Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.02.2002, Az.: 6 A 230/01

Betäubungsmittel; Betäubungsmittelabhängigkeit; Cannabis; Droge; Drogenkonsum; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; LSD; Marihuana; medizinisch-psychologische Untersuchung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.02.2002
Aktenzeichen
6 A 230/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42330
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Einnahme von sog. harten Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier LSD) führt in der Regel ohne das Erfordernis weiterer Aufklärungsmaßnahmen zum Verlust der Fahreignung, wenn der Drogenkonsum zweifelsfrei feststeht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.090,34 EUR (8.000,-- DM) festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die am ... 1973 geborene Klägerin erhielt im Jahre 1989 eine Fahrerlaubnis der Klasse 5, die im Jahre 1992 auf die Klasse 3 erweitert wurde. Durch eine Mitteilung der Polizeidirektion Braunschweig vom 4. April 2001 erhielt die Beklagte davon Kenntnis, dass gegen die Klägerin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes und der Einnahme von Drogen (LSD und Marihuana) eingeleitet worden war. Die Klägerin musste am 18. März 2001 wegen eines Kreislaufversagens mit einem Rettungswagen in das Krankenhaus gebracht werden, nachdem sie mit ihrem damaligen Verlobten in dessen Wohnung LSD konsumiert hatte. Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Verlobten wurden weitere Betäubungsmittel und Drogenutensilien aufgefunden.

2

Bei ihrer späteren polizeilichen Vernehmung gab die Klägerin an, am 18. März 2001 zum zweiten Mal LSD eingenommen zu haben, nachdem der erste Konsum ein "schönes Erlebnis" gewesen sei. Später sei jedoch ihre Stimmung umgeschlagen, und sie habe sich auf einem Horrortrip gefühlt. Sie konsumiere weder LSD noch Marihuana regelmäßig. Vor einigen Monaten habe sie mit ihrem Verlobten eine Pfeife mit Marihuana geraucht. Davon sei ihnen jedoch schlecht geworden. Ob die bei der Durchsuchung aufgefundenen Diazepam-Tablette ihr gehöre, wisse sie nicht. Dies könne sein, wenn es ein Mittel gegen Migräne sei.

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Am 27. April 2001 stellte die Staatsanwaltschaft Braunschweig das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein, weil nur ein strafloser Beikonsum vorgelegen habe.

4

Mit Verfügung vom 21. Mai 2001 entzog die Beklagte der Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis, weil infolge des Konsums von LSD die Fahreignung nicht mehr gegeben sei. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass sie weder von LSD noch von Marihuana abhängig sei. Sie habe Cannabis lediglich einmal konsumiert und LSD zweimal eingenommen. Unter Drogeneinfluss habe sie ein Fahrzeug nicht geführt. Nach dem Erlebnis vom 18. März 2001 könne davon ausgegangen werden, dass sie keine Betäubungsmittel mehr einnehmen werde. Die Diazepam-Tablette habe ihr nicht gehört. Wie ihr Arzt bescheinigt habe, enthielten die von ihm verschriebenen Migräne-Tabletten einen solchen Wirkstoff nicht.

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Diesen Rechtsbehelf wies die Bezirksregierung Braunschweig durch Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 - zugestellt am 14. September 2001 - als unbegründet zurück. Darin wurde ausgeführt, dass bereits der einmalige Konsum von Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zum Ausschluss der Fahreignung führe.

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Am 15. Oktober 2001 (Montag) hat die Klägerin den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung der Klage trägt sie vor:

