in der Lebenshilfe W. glaubhaft gemacht.
Der Anspruch ergibt sich aus §§ 39, 40 in der vor dem 1. Juli 2001 geltenden Fassung des BSHG. Zwar hat der Gesetzgeber die Vorschriften über die Eingliederung Behinderter durch das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (BGBl. I Nr. 27, S. 1046) umfassend neu geregelt und in diesem Zuge u.a. auch die Vorschriften zur Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG (Art. 15 SGB IX) geändert. Nach Art. 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX sind aber auf Leistungen zur Teilhabe (nach dem SGB IX) bis zum Ende der Leistungen oder der Maßnahme die Vorschriften in der vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn der Anspruch vor dem Inkrafttreten des SGB IX entstanden ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn der Eingliederungshilfebedarf ist bereits nach altem Recht entstanden, weil der Antragsteller die Gewährung der Hilfe für die hier streitige Einzeltherapie bereits im Februar 2001 beantragt hat und bereits damals der Hilfebedarf bestand und die Voraussetzungen für eine Hilfegewährung vorlagen (ebenso VG Osnabrück, B. v. 19.07.2001 - 6 B 14/01 -).
Im Übrigen ergibt sich auch bei einer Anwendbarkeit des SGB IX ein Anordnungsanspruch gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. §§ 55, 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, da die Neuregelung durch das SGB IX materiell keine Einschränkungen des Anspruchs auf Eingliederungshilfe enthält.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG a.F. ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Bei dem Antragsteller liegt eine Behinderung vor, die seine Eingliederung in die Gesellschaft wesentlich erschwert. Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob aufgrund des beim Antragsteller vorliegenden spezifischen Störungsbildes von einer geistigen, körperlichen oder seelischen oder einer gleichzeitigen geistigen und seelischen Behinderung auszugehen ist. Denn für den erwachsenen Antragsteller stellt § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG a.F. in jedem Fall die Anspruchsgrundlage für Eingliederungshilfemaßnahmen dar. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Antragsteller jedenfalls autistische Störungsmerkmale aufweist. Auch das im Rahmen des gestellten Antrages auf Übernahme der Kosten für eine Autismustherapie erstellte amtsärztliche Gutachten vom 05.03..2001 bestätigt diese Diagnose. Bei der autistischen Störung handelt es sich um ein in unterschiedlicher Ausprägung vorkommendes, vom Verhalten her definiertes, psychopathologisches Syndrom, dessen Ursachen wissenschaftlich bisher noch nicht in allen Einzelheiten geklärt sind. Bei einer derartigen Erkrankung bestehen komplexe Störungen des zentralen Nervensystems, insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Bei ca. 50 % der Menschen mit einer autistischen Störung ist danach z.B., wie beim Antragsteller, die Sprachentwicklung gestört, ebenso wie die Wahrnehmungsverarbeitung und das Sozialverhalten. Im Unterschied zu Menschen mit einer geistigen Behinderung mit deutlicher Intelligenzminderung sind Menschen mit autistischen Entwicklungsstörungen häufig kontrastierend zu den Verhaltensdefiziten auf anderen Gebieten mit speziellen Fertigkeiten begabt (vgl. Denkschrift zur Situation autistischer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland - 5. Aufl. 2001).
Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe in der Form der beantragten Einzeltherapie liegen vor.
Allgemeine Aufgabe der Eingliederungshilfe ist, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern (vgl. § 39 Abs. 3 BSHG a.F.). Gemäß § 39 Abs. 4 BSHG a.F. wird Eingliederungshilfe gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 39 Abs. 4 BSHG a.F. muss die Aussicht auf Erfolg der Eingliederungsmaßnahme im Zeitpunkt der Gewährung der Eingliederungshilfe bestehen. Dies erfordert eine Prognose, ob die zur Prüfung gestellte Hilfsmaßnahme in Anbetracht der Art und Schwere der Behinderung überhaupt geeignet ist, den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.02.1994 - 5 B 136.93 -).
Nach Ansicht der Kammer geht die Prognose im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unter Berücksichtigung der beim Antragsteller konkret vorliegenden Behinderung dahin, dass eine zusätzliche Einzeltherapie durch Mitarbeiter des Autismus- Therapie- und Beratungszentrums nicht nur grundsätzlich geeignet, sondern gerade im Fall des Antragstellers ein zusätzliches Mittel ist, um die Folgen seiner Behinderung zu mildern und ihn im Rahmen seiner Möglichkeiten in die Gesellschaft einzugliedern. Die grundsätzliche Geeignetheit der angestrebten Autismustherapie ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin mit dem Autismus- Therapie- und Beratungszentrum W. auf der Grundlage der "Standards für die Arbeit in Ambulanzen und Therapiezentren für Menschen mit Autismus" eine Vereinbarung gemäß § 93 BSHG für nicht teilstationär untergebrachte Personen geschlossen hat . Diese Standards werden auch auf die hier beantragte Autismustherapie angewandt.
