Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 16.06.2004, Az.: 6 A 2321/03
Vorliegen von Gründen, die ein Abschiebungsschutz eines Asylsuchenden rechtfertigen; Anforderung für das Vorliegen einer politischen Verfolgung des Asylsuchenden; Anforderungen an ein Abschiebungshindernis für einen Ausländer, der in seinen Heimatstaat zurückkehren soll; Faktische Gefährdung an die Rückkehr in den Heimatstaat für einen Ausländer
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 16.06.2004
- Aktenzeichen
- 6 A 2321/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 15224
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0616.6A2321.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 AuslG
- Art. 16a Abs. 1 GG
- § 53 AuslG
- § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG
Verfahrensgegenstand
Asyl, §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
Prozessführer
Herr A.,
Herr B.,
Staatsangehörigkeit: irakisch
Prozessgegner
Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
- Außenstelle Oldenburg -, Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg
Sonstige Beteiligte
Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten,
Rothenburger Straße 29, 90513 Zirndorf
Redaktioneller Leitsatz
Abschiebungsrechtlichen Schutz nach Ausländerrecht genießt grundsätzlich jeder, der im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat dort aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt wäre oder in diesem Land politische Repressalien zu erwarten hätte. Eine Verfolgung ist politisch, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Andersein prägen, gezielt Rechtsgutsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2004
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Wermes
für Rechterkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der am 1. Juli 1968 geborene Kläger yezidischer Religionszugehörigkeit stammt nach eigenen Angaben aus dem Irak.
Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 21. November 2002 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 22. November 2002 meldete er sich in Bielefeld als Asylsuchender.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 02. Dezember 2002 in Oldenburg führte er aus, dass er Vermessungsingenieur sei und zuletzt selbstständig als Maler und Kalligraf gearbeitet habe. Die meisten Aufträge habe er von den Behörden bekommen, die sehr schlecht gezahlt und später die Zahlungen eingestellt hätten. Ein Parteifunktionär, für den er gearbeitet habe, habe nicht gezahlt. Er habe den Parteifunktionär zur Zahlung aufgefordert. Daraufhin seien sowohl sein Sohn als auch er selbst von Verwandten des Parteifunktionärs geschlagen worden. Für den Fall, dass er weiter sein Geld fordere, habe man ihm angedroht, ihn zu deportieren und verschwinden zu lassen. Er solle Aufträge für sie ohne Bezahlung erledigen. Ihm sei es gelungen, dass sie seinen Namen von der Liste der Jerusalem - Armee gestrichen haben. Deshalb habe er noch mehr unentgeltlich für sie arbeiten müssen. Als er am 29. Oktober 2002 im Haus eines Auftraggebers beschäftigt gewesen sei, sei sein Bruder zu ihm gekommen und habe ihm berichtet, sein - des Klägers - Büro sei durchsucht worden. Man habe Schriften und Aufzeichnungen mitgenommen, die er für die Armee hätte anfertigen sollen. Er habe diese Arbeiten mit nach Hause genommen. Dadurch seien seine Auftraggeber - der Kommandant der Kaserne, und der Chef des militärischen Geheimdienstes in der Kaserne - in Gefahr geraten. Man habe ihm vorgeworfen, dass er die Sachen an die Kurden verkaufe. In seinem Büro hätten sich sehr viele Aufzeichnungen und Arbeiten befunden, die er zu Hause angefertigt habe. Dadurch sei er unberechtigterweise in den Verdacht geraten, ein Spion zu sein. Er habe deshalb am 5. November 2002 seine Heimat verlassen.
Mit Bescheid vom 20. März 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG seien nicht gegeben. Ferner wurde der Kläger zur Ausreise aufgefordert und für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung in den Irak angedroht.
Diesen Bescheid hob das Bundesamt mit Bescheid vom 25. März 2003 auf.
Gegen den Bescheid vom 20. März 2003 hat der Kläger mit einem am 28. März 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage (6 A 504/03) erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (6 B 505/03) nachgesucht. In beiden Verfahren erklärten die Beteiligten jeweils die Hauptsache für erledigt. Daraufhin stellte das Gericht die Verfahren mit Beschlüssen vom 15. April 2003 ein.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers erneut als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG seien nicht gegeben. Ferner wurde der Kläger zur Ausreise aufgefordert und für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung in den Irak angedroht.