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Die Beklagte habe in dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht ausgeführt, dass sie (Klägerin) angegeben habe, diazepamhaltige Migränemittel zu konsumieren. Darüber hinaus sei nicht nachvollziehbar, wie die Behörde zu der Feststellung gelangt sei, dass ein künftiger Drogenkonsum nicht auszuschließen sei. Aufgrund ihrer Erfahrung vom 18. März 2001 habe sie seitdem keinerlei Drogen mehr eingenommen und werde dies auch nie wieder tun. Hinweise auf eine Kombination von Drogen- und Medikamentenkonsum lägen erst recht nicht vor. Die Beklagte hätte deshalb vor einer Entziehung der Fahrerlaubnis zunächst einmal prüfen lassen müssen, ob die Fahreignung nicht mehr gegeben sei. Hierzu sei in der Regel ein ärztliches oder ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen. Allein die Einnahme von Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes rechtfertige es nicht, nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu § 46 FeV die Fahreignung als nicht mehr vorhanden anzunehmen. Der gegenteiligen Auffassung des OVG Koblenz in der Entscheidung vom 21. November 2001 (DAR 2001, 183) sei nicht zu folgen. Soweit der Wortlaut der genannten Vorschrift eine solche Annahme nahe lege, handele es sich um ein Redaktionsversehen des Normgebers. Entscheidend sei die Prüfung des Einzelfalles, die hier zu der Feststellung führe, dass ein Konsum von Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes nur zweimal stattgefunden habe und dass deshalb eine Ausnahme von dem in Nr. 9.1 der Anlage 4 aufgeführten Regelfall vorliege. Die Beklagte habe sich nicht damit auseinandergesetzt, in wieweit eine Ausnahme von dem Regelfall vorliege. Schon deshalb müsse die angefochtene Entscheidung als rechtswidrig aufgehoben werden. Soweit von der Beklagten auf die Symptome solcher Drogen abgestellt werde, müssten diese Wirkungen auch tatsächlich auftreten. Bei zwei zeitlich weit auseinander liegenden Drogeneinnahmen könne dies ohne eine Begutachtung nicht angenommen werden. Die Forderung nach einer Entgiftung und Entwöhnung und einer einjährigen Abstinenzdauer in Nr. 9.5 der Anlage 4 zu § 46 FeV beziehe sich nicht auf Nr. 9.1, sondern nur auf die Nrn. 9.3 und 9.4.

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Die Klägerin beantragt,

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die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Beklagten vom 21. Mai 2001 i.d.F. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 10. September 2001 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie entgegnet:

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Die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid zu der Einnahme von Migränemitteln mit dem Wirkstoff Diazepam seien für die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht entscheidungserheblich gewesen. Maßgeblich sei vielmehr der von der Klägerin eingeräumte zweifache Konsum von LSD. Ein solcher Konsum von Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes führe, wie auch das OVG Koblenz in der Entscheidung vom 21.11.2000 bestätigt habe, im Regelfall zu einem Ausschluss der Fahreignung, ohne dass eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln vorliegen müsse oder zwischen regelmäßiger oder gelegentlicher Einnahme differenziert werde. Der Gesetzgeber habe sich wegen der besonderen Gefährlichkeit der Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes für eine solche strikte Regelung entschieden. Soweit die Klägerin vortrage, derzeit keine Drogen mehr zu konsumieren, könne dieser Umstand allenfalls im Verfahren zu einer Wiedererteilung der Fahrerlaubnis Bedeutung haben. Aufgrund der Angaben der Klägerin habe festgestanden, dass sie zweimal LSD konsumiert habe. Infolgedessen hätten hinsichtlich der fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen Zweifel nicht bestanden, so dass es auch nicht erforderlich gewesen sei, zur Klärung solcher Zweifel ein Gutachten einzuholen. Wegen fehlender Kompensationsmöglichkeiten im Falle eines Konsums von LSD sei eine Begutachtung ebenfalls nicht geboten gewesen. Sonstige Gründe, die Voraussetzungen des in Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung normierten Regelfalls nicht anzunehmen, lägen nicht vor. Es habe durchaus eine Einzelfallprüfung stattgefunden, bei der auch berücksichtigt worden sei, dass die Klägerin Kontakt zu anderen Drogen wie Marihuana gehabt habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dem Gericht haben außerdem die Strafakten 802 Js 17126/01a der Staatsanwaltschaft Braunschweig vorgelegen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

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Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 und 46 FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Diese in den §§ 11 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anlage 4 normierten Eignungskriterien entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen eines Drogengenusses auf die Fahreignung, wie sie in die vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Heft M 115 vom Februar 2000) Eingang gefunden haben. Hiernach entspricht es gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis, dass die Einnahme von LSD (Lysergsäurediethylamid) als Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zum Ausschluss der Fahreignung führt. LSD ist eine halbsynthetische chemische Verbindung, deren Wirkung nach 15 bis 30 Minuten eintritt und bis zu 12 Stunden anhalten kann. Hierbei kommt es zur Abnahme der Konzentrationsfähigkeit, gefolgt von einem Rauschzustand mit kaleidoskopartigen Farbvisionen und einer charakteristischen Hyperakusis. Das Zeitgefühl kann stark verändert oder völlig aufgehoben sein. Bereiche des Unbewussten - oft unangenehme Ereignisse - kehren in das Gedächtnis zurück und können zu Angstzuständen führen. Als physische Wirkung können Tremor und Schwindel, Übelkeit und Brechreiz, Ohrensausen, Blutdruckabfall und Hyperthermie auftreten. In jedem LSD-Rausch kann es infolge einer Verkennung der Situation, einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und der schweren Verwirrtheitszustände zu gefährlichen Zwischenfällen kommen. Die häufigste Komplikation, deren Eintritt und deren Folgen kaum vorhersehbar sind, stellt der sogenannte "Horrortrip" dar. Er führt zu Angstpsychosen und Panikreaktionen. Außerdem kommt es nicht selten - auch lange nach dem Konsum von LSD - zu einem Wiederauftreten der Wirkungen (" flash-back "). Kennzeichnend für den LSD-Missbrauch ist ein Gelegenheitskonsum von Einzeldosen, um ein Höchstmaß an charakteristischen LSD-Wirkungen zu erreichen. Bei LSD kann bereits der einmalige Konsum verhängnisvolle Folgen haben (vgl. hierzu auch: BGH, Urt. vom 01.09.1987, BGHSt 35, 43 m.w.N.).

