Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 16.06.2004, Az.: 2 A 1121/02
Anspruch auf Erlass einer Nutzungsuntersagung gegen einen Taxibetrieb; Betrieb eines Taxiunternehmens in einem reinen Wohngebiet; Nachbarlicher Anspruch auf ordnungsrechtliches Einschreiten; Formelle und materielle Rechtswidrigkeit einer Nutzungsänderung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 16.06.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 1121/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 16723
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0616.2A1121.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 113 Abs. 5 VwGO
- § 89 Abs. 1 NBauO
- § 30 Abs. 1 BauGB
- § 3 BauNVO
- § 13 BauNVO
Verfahrensgegenstand
Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten
Prozessführer
Frau A. B.
Prozessgegner
Landkreis Rotenburg (Wümme),
vertreten durch den Landrat, Kreishaus, 27356 Rotenburg,
Sonstige Beteiligte
Frau D. E.
Redaktioneller Leitsatz
Ein Anspruch des Nachbarn auf bauordnungsbehördliches Einschreiten kommt nur dann in Betracht, wenn der gerügte Verstoß eine Vorschrift betrifft, die auch dem Schutz des Nachbarn dient. Des Weiteren muss der Ermessensspielraum der Bauaufsichtsbehörde so weit reduziert sein, dass nur noch eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung, nämlich die zum Einschreiten, denkbar ist.
Nach § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 ist in einem reinen Wohngebiet der Betrieb eines Taxiunternehmens nicht zulässig.
Soweit sich ein Nachbar gegen eine Baugenehmigung wendet, hat er bereits dann einen Anspruch auf Bewahrung des festgesetzten Gebietscharakters, wenn ein baugebietswidriges Vorhaben im Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird bereits durch die Zulassung eines mit den Festsetzungen nicht zu vereinbarenden Vorhabens ausgelöst, da hierdurch eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet und das Austauschverhältnis gestört wird.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 2. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. von Kunowski,
den Richter am Verwaltungsgericht Leiner,
den Richter am Verwaltungsgericht Klinge sowie
die ehrenamtlichen Richter Herrn F. und Herrn G.
für Rechterkannt:
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung A. vom 21. Mai 2002 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Beigeladenen die Nutzung des Grundstücks H.10 inK. für den Taxibetrieb zu untersagen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten den Erlass einer Nutzungsuntersagung gegen den Taxibetrieb der Beigeladenen.
Die Beigeladene sowie ihr Ehemann bewohnen das Grundstück H.Nr. 10, Flurstück 2/ 131 der Flur 37, Gemarkung K. in J.. Das Wohnhaus der Klägerin und ihrer Familie befindet sich am anderen Ende der Straße auf dem Grundstück Flurstück 2/138 in der H.Nr. 1/ Ecke I.. Beide Grundstücke befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 49 "Gartenstadt M." der StadtK.. Dieser setzt als Art der baulichen Nutzung ein reines Wohngebiet fest.
Im Dezember 2000 erwarb die Beigeladene das Unternehmen "Taxi L." ausK.. Am 14.02.2001 übertrug der Beklagte die Genehmigung zur Ausübung des Taxen- und Mietwagenverkehrs von der früheren Inhaberin, Frau Christel L., auf die Beigeladene. Als Betriebssitz war die Bahnhofsstraße Nr. 5 inK. vorgesehen. Die Genehmigung wurde hinsichtlich des Taxenverkehrs bis zum 06.12.2002 und bezüglich des Verkehrs mit Mietwagen bis zum 06.12.2004 befristet.
Im Mai 2001 begann ein Schriftwechsel zwischen sechs Anwohnern der H.mit dem Beklagten. Unter ihnen befand sich auch die Familie der Klägerin. In den Schreiben wurde der Beklagte aufgefordert, gegen die Beigeladene bauaufsichtlich einzuschreiten. Die Beigeladene wurde jeweils um Stellungnahmen gebeten.