Der Antragsteller hat weiterhin glaubhaft gemacht, dass bei ihm die bisherige teilstationäre Förderung in der Einrichtung der Lebenshilfe in einer Gruppe von insgesamt fünf unterschiedlich Behinderten mit einer Zeitdauer von 15 bzw. 17,5 Stunden wöchentlich allein nicht ausreichend ist, um seinen besonderen autismusspezifischen Förderbedarf und die bei ihm bestehenden Fördermöglichkeiten abzudecken. Wie in dem Erörterungstermin vor der Kammer deutlich wurde, benötigt der Antragsteller z.B. zur Verständigung der Hilfe eines "Stützers" bzw. der Gestützten Kommunikation, um seine Wünsche differenziert gegenüber anderen Menschen äußern zu können. Die Möglichkeit der Förderung der Verständigung in dieser Form besteht derzeit bei der Lebenshilfe noch nicht. Man befindet sich dort mit dieser Kommunikationshilfe in der Anfangsphase. Auch wird dem Antragsteller nach dem Ergebnis des Erörterungstermins von der Lebenshilfe in Folge des bestehenden Personalschlüssels eine seinem spezifischen Störungsbild angepasste Einzeltherapie nicht zusätzlich zu den bisherigen Fördermaßnahmen angeboten. Vor diesem Hintergrund stellt die angestrebte Autismustherapie nach Überzeugung der Kammer neben der für den Antragsteller mangels spezifischer teilstationärer Unterbringungsangebote für Autisten notwendigen teilstationären Betreuung bei der Lebenshilfe eine zusätzliche Eingliederungshilfemaßnahme i.S.v. § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG a.F. dar, die einen eigenständigen Beitrag zur Minderung der Behinderungsfolgen leistet (vgl. für den Fall einer zusätzlichen Eingliederungshilfemaßnahme für eine angemessene Schulbildung Urt. d. Kammer v. 02.07.1999 - 3 A 3856/97 -). Das Gericht bezweifelt nicht, dass die fachlich qualifizierte Betreuung durch die Lebenshilfe W. ebenfalls die Folgen seiner spezifischen Behinderung mildert. Sie geht jedoch davon aus, dass in Anbetracht der sich vor allem im letzten Jahrzehnt fortentwickelten Erkenntnisse zum spezifischen Krankheitsbild des Autismus der Förderbedarf des Antragstellers nicht vollständig durch die Lebenshilfe W. gedeckt wird. Dem Anspruch des Antragstellers kann nicht entgegengehalten werden, es sei im Hinblick auf sein Behinderungsbild zweifelhaft, ob die begehrte Therapie überhaupt geeignet sei, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen, d.h. die Behinderung des Antragstellers zu mildern und seine Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern, z.B. ihm zu ermöglichen, an Veranstaltungen bzw. Gruppenfahrten teilzunehmen. Nach der amtsärztlichen Stellungnahme und dem Ergebnis des Erörterungstermins sowie anhand der vorgelegten Informationen über die Autismustherapie besteht mit einer erstmals spezifisch auf die autistische Störung des Antragstellers zugeschnittenen Therapie nach summarischer Prüfung die Wahrscheinlichkeit, dass die Folgen der Behinderung des Antragstellers gemildert werden, indem z.B. seine Verständigung mit anderen gefördert wird, seine besonderen Fähigkeiten aus diesem Grunde besser erkannt und gestärkt werden können und so auch die ihm erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft verbessert werden kann, ohne dass es entscheidend darauf ankommt, ob z.B. eine uneingeschränkte Teilnahme an Gruppenaktivitäten aufgrund der Therapie erreicht werden kann. Schließlich kann dem Anspruch des Antragstellers nicht entgegengehalten werden, es sei nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe, der Mutter des Antragstellers die Fähigkeit zu vermitteln, sich mit ihrem Sohn im Wege der Gestützten Kommunikation zu verständigen. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er selbst die begehrte autismusspezifische Therapie benötigt, um ihm eine weitergehende Integration in die Gesellschaft durch Erweiterung seiner Handlungskompetenzen zu ermöglichen. Nicht die Förderung der Mutter, sondern die Förderung des Antragstellers selbst durch hierfür fachlich ausgebildete Personen ist Schwerpunkt der begehrten Hilfe. Nicht die Anleitung der Mutter - die sich im Übrigen nach dem Ergebnis der Erörterung durch Besuch von Veranstaltungen selbst um Verständnis und Fortbildung im Umgang mit ihrem behinderten Sohn bemüht -, sondern die Eingliederung des Antragstellers selbst ist danach Ziel der beantragten Maßnahme. Dass bereits eine anderweitige teilstationäre Hilfe bei der Lebenshilfe gewährt wird, steht dem Anspruch des Antragstellers auf zusätzliche Leistungen der Eingliederungshilfe nicht entgegen, wenn diese - wie hier - erforderlich und geeignet sind, um seine spezifische Behinderung zusätzlich zu mildern.
