Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 03.06.2004, Az.: 1 B 450/04
Teilnahme an einem Aufbauseminar für verkehrsauffällige Fahranfänger; Voraussetzungen für eine Nachschulung; Bindungswirkung der Bußgeldentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 03.06.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 450/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 15216
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0603.1B450.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2a Abs. 1 S.1 StVG
- § 2a Abs. 6 StVG
- § 2a Abs. 2 StVG
- § 47 Abs. 2 OWiG
Fundstelle
- JWO-VerkehrsR 2004, 230
Verfahrensgegenstand
Teilnahme an einem Aufbauseminar für verkehrsauffällige Fahranfänger
Prozessgegner
Landkreis Verden,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Lindhooper Straße 67, 27283 Verden, C.
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2a Abs. 2 S.2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit gebunden, so dass ein Nachschulungskurs anzuordnen ist.
- 2.
Keine Belastung des Verwaltungsverfahrens wegen Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar für verkehrsauffällige Fahranfänger durch zusätzliche Ermittlungen, deren Gegenstand dem abgeschlossenen Bußgeldverfahren zuzuordnen sind.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
am 3. Juni 2004
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung, an einem Aufbauseminar für verkehrsauffällige Fahranfänger teilzunehmen.
Der Antragsteller ist seit dem 25. Juli 2003 im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Diese ist ihm gem. § 2a Abs. 1 Satz 1 StVG für zwei Jahre auf Probe erteilt worden.
Am 13. November 2003 befuhr der Antragsteller mit dem Pkw Opel Corsa, amtliches Kennzeichen D., in der Gemarkung Achim-Badenerholz die Bundesautobahn A 27 in Richtung Bremen. Fahrzeughalterin war Frau E.. Auf Höhe km 47 wurde der Pkw von der Polizei gestoppt und kontrolliert. Die Beamten stellten dabei bauliche Veränderungen an dem Fahrzeug fest. Es waren eine Frontspoilerstoßstange, im Motorraum eine Domstrebe und am Original-Auspufftopf ein anderes Endschalldämpferrohr angebracht worden.
Gegen den Antragsteller wurde daraufhin ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. Ihm wurde vorgeworfen, er habe den zulassungspflichtigen Pkw in Betrieb genommen, obwohl durch den An- bzw. Einbau dieser Teile die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs erloschen gewesen sei. Mit Bescheid vom 26. November 2003 wurde gegen ihn ein Bußgeld von 50,00 EUR verhängt. Der Bußgeldbescheid erwuchs in Rechtskraft. Der Antragsgegner wurde am 6. Januar 2004 durch das Kraftfahrt-Bundesamt über die Eintragung des Bußgeldbescheides und dessen Bewertung mit 3 Punkten in das Verkehrszentralregister informiert.
Mit Bescheid vom 9. Januar 2004 ordnete der Antragsgegner die Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar für verkehrsauffällige Fahranfänger an. Die Voraussetzungen dafür seien erfüllt. Gegen den Antragsteller sei rechtskräftig ein Bußgeld verhängt worden, weil er ein zulassungspflichtiges Fahrzeug in Betrieb gesetzt habe, obwohl die Betriebserlaubnis erloschen gewesen sei. Diese Entscheidung sei auch in das Verkehrszentralregister eingetragen worden.
Der Antragsteller legte dagegen am 3. Februar 2004 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Betriebserlaubnis des Pkw F. entgegen den Feststellungen im Bußgeldbescheid nicht erloschen gewesen sei. Bei der Frontspoilerstoßstange handele es sich um eine serienmäßige Stoßstange, für die weder eine besondere Betriebserlaubnis bzw. Genehmigung, noch eine Abnahme oder ein Teilegutachten nach der StVZO notwendig sei. Für die im Motorraum eingebaute Domstrebe sei ebenfalls keine besondere Betriebserlaubnis nach der StVZO notwendig, da diese das Fahrverhalten des Fahrzeuges nicht beeinflusse. Für die angebauten Endschalldämpfer liege eine EG-Typen-Genehmigung vor, die den kontrollierenden Beamten auch vorgezeigt worden sei. Der Einbau der Endrohre sei mithin eine zulässige nachträgliche Änderung gewesen, die die Betriebserlaubnis des Fahrzeuges nicht tangiere. Die Teile seien allesamt ordnungsgemäß eingebaut worden. Das Fahrzeug sei am 11. April 2003 vom TüV-Nord nach § 21 StVZOüberprüft und für vorschriftsmäßig befunden worden. Sowohl die Frontspoilerstoßstange, als auch die Domstrebe und die Endrohre seien dabei bereits am Pkw angebaut gewesen. Am 13. Januar 2004 sei das Fahrzeug mit den in Rede stehenden Einbauteilen erneut dem TüV-Nord vorgestellt worden. Wieder sei es als vorschriftsmäßig befunden worden. Die Feststellungen im Bußgeldbescheid seien daher unrichtig. Der Antragsteller habe keine Ordnungswidrigkeit nach der StVZO und dem StVG begangen. Die Voraussetzungen für die Anordnung des Aufbauseminars hätten nicht vorgelegen.