Die Anwohner führten aus, dass die Beigeladene auf dem Grundstück ein Taxiunternehmen betreibe und mit Hilfe der im Wohnhaus befindlichen Funkanlage ihren gesamten Betrieb steuere. Dies sei mit erheblichen Lärmbelästigungen verbunden. Insbesondere an den Wochenenden sei die Nachtruhe häufig bereits in den frühen Morgenstunden beendet. In der Sommerzeit sei der Aufenthalt auf den Terrassen oder das Öffnen von Türen durch das häufige Vorbeifahren der Taxen gestört. Sowohl private PKW als auch Taxen kämen zur Abrechnung in die H.und würden dabei in der Noldestraße/ Ecke I. parken. Gespräche mit der Beigeladenen hätten keine Verbesserung gebracht.
Die Beigeladene erklärte, dass inzwischen eine neue Halle in der N. bezogen worden sei. Diese diene als Garage für die Taxen. Die Kundenfahrten würden ausschließlich an ausgewiesenen Stellen in der Stadt beginnen. Die Aufträge erhielten die Fahrer per Funk oder Telefon. Ferner würde die Abrechnung mittlerweile nicht mehr in der H.erfolgen. Die Mitarbeiter würden die H.bis auf einzelne Ausnahmen nur mit ihren Privatfahrzeugen aufsuchen, welche an der Ecke I. abgestellt würden. Lediglich ein PKW, der sowohl privat als auch geschäftliche genutzt werde, verbleibe in der Noldestraße. Ferner gebe es in dem Haus ein Büro, was im Übrigen auch anderen Freiberuflern in der Gegend gestattet sei.
Zwischenzeitlich gab der Beklagte der Beigeladenen zu verstehen, dass es sich um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung des Wohngrundstücks handele. Dies ergebe sich aus der erforderlichen Anzahl zusätzlicher Einstellplätze und der andersartigen Beeinträchtigung mit Lärm und Emissionen. Da die erforderliche Genehmigung nicht vorläge, sei die Nutzung formell illegal. Ferner sei der Betrieb auch nicht genehmigungsfähig, da ein Taxiunternehmen in einem reinen Wohngebiet auf Grund des erhöhten Verkehrsaufkommens als störender Gewerbebetrieb einzustufen und damit unzulässig sei. Später ergänzte der Beklagte seine Ausführungen dahingehend, dass die Anwohner unabhängig von einer tatsächlichen Störung einen generellen Abwehranspruch gegen die Nutzungsänderung aus den Festsetzungen des Bebauungsplans hätten. Dieser umfasse auch ein einzelnes Fahrzeug sowie die Funkzentrale. Vorschläge für eine mit dem Baurecht zu vereinbarende Lösung wurden erbeten.
Dieser Aufforderung kam die Beigeladene nach. Die I. werde nicht mehr als Parkraum genutzt. Mit dem einzelnen Fahrzeug würden überwiegend vormittags fünf bis zehn geschäftliche Fahrten durchgeführt. Man sei bereit, für diesen PKW ein privates Fahrtenbuch zu führen. Die Beigeladene verwies darauf, dass in der H.ein Fußpflegestudio sowie ein Aufforstungsbetrieb ansässig seien. In den Nachbarstraßen gebe es außerdem einen Architekten, eine Firma für Bautenschutz und ein Versicherungsbüro. Ferner gebe es inK. eine Reihe anderer Taxiunternehmen in reinen Wohngebieten.
Nunmehr unterrichtete der Beklagte die Anwohner über das geplante weitere Vorgehen. Es solle gegenüber der Beigeladenen eine befristete Duldung ausgesprochen werden. Eine Genehmigung des Betriebes sei zwar nicht möglich, allerdings ginge es hier auch nicht um die Frage der Legalisierung der Nutzung. Vielmehr sei zu entscheiden, ob gegen die Beigeladene vorgegangen werden müsse oder nicht. Dies sei eine Ermessensfrage, bei der es zu einer Abwägung der Interessen der Nachbarn und der des Gewerbetreibenden komme. Da nach den Angaben der Beigeladenen lediglich ein Fahrzeug in der H.verbleiben solle, sei die Wohnruhe hinreichend gesichert und ein Einschreiten unnötig.
