Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.05.1997, Az.: XIII 525/93

Steuerliche Abzugsfähigkeit von wiederkehrenden Leistungen an die Übergeberin im Rahmen eines Grundstücksübertragungsvertrages in voller Höhe als dauernde Last oder nur als Leibrente mit dem Ertragsanteil; Zur Frage einer existenzsichernden Wirtschaftseinheit im Falle der ausschließlichen Übertragung von Grundvermögen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
05.05.1997
Aktenzeichen
XIII 525/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 11155
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0505.XIII525.93.0A

Fundstelle

  • DStRE 1998, 429-431 (Volltext mit amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Bei einer Vermögensübergabe nach Art einer Hof- und Geschäftsübergabe entspricht die Abänderbarkeit der Versorgungsleistungen dem Vertragsinhalt.

  2. 2.

    Ein typischer Versorgungsvertrag nach Art einer Hof- und Geschäftsübergabe ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass eine ertragbringende existenzsichernde Wirtschaftseinheit überlassen wird. Diese Charakterisierung wurde im Wesentlichen durch das bürgerlich-rechtliche Altenteil geprägt.

  3. 3.

    Im Falle der ausschließlichen Übertragung von Grundvermögen ist eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit nur gegeben, wenn das Vermögen Einkünfte zur Bestreitung des Lebensunterhalts in ausreichender Höhe abwirft oder abwerfen kann.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob wiederkehrende Zahlungen an die Übergeberin im Rahmen eines Grundstücksübertragungsvertrages in voller Höhe als dauernde Last oder nur als Leibrente mit dem Ertragsanteil abzugsfähig sind. Streitjahre sind 1991 und 1992.

2

Mit notariellem Übertragungs- und Pflichtteilsverzichtsvertrages vom 06.10.1980 hatte die damals 67 Jahre alte Mutter des Klägers (Kl.) ein Grundstück zu Alleineigentum übertragen. Dieses Grundstück - mit nur einer Wohnung - wurde in den Streitjahren von dem Kl. vermietet, wobei für 1991 ein Überschuß von 6.840,00 DM und für 1992 ein Überschuß von 8.380,00 DM erzielt wurde. "Als Gegenleistung" für die Grundstücksübertragung verpflichtete sich der Kl., seiner Mutter eine lebenslängliche Rente von 600,00 DM monatlich zu zahlen. Die Rente war zahlbar jeweils am 3. Werktag eines jeden Monats, sie wurde als Reallast vereinbart und wertbeständig gesichert. Ferner wurde vereinbart, daß die Rente zur Versorgung der Mutter des Kl. gezahlt werden sollte.

3

Durch schriftliche Verträge am 15.12.1980 und 01.01.1986 ist zwischen dem Kl. und seiner Mutter vereinbart worden, daß die Vertragschließenden entsprechend § 323 Zivilprozeßordnung (ZPO) berechtigt sind, eine Anpassung der wiederkehrenden Leistungen zu verlangen, wenn sich die Verhältnisse wesentlich ändern, die für die Entrichtung der Leistungen, für die Bestimmung der Höhe der Leistungen und der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend waren.

4

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragten die Kl. erstmals, eine dauernde Last in Höhe von jeweils 7.200,00 DM zum Abzug als Sonderausgabe zuzulassen. Das Finanzamt sah die wiederkehrenden Zahlungen - wie in den Vorjahren - als Leibrente an und ließ nur den Ertragsanteil zum Abzug zu.

5

Die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide blieben ohne Erfolg.

6

Dagegen richten sich die Kl. mit ihrer Klage. Sie tragen vor, die Zahlungen an die Mutter stellten eine in vollem Umfang als Sonderausgabe abzugsfähige dauernde Last dar. Dies folge aus der neuen gefestigten Rechtsprechung, wonach sich die für die Annahme einer dauernden Last erforderliche Anpassungsmöglichkeit - ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 323 ZPO - auch aus der Rechtsnatur des Versorgungsantrages ergeben könne. Vorliegend handele es sich um einen typischen Anwendungsfall der neueren Rechtsprechung, insbesondere des X. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) (BFH-Urteile vom 11.03.1992 X R 141/88, BStBl II 1992, 499, BFHE 166, 564, vom 15.07.1992 X R 165/90, BStBl II 1992, 1020, BFHE 168, 561, vom 15.03.1992, BFH/NV 1992, 595, vom 25.03.1992, BFH/NV 1992, 654 [BFH 25.03.1992 - X R 155/88], und vom 15.07.1992, BFH/NV 1992, 817). Das Interesse habe darin bestanden, die Vermögenssubstanz auf die nächste Generation zu übertragen und der bisherigen Eigentümerin eine angemessene Versorgungsleistung zu gewähren.

