Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 28.06.2004, Az.: 6 B 962/04

Gründe für das Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung eines ausreisenden Ausländers; Schließung einer Ehe im Ausland als Indiz für den Schwerpunkt eines Lebensmittelpunkts; Frage nach dem Bestand einer Aufenthaltserlaubnis bei Fehlen einer eigenen Unterkunft im Bundesgebiet; Rechtmäßigkeit einer Abschiebungdandrohung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
28.06.2004
Aktenzeichen
6 B 962/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 15230
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2004:0628.6B962.04.0A

Verfahrensgegenstand

Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung;
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Prozessführer

Herren A.,B.

Rechtsanwalt C.

Prozessgegner

Landkreis Stade,
vertreten durch den Landrat, Am Sande 2, 21682 Stade

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
am 28. Juni 2004
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag hat keinen Erfolg.

2

Soweit sich der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen die vom Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid vom 26. April 2004 unter Ziffer 1. ausgesprochene Feststellung richtet, dass die dem Antragsteller erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes erloschen ist, ist der Antrag bereits unzulässig. Der Feststellung, dass die Aufenthaltserlaubnis erloschen ist, kommt weder Verwaltungsaktqualität zu noch ist ihr eine selbständig vollstreckbare Beschwer beizumessen, die durch die Einlegung eines Widerspruchs suspendiert und deren Vollziehung ggf. im Wege des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO verhindert werden könnte.

3

In der Feststellung des Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis liegt keine Regelung i. S. des § 35 VwVfG. Dies folgt schon daraus, dass das Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis bereits kraft Gesetzes (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG) eintritt und das Vorhandensein oder das Fehlen einer entsprechenden behördlichen Feststellung auf die Rechtslage ohne Einfluss bleibt (VG Darmstadt, Beschluss vom 3. August 1009 - 5 G 1382/97 (3) - AuAS 1998, 221; VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2002 - 24 L 2837/02 - InfAuslR 2002, 431; a. A. VG Hamburg, Beschluss vom 4. März 1999 - 10 VG 5392/98, zitiert nach juris).

4

Soweit der Feststellungsantrag des anwaltlich vertretenen Antragstellers sinngemäß als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO dahingehend zu verstehen ist, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller so zu behandeln als wären die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 AuslG nicht eingetreten, bleibt dem Antrag ebenfalls der Erfolg versagt.

5

Der Antragsteller hat einen dafür erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen für das Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis vom 4. September 1981 gem. § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG liegen vor.

6

Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erlischt eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist. Ob die Voraussetzung des § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt ist, beurteilt sich nicht (allein) nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1988, Buchholz 402.24, § 9 AuslG Nr. 4 = InfAuslR 1989, 114). Je länger die Abwesenheit vom Bundesgebiet dauert und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- oder Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr deutet darauf hin, dass die Abwesenheit nicht nur vorübergehender Natur ist. Die in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG festgelegte Höchstgrenze von sechs Monaten kann dabei durchaus ein Beurteilungskriterium bilden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 15. Mai 2000 , Az: 11 L 1278/00, zitiert nach juris m.w.N.). Der Ausländer kann das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung nicht dadurch vermeiden, dass er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten mehr oder weniger kurzfristig in das Bundesgebiet zurückkehrt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1988, a.a.O.). Auch hindern die Ausreise zu einem zeitlich völlig unbestimmten Zweck und die Absicht, irgendwann in das Bundesgebiet zurückzukehren, das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht (BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 1993 - 1 B 220.92 -). Anhaltspunkte für die Beurteilung des Ausreisegrundes als vorübergehend oder dauerhaft können neben Dauer und Zweck der Abwesenheit auch die Einstellung oder die Aufrechterhaltung von Beziehungen im Bundesgebiet sein. So sind Anzeichen für einen auf längere Zeit angelegten Auslandsaufenthalt etwa Aufgabe von Arbeitsplatz und Wohnung, Mitnahme von Hausrat, Abbruch von familiären Kontakten oder die einwohnerpolizeiliche Abmeldung (vgl. GK-AuslR, § 44 AuslG Rdnr. 36; Hailbronner, AuslR, § 44 Rdnr. 9; Renner, AuslR in Deutschland, 1999, S. 597). Die Absicht des Ausländers, nicht auf unabsehbare Zeit im Ausland zu bleiben, muss somit in objektiv nachprüfbarer Weise zum Ausdruck kommen (Nds. OVG, Beschluss vom 15. Mai 2000 , Az: 11 L 1278/00, zitiert nach juris m.w.N.).

7

Nach diesen Maßstäben spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist ist.