Es kam zu einer ersten alleinigen Stellungnahme durch die Klägerin. Auch ein einzelnes Fahrzeug bedeute ein erhebliche Störung, da die Antenne am Morgen Lärm verursache. Die Funkzentrale müsse entfernt werden, da diese sonst ständig angefahren würde.
Daraufhin gab die Beigeladene zu verstehen, dass die Funkanlage in der H.von Sonntag bis Donnerstag am Abend nicht mehr genutzt werde. Die Telefonleitung werde dann auf einen der Fahrer umgestellt. In der Nachtschicht am Wochenende werde überwiegend eine weitere Funkanlage in Hesedorf genutzt. Sollte am Wochenende doch einmal ein Mitarbeiter in der H.tätig sein, so sei grundsätzlich das Fenster geschlossen. Dieses lasse sich lediglich kippen und sei auf einer Breite von ca. 1,50 m von einer Garage abgedeckt. Die Klägerin und ihre Familie seien auch bei geöffnetem Fenster nicht in der Lage, Gespräche mitzuhören.
Am 30.11.2001 stellte die Klägerin schließlich einen Antrag auf Erlass einer Nutzungsuntersagung gegen die Beigeladene und griff dabei die Ausführungen aus den Anwohnerschreiben auf.
Am 18.01.2002 teilte der Beklagte der Beigeladenen mit, dass er den in der H.befindlichen Taxibetrieb dulden werde. Voraussetzung hierfür sei, dass für das auf dem Grundstück verbleibende Fahrzeug ein Fahrtenbuch geführt werde und die Nutzung der Funkanlage wie beschrieben erfolge. Die Duldung wurde mit Widerrufsvorbehalt bis zum 20.03.2003 befristet. Die Möglichkeit, in Zukunft gegen den Betrieb ordnungsrechtlich vorzugehen, hielt sich der Beklagte ausdrücklich vor. Mit demselben Datum lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 30.11.2001 ab. Er verwies dabei nochmals auf die seiner Meinung nach hinreichend gesicherte Wohnruhe sowie auf die ausgesprochene Duldung.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 18.02.2002 Widerspruch ein. Ein Taxiunternehmen gehöre nicht zu der in § 3 Abs. 3 BauNVO genannten Ausnahmebebauung und dürfe daher nicht in einem reinen Wohngebiet betrieben werden.
Am 21.05.2002 wurde der Widerspruch kostenpflichtig abgewiesen. Ergänzend zum Ausgangsbescheid führt die Bezirksregierung Lüneburg aus, dass ein nachbarlicher Anspruch auf ordnungsrechtliches Einschreiten nur dann bestehe, wenn zu der abstrakten Baurechtswidrigkeit eine unzumutbare Beeinträchtigung hinzutrete. Mit den vorgenommenen Einschränkungen und der räumlichen Distanz zwischen den Grundstücken sei eine solche Beeinträchtigung nicht mehr gegeben.
