Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 10.06.2004, Az.: 6 B 440/04
Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung und der Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigungen ; Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit ; Erlass des Nds. Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 (Bleiberechtserlass) ; Verschaffung der Aufenthaltsbefugnis durch Täuschung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 10.06.2004
- Aktenzeichen
- 6 B 440/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 15217
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0610.6B440.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 48 Abs. 1 VwVfG
- § 45 Abs. 1 AuslG
- § 46 Nr. 2 AuslG
- § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG
Verfahrensgegenstand
Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigungen u.a.;
hier: Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Wurde bei der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis zielgerichtet der türkischen Geburtsort sowie die türkische Staatsangehörigkeit verschwiegen, um in den Genuss der Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung für aus dem Libanon stammende Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit zu gelangen, so liegt unzweifelhaft ein Ausweisungsgrund vor.
- 2.
Türkische Staatsangehörige haben keinen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung nach dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 (Bleiberechtserlass), da dieser nur staatenlose Kurden bzw. Kurden mit unaufklärbarer Staatsangehörigkeit aus dem Libanon erfaßt.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
am 10. Juni 2004
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/4.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.600 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die in den angefochtenen Bescheiden des Antragsgegners vom 26. Februar 2004 für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung und der Rücknahme gegebene Begründung genügt den formellen Anforderungen des 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung anordnen bzw. gegen die Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigungen, die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse und die Ausweisung wieder herstellen, wenn das Interesse der Antragsteller am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das des Antragsgegners überwiegt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn sich die angefochtenen Bescheide vom 26. Februar 2004 nach der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung als offensichtlich rechtmäßig darstellen und die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen, denn nach derzeitigem Sach- und Streitstand ist mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Widersprüche der Antragsteller keinen Erfolg haben werden.
Die Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigungen begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Nach § 48 Abs. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Die den Antragstellern zu 1) - 4) erteilten Aufenthaltsgenehmigungen erweisen sich als rechtswidrig. Die Antragsteller hatten keinen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung nach dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 (Bleiberechtserlass), weil sie türkische Staatsangehörige waren.
Für den Antragsteller zu 1) liegt ein türkischer Personenstandsregisterauszug vor, der die türkische Staatsangehörigkeit nachweist. Nach Art. 38 S. 2 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes begründet die Eintragung im Personenstandsregister bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung, dass der Betreffende die türkische Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht).
Die Antragstellerin zu 2) ist ebenfalls türkische Staatsangehörige.
Nach Art. 1 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes ist das Kind eines türkischen Vaters von Geburt an türkischer Staatsangehöriger unabhängig davon, ob es innerhalb oder außerhalb der Türkei geboren ist. Ferner ist nach Art. 4 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes das in der Türkei geborene Kind , das nicht die Staatsangehörigkeit seines Vaters oder seiner Mutter erwerben kann, von seiner Geburt an türkischer Staatsangehöriger. Nach dem Personenstandsregisterauszug ihres Ehemannes, an dessen Echtheit zu zweifeln kein Anlass besteht, ist die Antragstellerin zu 2) ebenfalls in Ückavak in der Türkei geboren und damit türkische Staatsangehörige.
Auf Grund der türkischen Staatsangehörigkeit ihrer Eltern sind die Antragstellerin zu 3) und der Antragsteller zu 4) ebenfalls türkische Staatsangehörige.
Als türkische Staatsangehörige hätten die Antragsteller keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.
Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass die Antragsteller bei von Anfang an bekannter türkischer Staatsangehörigkeit nicht in den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 (Bleiberechtserlass) gekommen wären. Der Bleiberechtserlass bezieht sich, soweit er "Kurden aus dem Libanon" erwähnt, nur auf staatenlose Kurden aus dem Libanon oder auf solche Kurden aus dem Libanon, deren Staatsangehörigkeit unaufklärbar ist. Türkische Staatsangehörige könne sich auf diesen Bleiberechtserlass auch dann nicht berufen, wenn sie als vermeintlich staatenlose Kurden im Libanon gelebt haben oder von dort in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind (OVG Lüneburg, Urteil vom 20.Mai 2003 - 11 LB 35/03 -). Der Bleiberechtserlass 1990 erfasst nur staatenlose Kurden bzw. Kurden mit unaufklärbarer Staatsangehörigkeit aus dem Libanon. Zu dieser Personengruppe zählen die Antragsteller nicht.