8

Dafür spricht, dass der Antragsteller seit dem 9. September 2000 mit der libanesischen Staatsangehörigen Hanadi Ahmad Chahrour, die sich seit ihrer Abschiebung im Jahr 1995 im Libanon aufhält, verheiratet ist und mit ihr zwei Kinder im Alter von 1 und 2 Jahren hat. Nach der Einlassung des Antragstellers hat er seit 1995 neben anderen Aufenthalten in anderen Ländern jeweils drei bis vier Monate im Libanon verbracht. Durch die Eheschließung und Familiengründung im Libanon sowie durch den jahrelangen Aufenthalt seiner Ehefrau und Kinder im Libanon wird deutlich, dass Deutschland für den Antragsteller nicht mehr den Lebensmittelpunkt darstellte und seine Ausreise mehr als nur vorübergehender Natur war. Darüber können auch die vom Antragsteller behaupteten Aufenthalte in der Bundesrepublik Deutschland nach dem 18. September 1991, als die damalige Ausländerbehörde das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis vermerkte, nicht hinwegtäuschen. Der Antragsteller lässt mit seinem Vorbringen nicht konkret erkennen, wie lang die Aufenthalte in der Bundesrepublik Deutschland jeweils gewesen sein sollen.

9

Nach seinen Angaben hat er von einer Vielzahl von Personen bei seinen Aufenthalten in Deutschland freie Kost und Logis erhalten. Diese Einlassung spricht nachhaltig dafür, dass es sich bei diesen Aufenthalten lediglich um gelegentliche Besuchsaufenthalte gehandelt hat, denn gerade für Besuchsaufenthalte ist es charakteristisch, dass der Gastgeber seinen Besucher über einen bestimmten begrenzten Zeitraum bewirtet. Eine Verfestigung eines Lebensmittelpunktes in Deutschland lässt sich mit diesem Vorbringen nicht begründen.

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Deutlich wird dies auch dadurch, dass der Antragsteller keinerlei Umstände vortragen konnte, die es nahe liegend erscheinen lassen, dass er nur vorübergehend ausgereist ist. Er verfügte in Deutschland in über mindestens dreizehn Jahren nicht über eine eigene Wohnung, sondern kam während seiner Aufenthalte bei Freunden unter. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in Deutschland über persönliche Bindungen verfügt, die entscheidend über das hinausgehen, was nach mehrjährigem Aufenthalt in einem Gastland zu erwarten ist. Der Antragsteller war denn auch nicht in der Lage, Steuerbescheide, Meldebescheinigungen oder Bescheide über den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt vorzuweisen, die als Indizien dafür herangezogen werden können, dass der Antragsteller seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik belassen hat. Er war in der Bundesrepublik Deutschland weder kranken- noch rentenversichert.

11

Im Übrigen hat der Antragsteller seine angeblichen Aufenthalte in Deutschland weder durch den Nachweis gebuchter Flüge noch durch Eintragungen in seinem Pass noch durch eidesstattliche Versicherungen seiner Bekannten und Freunde glaubhaft belegen können. Die Vielzahl der Ein- und Ausreisestempel aus verschiedenen Ländern spricht vielmehr dafür, dass der Antragsteller sich nicht unerhebliche Zeit in mehreren Ländern aufgehalten hat, wie z.B. in den USA und in Liberia. In den Kopien seiner Reisepässe finden sich Visa für mehrmonatige Aufenthalte in den Ländern Marokko, Liberia, Frankreich, Österreich. Für die USA erhielt er jeweils 1988 und 1994 Visa mit einer Gültigkeit von 5 Jahren, die jeweils zur mehrfachen Einreise und zu einer Aufenthaltsdauer von längstens 90 Tagen als Tourist, jedoch nicht zur Arbeitsaufnahme berechtigten. Dennoch will der Antragsteller seinen Lebensunterhalt in den USA nach seinen Angaben mit seiner Arbeit dort finanziert haben. Auch dieser Gesichtspunkt spricht dafür, dass sich der Lebensmittelpunkt des Antragstellers nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland befand.

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Insgesamt bleibt festzustellen, dass die aufgeführten Umstände in erdrückender Weise nur den Schluss zu lassen, dass die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erloschen ist.

13

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung war ebenfalls nicht anzuordnen. Denn das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs überwiegt nicht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Verfügung, die im Widerspruchsverfahren und einem Hauptsacheverfahren Bestand haben wird.

14

Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung folgt aus §§ 50 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 AuslG. Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig, da er unerlaubt eingereist ist (§ 42 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG). Wie ausgeführt ist der Antragsteller im Januar 2003 ohne Aufenthaltsgenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland und damit unerlaubt eingereist (vgl. § 3 AuslG).

15

Sollte der Antragsteller erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, stünde auch dies der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Aufgrund seiner mutmaßlich unerlaubten Einreise gilt sein Aufenthalt derzeit nicht einmal als geduldet (§ 69 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AuslG). Im Übrigen stünde selbst eine (fiktive) Duldung einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen (§ 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG).

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

17

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 GKG.

Gärtner,
Wermes,
Reccius