Die Klägerin hat daraufhin am 21.06.2002 Klage erhoben und wiederholt im Wesentlichen die Ausführungen ihres Antrages vom 30.11.2001 und des Widerspruchs vom 18.02.2002. Weiter trägt sie vor, dass die Abrechnung nach wie vor in der H.Nr. 10 stattfinden und Fahrzeuge in der I. parken würden. Auch würden weiterhin Taxen zu und von der Zentrale auf dem Grundstück fahren. Da die Fahrzeuge dabei direkt am Haus der Klägerin vorbeifahren und abbiegen würden, stelle dies eine unzumutbare Beeinträchtigung für die Klägerin und ihre Familie dar.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung A. vom 21. Mai 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, gegen den Taxibetrieb der Beigeladenen inK.; Noldestrasse Nr. 10, eine Nutzungsuntersagung zu erlassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist dabei ausdrücklich auf die Argumentationen des Ausgangsbescheides vom 18.01.2002 und des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2002. Ferner entsprächen die Einwände der Klägerin größtenteils nicht mehr den Tatsachen. Nach Auskunft der Beigeladenen werde nicht der gesamte Taxibetrieb von der H.Nr. 10 aus geleitet. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Abrechnung. Auch dürfe auf Grund der vorläufigen Duldung lediglich ein Fahrzeug sowohl privat als auch gewerblich genutzt werden.
Der Taxibetrieb werde zunächst weiter geduldet, weil zunächst der Ausgang dieses Verfahrens abgewartet werden solle. Man gehe davon aus, dass die Beigeladene ihre schriftlichen Zusagen weiterhin einhalte. Außerdem habe das Verwaltungsgericht Stade im Urteil vom 06.05.1994 (Az.: 2 A 92/93) eine Nutzungsuntersagung des Beklagten für ein Taxiunternehmen in einem reinen Wohngebiet aufgehoben. Die Entscheidung sei auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes gestützt worden, da vergleichbare Betriebe im StadtgebietK. nicht ebenfalls untersagt worden wären. Außerdem sei nach Auffassung des Gerichts nicht das subjektive Störungsempfinden einzelner Nachbarn entscheidend. Vielmehr sei im Rahmen des Entschließungsermessens auf objektive Kriterien wie Umfang des Betriebes, Häufigkeit des Zu- und Abgangsverkehrs, Betriebsstruktur, Lärmvorbelastung etc. abzustellen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2004 hat die Kammer das Grundstück der Beigeladenen sowie die hier vorhandenen Installationen und die nähere Umgebung in Augenschein genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Terminsniederschrift verwiesen.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung B. verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Ablehnung der beantragten Nutzungsuntersagung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Diese hat Anspruch auf Erlass der beantragten Nutzungsuntersagung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Ermächtigungsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Nutzungsuntersagung ist § 89 Abs. 1 S. 1 NBauO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen oder Grundstücke dem öffentlichen Baurecht widersprechen, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. Gemäß § 89 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NBauO kann sie namentlich die Benutzung von baulichen Anlagen untersagen, wobei die Anordnung nach § 89 Abs. 2 NBauO an die Person zu richten ist, die nach den §§ 57 bis 62 verantwortlich ist.
Ein Anspruch des Nachbarn auf ein Einschreiten kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der gerügte Verstoß eine Vorschrift betrifft, die auch dem Schutz des Nachbarn dient. Des Weiteren muss der Ermessensspielraum der Bauaufsichtsbehörde so weit reduziert sein, dass nur noch eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung, nämlich die zum Einschreiten, denkbar ist.
Der geltend gemachte Abwehranspruch richtet sich gegen die Nutzung des Wohnhauses der Beigeladenen für deren Taxibetrieb. Die Nutzungsänderung ist formell illegal, denn die erforderliche Baugenehmigung wurde nicht erteilt und auch zu keinem Zeitpunkt beantragt.
Darüber hinaus ist die Nutzungsänderung auch materiell rechtswidrig und nicht genehmigungsfähig; sie verstößt gegen § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO. Hiernach ist in einem durch Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet ein Taxibetrieb unzulässig. Den nachbarschützenden Charakter von Festsetzungen des Bebauungsplanes hat das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Grundsatzentscheidung vom 16. September 1993 anerkannt (- 4 C 28/91 - BVerwGE 94, 151ff.). Der bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks werden dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind.