Dagegen hat der Kläger mit einem am 16. Dezember 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht, den das Gericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. Dezember 2003 (6 B 2322/03) versagte.
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger geltend, dass er als Yezide politisch verfolgt sei. Die Besatzungsmächte hätten die Situation im Irak keineswegs im Griff, sondern beschränkten sich im Wesentlichen darauf, ihre eingenommenen Machtpositionen gegen Partisanenangriffe zu verteidigen. In den Städten und vor allem in den Dörfern werde das Machtvakuum durch lokale Machthabende, vor allem durch moslemische Fundamentalisten gefüllt. In dieser Situation seien die Yeziden wahrscheinlich stärker bedroht als unter dem Saddam - Regime. Die moslemischen Fundamentalisten richteten ihren Zorn vor allem gegen Angehörige von Religionen, die sie für "Ungläubige" halten, vor allem gegen die Yeziden. Auch die von den USA eingesetzte Übergangsregierung könne den Yeziden keinen wirksamen Schutz gewähren. In dieser Übergangsregierung seien zwar Angehörige verschiedener Religionen vertreten, jedoch kein einziger Yezide.
Weder die irakische Übergangsregierung noch die Besatzungsarmeen hätten bislang verhindern können, dass religiöse Fundamentalisten gegen Yeziden vorgehen und diese Gruppe einem kollektiven Verfolgungsdruck aussetzen. In den letzten Wochen sei von einem Anschlag auf ein yezidisches Dorf berichtet worden, bei dem das Grundwasser vergiftet worden sei. Zwischen 300 und 400 Menschen hätten sich stationär behandeln lassen müssen. Die Vermutungen gingen dahin, dass dieser Anschlag auf religiöse Fundamentalisten zurückzuführen sei, die an anderen Orten zur Tötung von Yeziden aufgerufen hätten. Es sei zu Anschlägen auf yezidische Geschäfte in verschiedenen Orten gekommen. Es würden Attentate auf Yeziden verübt. Zahlreiche Yeziden seien bereits von Islamisten getötet worden. Es seien auch yezidische Frauen entführt worden. In Mossul und Kirkuk seien Yeziden vermutlich von islamistischen Gewalttätern ermordet worden, weil sie Alkohol ausgeschenkt hätten.
Die derzeitige Situation der Yeziden im Irak unterscheide sich deshalb nicht von der der Yeziden in der Türkei, die nach allgemein anerkannter Auffassung gruppenverfolgt seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Dezember 2003 bezüglich der Ziffern 2, 3 und 4 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG,
hilfsweise
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.
Am 16. Juni 2003 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Diesbezüglich wird auf die Niederschrift vom Verhandlungstag verwiesen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten zu diesem Verfahren sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und des Landkreises Verden Bezug genommen.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Abschiebungsrechtlichen Schutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG genießt grundsätzlich jeder, der im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat dort aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt wäre oder in diesem Land politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfG, Beschluss vom 2. 7. 1980 - 1 BvR 147/80 -, BVerfGE 54, 341 ff.). Hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und der Qualifizierung als politische Verfolgung entsprechen sich Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG. Eine Verfolgung ist politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsgutsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Für die Beurteilung, ob die Gefahr politischer Verfolgung besteht, gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob ein Asylsuchender seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139, 140 f. [BVerwG 15.05.1990 - 9 C 17/89] [= InfAuslR 1990, 312]; Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 72.90 -, BVerwGE 87, 141; BVerfGE 80, 315, 344).