Die Antragsgegnerin kann der Verpflichtung, die Kosten für die zusätzliche Einzeltherapie im Autismus- Therapie- und Beratungszentrum im Wege der Eingliederungshilfe zu übernehmen, nicht entgegenhalten, zur Kostentragung bzw. Gewährleistung dieser Therapie sei nach dem Rundschreiben des Landessozialamtes Nr. 11/1992, Gültigkeitsliste Nr. 4306/66, der Träger der teilstationären Einrichtung verpflichtet. Sind nach den §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 15 EingliederungshilfeVO in der vor dem 01.07.2001 gültigen Fassung bzw. nach § 39 BSHG i.V.m. § 40 Abs. 1 Ziff. 8 BSHG i.V.m. den §§ 55 ff. SGB IX in der ab dem 01.07.2001 geltenden Fassung die gesetzliche Voraussetzung der Eingliederungshilfe wie hier erfüllt, so besteht auf diese Hilfe nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BSHG ein Rechtsanspruch. Nach § 44 BSHG bzw. § 2 BSHG kann diesem Rechtsanspruch nicht entgegengehalten werden, der Antragsteller könne den Bedarf an einer Therapie auf Kosten eines anderen als des Sozialhilfeträgers decken, wenn sich - wie hier - dieser andere Träger weigert, die Hilfeleistung zu erbringen oder zu finanzieren. Der Frage, ob die Lebenshilfe gegenüber dem Träger der Sozialhilfe aufgrund von Vereinbarungen i.S.v. § 93 Abs. 2 BSHG oder gegenüber dem Antragsteller aufgrund des Betreuungsvertrages verpflichtet ist, den Bedarf des Antragstellers an Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer Einzeltherapie bzw. durch Gewährung von Einzeltherapie zu decken, muss deswegen in diesen Verfahren nicht nachgegangen werden (vgl. hierzu auch VG Osnabrück, 6. Kammer, B. v. 19.07.2001 - 6 B 14/01), da ein solcher Anspruch jedenfalls kein bereites Mittel im Sinne von § 2 Abs. 1 BSHG darstellt.
Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, die Kosten für die zusätzliche ambulante Betreuung zu übernehmen. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung des Trägers der Sozialhilfe, in welcher Form und in welchem Maß Eingliederungshilfe zu gewähren ist, nach § 4 Abs. 2 BSHG um eine Ermessensentscheidung. Die Regelung des § 40 BSHG gewährt nämlich im Grundsatz keinen Anspruch auf eine konkrete Maßnahme (BVerwG, Urt. v. 2. September 1993 - 5 C 50.91 - BVerwGE 94, 127, 133; VGH Mannheim, Urt. v. 18. Dezember 1996 - 6 S 2598/94 - Behindertenrecht 1997, 164 ff.). Das der Behörde eingeräumte Ermessen ist aber durch die sich aus § 39 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BSHG a.F. folgende Rechtspflicht bestimmt und begrenzt, im Einzelfall solche Maßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf die Person des Hilfesuchenden, die Art und Schwere seiner Behinderung am besten versprechen, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe, dem Behinderten eine Eingliederung zu ermöglichen, und die in § 39 Abs. 3 Satz 2 BSHG a.F. beschriebenen Einzelziele so weit wie möglich und nachhaltig erfüllt werden können (BVerwG, Urt. v. 31. August 1995, Buchholz § 40 BSHG Nr. 19 Seite 8/9). Unter Berücksichtigung dieser Zielsetzungen kommt vorliegend nur eine zusätzliche Autismustherapie in Betracht.
Der Antragsteller hat im summarischen Verfahren auch glaubhaft gemacht, dass der Umfang der begehrten Therapieeinheiten (zweimal wöchentlich) zur Bedarfsdeckung sozialhilferechtlich anzuerkennen ist. Dies ergibt sich aus der amtsärztlichen Stellungnahme vom 05.03.2001 auch im Hinblick darauf, dass bei dem Antragsteller, der bereits 41 Jahre alt ist, bisher eine autismusspezifische Therapie noch nicht erfolgt ist.
Damit sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang erfüllt. Wegen des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und des noch nicht konkret für den Antragsteller erstellten Förderplanes hält die Kammer die Übernahme der Kosten für die Autismustherapie in Übereinstimmung mit dem amtsärztlichen Gutachten für zunächst sechs Monate für gerechtfertigt.
Der Antragsteller hat auch einen entsprechenden Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Regelung ist notwendig, um effektiven Rechtsschutz zu gewähren, weil die durch das Abwarten auf eine Hauptsacheentscheidung eintretende Verzögerung bei der spezifischen Förderung für den Antragsteller nicht zumutbar wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.