Welche Nutzungen auf dem Grundstück der Beigeladenen zulässig sind bestimmt im hier vorliegenden Fall § 3 BauNVO (1977), da sich das Grundstück der Beigeladenen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 49 der StadtK. aus dem Jahr 1977 befindet, der als Art der baulichen Nutzung ein reines Wohngebiet festsetzt. Nach der hier maßgeblichen Fassung des § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 können in einem reinen Wohngebiet neben Wohngebäuden Ausnahmsweise Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebietes dienen, sowie kleinere Betriebe des Beherbergungsgewerbes zugelassen werden. Zu den hiernach ausnahmsweise zulässigen Nutzungen gehört ein Taxunternehmen wie das der Beigeladenen nicht.
Ferner liegt auch kein Fall des § 13 BauNVO (1977) vor. Danach sind auch in einem durch Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO Räume für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender zulässig, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben. In Anlehnung an die steuerrechtliche Umschreibung sind freiberuflich tätig diejenigen Personen, die auf eigene Rechnung selbstständig arbeiten und deren Tätigkeit weder eine gewerbliche i. S. der Gewerbeordnung ist noch in der Urproduktion oder im öffentlichen Dienst erfolgt (vgl. Fickert/ Fieseler, BauNVO, , 9. Aufl., § 13, Rn. 4.). Hierzu zählen nach § 18 Abs. 1 EStG etwa Architekten, Rechtsanwälte, Journalisten etc. Als Beispiel für Gewerbetreibende, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben nennt die amtliche Begründung Handelsvertreter ohne Auslieferungslager (BR - Drucks. 53/62 vom 25.05.1962, Anlage S. 8). Der Zusatz "ohne Auslieferungslager" verdeutlicht, dass Störungen, die durch einen verstärkten Kfz - Verkehr auftreten können, einer beruflichen Tätigkeit nach § 13 BauNVO nicht mehr entsprechen sollen (vgl. Fickert/ Fieseler, BauNVO, 9. Aufl. § 13, Rn. 4.11,). Ferner ist für die Einordnung als freier oder ähnlicher Beruf entscheidend, ob durch die Nutzung der Charakter des Plangebiets verloren ginge. Durch die Beschränkung in reinen Wohngebieten auf Räume soll erreicht werden, dass durch eine zu starke freiberufliche oder ähnliche Nutzungsweise die planerisch nicht erwünschte Wirkung einer Verdrängung der Wohnnutzung eintritt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.01.1984 - 4 C 56/80 - BVerwGE 68, 324 (328f.)[BVerwG 20.01.1984 - 4 C 56/80]). Dies käme einer zumindest teilweisen Umwidmung des Plangebiets gleich. Die veränderte Nutzung darf jedoch weder für den Gebietscharakter noch das einzelne Gebäude prägend werden. Um eine solche Prägung effektiv vermeiden zu können, kommt es bei der Anwendung des § 13 BauNVO nicht auf eine jeweils individuell konkrete Gefährdung sondern auf eine abstrakte Betrachtungsweise an (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.01.1985, - 4 C 34/81 -, BRS 44 Nr. 47, S. 108 (109)). Folglich hat sich die Beurteilung daran zu orientieren, welches Ausmaß die Betätigung typischerweise hat. Nur so kann die Planungssicherheit gewahrt bleiben.
Da es sich bei einem Taxiunternehmen um einen Gewerbebetrieb handelt, scheidet eine freiberufliche Beschäftigung aus. Ferner handelt es sich nicht um einen Beruf, der in ähnlicher Weise ausgeübt wird. Der Umfang der Tätigkeit der Beigeladenen ist zwar zwischen den Parteien streitig und auch im Rahmen der Ortsbesichtigung, konnten zu diesem Punkt keine verbindlichen Feststellungen gemacht werden. Generell ist für einen Taxibetrieb jedoch kennzeichnend, dass ein ständiger Zu- und Abgangsverkehr von Fahrzeugen herrscht. Hierdurch kommt es zu Störungen, die insbesondere in einem reinen Wohngebiet nicht mehr von § 13 BauNVO gedeckt sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Beigeladene tatsächlich, zumindest derzeit, nur einen untergeordneten Teil ihres Unternehmens in der H.unterhält. Um einer vom Gebietscharakter abweichenden Prägung sicher vorbeugen zu können, kann nicht auf die individuelle und jederzeit veränderbare Betriebsweise abgestellt werden. Leitbild muss vielmehr sein, in welcher Form ein Taxiunternehmen üblicherweise betrieben wird bzw. betrieben werden kann.