Von der Bußgeldstelle des Landkreises Verden erhielt der Antragsteller mit Schreiben vom 11. Februar 2004 die Nachricht, die Angelegenheit werde als erledigt betrachtet, da der Bußgeldbescheid seit dem 12. Dezember 2003 rechtskräftig und damit unanfechtbar sei.
Am 15. März 2004 hat der Antragsteller die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren. Er macht weiterhin geltend, er habe das Bußgeld in Unkenntnis der Sach- und Rechtslage bezahlt und deshalb keinen Einspruch eingelegt. Die Halterin des Fahrzeuges habe gegen einen entsprechenden Bußgeldbescheid fristgerecht Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht Achim habe das Verfahren mit Beschluss vom 4. Mai 2004 gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Ebenso wäre zugunsten des Antragstellers entschieden worden.
Der Antragsgegner tritt dem Begehren entgegen. Er bezieht sich auf den Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren und die Begründung des angefochtenen Bescheides. Eine erneute Bewertung der Ordnungswidrigkeit im Verwaltungsverfahren würde einen Verstoß gegen die eindeutige Regelung des § 2a StVG darstellen. Einwendungen gegen den Bußgeldbescheid hätten vom Antragsteller nur im Ordnungswidrigkeitenverfahren vorgebracht werden können. Dieses habe er jedoch nicht getan, sondern er habe die Entscheidung hingenommen und auch das festgesetzte Bußgeld bezahlt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Rechtsmittel gegen die angeordnete Teilnahme an einem Aufbauseminar haben gemäß § 2a Abs. 6 StVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt nur dann in Betracht, wenn das Rechtsmittel bereits nach der in diesem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren gebotenen summarischen Prüfung erkennbar Aussicht auf Erfolg haben wird oder wenn der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache zwar offen, die dann gebotene Abwägung des individuellen Interesses an einer Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehbarkeit der angefochtenen Maßnahme schon vor dem Eintritt der Bestandskraft zugunsten des Antragstellers ausschlägt. Sollten Widerspruch und Anfechtungsklage zu dem Ergebnis führen, dass dem Antragsteller die Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht auferlegt werden durfte, müsste dieser sich zu Unrecht der angeordneten Nachschulung unterziehen, um die in § 2a Abs. 3 StVG als Folge vorgesehene Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermeiden (BVerwG, Beschl. v. 28.2.1994 - 11 VR 1/94 -, Buchholz 442.10 § 2a StVG Nr. 1 = VerkMitt 1994, Nr. 87). Dieser drohende Nachteil ist dem Betroffenen nicht zuzumuten, wenn die Voraussetzungen, unter denen von ihm die Nachschulung verlangt werden kann, fehlen oder zumindest als so ungeklärt bezeichnet werden müssen, dass sie im Hauptsacheverfahren der näheren Überprüfung bedürfen. Keine dieser Fallgestaltungen ist im vorliegenden Verfahren gegeben.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde bei Maßnahmen nach Satz 1 Nummern 1 bis 3 der Vorschrift an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Anders als diese Vorschrift setzte die bis zum 1. Januar 1999 geltende Fassung des § 2a Abs. 2 StVG in Satz 1 zwar ebenfalls eine derartige rechtskräftige Entscheidung über eine oder mehrere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten für die Anordnung eines Nachschulungskurses voraus, sah jedoch nicht ausdrücklich eine Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an diese Entscheidung vor. Daher ist die zu dieser früheren Fassung der Vorschrift ergangene Rechtsprechung, wonach eine Bindung an die in der rechtskräftigen Entscheidung enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen nicht anzunehmen sei, wenn gewichtige Anhaltspunkte gegen deren Richtigkeit sprächen, überholt und auf die neue Regelung nicht mehr übertragbar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Rechtschutzmöglichkeiten durch diese Regelung unzulässig verkürzt worden wären. Nach wie vor kann die in § 2a Abs. 2 StVG vorausgesetzte Entscheidung über eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit selbst mit den gesetzlich vorgesehenen Rechtsmitteln angefochten werden; inwieweit der Betroffene hiervon Gebrauch macht, ist seine eigene Entscheidung und ein Nichtgebrauchmachen sein eigenes Risiko mit Blick auf denkbare verkehrsrechtliche Folgen. Eine weitere, inzidente Überprüfungsmöglichkeit dieser Entscheidung im Verwaltungsverfahren und damit im Ergebnis eine doppelte Kontrolle vorzusehen, ist mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht erforderlich (OVG Saarlouis, Beschl. v. 21.12.2000 - 9 V 30/00 -, NZV 2001, 496). Diesen Grundsätzen folgt die Rechtsprechung der Kammer. Im vorliegenden Verfahren bedarf es darüber hinaus keiner Überprüfung der Frage, ob der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe die belastenden Feststellungen eines unrichtigen Bußgeldbescheides im Hinblick auf die möglichen Anordnungen der Behörde, insbesondere nach § 2a Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 StVG auch dann gegen sich gelten lassen muss, wenn offensichtlich keine Ordnungswidrigkeit oder Straftat trotz anderslautender Entscheidungen hierüber vorliegt.