Ist der Einzelne wegen bestehender oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung im Heimatstaat oder in einem von diesem beherrschten oder mit ihm verbundenen Drittstaat ausgereist und damit vorverfolgt und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb des Heimatstaates in andere Landesteile unzumutbar, genießt er Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt fortbestehen. Gleiches gilt, wenn die fluchtbegründenden Umstände zwar entfallen sind, aber bei einer Rückkehr in den Heimatstaat eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980, BVerfGE 54, 341 ff.). Hat der Ausländer seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, steht ihm das Recht aus § 51 Abs. 1 AuslG nur zu, wenn festgestellt wird, dass ihm wegen nachträglich eingetretener objektiver Veränderungen oder auf Grund selbst herbeigeführter Umstände politische Verfolgung in der Heimat bei objektiver Würdigung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Urteil vom 03.11.1992, BVerwGE 91,150). Abzustellen ist dabei auf eine auf absehbare Zeit ausgerichtete prognostische Zukunftseinschätzung (BVerwG, Urt. v. 26.07.1988, Buchholz 402.25§ 1 AsylVfG Nr. 90) unter zusammenfassender Bewertung des gesamten Lebenssachverhalts einschließlich des persönlichen Umfelds des Betroffenen. Der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit enthält neben dem Element der Eintrittswahrscheinlichkeit auch das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Eingriffs (BVerwG, Urt. v. 14.12.1993, Buchholz 402.25§ 1 AsylVfG Nr. 166). Von einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung ist dann auszugehen, wenn die für die Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991, NVwZ 1992, 582). Eine rein quantitative oder statistische Betrachtung ist dabei nicht angezeigt (BVerwG, Urt. v. 23.07.1991, Buchholz, 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 146); entscheidendes Kriterium ist vielmehr das der Zumutbarkeit. Die Möglichkeit einer Verfolgung muss derart real sein, dass ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr nicht auf sich nimmt, wobei auch die Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissem Umfang zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. v. 05.11.1991, a.a.O.).
Gemessen an diesen Maßstäben droht dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr in den Irak eine politische Verfolgung nicht.
Die vom Kläger vorgetragenen Gründe, die ihn zur Ausreise veranlasst haben, nämlich von den früheren irakischen Sicherheitskräften zu Unrecht als Spion verdächtigt zu werden, existieren bei einer Rückkehr in den Irak nicht mehr. Denn die zum Zeitpunkt seiner Ausreise herrschende Baath - Partei bzw. die damals tätigen Sicherheitskräfte sind derzeit im Irak als staatliche Macht, die politische Verfolgung ausüben könnte, nicht mehr existent.
Das bisherige Regime von Saddam Hussein hat seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20. März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren (vgl. die Ad hoc - Berichte des a.A. über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak vom 30. April 2003, 7. August 2003 und vom 6. November 2003). Die Baath - Regierung unter der Führung Saddam Husseins hat, namentlich nach der Festnahme von Saddam Hussein im Dezember 2003, ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak vollständig eingebüßt.
Am 11. Mai 2003 hat der damalige US- Oberbefehlshaber General Franks die Baath - Partei des gestürzten Präsidenten Saddam Hussein für aufgelöst erklärt (AP vom 11. Mai 2003). Die amerikanisch geführte Zivilverwaltung löste am 23. Mai 2003 die irakische Armee, die Elitetruppe Republikanische Garden und das Verteidigungsministerium auf (FAZ vom 24. Mai 2003; dpa vom 23. Mai 2003).
Anhaltspunkte dafür, dass ein künftiger irakischer Staat die Vergangenheit des Klägers, seine Asylantragstellung bzw. den Auslandsaufenthalt des Klägers zum Anlass für gegen diese gerichtete abschiebungsschutzerhebliche Maßnahmen nehmen könnte, gibt es derzeit nicht.
Als erster Schritt zum Aufbau einer Übergangsregierung wurde am 13. Juli 2003 ein provisorischer, 25-köpfiger Übergangsrat ("Transitory Governing Council" - "majlis al-hukuma al-intiqali") berufen (AA, Ad hoc -Berichte vom 7. August 2003 und 6. November 2003). Seine Mitglieder sollten alle Schichten und Richtungen des Landes abdecken. Ihm gehörten 13 Vertreter der Schiiten, je 5 Sunniten und Kurden sowie jeweils 1 Vertreter der Christen und Turkmenen an. US-Zivilverwalter Bremer behielt bei allen Entscheidungen des Rates ein Veto-Recht. Der Rat sollte u.a. Übergangsminister ernennen, bei der Erstellung des Staatshaushalts mitwirken und das Land nach außen vertreten. Ferner sollte er die Ausarbeitung einer neuen Verfassung mit dem Ziel einer durch allgemeine und freie Wahlen legitimierten Regierung einleiten (AA, Ad hoc - Berichte vom 7. August 2003 und 6. November 2003).