Die Beigeladene ist gemäß den §§ 89 Abs. 2, 62 BauNVO i.V.m. § 6 Abs. 1 NGefAG für den baurechtswidrigen Zustand verantwortlich.
Die Beklagte hat ihr Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt, da sich dieses zu einer Pflicht zum Einschreiten verdichtet hat. Wie bereits erläutert, haben Festsetzungen eines Bebauungsplanes grundsätzlich nachbarschützende Funktion. Dieser Schutz geht weiter als das Rücksichtnahmegebot im Sinne des § 15 BauNVO, welches voraussetzt, dass der Nachbar in unzumutbarer Weise in konkret schutzwürdigen Interessen betroffen wird. Soweit sich der Nachbar gegen eine Baugenehmigung wendet, hat er bereits dann einen Anspruch auf Bewahrung des festgesetzten Gebietscharakters, wenn ein baugebietswidriges Vorhaben im Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird bereits durch die Zulassung eines mit den Festsetzungen nicht zu vereinbarenden Vorhabens ausgelöst, da hierdurch eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet und das Austauschverhältnis gestört wird (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 1993 - 4 C 28/91 - BVerwGE 94, 151 (161)[BVerwG 16.09.1993 - 4 C 28/91]). In einer weiteren Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht ergänzend ausgeführt, dass der Schutzanspruch des Nachbarn gegen baurechtswidrige Nutzungen ohne Genehmigung, die in seine geschützten Rechte eingreifen, im Ergebnis nicht schwächer sein darf als wenn eine anfechtbare Genehmigung erteilt worden ist (vgl. Urteil vom 19.06.1991 - 4 C 17/90 = NVwZ 1992, S. 165 (166) [BVerwG 19.06.1991 - 4 C 52/89]). In dem damaligen Fall ging es ebenfalls um einen Anspruch auf Einschreiten gegen eine gebietsfremde Nutzung. Nach Auffassung der Literatur ist jedoch ein genereller Anspruch auf Einschreiten gegen ungenehmigte und illegale Nutzungen abzulehnen. Ein solcher soll nur dann in Betracht kommen, wenn neben dem abstrakten Verstoß eine unzumutbare Beeinträchtigung vorliegt. (vgl. Große-Suchsdorf/ Lindorff/ Schmaltz/ Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 89, Rn. 63). Unbestritten sei, dass ein Nachbar unabhängig von der Schwere des Verstoßes jede rechtswidrige Baugenehmigung erfolgreich anfechten könne. Für den Anspruch auf Einschreiten komme es jedoch auf die tatsächliche Beeinträchtigung an (vgl. Große-Suchsdorf/ Lindorff/ Schmaltz/ Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 89, Rn. 61,). Dem kann jedoch nach Ansicht der Kammer, jedenfalls im Bezug auf Abwehrrechte aus den Festsetzungen eines Bebauungsplanes, nicht gefolgt werden. Sachliche Erwägungen, die eine unterschiedliche Behandlung von rechtswidrigen Genehmigungen und illegalen Vorhaben rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Vielmehr führt die Literaturmeinung zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen. Sie bedeutet eine Privilegierung illegaler Nutzer, da gegen diese nur unter erschwerten Bedingungen vorgegangen werden kann. Die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum unbedingten Schutz des Gebietscharakters würden unterwandert. Dass Personen begünstigt werden sollen, die Nutzungsänderungen nicht dem behördlichen Genehmigungsverfahren unterziehen und damit eine effektive Gefahrenabwehr erschweren, kann einem betroffenen Nachbarn kaum vermittelt werden. Für ihn sind die Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeit nur dann als Sozialbindung des Eigentums hinnehmbar, wenn diese für Nachbargrundstücke gleichermaßen Geltung besitzen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Nutzung durch förmliche behördliche Genehmigung oder bloße Duldung eines rechtswidrigen Handelns erfolgt. Der Beklagte muss demnach ungeachtet des Vorliegens einer unzumutbaren Störung gegen die illegale Nutzung vorgehen, um ein Unterlaufen der bauplanungsrechtlichen Festsetzungen von vornherein zu unterbinden.