Der gegen den Antragsteller erlassene Bußgeldbescheid vom 26. November 2003 ist zur Überzeugung der Kammer nicht offensichtlich fehlerhaft. Diese Entscheidung trifft mit bindender Wirkung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde die Feststellung, dass der Antragsteller ein zulassungspflichtiges Fahrzeug in Betrieb gesetzt hat, obwohl die Betriebserlaubnis erloschen war, und benennt dafür die Anbringung dreier Ausrüstungsteile an dem Fahrzeug. Der Antragsteller hat die Ahndung seines Verhaltens im Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 50,00 EUR anstandslos hingenommen. Weder im Widerspruchsverfahren noch im vorliegenden Antragsverfahren hat er Umstände dargelegt, aus denen sich eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Tat- und Schuldfeststellungen im Bußgeldbescheid vom 26. November 2003 herleiten lässt. Ein solcher Schluss lässt sich nicht aus der mitgeteilten Einstellungsentscheidung des Amtsgerichts Achim vom 4. Mai 2004 in dem Bußgeldverfahren gegen die Fahrzeughalterin ziehen. Das Gericht entscheidet über eine Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG, auf den der Beschluss vom 4. Mai 2004 gestützt ist, wenn es eine Ahndung nicht für geboten hält. Da das Gesetz in diesem Zusammenhang nur die Rechtsfolgen des Vorwurfs anspricht, trifft die auf § 47 Abs. 2 OWiG beruhende Einstellung eines Bußgeldverfahrens keinerlei Aussagen darüber, dass der verfolgte Bußgeldtatbestand nicht verwirklicht worden sei. Soweit der Antragsteller Bescheinigungen des DEKRA e. V. vom 3. Januar 2004 und des TÜV Nord vom 13. Januar 2004 zum Gegenstand seines Vorbringens macht, sagen diese inhaltlich über das Bestehen einer Betriebserlaubnis im Tatzeitpunkt für das benutzte Fahrzeug nichts aus. Die Prüfbescheinigung des TÜV Nord vom 11. April 2003 gibt keine Auskunft über den baulichen Zustand des Fahrzeugs oder vorgenommene Änderungen. Soweit vom Antragsteller in Ablichtung vorgelegte Unterlagen konkrete Hinweise auf eine Fronstspoilerstoßstange und einen Satz Auspuff-Endrohre enthalten, ist nicht erkennbar, ob und inwieweit die genannten Bauteile mit denjenigen identisch sind, deren Einbau und Verwendung der Fahrzeughalterin und dem Antragsteller als Ordnungswidrigkeit vorgeworden wurden. Aus diesen Gründen scheidet eine offensichtliche Unrichtigkeit des gegen den Antragsteller verhängten Bußgeldbescheides vom 26. November 2003 aus. Alle Gründe, die der Antragsteller nachträglich gegen die Richtigkeit des Bußgeldbescheides ins Feld führt, sprechen nicht aus sich heraus dafür, dass keine Ordnungswidrigkeit begangen worden sei. Diese Gründe hätten dem Antragsteller nur durch rechtzeitiges Geltendmachen im Einspruchsverfahren gegen den Bußgeldbescheid weitergeholfen. Auch im Falle des Antragstellers besteht keine besondere Rechtfertigung dafür, das Verwaltungsverfahren wegen Anordnung der Seminarteilnahme entgegen der grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers durch zusätzliche Ermittlungen und Überprüfungen zu belasten, deren Gegenstand dem abgeschlossenen Bußgeldverfahren zuzuordnen ist. Damit besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, die Bindungswirkung der Bußgeldentscheidung gegenüber dem Antragsgegner ausnahmsweise zu lockern.
Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 9. Januar 2004 wird nach allem voraussichtlich zurückgewiesen werden. Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und wegen weitgehender Vorwegnahme der abschließenden Streitentscheidung dem in der Hauptsache festzusetzenden Wert von 2.000,00 Euro.