Gegenüber der Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigungen können sich die Antragsteller gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie die Aufenthaltsgenehmigungen durch arglistige Täuschung erwirkt haben.
Bei der erstmaligen Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis am 22. Oktober 1990 hat der Antragsteller zu 1) bei der Frage der Staatsangehörigkeit angegeben, dass seine Staatsangehörigkeit wie die seiner Ehefrau - der Antragstellerin zu 2) - ungeklärt sei, obwohl der Antragsteller zu 1) wusste, dass er damals die türkische Staatsangehörigkeit besaß und seine Ehefrau türkische und libanesische Staatsangehörige war. Dass seine Ehefrau - ausgewiesen durch einen libanesischen Reisepass - libanesische Staatsangehörige war, hatte das Verwaltungsgericht Stade bereits in seinem den Antragstellern zu 1) und 2) bekannten Urteil vom 30. September 1988 - 6 A 632/86 - erwähnt. Ferner hat der Antragsteller zu 1) angegeben, dass er in Beirut geboren sei, obwohl er nach seinem türkischen Personstandsregisterauszug in Ückavak in der Türkei geboren ist. An der Echtheit des vom Generalkonsulat der Türkei in Hannover übersandten Personenstandsregisterauszugs zu zweifeln, besteht kein Anlass. Dass dem Antragsteller zu 1) seine damalige türkische Staatsangehörigkeit nicht bekannt gewesen sein soll, hält das Gericht nicht für glaubhaft.
Seine Schwester Hayat H. hat bei der Vernehmung durch die Polizei in Steinfurt am 19. Dezember 2000 angegeben, dass sie vor etwa zwei Jahren von ihrem Bruder Adnan und ihrer Schwester Meryem erfahren habe, dass sie selbst türkische Staatsangehörige sei. Dabei wusste sie, dass ihre Eltern aus der Türkei stammten und türkische Staatsbürger waren. Ihr vor ca. 20 Jahren verstorbener Vater sowie später ihre Mutter seien zusammen mit der Schwester Meyrem wegen des Krieges im Libanon in die Türkei umgezogen. Der Bruder des Antragstellers zu 1), Ahmed G., hat bei seiner Vernehmung am 12. Oktober 2001 durch die Polizei in Vechta bestätigt, dass der Antragsteller zu 1) wie mehrere andere Geschwister noch in der Türkei geboren sei. Erst Ende der fünfziger Jahre seien die Eltern in den Libanon ausgewandert.
Anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 11. September 2001 hat ein weiterer Bruder des Antragstellers - Adnan G. , geb. 01. Mai 1965 - erklärt, dass er die türkische Staatsangehörigkeit besitze, 15 oder 16 Jahre in der Türkei gelebt und in der Türkei seinen Wehrdienst abgeleistet habe. Als er 13 Jahre alt gewesen sei, habe sein Vater den Namen H. in der Türkei beantragt.
Eine weitere Schwester des Antragstellers zu 1), Meryem I., geb. H., hat bei ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung am 5. Januar 2001 erklärt, dass sie am 6. Januar 1974 als Tochter des Ali H. und dessen Ehefrau Zekiye in Ückavak in der Türkei geboren sei. Sie besitze die türkische Staatsangehörigkeit.
Diese Einlassungen seiner Geschwister sprechen eindeutig dafür, dass der Antragsteller zu 1) sich bei Beantragung seiner Aufenthaltserlaubnis 1990 bzw. bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland seiner türkischen Staatsangehörigkeit bewusst war und ihm auch sein türkischer Geburtsort bekannt war.
Angesichts des Umstands, dass der Bruder des Antragstellers zu 1) in der Türkei seinen Wehrdienst abgeleistet hat, was dem Antragsteller zu 1) nicht entgangen sein dürfte, ist sein Vorbringen, er habe von seiner türkischen Staatsangehörigkeit nicht gewusst, als bloße Schutzbehauptung zu werten.