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Infolgedessen ist der Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes mit Ausnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließt, ohne dass es einer Feststellung bedarf, ob das Betäubungsmittel gelegentlich oder regelmäßig konsumiert wurde (BT-Ds 443/98 S. 262 f.). Liegt hinsichtlich einer solchen Drogeneinnahme lediglich ein Verdacht vor, bedarf es dagegen einer Klärung dieser die Fahreignung betreffenden Zweifel durch die Einholung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 FeV (BT-Ds, aaO.).

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Im Falle der Klägerin stand in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 10. September 2001 fest, dass sie mindestens zweimal LSD konsumiert und außerdem Cannabis geraucht hatte. Ob diese von der Klägerin eingeräumten Drogeneinnahmen hinsichtlich der Anzahl der Wirklichkeit entsprechen, ist durchaus zweifelhaft, weil erfahrungsgemäß Drogenkonsumenten dazu neigen, keinen häufigeren Konsum einzuräumen, als ihnen nachgewiesen werden kann. Dies bedurfte jedoch keiner abschließenden Klärung, weil der von ihr eingeräumte mehrfache Konsum einer sogenannten harten Droge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes die Annahme einer fehlenden Fahreignung rechtfertigt und die Beklagte ihr deshalb zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen hat. Insbesondere angesichts des nicht selten auch mehrere Monate nach dem letzten Konsum von LSD Wiederauftretens der Wirkungen (Psychosen, Verwirrtheit, Halluzinationen, zeitliche und räumliche Desorientierung, gestörte Aufmerksamkeit, Koordinationsstörungen) war die von der Klägerin ausgehende Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer nach dem LSD-Rausch vom 18. März 2001 bis zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch nicht im Sinne einer Wiedererlangung der Fahreignung beseitigt. Die Behauptung der Klägerin, seit dem Ereignis vom 18. März 2001 keine Drogen mehr konsumiert zu haben, rechtfertigt es nicht, eine Ausnahme von dem Regelfall der fehlenden Fahreignung nach dem Konsum der Droge LSD anzunehmen. Einer besonderen Auseinandersetzung hiermit bedurfte es seitens der Behörde deshalb nicht, weil hinsichtlich des wiederholten Konsums einer sogenannten "harten Droge" und der von der Klägerin eingeräumten Neigung, auch andere Drogen (hier: Cannabis) auszuprobieren, das Vorliegen eines Regelfalls der hierdurch ausgeschlossenen Fahreignung augenscheinlich war. Soweit die Klägerin die Anwendung der Regelungen in Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 46 FeV auf ihren Fall unter Hinweis auf das Erfordernis von anerkannten Drogengrenzwerten für die Fahrtüchtigkeit im Strafverfahren bestreitet, verkennt sie, dass für die strafrechtliche Würdigung einer konkreten Tat andere Maßstäbe gelten als im präventiven Bereich des Verwaltungsrechts. Der von ihr für geboten gehaltenen fachärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung bedarf es erst im Zusammenhang mit der zu gegebener Zeit im Rahmen eines Verfahrens zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis durchzuführenden Prüfung, ob die Klägerin bei einer nachhaltigen Abstinenz gegenüber berauschenden Mitteln die Folgen des früheren Drogenkonsums sowie die schädlichen Neigungen zur Einnahme solcher Suchtmittel dauerhaft überwunden hat.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 13, 15 GKG und beläuft sich auf den festgesetzten Wert (früher: 8.000,-- DM), wenn es um die Entziehung einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 geht.