Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.02.2002, Az.: 6 A 169/01

Abschiebung; Abschiebungsandrohung; Staatenlosigkeit; subjektive Rechtsverletzung; Syrien; ungeklärte Staatsangehörigkeit; Zielstaat; Zielstaatsbezeichnung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
06.02.2002
Aktenzeichen
6 A 169/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42326
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kann bei ungeklärter Staatsangehörigkeit die Zielstaatsbestimmung in der Abschiebungsandrohung unterbleiben, so führt die Angabe eines letztlich nicht erreichbaren Zielstaats ebenfalls nicht zu einer Rechtswidrigkeit.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können eine vorläufige Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind eigenen Angaben zufolge Kurden yezidischer Religions- und ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem Nordosten von Syrien. Sie reisten nach eigenen Angaben am 19.11.1998 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 27.11.1998 ihre Anerkennung als Asylberechtigte, wobei sie zur Begründung im Wesentlichen vortrugen: 

2

Sie stammten aus dem Dorf T., in dem zum Zeitpunkt ihrer Ausreise noch 30 yezidische und zwei moslemische Familien gelebt hätten. Sie hätten gepachtetes Land bewirtschaftet. Wehrdienst habe der Kläger zu 1. nicht geleistet. Sie stammten der Scheichfamilie U.-B. und seien in der Gegend als religiöse Führer bekannt. Der Kläger sei drei oder viermal von Arabern geschlagen worden. Bereits sein Vater, der etwa 1992 gestorben sei, sei geschlagen worden, weil er in ihrem Dorf die Kawals, die religiösen Sänger, bei ihren Besuchen yezidischer Familien begleitet habe.

3

Mit Bescheid vom 05.03.1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Syrien gegeben seien.

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Gegen diesen zugestellten Bescheid erhob der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Klage vor dem VG Braunschweig (6 A 13/00). Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.06.2001 nahmen die Kläger, die zu jenem Verfahren beigeladen waren, ihren Asylantrag zurück. Nachdem auch die übrigen Beteiligten die Erledigung des Rechtsstreits erklärt hatten, stellte das erkennende Gericht das Verfahren mit Beschluss vom 26.06.2001 ein.

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Mit Bescheid vom 27.07.2001 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge daraufhin fest, dass das Asylverfahren eingestellt sei (Regelung Nr. 1) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen (Regelung Nr. 2). Außerdem forderte die Behörde die Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung auf und drohte für den Fall, dass dieser Anordnung nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Abschiebung nach Syrien oder in ein aufnahmebereites sonstiges Land an (Regelung Nr. 3).

6

Dagegen haben die Kläger am 08.08.2001 Klage erhoben, mit der sie geltend machen, die Frage ihrer Staatsangehörigkeit sei nicht hinlänglich geprüft worden. Die Abschiebungsandrohung sei rechtswidrig, da sie - wie feststehe - nicht beachtet werden könne. Ergänzend berufen sie sich nunmehr auch darauf, dass der Vater des Klägers zu 1. aus dem Irak stamme, wo noch zwei Schwestern des Klägers leben würden.

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Die Kläger beantragen,

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die Regelung zu Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 27.07.2001 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das erkennende Gericht mit Beschluss vom 05.10.2001 abgelehnt (Az.: 6 B 170/01).

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie der vorangegangenen Verfahren (6 A 13/00 und 6 B 170/01), auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren von Ausländern aus Syrien verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtene Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

14

Nach der Rücknahme des Asylantrages und der daraufhin gemäß § 32 AsylVfG auszusprechende Einstellung des Asylverfahrens, sowie der Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AsylVfG nicht gegeben seien (Regelungen Nr. 1 und 2 des Bescheides vom 27.07.2001) war die streitige Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG auszusprechen.

15

Auch wenn nach den glaubhaften Angaben der Kläger im vorangegangenen Asylverfahren davon ausgegangen wird, dass für sie wegen fehlender syrischer Staatsangehörigkeit auf legalem Weg eine Rückkehr nach Syrien nicht möglich ist, kann dies nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (Urt. vom 29.08.2001 - 6 A 37/00 -; vom 26.09.2001 - 182/2001; in diesem Sinne auch OVG Magdeburg, Urt. vom 27.06.2001 - A 3 S 461/98) nicht zu einer Aufhebung der Abschiebungsandrohung führen, soweit dort gemäß § 50 Abs. 2 AuslG als Zielstaat Syrien aufgeführt worden ist.