Am 01.Juni 2004 wurde die irakische Übergangsregierung berufen. Der bisherige Vorsitzende des irakischen Regierungsrates Ghasi Maschal Adschil el Jawer, wurde zum Interimspräsidenten gewählt. Der Regierende Rat gab anschließend seine vorzeitige Auflösung bekannt. Die irakische Übergangsregierung soll freie Wahlen im Januar 2005 vorbereiten.
Nach dem einstimmigen Beschluss des UN - Sicherheitsrats am 11. Juni 2004 erhält der Irak am 30. Juni 2004 mehr Souveränität, aber kein Vetorecht über US-geführte Militäreinsätze. In Absprache mit der irakischen Übergangsregierung sind die US-geführten Truppen der Resolution zufolge befugt, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, die zur Sicherheit und Stabilität im Irak beitragen. Die Resolution sieht Wahlen bis Ende Januar 2005 vor und gibt der irakischen Regierung das Recht, jederzeit die internationalen Truppen zum Abzug aufzufordern.
Selbst wenn man unter diesen Voraussetzungen davon ausginge, dass sich in absehbarer Zeit eine irakische Staatsgewalt bzw. irakische quasistaatliche Strukturen, die politische Verfolgungsmaßnahmen veranlassen könnten, bilden, ist derzeit eine politische Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in den Irak nicht zu prognostizieren.
Entgegen der Auffassung des Klägers droht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung in Form der Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak. Eine Gruppenverfolgung der Yeziden kann nach den vorliegenden Erkenntnissen vielmehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
Der vom Kläger vorgetragene Vorfall der Vergiftung des Trinkwassers in einem Dorf in der Nähe von Dohuk, bei dem vorwiegend Yeziden stationär zu behandelnde Vergiftungserscheinungen davontrugen, führt ebenso wenig zu einer Gruppenverfolgung im Irak wie die vom Kläger erwähnten Übergriffe auf Geschäfte von Yeziden.
Nach Angaben aus yezidischen Kreisen sollen die Erkrankungen der Bevölkerung des Dorfes Khank südlich von Dohuk im März 2004 auf eine Vergiftung des Trinkwassers durch Terroristen zurückzuführen sein, die die Yeziden wegen ihrer Religionszugehörigkeit töten wollten. In einem Bericht des IWPR (vgl. nachrichtlich IWPR "Devil-worshippers" Fear Renewed Persecution" vom 15. April 2004) wird erwähnt, dass der Grund für die Erkrankungen von offizieller Seite in einer bakteriellen Verunreinigung des Trinkwassers gesehen werde, die auf mangelnde Hygiene in Teilen des Trinkwassersystems zurückzuführen sei. Es seien nicht alle Teile des Dorfes betroffen gewesen, was der Fall gewesen wäre, wenn man das Wasser - wie behauptet - vergiftet hätte. Die Todesursache des muslimischen Arztes aus dem Dorf habe von der Gerichtsmedizin in Dohuk nicht geklärt werden können.
Auch wenn damit nicht zweifelsfrei feststeht, dass die yezidische Bevölkerung in dem Dorf Khank Opfer eines zielgerichteten Giftanschlags muslimischer Extremisten wurde, ist selbst bei Annahme eines solchen gezielten Anschlags auf die Yeziden in Anknüpfung an ihre Glaubenszugehörigkeit eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak weder landesweit noch regional festzustellen.
Nach dem vom Kläger vorgelegten Bericht der Zeitschrift Publik - Forum leben maximal 500.00 Yeziden im Nordirak. Nach anderen Quellen leben etwa 700.000 bis 1 Million Yezidische Glaubensangehörige im Irak (vgl. Home Office Iraq, country report April 2004; IWPR "Devil-worshippers" Fear Renewed Persecution" vom 15. April 2004). Angesichts der Größe dieser Gruppe erreichen die bislang bekannt gewordenen Vorfälle - abgesehen davon, dass es ihnen an der staatlichen Duldung oder gar Förderung mangelt - nicht die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte.
Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes wurden schwere Zwischenfälle bisher nicht bekannt. Dies gelte für Christen, Yesiden und Sabäer gleichermaßen - auch wenn alle religiösen Minderheiten den Wegfall des staatlichen Schutzes beklagten (Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: April 2004 vom 7. Mai 2004). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht davon aus, dass sich die Situation religiöser Minderheiten seit dem Regimesturz verbessert habe (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Länderanalyse Irak, Die aktuelle Lage 24. Mai 2004 S. 19). Die Übergangsverfassung vom März 2004 garantiere Religionsfreiheit. Im Zuge von systematischen Aktionen und Einzelhandlungen komme es aber weiterhin zu Diskriminierungen oder auch zu gezielten Gewaltakten gegen Angehörige religiöser Gruppen und Minderheiten.
Der Länderbericht des britischen Innenministeriums berichtet davon, dass die Yeziden einen Sitz im Stadtrat von Mossul erlangt hätten und die Aufnahme yezidischen Unterrichts planten. Die religiösen Führer der Yeziden hätten erklärt, dass sie zum ersten Mal an der politischen Macht im Irak beteiligt seien und dass sie eigenen Religionsunterricht in den Schulen, ihre Erwähnung in der Verfassung, die Entsendung von Abgeordneten ins Parlament und Ministerämter in der Regierung gefordert hätten (vgl. Home Office Iraq, country report April 2004).
Der vom Kläger vorgelegte Bericht zeigt zudem auf, dass der einflussreiche Kurdenführer Barzani im Nordirak die Yeziden respektiert, ihre religiösen und kulturellen Institutionen fördert und schützt. Von daher ist eine Gefährdung der Yeziden im kurdisch kontrollierten Norden nicht erkennbar. Aber auch aus den anderen Landesteilen des Iraks, in denen Yeziden leben, sind bislang Übergriffe, die gezielt an die Religionszugehörigkeit der Yeziden anknüpfen, weder in einer Anzahl noch in einer Intensität bekannt geworden, die es rechtfertigen würden, die für eine Feststellung einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte anzunehmen.
Bei dem Kläger liegen Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vor.
Dem Kläger droht im Irak - dem in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaat nicht die konkrete Gefahr der Folter im Sinne des § 53 Abs. 1 AuslG. Da § 53 Abs. 1 AuslG nicht ein generelles Abschiebungsverbot statuiert, sondern dem Individualschutz dient (Begründung zu § 53 Abs. 1, BT-Drucksache 11/6321, S. 75), muss die Foltergefahr für den Ausländer konkret bestehen; deshalb reicht eine abstrakte oder generelle Gefahr nicht aus (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 1996 - 12 L 7722/95 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Juli 1993 - A 16 S 154/93 - VBl. BW 1993, 480, 482).
Auch die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 und 3 AuslG liegen bei dem Kläger nicht vor.
Ein Abschiebungshindernis ergibt sich für den Kläger nicht aus § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, 18. April 1996 - 9 C 77.95 -, 4. Juni 1996 - 9 C 139.95 -, 15. April 1997 - 9 C 38.96 -) setzt eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ein geplantes vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus, und zwar grundsätzlich ein solches durch staatliche Organe. Ausnahmsweise können auch Misshandlungen durch Dritte eine unmenschliche Behandlung darstellen, sofern sie dem Staat zugerechnet werden können. Dem Staat können ferner solche staatsähnliche Organisationen gleichstehen, die den Staat verdrängt haben, selbst staatliche Funktionen ausüben und auf ihrem Gebiet die effektive Gebietsgewalt innehaben. § 53 Abs. 4 AuslG setzt mithin - ebenso wie Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 1 AuslG - eine staatliche oder staatsähnliche Gewalt des Verfolgers voraus. Daran fehlt es hier im Irak (vgl. dazu die vorstehenden Ausführungen). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt darüber hinaus nur in Betracht, wenn gerade dem schutzbegehrenden Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individuell die konkrete Gefahr droht, Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die Machthaber zu werden (BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 -). Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine unmenschliche Behandlung durch die US- geführte Militärkoalition oder durch die erst im Aufbau befindliche irakische Verwaltung ernsthaft zu befürchten hat.