7

Das Finanzamt (FA) trägt vor, bei den von den Kl. in den Streitjahren an die Mutter geleisteten Zahlungen handele es sich um eine Leibrente, die nur mit dem Ertragsanteil abzugsfähig sei. Aus der neueren Rechtsprechung könne nicht gefolgert werden, daß sich regelmäßig bereits aus der Rechtsnatur eines Versorgungsvertrages dessen Abänderbarkeit ergebe. Im Streitfall sei aus dem Übergabevertrag vom 06.10.1980 die Abänderbarkeit der Leistungen nicht ersichtlich.

8

Die Beteiligten haben nach § 90 Abs. 2 FGO auf mündliche Verhandlung verzichtet und haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt (§ 79 a Abs. 3 und 4 Finanzgerichtsordnung (FGO)).

Gründe

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Die Klage ist unbegründet.

10

Die von den Kl. übernommene Rentenverpflichtung stellt eine Versorgungsleibrente dar, die nur mit ihrem Ertragsanteil zu Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Einkommensteuergesetz (EStG) führt.

11

1.

Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften im Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG). Dauernde Lasten dürfen in vollem Umfang abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 EStG). Leibrenten können - nach näherer Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 2 EStG - nur mit dem Ertragsanteil berücksichtigt werden, der sich aus der in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG aufgeführten Ertragswerttabelle ergibt.

12

2.

Auch nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 15. Juli 1991 GrS 1/90, BStBl II 1992, 78, BFHE 165, 225, liegt eine Leibrente vor, wenn die in sachlichem Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe vereinbarten Leistungen gleichbleibend sind; dagegen führen abänderbare Leistungen zur dauernden Last. Ohne direkten Bezug auf § 323 ZPO kann sich die Abänderbarkeit auch aus der Rechtsnatur des Übergabevertrages als Versorgungsvertrag ergeben. Im Anschluß an den Beschluß des Großen Senats hat der X. Senat die Folgerung gezogen, daß bei einer Vermögensübergabe nach Art einer Hof- und Geschäftsübergabe die Abänderbarkeit der Versorgungsleistungen dem Vertragsinhalt entspricht (BFH-Urteil vom 11. März 1992 X R 141/88, BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499). Ein typischer Versorgungsvertrag nach Art einer Hof- und Geschäftsübergabe ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, daß eine ertragbringende existenzsichernde Wirtschaftseinheit überlassen wird (BFH-Urteile vom 11. März 1992 in BFHE 166, 564; vom 15. Juli 1992 X R 165/90, BFHE 168, 561, BStBl II 1992, 1020; Schmidt/Heinicke, EStG, § 22 Anm. 81). Diese Charakterisierung wurde im wesentlichen durch das bürgerlich-rechtliche Altenteil geprägt. Wesentlich für den Altenteilsvertrag ist das Nachrücken der nachfolgenden Generation in eine die Existenz - wenigstens teilweise - begründende Wirtschaftseinheit, wodurch sich eine Verknüpfung der beiderseitigen Lebensverhältnisse daraus ergibt, daß das Versorgungsbedürfnis notwendige Folge der Übertragung des existenzsichernden Vermögens ist (BFH-Urteil vom 11. März 1992 in BFHE 166, 564).

13

Im Streitfall ist der Übergabevertrag vom 6. Oktober 1980 einem Altenteilsvertrag nicht vergleichbar. Das dem Kl. überlassene Grundstück stellt keine existenzsichernde Wirtschaftseinheit dar. Bislang hat die Rechtsprechung eine die Existenz - wenigstens teilweise begründende - Wirtschaftseinheit nur bei der Übertragung von Mehrfamilienhäusern anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 22. Januar 1992 X R 205/87, BFH/NV 1992, 513, vom 8. April 1992 X R 48/90, BFH/NV 1993, 10). Daraus ist nach Auffassung des Gerichts zu schließen, daß eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit im Falle der ausschließlichen Übertragung von Grundvermögen nur gegeben ist, wenn das Vermögen Einkünfte zur Bestreitung des Lebensunterhalts in ausreichender Höhe abwirft oder abwerfen kann. Dies ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Überschüsse aus Vermietung und Verpachtung des übertragenen Vermögens beliefen sich in 1991 auf 6.840,00 DM und in 1992 auf 8.380,00 DM. Diese Beträge reichen nicht aus, um auf Seiten des Kl. als Vermögensübernehmer eine die Existenz begründende Wirtschaftseinheit anzunehmen. Mit einer erheblichen Steigerung der Überschüsse kann nicht gerechnet werden, da das Haus nur über eine vermietbare Wohnung verfügt.