Nach Auffassung des Gerichts ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1) bei der Beantragung seiner Aufenthaltserlaubnis zielgerichtet seinen türkischen Geburtsort sowie seine türkische Staatsangehörigkeit verschwiegen hat, um seinerzeit in den Genuss der Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung für aus dem Libanon stammende Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit zu gelangen.
Seit dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat der Antragsteller zu 1) seine falschen Angaben bei jedem Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wiederholt.
Die Antragstellerin zu 2) hat bei ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 22. Oktober 1990 getäuscht, indem sie ihren Geburtsort mit Beirut angegeben hat, obwohl sie tatsächlich in Ückavak geboren ist. Zudem hat sie ihre türkische Staatsangehörigkeit verschwiegen. Dass die Antragstellerin zu 2) ihren türkischen Geburtsort nicht kannte, hält das Gericht für eine vorgeschobene Schutzbehauptung.
Der von der Antragstellerin zu 2) vorgelegten libanesischen Geburtsurkunde mit dem Geburtsort Beirut und dem Geburtsdatum 2. Juni 1954 folgt das Gericht nicht, denn bei dem vom Türkischen Generalkonsulat vorgelegten Personenstandsregisterauszug sind Echtheitszweifel nicht gegeben. Danach ist die Antragstellerin zu 2) am 25. März 1956 in Ückavak geboren. Vor der Eintragung ihrer Eheschließung am 23. Februar 1977 war sie in der Kreisstadt Savur, Dorf Ückavak unter Band - Nr. 42, Reg.-Nr. 8 eingetragen.
Für die Richtigkeit dieses Personenstandregisterauszuges spricht zudem, dass dort auch die weiteren Kinder der Antragsteller zu 1) und 2) Munir, geb. am 1. Februar 1972 in Ückavak, Ziyad, geb. 02. März 1974 in Ückavak und Züheyir, geb. 01. Februar 1975 in Ückavak, aufgeführt sind.
Die Antragsteller zu 3) und 4) können sich gleichfalls nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen, da sie sich das Verhalten ihrer Eltern zurechnen lassen müssen.
Die Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigungen lässt Ermessensfehler nicht erkennen.
Die vom Antragsgegner ausgesprochene Ausweisung des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) begegnet nach dem derzeitigen Sachstand ebenfalls keinen Bedenken.
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Ausweisungsverfügung bezüglich der Antragsteller zu 1) bis 3) ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids (Nds. OVG, Urteil vom 24. August 1995 - 11 L 1047/95 - Nds. VBl. 1996, S. 40) und, wenn ein solcher noch nicht ergangen ist, der Zeitpunkt der Entscheidung in dem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren.
Der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) haben den Ausweisungstatbestand der §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG erfüllt. Grundsätzlich kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt (§ 45 Abs. 1 AuslG). Diese Generalklausel wird durch die einzelnen Ausweisungsgründe des § 46 AuslG beispielhaft präzisiert. Nach Nr. 2 dieser Bestimmung kann insbesondere ausgewiesen werden, wer nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen verstoßen oder außerhalb des Bundesgebietes eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist.
Die Antragsteller zu 1) und 2) haben sich unter Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis durch Täuschung des Antragsgegners verschafft. Der Antragsteller zu 1) hat wie oben ausgeführt mehrfach seinen Geburtsort und seine Staatsangehörigkeit falsch angegeben.
Gleichfalls falsche Angaben hat der Antragsteller zu 1) zur Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu 3) und 4) gemacht, denn diese sind ebenfalls wie ihr Vater türkische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 2) hat die Straftat des § 92 Abs. 2 AuslG dadurch verwirklicht, dass sie ihren Geburtsort falsch angegeben hat und ihre türkische Staatsangehörigkeit neben ihrer libanesischen Staatsangehörigkeit verschwiegen hat.
Damit ist der Tatbestand des §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG unzweifelhaft erfüllt.
Die Ermessenserwägungen des Antragsgegners sind nicht zu beanstanden.
Die Ablehnungen der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse sind ebenfalls rechtmäßig.
Die Ausreiseaufforderungen und Abschiebungsandrohungen verletzen die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, 100 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.600 EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 GKG.
Wermes
Reccius