Ebenso wenig können die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt werden. Nach dieser Vorschrift kann von einer Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt - anders als Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 1 und 4 AuslG - keine staatliche oder staatsähnliche Gewalt des Verfolgers voraus, sondern knüpft allein an eine erhebliche faktische Gefährdung an (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 - NVwZ 1996, 199 [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95]; Nds. OVG, Urteil vom 8. September 1998 - 9 L 2142/98 -). Eine solche droht dem Kläger im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Dem Kläger droht nicht auf Grund seiner yezidischen Religionsangehörigkeit bei seiner Rückkehr in den Irak eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.
Bei den Gefahren, die aus den aktuellen Lebensumständen im Irak wie der gestiegenen Kriminalität, Versorgungsengpässen und aus Anschlägen gegen Amerikaner möglicherweise resultieren, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die bei Entscheidungen der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG berücksichtigt werden. Diese so genannte Sperrwirkung des § 54 AuslG (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995, a.a.O., vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973 = AuAS 1998, 243, und vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77, 80 f. [BVerwG 08.12.1998 - 9 C 4/98] = InfAuslR 1999, 266) lässt eine positive Individualentscheidung außerhalb des § 54 AuslG nur zu, wenn diese durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG deshalb geboten ist, weil der Ausländer in seinem Heimatstaat anderenfalls einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998, a.a.O.). Eine solche extreme Gefahrenlage ist selbst bei ungünstiger Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak nicht anzunehmen (vgl. VG München, Beschlüsse vom 15. Juli 2003 - M 27 K 02.51587 - und vom 16. Juli 2003 - M 27 K 02.52505 -). Die innere Sicherheit im Irak ist zwar durch Terroranschläge, Sabotageakte und Banditenüberfälle belastet. Auch die Gewaltkriminalität in den Städten hat zugenommen, weil noch keine effektive Polizeigewalt aufgebaut werden konnte und die Soldaten der internationalen Militärkoalition sich aus Selbstschutzgründen dieser Aufgabe nur zurückhaltend annehmen. Es ist aber andererseits ein landesweiter militärischer und insbesondere organisierter Widerstand gegen die internationale Militärkoalition oder die Übergangsregierung bislang nicht erkennbar. Einzelne Gewalt- und Terroraktionen beschränken sich eher auf bestimmte begrenzte Schwerpunkte, wie etwa in Falludscha, wo Aufständische die Stadt zeitweise unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Gefährdet sind vor allem Polizei- und Sicherheitskräfte.
Andererseits gelten Teilregionen im kurdisch bewohnten Norden sowie im mehrheitlich schiitischen Süden als eher befriedet. Unabhängig davon ist allgemein festzustellen, dass die aus Gewaltaktionen der genannten Art entstehenden Gefährdungen gleichsam "blind" jeden treffen können. Eine Situation dieser Art ist gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht schutzbegründend (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 30. März 2004 - 9 LB 5/03 -).
Auch im Hinblick auf die Versorgungslage im Irak kann nicht von einer (extremen) existentiellen Gefährdung einzelner Rückkehrer ausgegangen werden. Nach der Wiederaufnahme des "Oil for Food"-Programms auf Grund der UN-Sicherheitsrats-Resolution Nr. 1.483 hat sich die Versorgungslage im Irak spürbar entspannt (vgl. AA, Ad hoc-Bericht vom 6. November 2003). Angesichts dieser - zwar - nach wie vor angespannten, im Wesentlichen aber doch (landesweit) gesicherten Versorgungssituation im Irak ist mit Existenzgefährdungen Einzelner im Rückkehrfall nicht zu rechnen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 30. März 2004 - 9 LB 5/03 -).
Darüber hinaus ist die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann zu beachten, wenn ein zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz bereits nach § 54 AuslG gewährt wird (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - DVBl. 2001, 1531). Eine solche Fallgestaltung liegt hier derzeit vor. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat ihrer 172. Sitzung vom 15. Mai 2003 in Erfurt beschlossen, dass angesichts der gegenwärtigen Lage im Irak und des Fehlens von Flugverbindungen eine zwangsweise Rückführung ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger derzeit noch nicht in Betracht kommt. Auch in ihrer 173. Sitzung am 21. November 2003 in Jena hat die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren eine zwangsweise Rückführung ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger noch nicht beschlossen.
Auch die gegen den Kläger gerichtete Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist rechtlich nicht zu beanstanden
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11,711 ZPO.