14

Bei der Beurteilung der existenzsichernden Wirtschaftseinheit setzt sich das Gericht nicht in Widerspruch mit der Rechtsprechung des Großen Senats vom 5. Juli 1990 (GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C. II. 1. c), wonach bei Versorgungsleistungen typisch ist, daß sich der Vermögensübergeber in Gestalt von Versorgungsleistungen typischerweise Erträge seines Vermögens vorbehält, die nunmehr allerdings vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen. Zwar mögen die Überschüsse aus Vermietung und Verpachtung im großen und ganzen ausreichen, die vereinbarten Versorgungsleistungen abzudecken. Jedoch ist diese Erwägung vorliegend unbedeutend, weil sie allein darauf abzielt, Versorgungsleistungen von Unterhaltsleistungen abzugrenzen. Für die Abgrenzung der Leibrente von der dauernden Last bleibt entscheidend, ob sich aus dem Inhalt des Versorgungsvertrages unter Berücksichtigung der Zielsetzung von Hof- und Betriebsübergaben eine Abänderbarkeit ergibt. Und für diese Beurteilung ist allein maßgebend, ob eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit übertragen wurde. Würde man bei der Übertragung eines Hausgrundstückes mit nur einer vermieteten Wohnung eine derartige Wirtschaftseinheit annehmen, so entspricht dies nicht mehr der Grundidee des "Altenteils". Charakteristisch dafür ist, daß das Bewirtschaften von Hof/Betrieb einen Aufwand an Zeit und persönlicher Arbeitsleistung erfordert, der nur bis zum Erreichen einer selbstgewählten Altersgrenze erbracht werden soll (BFH-Urteil vom 27. Februar 1992 X R 136/88, BFHE 167, 375, BStBl II 1992, 609). Dies kann man auf das Unterhalten und Vermieten von Mehrfamilienhäusern noch übertragen, nicht jedoch auf ein Einfamilienhaus.

15

Auch die von den Kl. zitierte Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis. Der BFH hat in den Urteilen vom 11. März 1992 X R 3/85, BFH/NV 1992, 592, vom 25. März 1992 X R 38/86, BFH/NV 1992, 595, und vom 11. März 1992 X R 141/88, BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499, existenzsicherndes Vermögen angenommen, weil neben der Übertragung des Grundstücks noch ein Betrieb bzw. ein Geschäftsanteil übertragen wurde.

16

3.

Auch die Ergänzungsvereinbarung, wonach der Kl. mit seiner Mutter nachträglich die entsprechende Anwendung von § 323 ZPO vereinbart haben, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Bislang hat der BFH noch nicht entschieden, ob durch eine nachträgliche Änderung des Übergabevertrages eine Leibrente mit ex-nunc-Wirkung in eine dauernde Last "umgewandelt" werden kann (Beschluß des Großen Senats vom 15. Juli 1991, unter C. I. 4 c). Nach Auffassung des Gerichts ist dies nicht möglich (vgl. auch Schmidt/Heinicke, EStG, § 22 Anm. 35). Entscheidend ist der Wille im Zeitpunkt des Abschlusses des Übergabevertrages. Sofern eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 323 ZPO fehlt und sich auch aus der Rechtsnatur des Übergabevertrages als Versorgungsvertrag nicht die Abänderbarkeit ergibt, scheidet auch für die Zukunft eine Berücksichtigung der Versorgungsleistungen als dauernde Last aus. Im übrigen führt die Bezugnahme auf § 323 ZPO nicht ohne weiteres dazu, daß die vereinbarten wiederkehrenden Leistungen als dauernde Last zu beurteilen sind. Ob eine dauernde Last oder eine Leibrente gegeben ist, muß vielmehr die Berücksichtigung aller Umstände bei der Auslegung der Vereinbarungen ergeben (BFH-Urteil vom 17. Dezember 1991 VIII R 80/87, BFHE 167, 344, BStBl II 1993, 15).

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.