16

Für die rechtliche Beurteilung des in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaates ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Ausländer dessen Staatsangehörigkeit besitzt (BVerwG, Beschl. vom 01.09.1998 - 1 B 41/98 - Buchholz 402.240 § 50 AuslG 1990 Nr. 4 m. w. N. ; BVerwG, Beschl. vom 29.06.1998 - 9 B 604/98 - ). Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen nach den §§ 51 und 53 bis 55 steht gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Eine Abschiebungsandrohung unterliegt der Aufhebung nur, soweit (relative) Abschiebungshindernisse im Sinne von § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 AuslG zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestanden haben (BVerwG, Urt. vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249, 257; Beschl. vom 01.09.1998, aaO). Das Vorliegen von Duldungsgründen im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG begründet lediglich ein für die Abschiebungsandrohung rechtlich unerhebliches sonstiges Abschiebungshindernis (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. vom 25.07.2000 - 9 C 42/99 -, AuAS 2001, 3; Beschl. vom 01.09.1998, aaO; Beschl. vom 29.06.1998 - 9 B 604/98 - zitiert nach Juris).

17

Selbst wenn etwas anderes - ausnahmsweise - dann angenommen werden müsste, wenn bereits bei Erlass der Abschiebungsandrohung feststeht, dass der Ausreisepflichtige nicht in diesen Zielstaat wird (legal) ausreisen können, ergäbe sich im Ergebnis eine andere Beurteilung nicht. Denn in diesem Fall könnte das Bundesamt allein eine objektive Rechtspflicht verletzt haben, die es geboten hätte, die getroffene Zielstaatsbezeichnung zu unterlassen; eine Verletzung subjektiver Rechte des Ausländers wären nicht berührt. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Bundesamt bei Zweifeln über die Herkunft des Ausländers eine Abschiebungsandrohung erlassen darf, in der ein Zielstaat nicht konkret bezeichnet ist. § 50 Abs. 2 AuslG sieht die Bezeichnung des Zielstaates der Abschiebung nur für den Regelfall vor. Zielstaat wird zumeist der Staat sein, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt, bei Staatenlosen der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts; es kann je nach den Umständen des Falles aber auch ein sonstiger zur Aufnahme bereiter oder verpflichteter Drittstaat sein. Ist indes die Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt und - wie wohl regelmäßig - auch ein aufnahmebereiter anderer Staat nicht erkennbar, so liegen besondere Umstände vor, die ein Absehen von der Zielstaatsbezeichnung rechtfertigen. Insbesondere im Asylverfahren ist das Bundesamt als androhende Behörde in derartigen Fällen auch nicht verpflichtet, vor Erlass der Abschiebungsandrohung lediglich zur Ermittlung eines in Betracht kommenden Zielstaates weitere Aufklärung zu betreiben. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 AuslG und § 55 Abs. 2 AuslG obliegt die Klärung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat und die hierzu gegebenenfalls erforderliche Klärung der Staatsangehörigkeit des Ausländers grundsätzlich der abschiebenden Ausländerbehörde (BVerwG, Urt. vom 25.07.2000 - 9 C 42/99 - AuAS 2001, 3). Ist aber die Unterlassung der Zielstaatsbestimmung - ausnahmsweise - möglich, kann auch die Angabe eines letztlich aus rechtlichen Gründen nicht erreichbaren Zielstaates nicht dazu führen, dass Rechte des Ausländers verletzt werden. Die entsprechende Bezeichnung verschlechtert seinen Rechtsstatus nicht, da sie gegenstandslos und auch sonst nicht mit für ihn ersichtlichen negativen Folgen verbunden ist. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der wohl überwiegenden Ansicht (zum Meinungsstand vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Stand September 1999 § 50 Rn. 23; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 1999 § 50 AuslG Rn. 14 c) an, dass es sich bei der Sollvorschrift des § 50 Abs. 2 AuslG lediglich um eine Vorgabe für das Handlungsprogramm der Behörde im Sinne einer Ordnungsvorschrift handelt, subjektive Rechte des Betroffenen insoweit aber nicht verletzt werden können (in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. vom 25.07.2000, aaO). Mit der Regelung in § 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG, wonach die Abschiebungsandrohung als solche selbst dann bestehen bleibt, wenn in ihr rechtswidriger Weise ein Zielstaat benannt ist, in Bezug auf den zwingende Abschiebungshindernisse bestehen, wäre es nicht vereinbar, eine subjektive Rechtsverletzung bereits dann anzunehmen, wenn nur förmlich ein bestimmter Zielstaat bezeichnet wird, obwohl es zulässig gewesen wäre, einen Zielstaat nicht zu bezeichnen.

18

Aus der erstmals im Zuge des Gerichtsverfahrens (andeutungsweise) behaupteten irakischen Staatsbürgerschaft des Klägers zu 1. ergibt sich eine andere Beurteilung schon deshalb nicht, weil das Gericht sich nicht die gebotene Überzeugung hat verschaffen können, dass die diesbezügliche Behauptung zutrifft. Schon deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die diesbezügliche Behauptung überhaupt verfahrenserheblich ist, was ggf. zu verneinen wäre (vgl. dazu OVG Koblenz, Urt. vom 06.02.1998 - 11 A 10716/97, AuAS 1998, 154).

19

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG abzuweisen. Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.