Das Begehren der Klägerin steht auch nicht im Widerspruch zum Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser verpflichtet die Behörde zu einem gleichmäßigen Vorgehen gegen rechtswidrige Zustände, soweit keine sachlichen Unterschiede Abweichungen rechtfertigen. Die Behörde ist jedoch nicht gehalten, gegen alle Verantwortlichen gleichzeitig vorzugehen. Sie kann z.B. zunächst einen geeigneten Einzelfall einer gerichtlichen Kontrolle unterziehen lassen. Ferner kann die Behörde ihre Bewertung in Neufällen verändern, sofern sie hiermit eine Erklärung verbindet, auch gegen die Altbestände in Form eines sachgerechten Systems zur Schaffung ordnungsgemäßer Zustände vorzugehen. Für die Betroffenen muss erkennbar sein, auf Grund welcher Erwägungen gerade gegen sie vorgegangen wird. Dies ergibt sich bereits aus § 114 VwGO. Insgesamt kann ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nur zu einer vorläufigen Aufhebung einer an sich sachgemäßen und gebotenen Maßnahme führen, denn die Behörde soll zu einem gleichmäßigen Eingreifen veranlasst werden (vgl. Große-Suchsdorf/ Lindorff/ Schmaltz/ Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 89, Rn. 49ff.).
Der Hinweis des Beklagten auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stade vom 06.05.1994 (Az.: 2 A 92/93) sowie der Beigeladenen auf andere Taxiunternehmen in reinen Wohngebieten führt daher zu keiner anderen Beurteilung des vorliegenden Falles. Der Beklagte will aus der Entscheidung folgern, dass es, auch nach Ablauf der Duldung, keine Möglichkeit gibt, gegen die Beigeladene vorzugehen. Aber bereits in dem damaligen Urteil hat die Kammer klar gemacht, dass eine Nutzungsuntersagung grundsätzlich möglich ist. Aus dem Bescheid müsse lediglich hervorgehen, dass dies den Anfang einer neuen Praxis auch im Umgang mit den anderen Taxiunternehmen darstellt. Das willkürliche Herausgreifen nur eines einzigen Falles sei unzulässig. Dann ist eine Berufung der Beigeladenen auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes ausgeschlossen. Folglich lag es allein in der Hand des Beklagten, die Missstände unter Berücksichtigung dieser Grundsätze in allen Fällen zu beseitigen.
Der Erlass einer Nutzungsuntersagung gemäß § 89 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NBauO ist verhältnismäßig. Die genehmigte Nutzung des Gebäudes in der H.Nr. 10 als Wohnhaus wird durch den Verwaltungsakt nicht eingeschränkt.
Gründe, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen (§ 124a VwGO) sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung folgt dem Streitwertkatalog des Nds. OVG für Verfahren, die nach dem 1. Januar 2002 eingegangen sind (NdsVBl. 2002, S. 192 f). Im vorliegenden Fall wird die Beeinträchtigung der durch Bebauungsplan festgesetzten Wohnnutzung für ein Einfamilienhaus durch illegale, baugebietsunverträgliche gewerbliche Nutzung geltend gemacht. In Anlehnung an Ziffer 8. a) des Streitwertkataloges hält die Kammer daher einen mittleren Streitwert von 10.000,-- EUR für angemessen.
Leiner
Klinge